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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 01.10.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 112/01
Rechtsgebiete: BGB, GBO, BRAGO


Vorschriften:

BGB § 779
GBO § 51
BRAGO § 10 Abs. 1
BRAGO § 8 Abs. 1
Ein durch das Nachlassgericht protokollierter Vergleich mit der Wirkung eines materiell-rechtlichen Vertrages kann Anwaltsgebühren auslösen. Deswegen ist antragsgemäß ein Gegenstandswert festzusetzen, wobei sich dessen Höhe nach den Vorschriften der Kostenordnung richtet.
Gründe:

I.

Das Amtsgericht erteilte am 22.9.1971 einen Erbschein, wonach der am 2.10.1970 verstorbene Erblasser von seiner Witwe allein beerbt wurde; Nacherbe sollte der Beteiligte zu 3 (ein Enkel des Erblassers) sein, wobei auch Ersatznacherben benannt waren.

Der Beteiligte zu 3 übertrug durch notariell beurkundeten Vertrag vom 25.6.1979 sein Anwartschaftsrecht als Nacherbe auf seinen Onkel (einen Sohn des Erblassers). Dieser verstarb am 3.6.1991. Er wurde von seiner Ehefrau (der Beteiligten zu 4), seiner Schwester (der Beteiligten zu 5) und seiner Mutter, der Ehefrau des Erblassers, beerbt. Letztere verstarb am 13.7.1999.

Das Amtsgericht erteilte am 29.10.1999 einen Erbschein, wonach aufgrund des Eintritts des Nacherbenfalls der Erblasser von dem Beteiligten zu 3 allein beerbt worden ist. Es ging davon aus, dass die am 25.6.1979 beurkundete Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts unwirksam war.

Den Erbschein vom 29.10.1999 zog das Amtsgericht durch Beschluss vom 17.4.2000 als unrichtig ein, da es nunmehr die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts für wirksam hielt. Hiergegen legte der Beteiligte zu 3 Beschwerde ein.

Die Beteiligten zu 3 bis 5 schlossen vor dem Landgericht am 6.10.2000 einen Vergleich, wonach ein Hausgrundstück, das ursprünglich dem Erblasser und seiner Ehefrau je zu 1/2 gehört und nach den Angaben der Beteiligten zu 3 bis 5 im wesentlichen deren gesamtes Vermögen dargestellt hatte, gegen Ausgleichszahlungen von 100000 DM an den Beteiligten zu 3 und von 165000 DM an die Beteiligte zu 4 auf die Beteiligte zu 5 zu Alleineigentum übertragen werden sollte. Der Vergleich enthält daneben die Bewilligung der Berichtigung des Nacherbenvermerks durch die Beteiligten zu 3 bis 5; statt des Onkels des Beteiligten zu 3, der nach der Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts eingetragen worden war, sollte (wieder) der Beteiligte zu 3 als Nacherbe im Grundbuch vermerkt werden. Schließlich enthält der Vergleich eine Kostentragungsregelung. Nach Abschluss des Vergleichs erklärte die Beteiligte zu 4, sie nehme den Einziehungsantrag vom 29.2.2000, auf den hin der Beschluss des Amtsgerichts vom 17.4.2000 ergangen war, zurück. Daraufhin hob das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts vom 17.4.2000 auf und setzte den Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren auf 100000 DM fest.

Mit Schriftsatz vom 26.1.2001 beantragte der Beteiligte zu 2 (der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 5), den Geschäftswert für den Vergleich auf 480000 DM festzusetzen. Dem trat der Beteiligte zu 1 (der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3) mit Schriftsatz vom 28.1.2001 mit der Maßgabe bei, dass der Geschäftswert des Vergleichs mindestens 320000 DM betrage. Der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 4 beantragte mit Schriftsatz vom 23.1.2001, den Gegenstandswert des Vergleichs auf 100000 DM festzusetzen.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 22.2.2001 den Gegenstandswert des Vergleichs vom 6.10.2000 auf 100000 DM festgesetzt. Der Bewertung hat es den Wert des streitigen Nacherbenanwartschaftsrechts zugrunde gelegt.

Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beteiligten zu 1 und 2.

II.

