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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 141/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1908b
Der Wunsch des Betreuers, entlassen zu werden, kann durch die neue Vergütungsregelung für Berufsbetreuer gerechtfertigt sein.
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Schreieder und Dr. Nitsche

am 19. Juni 2001

in der Betreuungssache

auf die weitere Beschwerde des Betreuers

beschlossen:

Tenor:

I. Der Beschluss des Landgerichts München II vom 6. April 2001 wird aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht München II zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Für die vermögenslose Betroffene besteht seit 03.07.1995 eine Betreuung für die Aufgabenkreise Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge und Schriftverkehr mit Behörden, Banken und Versicherungen. Zum Betreuer ist ein Rechtsanwalt bestellt. Dieser beantragte mit Schriftsatz vom 15.12.2000 seine Entlassung, da die Entwicklung hinsichtlich der Vergütung von Berufsbetreuern absehbar dahin gehe, dass die Betreuung vermögensloser Personen im bisherigen Umfang nicht mehr zumutbar sei. Das Amtsgericht lehnte diesen Antrag am 07.02.2001 ab. Die Beschwerde des Betreuers hiergegen hat das Landgericht mit Beschluss vom 06.04.2001 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die weitere Beschwerde des Betreuers.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig. Es hat in der Sache Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung, unter Einbeziehung der Ausführungen des Amtsgerichts, wie folgt begründet:

Ein Grund, der die Entlassung des Betreuers nach der abschließenden Regelung des § 1908b BGB rechtfertigen würde, sei nicht gegeben. Insbesondere seien nach seiner Bestellung keine Umstände eingetreten, aufgrund derer ihm die Betreuung nicht mehr zugemutet werden könne. Es treffe zu, dass seit der Bestellung des Betreuers die Stundensätze, die ein Rechtsanwalt als Berufsbetreuer für vermögende Betroffene abrechnen könne, drastisch gekürzt worden seien. Die Vergütung für vermögenslose Betroffene sei demgegenüber weitgehend gleich geblieben. Im vorliegenden Fall hätten sich die Bedingungen, zu denen die Betreuung geführt werde, also nicht geändert. Die vom Betreuer behauptete Mischkalkulation (wegen der höheren Vergütung für die Betreuung vermögender Personen hätte er die Betreuung vermögensloser Personen "mitziehen" können), sei bei der Entscheidung darüber, ob dem Betroffenen eine spezielle konkrete Betreuung weiter zugemutet werden könne, insbesondere, wenn sich bei dieser Betreuung die "Geschäftsgrundlage" nicht geändert habe, nicht von Bedeutung. Im übrigen vermöge die Kammer bereits dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die Betreuung vermögensloser Personen sei für einen Berufsbetreuer immer schon ein Verlustgeschäft gewesen, nicht zu folgen. Der Bundesgerichtshof habe festgestellt, der Annahme, die aus der Staatskasse zu gewährenden Stundensätze seien keineswegs stets kostendeckend, könne nicht zugestimmt werden (BGH NJW 2000, 3709).

Das Bundesverfassungsgericht habe ausgesprochen, die in den § 1 Abs. 1 BVormVG festgelegten Sätze von 30,00 DM, 40,00 DM und 60,00 DM seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG FamRZ 2000, 729/750 ff.), es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die wirtschaftliche Existenz von Berufsbetreuern mit den Vergütungsansprüchen gegenüber der Staatskasse nicht mehr gewährleistet sei. Der Beschwerdeführer sei durch die aus der Staatskasse erfolgte Betreuervergütung ohne Gefährdung seiner eigenen wirtschaftlichen Existenz nicht daran gehindert, die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspräche. Dazu bleibe er vielmehr verpflichtet. Danach sei die weitere Betreuung der mittellosen Betreuten für den Beschwerdeführer nicht unzumutbar. Das Amtsgericht habe zu Recht sein Begehren auf Entlassung zurückgewiesen.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht stand.

