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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.09.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 167/04
Rechtsgebiete: FGG, UnterbrG


Vorschriften:

FGG § 70h Abs. 1 Satz 1
FGG § 70h Abs. 1 Satz 2
FGG § 69f Abs. 1
UnterbrG Art. 1 Abs. 1 Satz 1
Eine vorläufige Unterbringung setzt voraus, dass konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, dass die sachlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung vorliegen. Ferner müssen konkrete Tatsachen nahe legen, dass mit dem Aufschub der Unterbringung Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verbunden wären.
Gründe:

I.

Der Betroffene wurde auf Anordnung des Landratsamts vom 17.12.2003 am gleichen Tag vorläufig in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Das Gesundheitsamt des Landratsamts hatte am 18.9.2003 ein Schreiben von fünf Familien aus der Nachbarschaft des Betroffenen vom 11.9.2003 erhalten, in dem diese ihn überwiegend verbaler Aggressionen gegen ihre Kinder im Alter zwischen drei und elf Jahren beschuldigten. Nachdem der Betroffene Vorladungen des Gesundheitsamts zu einer Untersuchung keine Folge geleistet hatte und bei einem angekündigten Hausbesuch eines vom Gesundheitsamt beauftragten Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie am 12.11.2003 nicht anzutreffen war, wurde er am 17.12.2003 dem Gesundheitsamt polizeilich vorgeführt.

Beim gerichtlichen Anhörungstermin am 18.12.2003 bestritt der Betroffene ebenso wie schon bei der amtsärztlichen Untersuchung vom Vortag die Vorwürfe aus dem Schreiben vom 11.9.2003. Er schilderte seinerseits Belästigungen und Bedrohungen durch die Nachbarskinder bzw. deren Eltern. Das Amtsgericht bestätigte mit sofort wirksamem Beschluss vom 18.12.2003 durch einstweilige Anordnung die vorläufige Unterbringung bis spätestens 23.12.2003. Am 22.12.2003 wurde der Betroffene um 13.15 Uhr aus der psychiatrischen Klinik entlassen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 1.6.2004 beantragte der Betroffene im Wege der Beschwerde festzustellen, dass die vorläufige Unterbringung in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik rechtswidrig war.

Mit Beschluss vom 8.7.2004 wies das Beschwerdegericht den Antrag zurück. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 27.7.2004. Der Betroffene beantragt, den Beschluss des Beschwerdegerichts vom 8.7.2004 aufzuheben und festzustellen, dass die vorläufige Unterbringung vom 17.12.2003 bis 22.12.2003 in der geschlossenen Abteilung des psychiatrischen Krankenhauses rechtswidrig gewesen ist.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist begründet. Die vorläufige Unterbringung war rechtswidrig, da ihre Voraussetzungen zu keinem Zeitpunkt vorlagen.

1. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel (§ 29 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2, 4; § 70m Abs. 1; § 70g Abs. 3 Satz 1; § 22 Abs. 1 FGG) mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der angeordneten vorläufigen Unterbringung festzustellen, ist auch im Übrigen zulässig.

a) Zwar hat sich bereits vor Einlegung der sofortigen Beschwerde die Hauptsache dadurch erledigt, dass der Betroffene aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen worden ist. Dennoch fehlt der sofortigen Beschwerde nicht das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BayObLGZ 2002, 304/306). Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es in Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tief greifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Grundrechtseingriffs zu bejahen (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456; Demharter FGPrax 2002, 137/138). Ob hiervon im Einzelfall Ausnahmen gerechtfertigt sein können, bedarf keiner weiteren Erörterung, da im vorliegenden Fall einer kurzzeitigen Freiheitsentziehung bereits nach den Grundsätzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfG NJW 1998, 2432; BayObLG NJW 2002, 146 m.w.N.) der Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses in jedem Fall zu bejahen ist.

b) Gegenstand der Rechtswidrigkeitsfeststellung durch den Senat ist die Frage, ob die ursprüngliche Anordnung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung durch das Vormundschaftsgericht zu Recht erfolgt ist.

Die Rechtswidrigkeitsfeststellung kann sich im Grundsatz sowohl auf die ursprüngliche Anordnung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung als auch deren Fortbestand für den Zeitraum der Durchführung der Unterbringung bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses beziehen. Der Betroffene legt durch seinen Antrag fest, in welchem Umfang er die Rechtswidrigkeit überprüft sehen möchte (vgl. BayObLGZ 2002, 304/310, BayObLG Beschluss vom 14.10.2002 Az 3Z BR 149/02).

Hier war bereits die Erstbeschwerde auf die Feststellung gerichtet, dass die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses rechtswidrig gewesen sei. Damit ist auch der Verfahrensgegenstand für die weitere Beschwerde festgelegt.