1. Die Beschwerden sind zulässig.

a) Da der Vergleich, dessen Bewertung angefochten wird, in einem Nachlassverfahren (§§ 72 ff. FGG) geschlossen wurde, ist das Bayerische Oberste Landesgericht zur Entscheidung über die Beschwerden zuständig (vgl. BayObLGZ 1967, 418/430 f.; 1982, 21/23).

b) Da der Beschluss des Landgerichts vom 22.2.2001 nicht zugestellt wurde, ist die Beschwerdefrist (§ 10 Abs. 3 Satz 3 BRAGO) nicht in Lauf gesetzt worden. Die Beschwerden sind damit in jedem Fall rechtzeitig eingelegt.

c) Der Beschwerdewert (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BRAGO) ist in bei den Fällen erreicht.

d) Der Senat kann über die Beschwerden entscheiden, obwohl das Landgericht keine Abhilfeentscheidung (§ 10 Abs. 3 Satz 4 BRAGO, § 18 Abs. 1 FGG; vgl. Keidel/Schmidt FGG 14. Aufl. § 18 Rn. 4; Gerold/Schmidt/Madert BRAGO 14. Aufl. § 10 Rn. 12) getroffen hat. Da die Beteiligten zu 1 und 2 in ihren Beschwerden keine neuen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte vorgebracht haben, sieht der Senat keinen Anlass zu einer Rückgabe an das Landgericht (vgl. Zöller/Gummer ZPO 22. Aufl. § 571 Rn. 3 und 4; Schneider MDR 1978, 525/527).

2. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist unbegründet, die des Beteiligten zu 2 hingegen begründet.

a) Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist lediglich die Festsetzung des für die Rechtsanwaltsgebühren maßgeblichen Gegenstandswertes gemäß § 10 Abs. 1 BRAGO, nicht hingegen die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren durch das Landgericht (vgl. BayObLGZ 1968, 164/170 f.; Keidel/Kahl § 19 Rn. 113). Der auf den Geschäftswert bezogene Antrag des Bezirksrevisors kann daher nicht berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen für eine Abänderung des Geschäftswerts von Amts wegen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 und 3 KostO) liegen nicht vor.

b) Das Landgericht konnte den am 6.10.2000 geschlossenen Vergleich gemäß § 10 Abs. 1 BRAGO bewerten. Dieser ist zwar kein Verfahrensvergleich (vgl. dazu BayObLGZ 1997, 217/219 f.), weil er nach seinem Inhalt keine Auswirkungen auf das von Amts wegen unabhängig von einem Antrag zu betreibende Erbscheinseinziehungsverfahren hatte. Er ist aber jedenfalls als materielles Rechtsgeschäft im Sinne von § 779 BGB wirksam. Er konnte durch das Gericht aufgrund der Verfahrensnähe der geregelten Gegenstände, nämlich der Schaffung der Voraussetzungen für eine gütliche Beendigung der verfahrensgegenständlichen Erbstreitigkeiten unter weitgehender Auseinandersetzung der unter den Beteiligten zu 3 bis 5 bestehenden Erbengemeinschaften, protokolliert werden. Er hat deshalb, anders als ein nichtiger Vergleich (Gerold/Schmidt/von Eicken § 23 Rn. 54), Rechtsanwaltsgebühren ausgelöst (§ 23 Abs. 1 Satz 1 BRAGO); das Landgericht durfte eine Wertfestsetzung nicht ablehnen (vgl. KG Rpfleger 1962, 121).

c) Bei der Bestimmung des Gegenstandswertes des Vergleichs sind allerdings nicht die Grundsätze des Gerichtskostengesetzes und der Zivilprozessordnung heranzuziehen, sondern diejenigen der Kostenordnung. Danach ist der Gegenstandswert nach dem Anteil des jeweils vertretenen Beteiligten an dem Vergleich zu bestimmen.