a) Zwar kommt eine Entlassung des Betreuers gemäß § 1908b Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Ein "anderer wichtiger Grund" im Sinn dieser Vorschrift ist nicht gegeben. Dieser Entlassungstatbestand zielt darauf ab, eine Entlassung des Betreuers auch dort zu ermöglichen, wo der bisherige Betreuer zwar keine Eignungsmängel aufweist, ein Betreuerwechsel aber dennoch im Interesse des Betreuten liegt. Das kann etwa der Fall sein, wenn ein naher Verwandter, der bisher die Betreuung nicht übernehmen konnte, oder eine Person, die erheblich geeigneter ist als der bisherige Betreuer, nunmehr zur Verfügung steht (BT-Drucks. 11/4528 S. 153; Erman/Holzhauer BGB 9. Aufl. § 1908b Rn. 7) und der Betreute mit dem Wechsel einverstanden ist (Bienwald Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1908b BGB Rn. 5), oder wenn Interessenkollisionen in Vermögensbelangen auftreten (Knittel BtG § 1908b BGB Rn. 5). Grundsätzlich muss der Wechsel des Betreuers wegen des Vorliegens eines wichtigen Grundes im Interesse des Betreuten liegen (Soergel/Zimmermann BGB 13. Aufl. § 1908b Rn. 12). Hingegen ist allein der Umstand, dass der Betreuer sein Einverständnis mit der Führung der Betreuung zurückzieht, grundsätzlich nicht geeignet, als wichtiger Grund für die Entlassung zu dienen (a.A. offenbar LG Duisburg FamRZ 1993, 851). Dies zeigt die Regelung des § 1908b Abs. 2 BGB. Danach kann der Betreuer seine Entlassung nur verlangen, wenn ihm die Betreuung nicht mehr zugemutet werden kann. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Entlassung auf seinen Wunsch begründet (vgl. Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. § 1908b BGB Rn. 3; Bienwald § 1908b BGB Rn. 15f; Knittel § 1908b BGB Rn. 7). Hat der Betreuer einmal seiner Bestellung zugestimmt (vgl. § 1898 Abs. 2 BGB) und ist bestellt worden, räumt das Gesetz der Kontinuität der Betreuung einen erheblichen Stellenwert ein. Dem trägt die Vorschrift des § 1908b Abs. 2 BGB Rechnung.

b) Auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen durfte das Landgericht aber die Entlassung des Betreuers gemäß § 1908b Abs. 2 BGB nicht ablehnen.

aa) Der Betreuer kann gemäß § 1908b Abs. 2 BGB seine Entlassung verlangen, wenn nach seiner Bestellung Umstände eintreten, aufgrund derer ihm die Betreuung nicht mehr zugemutet werden kann. Die weite Fassung der Bestimmung ermöglicht es, alle in Betracht kommenden Umstände zu berücksichtigen unabhängig davon, ob sie in der Person des Betreuers, des Betroffenen oder eines Dritten liegen (BT-Drucks. 11/4528 S. 153). Der Betreuer kann sich auf familiäre, berufliche oder persönliche Umstände berufen (BT-Drucks. aaO). Bei der Prüfung, ob die Fortführung der Betreuung unzumutbar ist, ist das Interesse des Betreuers an seiner Entlassung gegen das Interesse des Betreuten, diesen Betreuer zu behalten, abzuwägen (vgl. Soergel/Zimmermann aaO Rn. 21; Damrau/Zimmermann Betreuung und Vormundschaft 2. Aufl. § 1908b BGB Rn. 8). Deshalb kann allein der Umstand, dass der Betreuer die Betreuung nicht mehr fortführen möchte, für sich genommen die Unzumutbarkeit nicht begründen, da auch das Interesse des Betreuten an der Kontinuität der Betreuung zu berücksichtigen ist (a.A. offenbar Palandt/Diederichsen BGB 60. Aufl. § 1908b Rn. 7). Selbst eine in einem Einzelfall möglicherweise zu Unrecht erfolgte Vergütungskürzung muss nicht dazu führen, dass dem Betreuer die Betreuung nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. Schl.-Holst. OLG BtPrax 1997, 241; Jürgens § 1908b BGB Rn. 9).

bb) Diesen Grundsätzen trägt die Entscheidung des Landgerichts nicht in allen Punkten Rechnung. Auf der Grundlage der Feststellungen der Kammer kann die Unzumutbarkeit der Fortführung der Betreuung nicht verneint werden.

Bei dem Begriff der Unzumutbarkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. OLG Ham OLGZ 1978, 399/401; Jansen FGG 2. Aufl. § 27 Rn. 25). Die Frage, ob die von den Tatsacheninstanzen festgestellten Umstände in ihrer Gesamtheit die Merkmale des unbestimmten Rechtsbegriffs erfüllen, unterliegt als Rechtsfrage grundsätzlich der vollen Überprüfung durch das Gericht der weiteren Beschwerde (vgl. KG NJW 1988, 146; Jansen aaO; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. 27 Rn. 30).

Diese Überprüfung führt zu dem Ergebnis, dass der angefochtene Beschluss nicht frei von Rechtsfehlern ist.

