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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 05.12.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 191/03
Rechtsgebiete: BGB, FGG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 1
FGG § 13
ZPO § 87
1. Zur Vertretung des Betroffenen bei der Einlegung einer weiteren Beschwerde durch den bisherigen Verfahrensbevollmächtigten, wenn vorher bereits ein neuer Verfahrensbevollmächtigter seine Bestellung angezeigt hat.

2. Unzureichende tatsächliche Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung bei Anordnung einer Betreuung gegen den Willen der Betroffenen.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht bestellte am 20.12.2002 für die Betroffene eine Berufsbetreuerin (Betreuerin zu 1) für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge und Organisation der ambulanten Versorgung. Daneben bestellte es eine Rechtsanwältin als weitere berufsmäßige Betreuerin (Betreuerin zu 2) für den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, sowie Regelung der Erbschaftsangelegenheiten. Am 17.3.2003 erweiterte das Amtsgericht durch einstweilige Anordnung den Aufgabenkreis der Betreuerin zu 1 um die Aufenthaltsbestimmung.

Das Landgericht hat am 24.6.2003 die gegen die Betreuerbestellung insgesamt gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen, wobei es anordnete, dass über eine Aufhebung oder Fortführung der Betreuung bis 1.3.2004 zu entscheiden sei. Hiergegen richtet sich die durch ihren ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten eingelegte weitere Beschwerde der Betroffenen vom 1.7.2003.

Das Amtsgericht erweiterte am 17.7.2003 den Umfang der Betreuung nunmehr endgültig auch auf die Aufenthaltsbestimmung und ordnete einen Einwilligungsvorbehalt für Willenserklärungen an, die den Aufgabenkreis Vermögenssorge betreffen und einen Wert von 2.000 EUR monatlich übersteigen.

II.

1. Die weitere Beschwerde der Betroffenen ist insoweit unzulässig, als durch die landgerichtliche Entscheidung die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Starnberg vom 17.3.2003 zurückgewiesen wurde. Die einstweilige Anordnung, welche dieser Beschluss beinhaltet, wurde durch die endgültige Entscheidung des Amtsgerichts vom 17.7.2003 gegenstandslos, so dass die Hauptsache insoweit erledigt ist (vgl. BayObLG BtPrax 1994, 61; Keidel/Kahl FGG 15. Aufl. § 19 Rn. 85 und 87 "prozessuale Überholung").

2. Im Übrigen ist die weitere Beschwerde zulässig.

a) Der Schriftsatz vom 1.7.2003, mit dem dieses Rechtsmittel eingelegt wurde, ist von einem der ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen unterzeichnet und genügt somit den gesetzlichen Formvorschriften (§§ 21, 29 FGG). Zwar hat der nunmehrige Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen bereits mit Schriftsatz vom 27.6.2003, bei Gericht eingegangen am 30.6.2003, unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht der Betroffenen vom 17.6.2003 (§ 66 FGG), angezeigt, dass er die Betroffene vertrete. Damit war jedoch, auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 87 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO, eine Beendigung der Vollmacht des ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten nicht verbunden. Zum einen ist diese Regelung vorliegend schon deshalb nicht anwendbar, weil im Betreuungsverfahren als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, abgesehen von der genannten Vorschrift hinsichtlich der Form der weiteren Beschwerde, kein Anwaltszwang herrscht (vgl. Keidel/Zimmermann FGG 15. Aufl. § 13 Rn. 10). Zum anderen spricht nichts dafür, dass die Vollmacht des ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten bereits im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung erloschen war. Der Anzeige des neuen Verfahrensbevollmächtigten kann ein Vollmachtswiderruf nicht entnommen werden. So hat der nunmehrige Verfahrensbevollmächtigte nicht angezeigt, dass er die Betroffene allein vertrete (vgl. OLG Zweibrücken Rpfleger 2002, 567/568). Vielmehr sind die ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten und der nunmehrige Verfahrensbevollmächtigte im gerichtlichen Anhörungstermin vom 16.7.2003 gemeinsam aufgetreten, ohne dass die Betroffene dem widersprochen hätte. Daraus ist zu folgern, dass beide Verfahrensbevollmächtigte im Zeitpunkt der hier maßgeblichen Rechtsmitteleinlegung nebeneinander bevollmächtigt waren. Dass die ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16.7.2003 anschließend das Mandat niederlegten, mit Schriftsatz vom 25.7.2003 erneut ihre Vertretung anzeigten und schließlich mit Schriftsatz vom 28.7.2003 endgültig das Mandat niederlegten, wirkt sich auf die einmal wirksame Einlegung der weiteren Beschwerde durch sie nicht aus.

