Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.01.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 185/02
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1846
BGB § 1906
FGG § 13a
FGG § 70h
Ist die Hauptsache erledigt, beruht die Kostenentscheidung in einem Unterbringungsverfahren auf § 13a Abs. 2 Satz 1 FGG.
Gründe:

I.

Die Betroffene wurde am 31.7.2002 auf Anordnung der zuständigen Behörde gegen ihren Willen in ein Bezirkskrankenhaus eingewiesen. Am 1.8.2002 lehnte das für das Bezirkskrankenhaus örtlich zuständige Amtsgericht die Unterbringung der Betroffenen im öffentlich-rechtlichen Verfahren ab, da eine Fremd- bzw. Selbstgefahr bei der Betroffenen nicht ersichtlich sei. Am gleichen Tag ordnete das nach dem Wohnsitz der Betroffenen örtlich zuständige Amtsgericht die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses mit der Möglichkeit der Fixierung der Extremitäten insbesondere zur Sicherstellung der Medikamenteneinnahme bis längstens 11.9.2002 im zivilrechtlichen Verfahren an. Dieses Gericht bestellte am 9.8.2002 einen vorläufigen Betreuer unter anderem mit dem Aufgabenkreis Entscheidung über die Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen. Die sofortige Beschwerde der Betroffenen gegen die Unterbringungsanordnung hat das Landgericht am 20.8.002 zurückgewiesen. Seit 23.8.2002 befand sich die Betroffene bis 9.9.2002 auf freiwilliger Basis auf einer offenen Station des Bezirkskrankenhauses. Mit Schriftsatz vom 29.8. 2002, bei Gericht eingegangen am 30.8.2002, hat die Betroffene sofortige weitere Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts einlegen lassen. Auf Hinweis des Senats hat sie am 25.9.2002 die Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, die Kosten und notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig.

Die Erledigung der Hauptsache ist nach Einlegung des Rechtsmittels eingetreten, und die Beschwerdeführerin hat ihr Rechtsmittel auf die Kosten beschränkt (vgl. BGHZ 86, 393/395 m. w. N.; BayObLGZ 1988, 317/318 f.). Die Hauptsacheerledigung ist nicht bereits durch die freiwillige Unterbringung der Betroffenen am 23.8.2002 eingetreten. Eine Einverständniserklärung des Betroffenen macht die Unterbringungsanordnung bzw. -genehmigung grundsätzlich nicht gegenstandslos (BayObLGZ 1989, 17/19; BayObLG FamRZ 1992, 105/106; Senatsentscheidung vom 20.1.1994,3Z BR 316, 317 und 320/93 = FamRZ 1994, 1190 - nur Leitsatz), weil sie jederzeit widerruflich ist und die Unterbringung im Falle des Widerrufs erneut auf die gerichtliche Anordnung bzw. Genehmigung gestützt werden kann. Die Hauptsache hat sich jedoch mit Ablauf der Anordnungsdauer am 11.9.2002 erledigt. Die sofortige weitere Beschwerde war am 30.8.2002 eingelegt worden.

2. Das Rechtsbeschwerdegericht hat nunmehr über die Kosten des gesamten Verfahrens zu befinden (vgl. BGH aaO; BayObLGZ, 1988, 317/318 f.). Nachdem Gerichtsgebühren in Unterbringungssachen gemäß §§ 70 bis 70n FGG nicht erhoben werden, (§ 128b Satz 1 KostO), erfasst die Entscheidung lediglich die Auslagen der Betroffenen.

a) Wird ein Verfahren über eine zivilrechtliche Unterbringung ohne Entscheidung über die Maßnahme beendet, kann das Gericht die Auslagen des Betroffenen ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegen (§ 13a Abs. 2 Satz 1 FGG). Ohne Entscheidung über die Maßnahme ist das Verfahren insbesondere dann beendet, wenn es in der Hauptsache erledigt ist (vgl. BayObLG NJW-RR 2002, 514/515; jeweils zu § 13a FGG Keidel/Zimmermann ZGG 14. Aufl. Rn. 51c Buchst. dd, Bassenge/Herbst/Roth FGG/RPflG 9. Aufl. Rn. 18 und 20, Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. Rn. 22, Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. Rn. 9). Es ist dabei ohne Belang, ob die Hauptsacheerledigung eintritt, bevor überhaupt eine Entscheidung ergeht oder während des (weiteren) Beschwerdeverfahrens, nachdem das Amtsgericht, gegebenenfalls auf sofortige Beschwerde auch das Landgericht, eine Entscheidung über die Unterbringung getroffen hat, die noch nicht rechtskräftig ist. Diese noch nicht wirksamen Entscheidungen sind nämlich infolge der späteren Hauptsacheerledigung gegenstandslos geworden (vgl. Keidel/Kahl § 19 Rn. 94, Bassenge Einl. Rn. 129); das Verfahren hat in diesen Fällen ohne bestandskräftige Entscheidung,(jedenfalls in der Hauptsache) sein Ende gefunden (vgl. KG FamRZ 1993, 84/86). Auch für den Betroffenen stellt sich die Lage nicht anders dar als bei einer Hauptsacheerledigung ohne vorangegangene Entscheidung, da über sein Rechtsmittel in der Sache nicht mehr entschieden wird.

