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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 11.02.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 175/03
Rechtsgebiete: EGV, GmbHG


Vorschriften:

EGV Art. 43
EGV Art. 48
GmbHG § 4a
Die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer in Deutschland gegründeten GmbH ins Ausland (hier: Portugal) kann nicht in das deutsche Handelsregister eingetragen werden (vgl. BayObLGZ 1992, 113 = NJW-RR 1993, 43). Die neuere Rechtsprechung des EuGH über den Verstoß von nationalen Zuzugsbeschränkungen für EU-ausländische Kapitalgesellschaften gegen die Niederlassungsfreiheit (vgl. zuletzt "Überseering" und "Inspire Art") hat hieran nichts geändert.
Gründe:

I.

Die im Jahr 1992 im Inland gegründete Gesellschaft m.b.H. hatte 1999 ihren satzungsmäßigen Sitz innerhalb Bayerns verlegt.

Mit notariell beurkundetem Beschluss vom 17.2.2003 beschloss die Gesellschafterversammlung die Verlegung des Sitzes nach Portugal. Der beurkundende Notar meldete den Beschluss zur Eintragung ins Handelsregister an.

Am 8.4.2003 wies das Registergericht die Anmeldung mit der Begründung zurück, die Sitzverlegung ins Ausland sei auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des EuGH nicht eintragungsfähig. Bei tatsächlicher Verlegung des Sitzes nach Portugal sei die Auflösung der Gesellschaft anzumelden.

Der hiergegen eingelegten Beschwerde der Betroffenen half das Registergericht nicht ab.

Mit Beschluss vom 31.7.2003 hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen.

Die Gesellschaft wurde inzwischen in das nationale portugiesische Handelsregister eingetragen.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

1. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sei nur die Frage, ob das deutsche Registergericht die Sitzverlegung nach Portugal einzutragen habe. Ob die Gesellschaft bei einer Sitzverlegung ins Ausland aufgelöst werde, bedürfe hier keiner Erörterung.

Eine dem deutschen Gesellschaftsrecht unterliegende GmbH müsse gemäß §§ 4a, 7 GmbHG ihren im Gesellschaftsvertrag bestimmten Sitz im Inland haben. Andernfalls könne sie nicht zum Handelsregister angemeldet werden. Sonderregelungen bestünden nur für Zweigniederlassungen von Gesellschaften mit ausländischem Hauptsitz (vgl. §§ 13d ff. HGB).

Folgerichtig könne eine in Deutschland gegründete Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz nicht ins Ausland verlegen, ohne ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren. Nach diesem Sitz bestimme sich - wie der EuGH in der "Überseering"-Entscheidung (BB 2002, 2402) betont habe - ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines europäischen Mitgliedsstaates.

Hierin liege auch kein Verstoß gegen Art.43 und 48 EGV. Diese Bestimmungen regelten nur die tatsächliche Niederlassungsfreiheit, welche aber der Gesellschaft gewährleistet sei, weil sie - unter Beibehaltung ihres satzungsmäßigen Sitzes in Deutschland - z.B. ihre tatsächliche Geschäftstätigkeit nach Portugal verlegen könne.

Für die Frage, ob die Sitzverlegung ins Ausland in das deutsche Handelsregister einzutragen sei, komme es nicht auf das portugiesische IPR an, da insoweit noch kein Auslandsbezug vorhanden sei.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs.1 FGG, § 546 ZPO) stand.