b) Soweit das Landgericht über den amtsgerichtlichen Beschluss vom 20.12.2002 entschieden hat, ist durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 17.7.2003 keine Erledigung der Hauptsache eingetreten. Die letztgenannte Entscheidung des Amtsgerichts betrifft nur die Erweiterung der Betreuung und die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts. Die erstgenannte Entscheidung wirkt daher für die übrigen Aufgabenkreise fort, soweit sie die Fragen betrifft, ob überhaupt die Betreuung erforderlich ist und wer zum Betreuer bestellt wurde.

3. Die weitere Beschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts weist einen Rechtsfehler auf, der zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Landgericht zwingt.

a) Das Landgericht hat sich zur Begründung der medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung im Wesentlichen auf das von ihm eingeholte Gutachten vom 4.4.2003 gestützt. Es hat ausgeführt, dass die Betroffene danach an psychischen Störungen und Erkrankungen leide, die sich in einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit querulatorisch-paranoiden, narzistischen und impulsiven Strukturanteilen äußere, vermutlich durch den beginnenden hirnorganischen Abbau akzentuiert. Der formale Gedankengang sei auffällig; es bestünden Gedankensprünge, assoziative Lockerungen, in Anspannungssituationen teilweises Danebenreden bei einem eingeengten und etwas verarmt wirkenden Gedankengang. Es bestünde ferner die Tendenz der Betroffenen, objektiv für sie eigentlich positive schützende Interventionen äußerst misstrauisch bis paranoid zu internalisieren, ohne dass eine Relativierungsmöglichkeit bestehe. Dies erinnere sehr an wahnhaftes Denken, was noch durch die Komplott- und Verschwörungstheorie bezogen auf den weiteren Beteiligten und dessen Verfahrensbevollmächtigten sowie die Betreuerin zu 2 untermauert und aufrechterhalten werde. Schließlich liege eine beginnende demenzielle Entwicklung gemischter Genese (u.a. wegen Alkohol- und sedativem Abusus) vor. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass die freie Willensbildung der Betroffenen bereits eingeschränkt sei, so dass die Betroffene nicht mehr in der Lage sei, ihren Willen frei zu bestimmen und entsprechend zutreffend gewonnener Einsichten zu handeln. Dies beziehe sich auf die Gesundheitsfürsorge mit Zuführung zur ärztlichen Behandlung. In den Kreis der Geschäfte, welche die Betroffene nicht mehr in dem erforderlichen Umfang selbst besorgen könne, falle auch die Aufenthaltsbestimmung, des weiteren die Organisation der ambulanten Versorgung sowie die Vermögenssorge. Auch für die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen sowie Renten- und Sozialleistungsträgern halte der Sachverständige eine Betreuung für erforderlich.

b) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Betroffenen und gegen seinen Willen, setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann, d.h. nicht in der Lage ist, ihn unbeeinflusst von der Krankheit oder Behinderung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln (vgl. BGH NJW 1996, 918/919; BayObLG FamRZ 2000, 189; 2002, 703).

In der Regel soll nur eine Einzelperson zum Betreuer des Betroffenen bestellt werden (BT-Drucks 11/4528 S. 130). Das Vormundschaftsgericht kann jedoch mehrere Betreuer bestellen, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen hierdurch besser besorgt werden können (§ 1899 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ob hiervon auszugehen ist, hat das Gericht unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. So kann die Bestellung mehrerer Betreuer veranlasst sein, wenn der Betroffene in mehrfacher Hinsicht der Betreuung bedarf, die als Betreuer gewünschte (§ 1897 Abs. 4 BGB), vorgesehene oder bereits bestellte Person jedoch den damit verbundenen Anforderungen nicht in vollem Umfang gerecht wird, weil ein Teil der zu besorgenden Angelegenheiten besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetzt (vgl. § 1897 Abs. 1 BGB). Gemäß § 1899 Abs. 1 Satz 1 BGB ist es deshalb z.B. möglich, mit der Verwaltung des Vermögens eines Betroffenen wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten einen Fachmann zu beauftragen, die außerdem erforderliche Betreuung in persönlichen Angelegenheiten dagegen einer nahestehenden Person zu übertragen (vgl. BayObLG FamRZ 1997, 1502 m.w.N.).