aa) Die Maßgeblichkeit der Grundsätze der Kostenordnung ergibt sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO. Das Erbscheinsverfahren (§ 2353 BGB) einschließlich des Verfahrens der Einziehung eines unrichtigen Erbscheins (§ 2361 BGB) ist ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 72 ff. FGG), in dem Kosten nach der Kostenordnung erhoben werden (§ 1 KostO). Sowohl die Erteilung und Einziehung eines Erbscheins (§ 107 Abs. 1 Satz 1, § 108 Satz 1 KostO) als auch die Protokollierung eines Vergleichs. in diesem Verfahren (§ 36 Abs. 2 KostO) lösen Gerichtsgebühren aus, die sich nach dem Geschäftswert richten (§ 107 Abs. 2 Satz 2, § 108 Satz 2; § 39 Abs. 1 oder 2 KostO). Der für die Rechtsanwaltsgebühren maßgebliche Gegenstandswert bestimmt sich nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften (vgl. Keidel/Zimmermann Vorbem. zu § 13a Rn. 14). Die frühere Rechtsprechung des Senats (vgl. BayObLGZ 1956, 146/151) steht dem nicht entgegen. Sie geht ebenfalls von dem Grundsatz aus, dass die Rechtsanwaltsgebühren nicht vom Verfahrensgegenstand, sondern von der Art des Verfahrens, in der sie angefallen sind, abhängen. Soweit der Senat damals für einen im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit geschlossenen Vergleich zur Anwendung der Vorschriften des Gerichtskostengesetzes und der Zivilprozessordnung kam (aaO S. 149), beruhte dies auf den seinerzeit noch geltenden besonderen landesrechtlichen Vorschriften, insbesondere Art. 15 Abs. 2 RPflVo, die durch die Bereinigung des Kostenrechts überholt sind.

bb) Nach den Grundsätzen der Kostenordnung ist der Geschäftswert eines Vergleichs, anders als im Rahmen des Gerichtskostengesetzes und der Zivilprozessordnung (vgl. hierzu BGH AnwBl. 1964, 204; Gerold/Schmidt/von Eicken § 23 Rn. 41; Schumann/Geißinger BRAGO 2. Aufl. § 23 Rn. 100), nicht nach dem Rechtsverhältnis, über das sich die Verfahrensbeteiligten verglichen haben, sondern nach der Verpflichtung zu bestimmen, auf die sie sich verglichen haben (§ 39 Abs. 1, 2 KostO; Rohs/Wedewer KostO § 39 Rn. 13; Korintenberg/Bengel KostO 14. Aufl. § 39 Rn. 23 m. w. N.). Hat der Vergleich den Austausch von Leistungen zum Gegenstand, ist die höherwertige Leistung maßgebend (§ 39 Abs. 2 KostO; vgl. auch zum früheren Rechtszustand BayObLGZ 1956, 146/151; KG DNotZ 1943, 153/154).

cc) Für die Vergleichsgebühren der beteiligten Verfahrensbevollmächtigten ist hier jedoch nicht der (gesamte) Geschäftswert des Vergleichs maßgebend. Vielmehr ist auf die entsprechenden Anträge der Gegenstandswert festzusetzen. Sind mehr als zwei Vertragsparteien am Vergleich beteiligt, ist der Gegenstandswert nach dem jeweiligen Anteil der Parteien getrennt zu bestimmen (vgl. BayObLGZ 1991, 84/89 f.; Gerold/ Schmidt/von Eicken § 23 Rn. 54). In diesem Fall besteht zwangsläufig keine Übereinstimmung mit dem Geschäftswert (§ 10 Abs. 1 BRAGO), da sich der Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit nicht mit dem der anwaltlichen Tätigkeit deckt (BayObLG aaO S. 86).

d) Die Bewertung nach diesen Grundsätzen ergibt für die Beteiligten zu 1 und 2 unterschiedliche Gegenstandswerte.

aa) Der vergleich enthält im wesentlichen die Verpflichtung der Beteiligten zu 3 bis 5, einen notariell beurkundeten Vertrag abzuschließen, durch den die aus den Beteiligten zu 3 bis 5 bestehenden Erbengemeinschaften das Hausanwesen in M., das ursprünglich dem Erblasser und seiner Ehefrau zu je 1/2 gehörte, an die Beteiligte zu 5 gegen Abfindungszahlungen an die Beteiligten zu 3 und 4 veräußern. Es handelt sich dabei um einen Vorvertrag, der auf eine Teilauseinandersetzung abzielt. Die Verfahrensakten enthalten hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Beteiligten zu 3 bis 5 in wechselnder Zusammensetzung zu unterschiedlich hohen Anteilen die Erben bzw. Erbengemeinschaften nach allen drei Verstorbenen sind bzw. bilden. Dritte, die als (weitere Mit-)Erben in Betracht kommen könnten, sind nicht ersichtlich. Den Beteiligten zu 3 bis 5 ging es bei dem Vergleich offensichtlich um eine Gesamtbereinigung, bei der das Hausanwesen in M. als einziger nennenswerter Vermögensgegenstand der Nachlässe im Mittelpunkt stand.

bb) Vorverträge zu Austauschverträgen haben den Wert des vorgesehenen Austauschvertrages (vgl. Korintenberg/Bengel § 39 Rn. 31). Dieser Grundsatz ist auch im vorliegenden Fall anzuwenden. Jedenfalls für den Gegenstandswert ist aber auf das jeweilige Verhältnis zwischen den Beteiligten abzustellen, unabhängig davon, ob man den Hauptvertrag als objektive Teilauseinandersetzung ansieht (vgl. Rohs/Wedewer § 39 Rn. 34) oder im Hinblick darauf, dass das Grundstück der einzige wesentliche den Erbengemeinschaften verbliebene Gegenstand war, als mehrseitigen Austausch von Leistungen (§ 39 Abs. 2 KostO; vgl. auch Korintenberg/Bengel § 39 Rn. 6 sowie für die Übertragung von Miterbenanteilen Rohs/Wedewer § 39 Rn. 36, Korintenberg/Bengel aaO Rn. 38).

cc) Danach ist im Verhältnis zwischen den Beteiligten zu 3 und 5 der Wert der Leistung an den Beteiligten zu 3 (Zahlung von 100000 DM) maßgebend, im Verhältnis zwischen den Beteiligten zu 4 und 5 der Wert der Leistung an die Beteiligte zu 4 (Zahlung von 165000 DM). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Rechtspositionen, welche die jeweiligen Beteiligten aufgeben wollten, höher zu bewerten wären als die entsprechenden Zahlungsbeträge (§ 39 Abs. 2 KostO; vgl. auch Korintenberg/Bengel § 39 Rn. 23).

Hinsichtlich des Beteiligten zu 1 (Verfahrensbevollmächtigter des Beteiligten zu 3) hat das Landgericht somit den Gegenstandswert im Ergebnis zutreffend auf 100000 DM festgesetzt. Hingegen ist die Beteiligte zu 5 an beiden Austauschverhältnissen in der Weise beteiligt, dass sie die ideellen Anteile der Beteiligten zu 3 und 4 erhalten sollte. Der für ihren Verfahrensbevollmächtigten, den Beteiligten zu 2, maßgebliche Gegenstandswert ist somit die Summe der beiden oben ermittelten Beträge. Insoweit war die Entscheidung des Landgerichts dahin abzuändern, dass der Gegenstandswert auf 265000 DM festgesetzt wird.

e) Die Berichtigungsbewilligungen in Ziff. IV des Vergleichs wirken sich auf den Gegenstandswert nicht aus, da sie nicht vollziehbar sind. Mit dem Eintritt des Nacherbenfalles erschöpft sich die Funktion des Nacherbenvermerks (vgl. Palandt/Edenhofer Einf. vor § 2100 Rn. 8) darin, die Rückabwicklung zwischenzeitlicher, das Recht des Nacherben verletzender Verfügungen zu stützen (vgl. §§ 135, 136 BGB). Sind wie hier solche Verfügungen über das Grundstück nicht erfolgt, hat der Nacherbenvermerk keine Funktion mehr. Er kann nur noch gelöscht werden (Palandt/Edenhofer § 2139 Rn. 6). Auch die Beteiligten gingen nach Aktenlage offensichtlich davon aus, dass der Nacherbenvermerk spätestens mit der Eintragung der Beteiligten zu 5 als Alleineigentümerin gelöscht werden sollte.

f) Die Regelung zur Kostentragung in Ziff. V des Vergleichs erhöht den Gegenstandswert ebenfalls nicht (§ 18 Abs. 2 Satz 1 KostO, § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO; vgl. zur entsprechenden Regelung in § 22 GKG n.F. OLG Neustadt JurBüro 1964, 195). Die Kosten, die durch sie erfasst werden, sind nicht Gegenstand eines besonderen Geschäfts im Sinne von § 18 Abs. 2 Satz 2 KostO.

3. Eine Kostenentscheidung war nicht geboten (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 4 und 5 BRAGO; BayObLGZ 1991, 84/90).

Ende der Entscheidung

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