Der Beschluss der Gesellschaft, ihren Sitz nach Portugal zu verlegen, bezieht sich ersichtlich auf die Verlegung sowohl des Verwaltungssitzes als auch des satzungsmäßigen Sitzes. Eine Verlegung des Satzungssitzes einer nach deutschem Recht gegründeten GmbH ins Ausland kann nach geltendem Recht nicht in das deutsche Handelsregister eingetragen werden. Der Veränderung des Verwaltungssitzes kommt jedenfalls dann keine eigenständige rechtliche Bedeutung zu, wenn sie - wie häufig und auch hier - mit der Verlegung des Satzungssitzes zusammenfällt (zur Notwendigkeit der, gelegentlich nicht streng beachteten, Unterscheidung von Beschlüssen über die Verlegung des Satzungssitzes und des effektiven Sitzes vgl. Staudinger/ Großfeld IntGesR Neubearb. 1998 Rn.651; Triebel/von Hase BB 2003, 2409/2411 ff.)

a) Nach einhelliger Rechtsprechung und ganz überwiegender Auffassung im Schrifttum bedarf eine dem deutschem Recht unterliegende Kapitalgesellschaft zwingend eines in ihrer Satzung bestimmten inländischen Gesellschaftssitzes; das gilt auch für den Sitz einer GmbH im Sinne von § 4a GmbH (vgl. RGZ 7, 68/69 und 107, 94/97; BGHZ 19, 102/105 f.; BGHZ 25, 134/ 144; BGHZ 29, 320/328; KGJ 39 A 117/118; Rowedder/Schmidt-Leithoff GmbHG 4.Aufl. § 4a Rn.4; Staudinger/Großfeld IntGesR Rn.94 und 243; Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG 17.Aufl. § 4a Rn.3; Triebel/von Hase BB 2003, 2409/2414; a.A. Lutter/Hommelhoff GmbHG 15.Aufl. § 4a Rn.13 m.w.N.).

Diese Anforderung ist nicht zu verwechseln mit der sog. Sitztheorie zur kollisionsrechtlichen Bestimmung des Gesellschaftsstatuts nach dem tatsächlichen Verwaltungssitz (vgl. zur Sitztheorie in Abgrenzung zur Gründungstheorie und weiteren vermittelnden Auffassungen eingehend Staudinger/Großfeld Rn 26 ff.; D.Jasper in MünchHandbGesR, Bd.3, § 78 Rn.6 ff.). Das Gebot eines inländischen Satzungssitzes ist vielmehr eine Anforderung des deutschen Sachrechts (insoweit zutreffend Lutter/Hommelhoff aaO). Es beruht auf der Erwägung, dass ohne Satzungssitz im Inland die Gesellschaft praktisch "in der Luft" hinge (Triebel/von Hase aaO).

Ein ausländischer Satzungssitz würde die Durchsetzung des deutschen Gesellschaftsrechts durch deutsche Gerichte und Behörden erschweren oder gar verhindern. So bestimmt z.B. nach deutschen Gesellschaftsrecht der Sitz die Zuständigkeit des Registergerichts (vgl. § 7 GmbHG) und somit auch des "Gerichts der Hauptniederlassung" (§ 13 Abs.1 HGB). Deutschen Behörden und Gerichten wäre durch die Zulässigkeit eines ausländischen Satzungssitzes in weitem Umfang die internationale Zuständigkeit für deutschem Recht unterliegende Gesellschaften entzogen (Staudinger/Großfeld Rn.652). Das deutsche Recht einschließlich des Prozessrechts ist aber gerade die Existenzgrundlage für die Gesellschaft. Mit einer Verlegung des Satzungssitzes in das Ausland würde sich die Gesellschaft von diesem Teil ihrer Existenzgrundlage lösen, die Vertrauensbasis auch für das Ausland ist (Staudinger/Großfeld aaO m.w.N.).