c) Frei von Rechtsfehlern (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) sind die Ausführungen des Landgerichts zum Vorliegen einer psychischen Krankheit der Betroffenen. Hingegen genügen die Feststellungen des Landgerichts zum Ausschluss der freien Willensbestimmung nicht in vollem Umfang den rechtlichen Anforderungen.

So hat das Landgericht diesen Ausschluss nur für den Bereich der Gesundheitsfürsorge ausdrücklich bejaht (S. 8 2. Absatz des Beschlusses). Hinsichtlich der übrigen Aufgabenkreise hat es lediglich angeführt (S. 8 letzter Absatz), die Betroffene könne diese Geschäfte nicht mehr selbst in dem erforderlichen Umfang verrichten. Zur Begründung stellt es zum Teil auf körperliche Gebrechen der Betroffenen ab, zum Teil darauf, dass die Betroffene zu den gebotenen Verrichtungen nicht bereit sei. Ob und inwieweit dadurch auch die freie Willensbestimmung der Betroffenen berührt wird, ist dem Beschluss nicht zu entnehmen.

Ein solcher Ausschluss der freien Willensbestimmung lässt sich insbesondere nicht allein aus den Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 4.4.2003 ableiten, auf welches das Landgericht Bezug genommen und auf welches es seine Entscheidung gestützt hat. Dort (S. 16) wird lediglich ausgeführt, dass die freie Willensbildung bei der Betroffenen "durchaus etwas eingeschränkt" sei. Deren Krankheit mache es "kaum möglich, für sie (die Betroffene) und die Allgemeinheit geltende allgemeine Normen zu akzeptieren und zu befolgen". Geschäftsunfähigkeit wird hingegen ausdrücklich verneint ("besteht bei der Betroffenen nicht"). Ein umfassender Verlust der freien Willensbildung könne "nicht positiv belegt werden".

Der übrige Akteninhalt bietet unter Berücksichtigung dieser Aussage in dem jüngsten Gutachten keine hinreichenden Anhaltspunkte, die es erlauben würden, ohne weiteres den Ausschluss einer freien Willensbestimmung der Betroffenen in allen der Betreuung unterworfenen Bereichen festzustellen. So kommt das Gutachten eines anderen Facharztes vom 12.12.2002, das bei Einleitung des Betreuungsverfahrens vorlag, zu dem Ergebnis, eine partielle Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen sei für den Bereich der Gesundheitsfürsorge anzunehmen. Bezüglich der Wohnungs-, Erbschafts- und Finanzangelegenheiten könne die Betroffene ihren Willen (nur) "zeitweise" nicht frei bestimmen. Der Bereich der Aufenthaltsbestimmung ist nicht angesprochen. Das aus Anlass einer vorübergehenden Unterbringung der Betroffenen am 18.3.2003 von diesem Facharzt erstellte Gutachten enthält die Aussage, die Betroffene könne ihren Willen im Bereich der Gesundheitsfürsorge, der Aufenthaltsbestimmung sowie der Unterbringung nicht frei bestimmen (S. 8). Von den übrigen Bereichen ist nicht die Rede.

Zum Ausschluss der freien Willensbestimmung der Betroffenen müssen daher weitere Feststellungen getroffen werden, was gegebenenfalls auch im Zusammenhang mit den Ermittlungen zur Frage der Fortdauer der Betreuung geschehen kann. Das Landgericht hat selbst eine Entscheidung hierüber bis spätestens 1.3.2004 für erforderlich gehalten. Da dem Senat eigene Ermittlungen verwehrt sind, muss die Sache an das Landgericht zurückverwiesen werden.

d) Das Landgericht wird gegebenenfalls bei erneuter Entscheidung auch dazu Stellung zu nehmen haben, warum die Voraussetzungen für die Bestellung mehrerer Betreuer vorliegen. Die bisher vorliegenden Entscheidungen enthalten hierzu keine Feststellungen.



Ende der Entscheidung

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