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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 108/02
Rechtsgebiete: BVormVG


Vorschriften:

BVormVG § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
Die Ausbildung zur staatlich anerkannten hauswirtschaftlichen Betriebsleiterin an einer Fachakademie steht für die Führung einer Betreuung einer abgeschlossenen Lehre gleich.
Gründe:

I.

Für den Betroffenen war durch Beschlüsse des Amtsgerichts vom 9.3.2001 und 10.5.2001 die Beteiligte als berufsmäßige vorläufige Betreuerin mit umfassendem Aufgabenkreis bestellt. Die Vergütung für die von ihr wahrgenommenen Betreuergeschäfte setzte das Amtsgericht unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 35 DM fest.

Auf die sofortige Beschwerde der Betreuerin gegen diesen Beschluss hat das Landgericht ihr einen Stundensatz von 45 DM zuerkannt.

Hiergegen wendet sich die Staatskasse mit der vom Landgericht zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Die Bemessung des Stundensatzes bei einem mittellosen Betreuten richte sich nach § 1 Abs. 1 BVormVG. Der Beteiligten stehe nach den in dieser Vorschrift niedergelegten Grundsätzen ein Stundensatz von 45 DM zu, weil sie für die Betreuung nutzbare Fachkenntnisse durch eine einer abgeschlossenen Lehre vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben habe. Zwar sei ihre Ausbildung zur hauswirtschaftlichen Betriebsleiterin in erster Linie auf die Leitung eines hauswirtschaftlichen Betriebes bzw. eines Betriebes der ländlichen Hauswirtschaft gerichtet. Doch seien ihr rechtliche Kenntnisse im Bereich Arbeits- und Sozialrecht sowie für die Vermögenssorge nutzbare Kenntnisse im Rahmen des Prüfungsfaches Volks- und Betriebswirtschaftslehre vermittelt worden. Die Vermittlung der wirtschaftlichen Kenntnisse, die auch das Prüfungsfach hauswirtschaftliche Betriebsführung umfassten, stellten auch einen der Kernbereiche der Ausbildung dar. Die Fächer Berufs- und Arbeitspädagogik sowie Betriebspsychologie seien ebenso für eine Betreuung nutzbar wie die Fächer Ernährungslehre und Betriebshygiene.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Beteiligten steht ein erhöhter Stundensatz zu.

a) Hat das Vormundschaftsgericht bei der Bestellung des Betreuers festgestellt, dass er die Betreuung berufsmäßig führt, hat es ihm für die Betreuung eine Vergütung zu bewilligen (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1836 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 BGB). Sie errechnet sich aus der für die Betreuung aufgewandten und erforderlichen Zeit und dem zugrundezulegenden Stundensatz (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BVormVG). Dieser ist, sofern die Staatskasse in Anspruch genommen wird, vom Gesetzgeber nach der Qualifikation des Betreuers in einer typisierten dreistufigen Skala verbindlich festgelegt (§ 1 Abs. 1 BVormVG). Der Mindeststundensatz beläuft sich auf 18 Euro bzw. bis 31.12.2001 auf 35 DM (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BVormVG). Die erhöhten Stundensätze von 23 bzw. 31 Euro (bzw. bis 31.12.2001 von 45 und 60 DM) setzen voraus, dass der Betreuer über besondere Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind und die durch eine abgeschlossene Lehre bzw. eine abgeschlossene Hochschulausbildung oder durch eine jeweils vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben worden sind (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG). Besondere Kenntnisse sind Kenntnisse, die - bezogen auf ein bestimmtes Fachgebiet - über ein Grundwissen deutlich hinausgehen, wobei das Grundwissen je nach Bildungsstand bzw. Ausbildung mehr oder weniger umfangreich sein kann (vgl. BayObLG Z 1999, 339/341 BtPrax 2000, 81).