b) Der Senat legt die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auf. Endet das Verfahren ohne Entscheidung über die Maßnahme, liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es die Auslagen der Staatskasse auferlegt, (Damrau/Zimmermann § 13a FGG Rn. 24). Eine Überbürdung auf die Staatskasse kommt insbesondere in Betracht, wenn sich die getroffene Maßnahme nach dem Stand des Verfahrens im Zeitpunkt seiner Erledigung als nicht gerechtfertigt darstellt. So liegt es hier. Nach dem Stand der Akten hätte die zivilrechtliche Unterbringung der Betroffenen von Anfang an nicht angeordnet werden dürfen.

aa) § 1906 BGB regelt die materiellen Voraussetzungen der freiheitsentziehenden zivilrechtlichen Unterbringung (Palandt/Diederichsen BGB 62. Aufl. § 1906 Rn. 1). Nach dessen Absatz 1 kann der Betreuer den Betroffenen gegen dessen Willen unterbringen. Dazu bedarf es nach Absatz 2 der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Dieses muss die Genehmigung erteilen, solange sie zum Wohle des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt(§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Erkrankung setzt voraus, dass der Betreute aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLGZ 1993, 18/19; BayObLG NJW-RR 1998, 1014 m. w. N.). Die Genehmigung ist auch zu erteilen, wenn eine Heilbehandlung des Betroffenen notwendig ist, jedoch ohne Unterbringung nicht durchgeführt werden kann, weil der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB; vgl. BayObLG BtPrax 1996, 28/29; OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 118). Die Erforderlichkeit der Unterbringung ist der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen, da die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut darstellt, dass sie nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden darf (BVerfG NJW 1998, 1774/1775). Insbesondere muss auch dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die "Freiheit zur Krankheit" belassen bleiben, weshalb die Unterbringung zur Durchführung einer Heilbehandlung nur zulässig ist, wenn sie sich als unumgänglich erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden (BVerfG aaO; BayObLG FamRZ, 2002, 908/909).

Bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB gegeben sind und mit einem Aufschub Gefahr verbunden wäre, kann das Vormundschaftsgericht unter den in § 70h Abs. 1 Satz 2 FGG i.V.m. § 69f Abs. 1 FGG weiter aufgeführten Voraussetzungen durch einstweilige Anordnung die vorläufige Unterbringung des Betroffenen genehmigen (§ 70h Abs. 1 Satz 1 FGG). Ist ein Betreuer noch nicht bestellt oder ist er an der Erfüllung seiner Pflichten verhindert, kann das Vormundschaftsgericht selbst die Unterbringungsmaßnahme anordnen (§ 70h Abs. 3 FGG i.V.m. § 1846 BGB; BayObLGZ 1999, 269/272; OLG Schleswig NJW 1992, 2974). Nach § 70h Abs. 3 FGG gelten die Absätze 1 und 2 des § 70h FGG entsprechend. Damit sind für die Anordnung nach § 1846 BGB die gleichen Voraussetzungen und Verfahrensgarantien wie für einstweilige Anordnungen nach § 70h Abs. 1 und 2 FGG maßgebend. In § 70h Abs. 1 Satz 2 FGG ist auf 9 69f Abs. 1 FGG verwiesen. Dies bedeutet für eine Anordnung gemäß § 70h Abs. 3 FGG i.V.m. § 1846 BGB: Es müssen dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass ein Betreuer bestellt wird, dass dieser die Genehmigung einer endgültigen Unterbringungsmaßnahme beantragen wird und dass das Gericht diese Maßnahmen genehmigen wird, weil die Voraussetzungen des § 1906 BGB wahrscheinlich vorliegen (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 191/192 m. w. N.). Es müssen konkrete tatsächliche Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen dieser Voraussetzungen sprechen (vgl. BayObLGZ 1999, 270/272). Daneben sind gleichzeitig die zur unverzüglichen Bestellung eines Betreuers erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Einem danach bestellten vorläufigen Betreuer muss Gelegenheit gegeben werden, die Interessen des Betroffenen wahrzunehmen und die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in eigener Verantwortung zu treffen (vgl. BGH NJW 2002, 1801/1803).