2. Das Rechtsmittel des Betroffenen ist begründet. Die Voraussetzungen einer vorläufigen Unterbringung lagen zu keinem Zeitpunkt vor.

a) Das Beschwerdegericht hat die Anordnung der vorläufigen Unterbringung durch das Vormundschaftsgericht für rechtmäßig erachtet und dies folgendermaßen begründet: Das Vormundschaftsgericht habe aufgrund der Gutachten des Arztes am Gesundheitsamt und der Ärztin am Bezirkskrankenhaus von einer psychischen Erkrankung des Betroffenen in Form einer Persönlichkeitsstörung ausgehen dürfen. Die Fremdgefährdung habe sich aus dem Schreiben der Nachbarsfamilien vom 11.9.2003 ergeben, in dem konkrete Vorfälle beschrieben worden seien, bei denen sich Kinder hätten bedroht fühlen können. Auch die Gefahr von Handgreiflichkeiten gegenüber Kindern sei beschrieben worden. Auch wenn der Betroffene Kinder noch nicht geschlagen hatte, habe dringender Anlass zu der Annahme bestanden, dass eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorlag. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei beachtet worden, da die Unterbringung erst angeordnet worden sei, als der Betroffene mehreren Aufforderungen zur psychiatrischen Untersuchung nicht nachgekommen war und sie zudem auf einen Untersuchungszeitraum von fünf Tagen beschränkt war. Weniger einschneidende Maßnahmen als die kurzfristige Unterbringung des Betroffenen hätten zu einer ausreichenden Beurteilung der Gefahrensituation nicht zur Verfügung gestanden.

b) Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand, § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO.

Eine vorläufige Unterbringung kann nach § 70h Abs. 1 Satz 1, 2, § 69f Abs. 1 FGG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 UnterbrG angeordnet werden, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene psychisch krank oder infolge Geistesschwäche oder Sucht psychisch gestört ist und dadurch in erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet. Es müssen konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, dass die sachlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung vorliegen (vgl. Keidel/Kayser FGG 15.Aufl. § 70h Rn.4, BayObLG FamRZ 2001, 578/579). Ferner müssen konkrete Tatsachen nahe legen, dass mit dem Aufschub der Unterbringung Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verbunden wären (vgl. Keidel/Kayser aaO Rn.5; BayObLG aaO; BayObLG FamRZ 1999, 1611/1612).

Die Erforderlichkeit der Unterbringung ist einer strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 578/579 m.w.N.). Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, müssen auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfG NJW 1998, 1774/1775).

Die vorläufige Unterbringung des Betroffenen hält einer Prüfung an diesen Maßstäben nicht stand.

(1) Es fehlt an ausreichenden Feststellungen zu einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Betroffenen und zur Kausalität der diagnostizierten Persönlichkeitsstörung für die angenommene Gefährdung, § 12 FGG. Auch wenn im Verfahren der vorläufigen Unterbringung die Glaubhaftmachung der Unterbringungsvoraussetzungen genügt (vgl. Keidel/Kayser FGG 15. Aufl. § 70h Rn. 10) durfte im vorliegenden Fall die Unterbringung nicht lediglich auf die Angaben im Schreiben der Nachbarfamilien (so das Beschwerdegericht) gestützt werden. Es ist nicht ersichtlich, dass den in der Anhörung des Betroffenen vorgebrachten Einwendungen irgendeine Bedeutung beigemessen wurde, obwohl zwischen den Beteiligten erkennbar seit längerer Zeit nachbarliche Auseinandersetzungen ausgetragen wurden. Fehlerhaft war bereits, dass die Verwaltungsbehörde diese Erkenntnisse nicht zum Anlass weiterer Tatsachenaufklärung nahm, sondern den Betroffenen ohne Würdigung seines Vorbringens sofort vorläufig unterbrachte. Diese unzulängliche Sachverhaltsaufklärung fand Eingang in die vormundschaftsgerichtliche Entscheidung. Inwieweit sich aus der Anhörung des Betroffenen Tatsachen für die erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufgrund seiner Erkrankung ergeben sollen (so das Vormundschaftsgericht), ist nicht nachvollziehbar, da aus der Niederschrift über die Anhörung solche Tatsachen nicht ersichtlich sind.

(2) Weder die Unterbringungsanordnung noch die Entscheidung des Beschwerdegerichts enthalten zureichende Feststellungen, warum mit dem Aufschub der vorläufigen Maßnahme Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verbunden gewesen wäre. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts verkennt, dass das Nichtbefolgen der gesundheitsamtlichen Vorladungen zwar die Vorführung zur Untersuchung gemäß Art.7 Abs. 1 Satz 4 UnterbrG zu rechtfertigen vermag, aber keine tatsächliche Grundlage für die Gefahrenfeststellung liefert. Die vormundschaftsgerichtliche Begründung der Unterbringung geht insoweit über die Wiedergabe der gesetzlichen Voraussetzung nicht hinaus. Insbesondere lassen beide Entscheidungen eine Auseinandersetzung mit der sich aufdrängenden Frage vermissen, wieso drei Monate nach Eingang des Nachbarschreibens bei der zuständigen Behörde der Betroffene plötzlich eine derart dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen soll, nachdem es während dieses Zeitraums offenbar zu keinen neuen Vorfällen gekommen war.

3. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG. Der Geschäftswert wurde nach § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 KostO festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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