Für die Führung einer Betreuung nutzbar sind besondere Kenntnisse, wenn sie ihrer Art nach betreuungsrelevant sind und den Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Wohle des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine erhöhte Leistung zu erbringen. Angesichts des Wesens der Betreuung als rechtlicher Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) kommt einschlägigen rechtlichen Kenntnissen eine grundlegende Bedeutung zu. Betreuungsrelevant sind im allgemeinen ferner Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft (BayObLG Z 1999, 339/341). In Betracht kommen auch Kenntnisse, die die zwischenmenschliche Kommunikationsfähigkeit fördern und im Verhältnis zum Betreuten soziale Kompetenz verleihen. Die Aufgabe des Betreuers, die ihm übertragenen Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen (§ 1901 Abs. 1 BGB), schließt, vom Gesetzgeber zum Grundsatz erhoben, mit ein, den betroffenen Menschen persönlich zu betreuen (§ 1897 Abs. 1 BGB; BT-Drucks.-11/4528 S.53, 68; BayObLG FamRZ 1999, 463) und ihm zu ermöglichen, sein Leben im Rahmen seiner Fähigkeiten nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten (§ 1901 Abs. 2 Satz 2 BGB). Hierzu bedarf es eines möglichst engen persönlichen Kontakts (vgl. BayObLGZ 2000, 291/293; OLG Dresden FamRZ 2000, 463) und des Bemühens um ein persönliches Vertrauensverhältnis, der Einbeziehung des Betreuten in anstehende Entscheidungen (vgl. § 1901 Abs. 3 Satz 3 BGB), der Erörterung, inwieweit Vorstellungen und Wünsche des Betreuten seinem Wohl zuwiderlaufen, sowie der Verdeutlichung des Zwecks und der Erforderlichkeit notwendiger, in die Lebensverhältnisse des Betreuten eingreifender Maßnahmen (vgl. BayObLGZ aaO).

Durch welche Ausbildungen für eine Betreuung nutzbare besondere Kenntnisse erworben werden, hat der Gesetzgeber offengelassen. Erforderlich ist insoweit, dass die Ausbildung in ihrem Kernbereich auf deren Vermittlung ausgerichtet ist. Dem Sinn und Zweck der mit § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG getroffenen Vergütungsregelung entspricht es ersichtlich nicht, einen erhöhten Stundensatz schon deshalb zu gewähren, weil die Ausbildung wegen der Komplexität der betreffenden Fachrichtung daneben auch die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hatte (vgl. BayObLGZ 1999, 339/342 = BtPrax 2000, 81/82).

Durch eine einer abgeschlossenen Lehre vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind die Fachkenntnisse grundsätzlich dann, wenn sie im Rahmen der Ausbildung vermittelt werden, die Ausbildung staatlich reglementiert oder zumindest staatlich anerkannt ist, der durch sie vermittelte Wissensstand nach Art und Umfang dem durch eine Lehre vermittelten entspricht (vgl. auch § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr.2 BVormVG) und ihr Erfolg durch eine vor einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle abgelegte Prüfung belegt ist (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 BVormVG, §§ 34, 36 BBiG; BayObLGZ 1999, 291/293 FamRZ 2000, 554; OLG Zweibrücken Rpfleger 2000, 64).

Ob der Berufsbetreuer die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG erfüllt, obliegt der Beurteilung des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht kann dessen Würdigung nur auf Rechtsfehler überprüfen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG), d.h. darauf, ob der Tatrichter einen der unbestimmten Rechtsbegriffe verkannt hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen, der Bewertung maßgeblicher Umstände unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt, gegen die Denkgesetze verstoßen oder Erfahrungssätze nicht beachtet hat (vgl. BayObLGZ 1999, 339/342).

b) Das Landgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt verfahrensfehlerfrei und damit für den Senat bindend (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG i.V.m. § 559 Abs. 2 ZPO) festgestellt und entsprechend den dargelegten Grundsätzen gewürdigt. Es ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beteiligten ein erhöhter Stundensatz von 45 DM zusteht. Diese hat im Rahmen der Ausbildung zur staatlich anerkannten hauswirtschaftlichen Betriebsleiterin im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr.1 BVormVG für die Betreuung nutzbare besondere Fachkenntnisse durch eine einer abgeschlossenen Lehre vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben.