bb) Zutreffend hat das Amtsgericht unverzüglich einen vorläufigen Betreuer bestellt. Hingegen lässt sich den Akten nicht entnehmen, ob dem vorläufigen Betreuer bewusst war, dass nunmehr er über die Fortdauer der Unterbringung in eigener Verantwortung zu entscheiden hat. Zwar wurde ihm am 13.8.2002 der Bestellungsbeschluss und der Betreuerausweis ausgehändigt. Ein besonderer Hinweis auf den Übergang der Verantwortung für die Unterbringung auf ihn ergibt sich jedoch aus den Akten ebenso wenig wie eine wie auch immer geartete Erklärung hinsichtlich der Unterbringung durch ihn. Die vom Bundesgerichtshof (aaO) verlangte Einleitung von Maßnahmen zur unverzüglichen Bestellung eines Betreuers erfüllt ihren Sinn nur dann, wenn dem vorläufigen Betreuer auch bekannt, ist, welche Aufgaben ihm hinsichtlich der Unterbringung zukommen. Ein Schweigen des vorläufigen Betreuers kann nur dann als bewusste Aufrechterhaltung der Unterbringung gewertet werden, wenn eine entsprechende Kenntnis des Betreuers vorhanden ist. Ob dies hier der Fall war, kann aber letztlich dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls findet die Verhinderung einer Selbstschädigung, auf die das Landgericht seine Entscheidung im Wesentlichen stützt, in den Akten keine ausreichende Grundlage.

cc) Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, es sprächen dringende Gründe dafür, dass es zu einer Unterbringung nach § 1906 BGB kommen werde. Mit einem Aufschub der Unterbringung sei Gefahr verbunden. Nach dem ärztlichen Gutachten sei nämlich davon auszugehen, dass die Betroffene psychisch krank sei und dass ohne ärztliche Heilbehandlung, die nur bei einer Unterbringung durchgeführt werden könne, eine Verschlechterung eintreten werde. Bei der Betroffenen liege derzeit eine gereizte Manie bei vorbekannter manisch depressiver Erkrankung vor, die zu einem Realitätsverlust geführt habe. Die Betroffene bedürfe deshalb dringend ärztlicher Behandlung und Medikation.

dd) Diese Feststellungen des Landgerichts zur Verhinderung einer Selbstschädigung der Betroffenen stehen nicht im Einklang mit dem Akteninhalt, und das Landgericht hat nicht dargelegt, ob und gegebenenfalls woher es darüber hinausgehende Erkenntnisse hatte, zumal es von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen hat.

Weder aus der ärztlichen Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 1.8.2002 noch aus dem Bericht der beteiligten Behörde vom 25.7.2002 geht konkret hervor, dass sich die Erkrankung der Betroffenen ohne durch Unterbringung sicherzustellende Zwangsmedikation verschlechtern würde. Eine Vermögensverschlechterung hingegen, die während des Andauerns der manischen Phase der Betroffenen nach diesen Unterlagen zu befürchten war, reicht für eine zivilrechtliche Unterbringung ebenso wenig aus wie die ebenfalls berichteten Fremdgefährdungen. Auch eine konkrete Selbstmordgefahr ergibt sich aus den Akten nicht. Zwar soll die Betroffene bei dem Gespräch am 16.7.2002 ihre frühere Äußerung, ihre Schwester würde in ein offenes Grab schauen, so gedeutet haben, sie könne sich selber etwas antun. Die Mitarbeiterin der beteiligten Behörde konnte aber hierin, in der Gesamtschau auch zu Recht, keinen eindeutigen Hinweis für eine ernst zu nehmende Selbstgefährdung heraushören (Bericht der beteiligten Behörde S. 3). Die ärztliche Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 8.8.2002, die sich bei den beigezogenen Betreuungsakten befindet, bestätigt, dass ärztlicherseits lediglich eine Gefährdung des Vermögens der Betroffenen, nicht aber ihrer Gesundheit, befürchtet wurde.

Ende der Entscheidung

Zurück