Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 24.07.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 206/01
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 1897 Abs. 3
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2
Es verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, wenn ein Elternteil als Betreuer gemäß § 1897 Abs. 3 BGB entlassen wird.
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Plößl und Dr. Schreieder

am 24. Juli 2001

in der Betreuungssache

auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten

beschlossen:

Tenor:

I. Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss des Landgerichts Amberg vom 26. April 2001 wird zurückgewiesen.

II. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 5000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht bestellte am 13.6.1996 für den Betroffenen dessen Mutter, die Beteiligte, zur Betreuerin mit dem Aufgabenkreis alle Angelegenheiten. Mit Beschluss vom 18.1.2001 entließ das Amtsgericht die Beteiligte gegen ihren Willen als Betreuerin, da sie nach § 1897 Abs. 3 BGB als Betreuerin ausgeschlossen sei, und bestellte Frau S. zur Betreuerin. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten gegen ihre Entlassung hat das Landgericht mit Beschluss vom 26.4.2001 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten, § 1897 Abs. 3 BGB treffe auf sie nicht zu.

II.

Das zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet.

Es liege ein wichtiger Grund zur Entlassung der bisherigen Betreuerin vor, da sie nicht zur Betreuerin bestellt werden dürfe. Der Betroffene wohne in dem heilpädagogischen Zentrum, einem Heim oder einer anderen Einrichtung im Sinne des § 1897 Abs. 3 BGB, zu der die frühere Betreuerin, seine Mutter, in einer engen Beziehung stehe.

Der Betroffene lebe in einem Appartement des sogenannten "Atriums", einem Gebäude, das sich auf dem Gelände befinde, auf dem das heilpädagogische Zentrum betrieben werde. Das "Atrium" sei in vier Appartements aufgeteilt, von denen derzeit drei bewohnt seien, und verfüge über einen gemeinsamen Aufenthaltsraum für die Bewohner. Auf dem Gelände befinde sich außer dem "Atrium" eine Vielzahl von Gebäuden. Dieses "Atrium" sei nicht nur dem äußeren Erscheinungsbild nach ein Teil des heilpädagogischen Zentrums, die Bewohner der anderen Appartements des "Atriums" seien "normale Heimbewohner", diesen stehe darüber hinaus zusammen mit dem Betroffenen auch ein gemeinsamer Aufenthaltsraum zur Verfügung. Ob nun zwischen dem Betroffenen und der Einrichtung selbst ein Heimvertrag bestehe, könne dahingestellt bleiben. Das Vorliegen eines solchen Vertrags sei nicht Voraussetzung für die Anwendung des § 1897 Abs. 3 BGB. Unerheblich sei, wer Eigentümer des Geländes sei, auf dem das Heim oder die Einrichtung betrieben werde. Der Betroffene bewohne jedenfalls einen auch nach außen hin nicht eindeutig abgetrennten Teil des heilpädagogischen Zentrums.

Die frühere Betreuerin sei Geschäftsführerin und neben ihrem Mann und ihrem Sohn Gesellschafterin der Verwaltungs GmbH. Diese sei die persönlich haftende Gesellschafterin der das heilpädagogische Zentrum betreibenden GmbH & Co. KG. Die frühere Betreuerin führe die Geschäfte der GmbH und so letztendlich auch die der GmbH & Co. KG, der Heimbetreiberin. Dadurch bestehe zwischen ihr und dem Heim bzw. sonstigen Einrichtung in der der Betroffene wohne, eine "andere enge Beziehung" im Sinne des § 1897 Abs. 3 BGB. § 1897 Abs. 3 BGB enthalte einen absoluten Ausschlussgrund und lasse dem Gericht keinen Ermessensspielraum, wobei gleichgültig sei, ob konkret ein Interessengegensatz absehbar sei oder nicht.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO) stand. Das Landgericht hat zutreffend das Vorliegen eines wichtigen Grundes gemäß § 1908b Abs. 1 Satz 1 BGB für die Entlassung der Mutter als Betreuerin bejaht, weil diese nunmehr von Gesetzes wegen als Betreuerin ausgeschlossen ist.

a) Eine Person kann gemäß § 1897 Abs. 3 BGB nicht zum Betreuer bestellt werden, wenn sie zu einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung, in welcher der Betroffene untergebracht ist oder wohnt, in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung steht,(vgl. BayObLGZ 1996, 250/252; Bienwald Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1897 BGB Rn. 14; Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. § 1897 BGB Rn. 10 f.). Diese Vorschrift lässt dem Gericht keinen Ermessensspielraum, sie enthält einen absoluten Ausschlussgrund (BayObLG FamRZ 1999, 50; Bienwald 1897 BGB Rn. 72) und bietet keine Möglichkeit, den Ausschluss von der Betreuerbestellung im Einzelfall zu durchbrechen (BayObLGZ 1996, 250/252 m. w. N.; BT-Drucks. 11/4528 S. 126; Palandt/Diederichsen BGB 60. Aufl. § 1897 Rn. 15). Hierdurch sollen Interessenkonflikte und Belastungen im Verhältnis zwischen Betreuer und Betreutem vermieden werden (LG Berlin BtPrax 1996, 75; BT-Drucks. aaO; Palandt aaO Rn. 12; Soergel/Zimmermann BGB 13. Aufl. § 1897 Rn. 22). Derartige Interessenkonflikte sind insbesondere im Rahmen des Aufgabenkreises Vermögenssorge zu befürchten (BT-Drucks. 11/4528 S. 126). Liegen bei einer Person die Voraussetzungen des § 1897 Abs. 3 BGB vor, darf sie nicht bestellt werden, gleichgültig, ob ein Interessengegensatz absehbar ist (MünchKomm/Schwab BGB 3. Aufl. § 1897 Rn. 27).