aa) Die Betreuerin verfügt über Kenntnisse in betreuungsrelevanten Sachgebieten, die auch den Kern ihrer Ausbildung betreffen. Sie ist zur hauswirtschaftlichen Betriebsleiterin ausgebildet worden. Zum Berufsbild des Hauswirtschafters gehört die Führung von ländlichen oder städtischen Haushalten, Familien- oder Großhaushalten, mit Zuständigkeit für Verköstigung, Vorratshaltung, Wohnungs- und Textilpflege sowie Rechnungsführung. Eine hauswirtschaftliche Betriebsleiterin soll nach Abschluss ihrer Ausbildung dazu in der Lage sein, auch einen größeren Betrieb, wie ein Krankenhaus, Internat oder Altersheim, in hauswirtschaftlicher Hinsicht zu leiten. Die Leitung kann dann die hauswirtschaftliche Versorgung einer größeren Anzahl von Heimangehörigen, Patienten und Mitarbeitern umfassen. Hierzu ist neben der Sorge für Ernährung und Hygiene die faktische Umsetzung dieser Aspekte in den Tagesablauf, also die Organisation einschließlich Kalkulation und Abrechnung vonnöten sowie die Gewährleistung einer reibungslosen Zusammenarbeit mit anderen Stellen und Mitarbeitern.

Die im Grundlagenbereich der Ausbildung erworbenen Kenntnisse in Betriebspsychologie, Berufs- und Arbeitspädagogik, Betriebswirtschaftslehre sowie Arbeits- und Sozialrecht befähigen die Betreuerin nicht nur zu einer effektiveren Betreuungsführung im Bereich der Vermögenssorge (vgl. OLG Schleswig FamRZ 2000, 1309 für Fachprüfungen in den Fächern Volkswirtschaftslehre und landwirtschaftliche Betriebslehre), sondern verschaffen ihr auch diejenige Sozialkompetenz, welche ihr eine vertrauensvolle Leitung der Betreuung im Gespräch mit dem Betreuten auf dem Gebiet seiner persönlichen Verhältnisse besser ermöglichen (vgl. BayObLG NJWE-FER 2001, 100 und OLG Hamm Rpfleger 2002, 314 für die Befähigung zum Lehramt an Grund- und Hauptschulen; OLG Dresden FamRZ 2000, 1310 für eine Diplomlehrerin für Mathematik und Chemie; OLG Hamm Rpfleger 2002, 313 für eine Lehrerin für Pflegeberufe und einen Krankenpflegehelfer; BayObLG FamRZ 2002, 303 für einen Beamten des mittleren nichttechnischen Dienstes). Diese Fähigkeiten werden durch die im Anwendungsbereich der Ausbildung erworbenen Kenntnisse in den Gebieten betriebsorganisatorische Übungen, Wirtschaftsrechnen und Geschäftsverkehr unterstützt. Diese Fächer gehören zum Kernbereich der Ausbildung und betreffen nicht nur Randbereiche oder Fähigkeiten, die in allen Berufen vorausgesetzt werden, wie beispielsweise der Umgang mit Computern. Dass die wirtschaftliche Führung einer der Kernbereiche der Ausbildung war, zeigt auch die von der Betreuerin vorgelegte Stundentafel, aus welcher sich für das Fach Betriebswirtschaftslehre und Rechnungswesen in beiden Studienjahren sieben Wochenstunden, in betrieblicher Haushaltslehre fünf und in hauswirtschaftlicher Betriebsführung zwölf Wochenstunden ergeben. Die wirtschaftlichen Kenntnisse im Zusammenhang mit den erworbenen organisatorischen Fähigkeiten sind im Bereich der Vermögenssorge, die Kenntnisse in Hygiene und Ernährungslehre für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge für die Betreuung nutzbar. Die in den Fächern Psychologie und Pädagogik erworbene Sozialkompetenz ist in sämtlichen Aufgabenkreisen für die Zusammenarbeit mit dem Betroffenen wertvoll.

bb) Die Auffassung des Landgerichts, die Betreuerin habe ihre Kenntnisse durch eine einer abgeschlossenen Lehre vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben, ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Die Betreuerin hat vor der Fachakademie für Hauswirtschaft eine staatliche Abschlussprüfung nach ihrem Studium an der Fachakademie und einem Berufspraktikum abgelegt. Die Prüfung fand vor einem staatlichen Prüfungsausschuss statt nach Absolvierung eines geordneten Studienganges mit strukturierten Prüfungsfächern.

Ende der Entscheidung

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