(1) Das Landgericht ist nicht darauf eingegangen, dass ein erhebliches Interesse der Betroffenen, ihren bisherigen Betreuer zu behalten, nach Aktenlage nicht besteht. Eine engere persönliche Beziehung zwischen Betreuer und Betreuter ist nicht ersichtlich. Besuche finden nur gelegentlich statt. Die erforderlichen Tätigkeiten beschränken sich auf einfache Angelegenheiten, die es fraglich erscheinen lassen, ob hierfür ein Berufsbetreuer, zumal ein solcher mit der Qualifikation eines Rechtsanwalts, ausgewählt werden muss.

(2) Dem steht ein erhebliches Interesse des Betreuers an seiner Entlassung gegenüber. Es geht im vorliegenden Fall nicht darum, dass in einem Einzelfall die Vergütung ausnahmsweise gekürzt worden ist, sondern darum, dass der Berufsbetreuer aufgrund veränderter Vergütungsgrundsätze seine wirtschaftliche Situation überdenken muss. Dabei kann es sich um einen nach der Bestellung (hier: Verlängerung der Betreuung am 15.05.2000) eingetretenen Umstand im Sinne von § 1908b Abs. 2 BGB handeln. Zwar sind die gesetzlichen Bestimmungen zur Neuregelung der Vergütung bereits am 01.01.1999 in Kraft getreten. Die negativen Auswirkungen dieser Bestimmungen auf die Vergütung von Berufsbetreuern bemittelter Betreuter sind jedoch erst durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31.08.2000 (NJW 2000, 3709) in ihrem vollen Gewicht erkennbar geworden; dies genügt (vgl. Staudinger/Bienwald BGB 13. Bearb. § 1908b Rn. 27). Jedenfalls dann, wenn der Betreuer als Anwalt eine nicht nur unbedeutende Anzahl von Betreuungen nicht mittelloser Betroffener führt, bedeutet die neue Vergütungsregelung in der neuen Auslegung der obergerichtlichen Rechtsprechung für ihn eine erhebliche finanzielle Einbuße, die Überlegungen zur weiteren beruflichen Orientierung erforderlich machen kann.

Kommt der Betreuer unter den geschilderten Voraussetzungen bei der Würdigung seiner neuen wirtschaftlichen Situation zu dem Ergebnis, er könne seine Tätigkeit nicht mehr oder nur in geringerem Umfang ausüben, ist dies als neu eingetretener Umstand bei der Frage der Zumutbarkeit der Betreuung zu berücksichtigen. Dieser Umstand kann deshalb, je nach dem Ergebnis der Gesamtabwägung, geeignet sein, die Entlassung des Betreuers zu begründen.

Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs. Der Bundesgerichtshof hat ausgesprochen, dass das neue Recht festlege, mit welchem Stundensatz der Berufsbetreuer auszukommen habe. Nach dieser Vorgabe müsse der Aufwand an Sach- und Personalkosten eingerichtet werden (BGH BtPrax 2001, 30/32). Kann der Betreuer aber diese Kosten nach dem Zuschnitt seines Büros nicht so beschränken, dass er mit den Stundensätzen des § 1 Abs. 1 BVorm.VG ein angemessenes Entgelt für seine Mühewaltung erwirtschaften kann, ist ihm die weitere Ausübung des Betreuerberufes nicht mehr oder nicht mehr in dem bisherigen Umfang zuzumuten. Dem entspricht die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass ein Rechtsanwalt, der zu den gesetzlich vorgesehenen Stundensätzen nicht kostendeckend arbeiten könne oder wolle, Betreuungen nicht zu übernehmen brauche (BtPrax 2000, 77/79). Dann aber muss ihm auch die Möglichkeit gegeben werden, eine bereits bestehende Betreuertätigkeit einzuschränken oder einzustellen, da er nicht gezwungen werden kann, unter Kostendeckung zu arbeiten. Will der Betreuer unter diesen Umständen seine Betreuungstätigkeit nur reduzieren, kann ihm die Auswahl, welche Betreuungen er nicht mehr fortführen will, nicht verwehrt werden.

c) Die die Entlassung des Beschwerdeführers als Betreuer ablehnenden Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts mussten aufgehoben werden. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, da noch ungeklärt ist, ob und in welchem Umfang der Betreuer auch Betreuungen bemittelter Personen führt und gegebenenfalls ein neuer Betreuer zu bestellen ist. Die Sache wird daher an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses hat unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats und der Vorschriften des § 69i Abs. 7 und 8 FGG binnen angemessener Frist über den Entlassungsantrag des Beschwerdeführers zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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