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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.09.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 152/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1903
Ordnet der Tatrichter für sämtliche dem Betreuer übertragenen Aufgabenkreise einen Einwilligungsvorbehalt an, so muß er für jeden Aufgabenkreis darzulegen, warum der Einwilligungsvorbehalt erforderlich ist.
Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 4.4.2000 bestellte das Amtsgericht für den Betroffenen zwei Betreuer mit unterschiedlichen Aufgabenkreisen und ordnete gleichzeitig an, dass der Betroffene zu allen Angelegenheiten, die die Aufgabenkreise der Betreuer betreffen, der Einwilligung seiner Betreuer bedürfe. In der Folgezeit beantragte der Betroffene wiederholt die Betreuung aufzuheben. Diese Anträge lehnte das Amtsgericht jeweils ab, zuletzt am 14.2.2002. Gleichzeitig bestimmte es in diesem Beschluss, dass der Aufgabenkreis des Betreuers zu 1 weiterhin umfasst: die Vertretung des Betroffenen bei der Besorgung aller behördlichen, Rechts- und Versicherungsangelegenheiten, in gerichtlichen Verfahren und Führerscheinangelegenheiten, die Rückabwicklung aller Kredite und Forderungen von Gläubigern, die infolge Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen nicht rechtswirksam sind, die Geltendmachung aller Rechte und Ansprüche, die sich aus der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen ergeben, und die Vertretung im Zwangsversteigerungsverfahren des Amtsgerichts Nördlingen, Az.: K 69/98. Den Aufgabenkreis des Betreuers zu 2 bestimmte es, soweit dies vom Landgericht im Beschluss vom 24.6.2002 bestätigt wurde, wie folgt: Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Rentenangelegenheiten, Besorgung des landwirtschaftlichen Betriebs des Betroffenen, insbesondere Vornahme tierärztlicher und tierhygienischer Maßnahmen, Auflösung des landwirtschaftlichen Betriebs des Betroffenen. Gleichzeitig ordnete das Amtsgericht an, dass der bestehende Einwilligungsvorbehalt aufrechterhalten und auf den erweiterten Aufgabenkreis ausgedehnt werde. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legte der Betroffene Rechtsmittel ein, die gemäß dem Beschluss des Landgerichts vom 24.6.2002 keinen Erfolg hatten. Hiergegen richten sich die weiteren Rechtsmittel des Betroffenen.

II.

Die Rechtsmittel sind zulässig, auch soweit die Aufrechterhaltung des Einwilligungsvorbehalts angefochten ist.

Die Rechtsmittel sind auch begründet. Sie führen zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an dieses.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Das Vormundschaftsgericht habe den Antrag auf Aufhebung der Betreuung zutreffend abgelehnt. Nach den vorliegenden überzeugenden Sachverständigengutachten lägen bei dem Betroffenen weiterhin die Voraussetzungen für eine Betreuung in dem zuletzt angeordneten Umfang vor.

Sowohl hinsichtlich der Erkrankung als auch hinsichtlich der Lebenssituation des Betroffenen hätten sich im Vergleich zu dem letzten Kammerbeschluss vom 12.6.2001 kaum entscheidungsrelevante Veränderungen ergeben, insbesondere vermöge der Betroffene nach wie vor nicht einzusehen, dass er zu einer wirtschaftlich sinnvollen Bewirtschaftung seines landwirtschaftlichen Anwesens nicht in der Lage sei.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG; § 546 ZPO) nicht in vollem Umfang stand.

a) Kann ein volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Betroffenen und gegen seinen Willen, setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. BayObLGZ 1995, 146/148 m. w. N.; BayObLG FamRZ 1998, 454/455; OLG Hamm AV 1997, 135/138; OLG Frankfurt BtPrax 1997, 123 LS).

Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist (vgl. BayC)bLGZ,1994, 209/211 ff.; BayObLG FamRZ 1995, 1085). Dies bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung (BayObLG FamRZ 1995, 116). Insbesondere muss erkennbar sein, dass in den einzelnen Aufgabenkreisen aktueller Handlungsbedarf besteht (OLG Hamm FamRZ 1995, 433/435).

b) Ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet, setzen die Ablehnung der Aufhebung, die Verlängerung und die Erweiterung dieser Maßnahme voraus, dass der Betroffene im Bereich des Einwilligungsvorbehalts zu einer freien Willensbestimmung nicht imstande ist, dass die erhebliche Gefahr für die Person oder das vermögen des Betroffenen, die zur Anordnung des Einwilligungsvorbehalts geführt hat, nach wie vor besteht und dass zur Abwendung dieser Gefahr die Aufrechterhaltung bzw. Erweiterung des Einwilligungsvorbehalts erforderlich ist (§ 1903 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. BayObLGZ 1993, 63; BayObLG FamRZ 1999, 681; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, 1171). Auch für den Einwilligungsvorbehalt gilt der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 1517/1518; OLG Zweibrücken FamRZ 1999, 1171/1172).

c) Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht hinreichend beachtet.

aa) Zwar lässt die Beschwerdeentscheidung hinsichtlich der Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 BGB Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landgericht hat bei seiner Würdigung das Gutachten vom 22.1.2002 des Facharztes für Psychiatrie Dr. H. und das aufgrund der persönlichen Untersuchung vom 25.1.2002 erstellte Gutachten der Sachverständigen Dr. M., wonach der Betroffene an einer chronischen paranoiden Psychose leidet, mit einbezogen. Die Würdigung von Sachverständigengutachten ist Sache des Tatrichters und vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüfbar, d.h. dahin, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend ermittelt und bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, ob seine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen gesetzliche Beweisregeln oder Denkgesetze oder feststehende Erfahrungssätze verstößt, ferner, ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind (BayObLG FamRZ 1996, 1370/1371 m. w. N.). Derartige Verstöße sind nicht ersichtlich. Soweit der Betroffene gegen die Tatsachenwürdigung des Beschwerdegerichts Einwendungen erhebt, setzt er damit seine Sachdarstellung an die Stelle der des Landgerichts. Damit kann er im Rechtsbeschwerdeverfahren keinen Erfolg haben (BayObLGZ 1997, 213/216; 1999, 17/20).

bb) Hingegen enthält die Beschwerdeentscheidung keine tatsächlichen Feststellungen zur Erforderlichkeit der Betreuung in den einzelnen vom Landgericht bestätigten Aufgabenkreisen. Die Entscheidung ermangelt der sich aus dem Erforderlichkeitsgrundsatz folgenden notwendigen Darlegung des aktuellen Handlungsbedarfs für die einzelnen Aufgabenkreise (vgl. BayObLG BtPrax 1999, 247 LS) und der Prüfung, ob weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht kommen (vgl. BayObLGZ 1994, 209/211 f.; Jürgens/Kröger/Marschner/Winterstein Das neue Betreuungsrecht 4. Aufl. Rn. 83; Knittel BtG § 1896 BGB Rn. 32; Staudinger/Bienwald BGB 12. Aufl. § 1896 Rn. 53 ff.).

Derartige Ausführungen fehlen insbesondere für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge. Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass dieser Aufgabenkreis erforderlich ist. Der Betroffene ist nicht krankheitseinsichtig. Es ist nicht ersichtlich, dass der Betreuer Maßnahmen zur Behandlung des Betroffenen getroffen hat noch dass er solche plant (vgl. auch BayObLGZ 1994, 209 = FamRZ 1994, 1550).

Ferner ist nicht klar, ob der Betroffene überhaupt noch eine Landwirtschaft betreibt, und wie sich die Aufgabenkreise Besorgung des landwirtschaftlichen Betriebs einerseits und Auflösung des landwirtschaftlichen Betriebs andererseits vereinbaren lassen.

Auch geben die Akten keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass in allen dem Betreuer zu 1 übertragenen Aufgabenkreisen noch aktueller Handlungsbedarf besteht. Dies gilt insbesondere für die Vertretung in Führerscheinangelegenheiten und die Rückabwicklung aller Kredite und Forderungen von Gläubigern, die infolge der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen nicht rechtswirksam sind sowie die Geltendmachung aller Rechte und Ansprüche, die sich aus der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen ergeben und Vertretung im Zwangsversteigerungsverfahren.

cc) Das Landgericht hat auch keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, warum ein Einwilligungsvorbehalt für sämtliche den beiden Betreuern Übertragenen Aufgabenkreisen erforderlich sein soll.

Dies trifft insbesondere für die unter bb) angeführten Aufgabenkreise zu, dies gilt aber auch für den Aufgabenkreis Vertretung des Betroffenen bei der Besorgung aller behördlichen, Rechts- und Versicherungsangelegenheiten, soweit diese Aufgabenkreise weiter erforderlich sein sollten.

dd) Solche Feststellungen sind auch nicht in dem von der Kammer in ihrer Entscheidung in Bezug genommenen Beschluss vom 12.6.2001 enthalten. Ausreichende Tatsachen hierzu lassen sich auch den Akten nicht entnehmen.

d) Die aufgezeigten Rechtsfehler zwingen zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts. Da noch weitere Ermittlungen erforderlich sind, ist die Sache an dieses zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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