Zwar wird dieser bisher in Deutschland ganz herrschenden Anschauung möglicherweise künftig durch europäische Rechtssetzung der Boden entzogen. Der Vorentwurf für eine 14. EG-Richtlinie über die Verlegung des Gesellschaftssitzes in der EU sieht eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, eine identitätswahrende Verlegung des Satzungssitzes zu ermöglichen, allerdings unter Wechsel des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts (vgl. Art.3 des Vorentwurfs, abgedr. in ZGR 1999, 157; hierzu Triebel/von Hase aaO S.2415; zum aktuellen Stand der Diskussion auch Bayer BB 2004, 1/9 f.; Eidenmüller JZ 2004, 24/31). Jedoch zwingt diese noch ungewisse Perspektive künftiger Rechtsentwicklung nicht dazu, bereits gegenwärtig von der nahezu einhelligen Auffassung über das Erfordernis eines inländischen Satzungssitzes einer GmbH abzuweichen.

b) Es kann dahinstehen, ob der Beschluss über die Verlegung des Satzungssitzes mit der herrschenden Meinung als Auflösungsbeschluss zu werten (vgl. OLG Düsseldorf DB 2001, 901 m.Anm. Emde; OLG Hamm NJW-RR 1998, 615; BayObLGZ 1992, 113/116 = NJW-RR 1993, 43; Staudinger/Großfeld Rn.655 f.) oder lediglich entsprechend § 241 Nr.3 AktG als nichtig anzusehen ist (so Michalski/Leible GmbHG Bd.1 Syst. Darst.2 Rn.133; Triebel/von Hase S.2415 m.w.N. in Fn.74). In beiden Fällen ist jedenfalls die von der Gesellschaft begehrte Eintragung der Sitzverlegung in das Handelsregister in Übereinstimmung mit dem Landgericht zu versagen.

c) Wie das portugiesische Recht die Sitzverlegung beurteilt, kann hier ebenfalls dahinstehen. Wenn bereits das Recht des Gründungstaates, hier also das deutsche Gesellschaftsrecht als Sachrecht, eine identitätswahrende Sitzverlegung nicht zulässt, kommt es weder auf das Kollisionsrecht noch gar auf das Sachrecht desjenigen Staates an, in welchen die Gesellschaft ihren Sitz verlegen will (D.Jasper in MünchHandbGesR Bd.3 § 78 Rn.120; Michalski/Leible aaO Rn.134). Auch wenn Portugal insoweit der Sitztheorie folgen sollte (vgl. Leible/ Hoffmann DB 2003, 2203/2205), ist dies ohne Bedeutung. Ebenso ändert der Umstand, dass es sich um ein EU-Mitgliedsland handelt, unmittelbar nichts an dem rechtlichen Ergebnis (vgl. Grossfeld Rn.657; Triebel/von Hase S.2412).

Der Senat hat nicht darüber zu befinden, ob die zwischenzeitliche Eintragung in das portugiesische Handelsregister als Neugründung nach portugiesischem Recht zu werten ist. Jedenfalls handelt es sich hierbei nicht um eine identitätswahrende Sitzverlegung der deutschen GmbH.

d) Eine hiervon abweichende Beurteilung ist nicht etwa im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des EuGH veranlasst.

Zwar hat der EuGH mit den Urteilen in den Rechtssachen "Centros" vom 9.3.1999 (NJW 1999, 2027), "Überseering" vom 5.11.2002 (BB 2002, 2402) und "Inspire Art" vom 30.9.2003 (BB 2003, 2195) im jeweiligen Fall Zuzugsbeschränkungen gegenüber einer nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft, die ihre Tätigkeit in einem anderen EU-Staat ausüben wollte, für unvereinbar mit der in Art.43 und 48 EGV gewährleisteten Niederlassungsfreiheit erklärt. Daraus sind aber keine unmittelbaren Folgerungen für die hier zu entscheidende Fallgestaltung einer Wegzugsbeschränkung abzuleiten. Vielmehr hat der EuGH sich bereits im "Überseering"-Urteil (dort Rn.62) und zuletzt im "Inspire Art"-Urteil (vgl. Nr. C II) ausdrücklich auf seine frühere "Daily-Mail"-Entscheidung vom 27.9.1988 (NJW 1989, 2186) bezogen und diese damit zumindest indirekt bestätigt (Drygala EWiR 2003, 1029/1030; Zimmer NJW 2003, 3585/3592; Eidenmüller JZ 2004, 24/29; Triebel/von Hase S.2410). In jenem Urteil hatte der EuGH in einer Beschränkung der Sitzverlegung durch die Rechtsordnung, in welcher die Gesellschaft gegründet wurde, keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gesehen. Diese werde im Allgemeinen durch die Errichtung von Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften verwirklicht, weiterhin durch die Möglichkeit der Teilnahme an einer Neugründung in einem anderen Mitgliedstaat. Im Übrigen sei jedoch für die Existenz einer Gesellschaft nur die Rechtsordnung maßgebend, nach der diese gegründet wurde. Inwieweit nachträgliche Veränderungen zulässig seien, werde in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich geregelt. Diesen Unterschieden werde in den Art.58 und 220 EWGV Rechnung getragen. Die Verlegung des satzungsmäßigen oder auch des tatsächlichen Sitzes werde nicht durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit gelöst, sondern bedürfe einer Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses (vgl. hierzu Bayer BB 2003, 2357/2359).