Die in § 1897 Abs. 3 BGB getroffene Regelung schließt die Bestellung einer Person als Betreuer nur aus, wenn das Abhängigkeitsverhältnis oder die andere enge Beziehung zur Einrichtung selbst bestehen, es genügt nicht, dass sie nur zu deren Träger gegeben sind (BayObLGZ aaO; Erman/Holzhauer BGB 10. Aufl. § 1897 Rn. 11). In "einer anderen engen Beziehung" zur Einrichtung stehen deren Inhaber oder Mitglieder des Beirats (Palandt aaO Rn. 14; Soergel/Zimmermann aaO Rn. 28).

Ergibt sich der Ausschlussgrund des § 1897 Abs. 3 BGB erst nachträglich, hat das Vormundschaftsgericht den Betreuer zu entlassen (§ 1908b Abs. 1 Satz 1 BGB), ohne dass insoweit ein Ermessen bestünde (vgl. HK/BUR/Bauer § 1897 BGB Rn. 50; Bienwald § 1897 BGB Rn. 14).

b) Hier steht die Mutter des Betroffenen als Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH der Kommanditgesellschaft, die die Einrichtung betreibt, in "einer anderen engen Beziehung" zu der Einrichtung.

Die Würdigung des Landgerichts, dass der Betroffene in dieser Einrichtung wohnt, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Insoweit ist auf das tatsächliche Wohnen abzustellen (Soergel/Zimmermann BGB 13. Aufl. § 1897 Rn. 24). Die festgestellten Umstände rechtfertigen diese Annahme. Danach wird das heilpädagogische Zentrum auf dem gesamten Gelände betrieben. In dem dort befindlichen "Atrium" leben neben dem Betroffenen Personen, die in der Einrichtung untergebracht sind. Es steht für alle ein gemeinsamer Aufenthaltsraum zur Verfügung. Der Betroffene erhält seine Verpflegung aus der Küche der Einrichtung. Deren Mitarbeiter kümmern sich jedenfalls zeitweise um ihn. Die von ihm bewohnten Räume sind nicht ausdrücklich aus dem Verantwortungsbereich der Einrichtung ausgegliedert. ob für den Betroffenen Unterbringungskosten in Rechnung gestellt werden, ist ohne Bedeutung. Trifft dies zu, wohnt der Betroffene aufgrund eines entsprechenden Vertrages in der Einrichtung. Andernfalls hat der Betroffene zwar einen Sonderstatus, aber innerhalb der Einrichtung. Die Konfliktsituation, die § 1897 Abs. 3 BGB vermeiden will, ist auch bei einer solchen Gestaltung gegeben. So können etwa in Haftungsfällen Rechtsansprüche des Betroffenen gegen die Einrichtung oder umgekehrt durchzusetzen sein.

c) Zutreffend ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass die Regelung des § 1897 Abs. 3 BGB, wie sie sich aus der Interpretation der Vorschrift durch die Rechtsprechung ergibt, nicht gegen Art. 6 GG verstößt. Art. 6 GG garantiert den Eltern eines Volljährigen nicht, dass sie dessen gesetzliche Vertreter werden, falls dieser bei Eintritt der Volljährigkeit eines solchen bedarf. Zwar umfasst der Schutzbereich dieses Grundrechts auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern (BVerfGE 57, 170/178; v. Münch Grundgesetz Kommentar 3. Aufl. Art. 6 Rn. 4; v. Mangoldt/Robbers Bonner Grundgesetz Art. 6 Rn. 83). Art. 6 Abs. 2 GG garantiert den Vorrang der Eltern bei der Verantwortung für das schutz- und hilfsbedürftige Kind (BVerfGE 33, 236/238). Diesem Verfassungsgebot entspricht § 1897 Abs. 5 BGB, der bei der Auswahl des Betreuers die Rücksichtnahme auf die Bindungen des Volljährigen auch zu den Eltern bestimmt. Dieser Verfassungsgrundsatz gilt aber nicht, wenn eine Interessenkollision besteht oder der Zweck der Maßnahme aus anderen Gründen die Bestellung eines Dritten verlangt (BVerfGE 33, 236/238 f.; Leibholz/Rinck/Hesselberger GG Art. 6 Rn. 591). Dies ist, wie dargelegt, hier der Fall.

3. Die Festsetzung des Geschäftswerts ergibt sich aus § 31 Abs. 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück