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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 23.10.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 180/02
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 1
BGB § 1908d Abs. 3
FGG § 69i Abs. 1
Der Aufgabenkreis eines Betreuers wird wesentlich erweitert, wenn zu den bisherigen Aufgabenbereichen der Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge der Bereich der Regelung des Umgangs mit Familienangehörigen hinzukommt.
Gründe:

I.

Für die Betroffene ist seit 11.1.2000 eine Berufsbetreuerin mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen sowie Renten- und Sozialleistungsträgern bestellt. Die Betroffene lebt in einem Wohnheim. Mit Beschluss vom 21.5.2001 erweiterte das Amtsgericht die Betreuung auf den Aufgabenkreis Regelung des persönlichen Umgangs der Betroffenen mit Familienangehörigen und ordnete die sofortige Wirksamkeit an.

Gegen diesen Beschluss legte der Beteiligte zu 2) Beschwerde mit dem Ziel ein, die Erweiterung des Aufgabenkreises zu beseitigen. Gleichzeitig stellte er hilfsweise den Antrag, die Betreuung Familienmitgliedern zu übertragen oder zumindest die Betreuerin zu entlassen.

Das Landgericht hat die Beschwerde durch Beschluss vom 20.2.2002 zurückgewiesen und die Akten dem Amtsgericht zur Entscheidung über die Hilfsanträge zugeleitet.

Mit seiner weiteren Beschwerde vom 3.7.2002 will der Beteiligte zu 2) weiterhin den Wegfall der Erweiterung der Betreuung sowie eine Entscheidung über seine Hilfsanträge erreichen.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, § 27 Abs. 1, § 69i Abs. 1 Satz 1, § 69g Abs. 1 Satz 1 FGG. In der Sache führt sie zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Die Betroffene habe bei ihrer Anhörung durch die Kammer eine ernstgemeinte, glaubwürdige und trotz ihrer Geschäftsunfähigkeit zu beachtende natürliche Willensäußerung abgegeben, dass sie weder von ihren Eltern noch von ihrem Bruder besucht werden und schon gar nicht zu ihrem Vater zurückkehren wolle. Wegen dieser klar bekundeten Einstellung sei weder die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens noch eine Beweisaufnahme zu früheren Äußerungen der Betroffenen gegenüber Angehörigen erforderlich. Aufgrund ihrer geistigen Behinderung sei sie nicht dazu in der Lage, sich selbständig gegenüber dem Druck durchzusetzen, der von den Familienangehörigen auf sie ausgeübt werde. Deshalb habe das Amtsgericht zu Recht den Aufgabenkreis der Betreuerin um das Aufgabengebiet der Regelung des Umgangs mit den Familienangehörigen erweitert. Auch für nicht geschäftsfähige Betroffene gelte § 1901 Abs. 2 Satz 2 BGB, der zum Wohl des Betroffenen auch die Möglichkeit zähle, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Der Betreuer könne deshalb im Rahmen des § 1896 Abs. 1 und Abs. 2 BGB die besondere Aufgabe erhalten, den Betroffenen bei der Durchsetzung seiner Wünsche zu unterstützen. In diesem Sinne sei der angefochtene Beschluss auszulegen. Die Betreuerin solle nicht anstelle der Betroffenen entscheiden, ob ein Kontakt zu den Familienmitgliedern stattfinden solle oder nicht, sondern nur der Betroffenen, solange diese keinen oder nur einen eingeschränkten Kontakt wünsche, zur Seite stehen, um Druck und Beeinflussungsversuche abzuwehren. Da der Aufgabenkreis der Betreuerin nur unwesentlich erweitert worden sei, sei auch kein Gutachten zur Frage der Notwendigkeit der Erweiterung der Betreuung erforderlich.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Das Landgericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt.

a) Der Aufgabenkreis des Betreuers ist zu erweitern, wenn dies erforderlich wird; hierfür gelten die Vorschriften über die Bestellung eines Betreuers entsprechend (§ 1908d Abs. 3 BGB, § 69i Abs. 1 FGG). Die Erweiterung des dem Betreuer zugewiesenen Aufgabenkreises setzt demnach voraus, dass der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten auch im Bereich des neu hinzukommenden Aufgabenkreises nicht zu besorgen vermag (§ 1896 Abs. 1 Satz 1, § 1908d Abs. 3 BGB; BayObLG FamRZ 1998, 453/454). Ohne das Einverständnis des Betroffenen ist die Erweiterung nur zulässig, wenn der Betroffene krankheits- oder behinderungsbedingt nicht imstande ist, seinen Willen frei zu bestimmen (vgl. BayObLGZ 1994, 209/211; BayObLG FamRZ 2000, 189 und 1524), d.h. seinen Willen unbeeinflusst von der Krankheit oder Behinderung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln (vgl. BGH NJW 1996, 918/919). Die erforderlichen Feststellungen sind aufgrund eines Sachverständigengutachtens (vgl. § 68b Abs. 1 Satz 1 FGG) zu treffen; bei psychischen Krankheiten und geistigen/seelischen Behinderungen ist grundsätzlich ein Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie zu beauftragen, zumindest aber ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt (BayObLG FamRZ 1993, 351/352). Von der Erholung eines Sachverständigengutachtens kann nur abgesehen werden, wenn der Aufgabenkreis nur unwesentlich erweitert wird oder nicht mehr als sechs Monate seit einem Sachverständigengutachten vergangen sind (vgl. § 69i Abs. 1 Satz 2 FGG). Eine unwesentliche Erweiterung liegt insbesondere dann nicht vor, wenn erstmals ganz oder teilweise die Personensorge in den Aufgabenkreis einbezogen wird (vgl. § 69i Abs. 1 Satz 3 FGG). Außerdem darf unter Berücksichtigung des § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB der Aufgabenkreis des Betreuers nur auf Bereiche erweitert werden, in denen die Betreuung erforderlich ist (vgl. BayObLGZ 1994, 209/211; BayObLG FamRZ 1998, 453/454), dies bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 453/454).

b) Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht hinreichend beachtet. Es hat nicht alle für die Erweiterung des Aufgabenkreises erforderlichen Ermittlungen durchgeführt.

aa) Die Regelung des Umgangs mit Familienangehörigen gehört in den Bereich Personensorge. Eine generelle Übertragung der Personensorge, welche eine Umgangsregelung mit umfassen würde (vgl. hierzu MünchKomm/Schwab BGB 4.Aufl. § 1896 Rn.87; Bienwald Betreuungsrecht 3.Aufl. § 1896 BGB "Umgang"; HK-BUR/Bauer 31.Erg.Lfg. Juni 2002 § 1896 BGB Rn. 231), ist nicht erfolgt. Die Betreuerin ist bisher in dem Bereich Personensorge lediglich für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge bestellt. Die Umgangsregelung mit Familienangehörigen ist in diesen Aufgabenkreisen nicht enthalten (vgl. BayObLG FamRZ 1991, 1481; MünchKomm/Schwab aaO; HK-BUR/ Bauer aaO; a.A. Bienwald aaO), auch wenn beide Kreise Berührungspunkte mit diesem Aufgabenbereich aufweisen. Bezogen auf die Gesundheitsfürsorge können sich Besuche von Familienangehörigen negativ auf den Gesundheitszustand des Betroffenen auswirken (vgl. hierzu BayObLG FamRZ 19,88, 320/321). Soweit die Angehörigen Besuche der Betroffenen im familiären Bereich und damit außerhalb des Wohnheimes wünschen, kann die Betreuerin mittels einer konkreten Aufenthaltsbestimmung derartige Besuche unterbinden. Dennoch handelt es sich bei der Erweiterung der Betreuung auf den Bereich Umgangsregelung, die der Betreuerin die Möglichkeit eröffnet, auch Besuche von Familienangehörigen im Heim zu unterbinden, nicht nur um eine unwesentliche Erweiterung dieser genannten Aufgabenkreise. Das Umgangsrecht mit Familienangehörigen ist ein höchstpersönliches Recht des Betroffenen, welches der Aufrechterhaltung der persönlichen, verwandtschaftlichen und sozialen Bande zwischen dem Betroffenen und den Angehörigen dienen soll. Auch und gerade wenn der Betroffene nicht mehr bei seiner Familie lebt, können für ihn die rein persönlichen Kontakte von großer Wichtigkeit sein; sie können auf der anderen Seite aber auch eine Gefahr für seine weitere Persönlichkeits- und Krankheitsentwicklung beinhalten. Wegen dieser erheblichen Bedeutung des Umgangsrechts für den Betroffenen liegt eine nur unwesentliche Erweiterung der Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge bei Erstreckung der Betreuung auf die Umgangsregelung nicht vor. Dass die Verwandten selbst wegen der Volljährigkeit der Betroffenen keinen Anspruch auf ein Umgangsrecht mit der Betroffenen haben, weil jede volljährige Person über ihre persönlichen Kontakte selbst entscheidet (vgl. BayObLG FamRZ 1993, 1222; FamRZ 2002, 907/908 m. Anm. Bienwald; Münchkomm/Schwab § 1896 Rn.89; Bienwald aaO), steht dem nicht entgegen. Es geht um die Person der Betreuten und nicht um Rechte der Familienangehörigen.

