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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 31.07.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 115/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1836d
Verfügt der Betroffene über ein die Schongrenze übersteigendes Vermögen, so gilt er selbst dann noch nicht als mittellos, wenn diesem Vermögen Verbindlichkeiten des Sozialhilfeträgers gegenüberstehen, die bisher nicht durch Leistungsbescheid oder Überleitungsanzeige geltend gemacht wurden.
3Z BR 115/02 3Z BR 118/02

Gründe:

I.

Das Amtsgerichtbewilligte der Berufsbetreuerin der Betroffenen, deren Aufgabenkreis auch die Vermögenssorge umfasst, mit den Beschlüssen vom 21.2.1996, 18.2.1997, 20.4.1998 und 9.4.1999 für deren Tätigkeit in der Zeit vom 1.1.1995 mit 31.12.1998 aus der Staatskasse zu erstattende Vergütungen und Auslagen in Höhe von insgesamt 19242,56 DM. Die einzelnen bewilligten Beträge sind an die Betreuerin überwiesen worden. Gegen die ihr nicht zugestellten Beschlüsse legte die Staatskasse (Bezirksrevisor) am 2.3.2000 sofortige Beschwerden ein mit dem Ziel, die Festsetzung aus dem Vermögen der Betroffenen zu erreichen. Das Landgericht hat die sofortigen Beschwerden mit Beschluss vom 24.4.2002 zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die vom Landgericht zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerden der Staatskasse (Bezirksrevisor).

II.

Die zulässigen Rechtsmittel haben Erfolg.

Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Die sofortigen Beschwerden seien zulässig, insbesondere sei die Zwei-Wochen-Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht in Gang gesetzt worden, weil die angefochtenen Beschlüsse dem Bezirksrevisor nicht förmlich zugestellt worden seien.

Die Rechtsmittel seien aber unbegründet, da die Betroffene mittellos sei. Für die Beurteilung der Mittellosigkeit der Betroffenen sei für die Betreuerin das bis zum 31.12.1998 gültige Recht anzuwenden, danach liege die Schongrenze bei 8000,00 DM. Für die Höhe des Vermögens komme es hier auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an. Entgegen der Auffassung der Staatskasse sei nicht entscheidend, ob die Betroffene zum Zeitpunkt der angegriffenen Entschädigungsfestsetzungen vermögend gewesen sei. Die Betroffene verfüge zwar über ein Aktivvermögen in Höhe von maximal rund 154581,00 DM, nämlich eine Eigentumswohnung im Wert ca. 57668,46 EUR = 112790,00 DM, sowie Kontoguthaben in Höhe von 20240,00 DM und 21551,06 DM. Hiervon seien aber die bestehenden Erstattungsansprüche des Sozialhilfeträgers in Höhe von 146596,36 DM abzuziehen, so dass ein Reinvermögen von 7985,00 DM verbleibe, welches die damalige Schongrenze von 8000,00 DM unterschreite. Ob Mittellosigkeit vorliege, beurteile sich anhand der Einkommensgrenzen des BSHG für Hilfe in besonderen Lebenslagen. Dies solle gerade vermeiden, dass eine Person, die auf Dauer Sozialhilfeleistungen beziehe, nicht als mittellos im Sinne des § 1835 Abs. 4 BGB angesehen werde. Hiermit wäre es aber nicht vereinbar, bei der Bestimmung der Mittellosigkeit darauf abzustellen, ob der Sozialhilfeträger hinsichtlich der über die Schongrenze hinausgehenden Vermögenswerte seinen Rückgriffsanspruch im Einzelfall schon durchgesetzt habe. Ebenso wie Ansprüche des Betreuten einen Vermögenswert darstellen können, dürften gegen ihn gerichtete Forderungen nicht unberücksichtigt bleiben. Das gelte vor allem dann, wenn die Forderung mit Leistungsbescheid geltend gemacht sei. Es treffe nicht zu, dass die Ansprüche der Betreuerin als ältere Ansprüche den Rückerstattungsansprüchen des Sozialhilfeträgers vorrangig wären. Denn die damals fälligen Ansprüche der Betreuerin seien durch Befriedigung durch die Staatskasse erloschen. Sie würden erst wieder aufleben und damit erneut fällig werden, wenn die zugrunde liegenden Entschädigungsfestsetzungsbeschlüsse aufgehoben werden würden.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG; 546 ZPO) nicht stand.

a) Zutreffend hat das Landgericht für die Frage der Bewilligung der Vergütungen und Auslagen das bis 31.12.1998 geltende Recht herangezogen (BayObLGZ 1999, 21/23), insoweit für die Frage der Mittellosigkeit der Betroffenen (§ 1835 Abs. 4, § 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB a.F.) und des heranzuziehenden Vermögens die Vorschriften des Sozialhilferechts für maßgebend erachtet (BayObLGZ 1995, 212/213 und 1997, 82/83) sowie hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen der Mittellosigkeit auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung abgestellt (vgl. BayObLGZ 1995, 395; OLG Köln NJWE-FER 1998, 251; KG FGPrax 1997, 224).

b) Zu Unrecht hat das Landgericht aber auf dieser Grundlage angenommen, die Betroffene sei mittellos.

aa) Bei der Prüfung, ob das Vermögen eines Betroffenen die Grenze des Schonvermögens übersteigt, ist auf die einzelnen Vermögensgegenstände, nicht auf den Gesamtüberschuss der Aktiva über die Passiva abzustellen. Vermögen in diesem Sinn ist daher grundsätzlich die Summe der dem Betroffenen zustehenden Güter ohne Abzug der Schulden (BayObLG FamRZ 1999, 1234).

bb) Die Betroffene verfügt nach den Feststellungen des Landgerichts allein über Sparguthaben, die erheblich über dem Betrag der zugesprochenen Vergütungen zuzüglich Schongrenze liegen, weshalb dahin gestellt bleiben kann, ob die finnländische Eigentumswohnung verwertbar (vgl. BayObLGZ 2001, 186) ist.

cc) Der Umstand, dass die Betroffene in der Vergangenheit Sozialhilfe erhalten hat, rechtfertigt nicht den vermögensmindernden Ansatz dieser Leistungen.