Zwar wird im Schrifttum verschiedentlich bezweifelt, ob der EuGH bei einer Entscheidung über die Rechtsfolgen der Verlegung allein des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft ins Ausland, die nach der in Deutschland insoweit noch vorherrschenden Sitztheorie je nach dem Kollisionsrecht des aufnehmenden Staates zur Rückverweisung und damit zur Auflösung der Gesellschaft gemäß dem deutschen Sachrecht führen kann (vgl. OLG Hamm NJW 2001, 2183; eingehend Triebel/von Hase S.2411 f.), an den Rechtsgrundsätzen der "Daily-Mail"-Entscheidung unverändert festhalten würde (insoweit kritisch zur "Einmauerung durch den Gründungstaat im Fall der Verlegung des Verwaltungssitzes bis zum Entzug der Rechtsfähigkeit" Bayer BB 2004, 2357/2364; vgl. auch Wertenbruch NZG 2003, 618/620, wonach insoweit ein "krasser Widerspruch" zu den Kernaussagen der "Überseering"-Entscheidung bestehe und deren Aussagen zur Abgrenzung gegenüber dem "Daily-Mail"-Urteil den Entzug der Rechtsfähigkeit im Falle des Wegzugs nicht tragen würden; zweifelnd ebenfalls Triebel/von Hase S.2411; Eidenmüller JZ 2004, 24/29).

Ob diese Zweifel berechtigt sind und damit auch der verbreitete Wunsch nach erneuter Befassung des EuGH mit der Wegzugsproblematik (vgl. z.B. Bayer aaO; Maul/Schmidt BB 2003, 2297/ 2230), kann jedoch dahinstehen. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Rechtsfolgen einer bloßen Verlegung des effektiven Sitzes, sondern auch um die Verlegung des Satzungssitzes. Das Niederlassungsrecht aus Art.43, 48 EGV gebietet aber nicht, dass EU-Staaten ihren Gesellschaften die Verlegung des Satzungssitzes in das EU-Ausland bei Beibehaltung der Rechtsform ermöglichen (Staudinger/Großfeld Rn.680; Triebel/von Hase S.2413 f. unter kritischer Würdigung der aus formellen Gründen unzulässigen Vorlage des AG Heidelberg an den EuGH, abgedr. in NZG 2000, 927). Selbst wenn man für eine derartige Beschränkung durch den Gründungsstaat ein legitimes Interesse fordert (vgl. z.B. Eidenmüller ZIP 2002, 2233/2243), ist dieses hier aus den unter 2 a) a.E. genannten Gründen gegeben. Deshalb sieht der Senat auch keinen Anlass, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (vgl. im Übrigen zu den Voraussetzungen einer Vorlage bei bereits entschiedenen Rechtsfragen BayOblGZ 1992, 113/116 ff. = NJW-RR 1993, 43).

3. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 und 2 KostO.

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