bb) Soweit das Landgericht die Wesentlichkeit auch mit der Überlegung verneint hat, der Aufgabenkreis Umgangsregelung sei dahingehend zu verstehen, dass die Betreuerin der Betroffenen nur dabei helfen solle, deren Wünsche und Willen bezüglich des Umgangs mit ihren Familienangehörigen durchzusetzen, vermag dies angesichts der dennoch verbleibenden Bedeutung der familiären Kontakte für die Betroffene nicht zu überzeugen. Die Auslegung des Landgerichts ist durch den klaren und eindeutigen Wortlaut des übertragenen Aufgabenkreises nicht gedeckt, so dass die Betreuerin an Handlungen auch gegen den Willen der Betroffenen nicht gehindert wäre. Zwar hat der Betreuer bei der Ausübung des Aufgabenkreises Umgangsregelung auf den Willen oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen sowie seine persönlichen Bindungen Rücksicht zu nehmen. Eine Verweigerung von Kontakten bei entgegenstehenden Wünschen des Betroffenen kann ebenso rechtswidrig sein (vgl. MünchKomm/ Schwab § 1896 Rn.89) wie die Zulassung von nicht gewünschten Besuchen. Entgegen dem natürlichen Willen des Betroffenen kann der Betreuer aber dann zu Umgangsregelungen befugt sein, wenn die wünsche des Betroffenen krankheitsbedingt zustande gekommen sind und seinem Wohl zuwiderlaufen würden (vgl. BayObLG FamRZ 1991, 1481). Sollte die Betroffene aufgrund ihrer Krankheit nicht dazu in der Lage sein, einen vernünftigen Willen zu bilden, könnte die Betreuung im gesamten Aufgabenkreis Umgangsregelung sinnvoll sein. Anderenfalls käme ein eingeschränkter Aufgabenkreis, der nur die Durchsetzung der Wünsche der Betroffenen zum Inhalt hat, in Betracht.

cc) Da der Aufgabenkreis somit nicht nur unwesentlich erweitert worden ist, hätte nach § 69i Abs. 1 i.V.m. § 68b Abs. 1 Satz 1 FGG ein Sachverständigengutachten zur Notwendigkeit der Erweiterung der Betreuung eingeholt werden müssen. Das im Betreuungsverfahren vorliegende Gutachten liegt länger als sechs Monate zurück. Der Sachverständige wird die Frage zu klären haben, ob die Betroffene krankheitsbedingt nicht dazu in der Lage ist, den Umgang mit ihren Familienangehörigen selbst zu regeln, sei es, dass sie bereits zu keiner vernünftigen Willensbildung, sei es, dass sie nur zur Durchsetzung des von ihr einwandfrei gebildeten - natürlichen - Willens nicht in der Lage ist (vgl. BayObLG FamRZ 2000, 1524). Erst auf dieser Grundlage kann die Erforderlichkeit einer Erweiterung der Betreuung geprüft werden.

Ende der Entscheidung

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