Die Forderungen der Betroffenen gegen die Sparkassen (Kontoguthaben) stehen der Betroffenen noch uneingeschränkt als Vermögen zur Verfügung und sind daher in vollem Umfang als Aktivvermögen zu berücksichtigen. Der Bezirk als Sozialhilfeträger hat bisher, wie sich aus dem letzten Bericht der Betreuerin ergibt, noch nicht auf diese Ansprüche zugegriffen.

Dass und in welcher Höhe Ansprüche des Sozialhilfeträgers, insbesondere Aufwendungsersatzansprüche (§ 29 Satz 2 BSHG) und Ansprüche auf Kostenbeitrag (§ 43 Abs. 1 Satz 2 BSHG), bestehen, ist bisher nicht festgestellt. Insbesondere ist im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der dem Beschluss des Pfälz. OLG Zweibrücken vom 9.10.1998 (BtPrax 1999, 32/33) zugrunde liegt, im vorliegenden Fall hinsichtlich des einzusetzenden Vermögens noch kein Leistungsbescheid ergangen. Derartige Leistungsbescheide (vgl. BVerwGE 57, 26/29; 52, 16/18; Schellhorn/Schellhorn BSHG 16. Aufl. § 29 Rn. 15 und § 43 Rn. 13; Fichtner/Schaefer BSHG § 92 Rn. 10), im Fall unberechtigt gewährter Sozialhilfe auch die Rücknahme des ursprünglichen Bescheids (Fichtner/Schaefer aao Rn. 7) sind im Verwaltungsrechtsweg anfechtbare Verwaltungsakte. Sie sind Voraussetzung für die Durchsetzung von Ansprüchen der Sozialhilfeträger gegenüber dem Sozialhilfeempfänger und zu deren Konkretisierung erforderlich (vgl. § 44 ff. SGB X; BVerwGE 91, 13; Fichtner/Schaefer aaO Rn. 10). Erst nach ihrer Unanfechtbarkeit kann die Leistungspflicht der Adressaten grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt werden (vgl. BVerwGE 57, 26/29). Mangels Konkretisierung eventueller Forderungen des Sozialhilfeträgers kann nicht beurteilt werden, inwieweit solche Forderungen der Gewährung einer Vergütung aus dem Vermögen der Betroffenen entgegenstehen. Eine Berücksichtigung im Vergütungsfestsetzungsverfahren erscheint daher vor Erlass des Leistungsbescheids nicht gerechtfertigt, wenn, - wie hier - der Sozialhilfeträger Leistungen unabhängig von einer etwaigen Mittellosigkeit der Betroffenen gewährt hat.

Als Leistungsbescheid kann hier auch nicht der Bescheid des vom 26.10.2000 angesehen werden, da in ihm gerade hinsichtlich des entscheidenden Gesichtspunkts (Einsatz des Vermögens) nicht der Betrag-angegeben ist, den die Betroffene bezahlen soll (vgl. S. 3 des Bescheids; BVerwGE 64, 318/324).

c) Durch die Leistungen der Staatskasse sind die Ansprüche der Betreuerin gegenüber der Betroffenen als der tatsächlichen Schuldnerin ihrer Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche nicht erloschen. Zwar kann ein Dritter gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 BGB die Leistung bewirken, wenn der Schuldner nicht in Person zu leisten hat. Eine derartige Leistung des Dritten, hier der Staatskasse, mit Erfüllungswirkung setzt aber voraus, dass der Dritte mit dem Willen leistet, die Verpflichtung des Schuldners, hier der Betroffenen, zu tilgen (vgl. BGHZ 137, 89/95; Palandt/Heinrichs BGB 61. Aufl. § 267 Rn. 3). Die Staatskasse wollte mit ihren Zahlungen im vorliegenden Fall in der Annahme, die Betroffene sei vermögenslos, ihre eigene Schuld gegenüber der Betreuerin, nicht die der Betroffenen, tilgen. Dies war auch aus der Sicht der Betreuerin als Zuwendungsempfängerin eindeutig (vgl. BGH NJW-RR 1.995, 128/129).

d) Da die Betroffene nach den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, von denen der Senat auszugehen hat, im Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts nicht mittellos war und die Ansprüche der Betreuerin nicht erloschen sind, sind die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 21.2.1996, 18.2.1997, 20.4.1998 und 9.4.1999 und der diese bestätigende Beschluss des Landgerichts aufzuheben.

Die Akten sind an das Amtsgericht zurückzugeben. Dieses hat über eine Bewilligung der Vergütung aus dem Vermögen der Betroffenen nach deren Anhörung zu entscheiden. Sollte sich ergeben, dass die Betroffene, insbesondere aufgrund von Maßnahmen des Sozialhilfeträgers, inzwischen mittellos ist, kämen erneute Bescheide gegen die Staatskasse in Betracht.

Ende der Entscheidung

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