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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 26.02.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 207/02
Rechtsgebiete: BGB, BSHG


Vorschriften:

BGB § 1836c
BGB § 1836d
BSHG § 88 Abs. 3
Der Betreute, der Eingliederungshilfe in einer Werkstatt für behinderte Menschen bezieht, muß sein Vermögen für Betreuungskosten nur insoweit einsetzen, als es neben dem allgemeinen Schonbetrag von 2301 Euro auch den nach § 88 Abs. 3 Satz 3 BSHG regelmäßig zu belassenden Betrag übersteigt.
Gründe:

I.

Der Betroffene ist in eine Werkstatt für behinderte Menschen aufgenommen und bezieht Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz. Für ihn ist ein berufsmäßig tätiger Betreuer bestellt.

Mit Beschluss vom 8.7.2002 bewilligte das Amtsgericht dem Betreuer auf dessen Antrag für Tätigkeiten in der Zeit vom 1.1 bis 31.12.2001 eine Vergütung in Höhe von 573,64 Euro. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass die Vergütung aus dem Vermögen des Betreuten zu zahlen sei. Darüber hinaus habe der Betreute aus seinem Vermögen für bisher durch die Staatskasse an den Betreuer geleistete Vergütung und Auslagenersatz einen Betrag von 1593,12 Euro zu erstatten.

Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt: Das Vermögen des Betroffenen von ca. 11000 Euro übersteige den ihm zuzubilligenden Schonbetrag von 2301 Euro. Deshalb sei die Vergütung aus dem Vermögen des Betreuten zu bestreiten. Die bisher herangezogene Vermögensfreigrenze von (im Zeitpunkt der letzten Vergütungsbewilligung:) 49500 DM auf Grund der ihm gewährten Eingliederungshilfe in einer Werkstatt für behinderte Menschen sei nicht mehr anzuwenden. Infolge der Neuregelungen durch das SGB IX, vor allem der Änderung des § 43 BSHG zum 1.7.2001, sei die Vorschrift des § 88 Abs. 3 Satz 3 BSHG gegenstandslos geworden, weil die Kosten der Eingliederungshilfe nunmehr ohne Rücksicht auf das Vermögen des Betroffenen vom Sozialhilfeträger zu übernehmen seien.

Die hiergegen namens des Betroffenen eingelegte sofortige Beschwerde des Betreuers hat das Landgericht mit Beschluss vom 26.9.2002 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere vom Landgericht zugelassen (§ 69e Satz 1, § 56g Abs.5 Satz 2 FGG).

Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht nicht etwa eine im konkreten Fall fehlende Vertretungsbefugnis des Betreuers entgegen.

Die Vorschrift des § 181 BGB ist auf Verfahrenshandlungen nicht anwendbar. Inwieweit im verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ein allgemeiner Grundsatz zu bejahen ist, dass niemand als Beteiligter oder Beteiligtenvertreter auf beiden Seiten zugleich auftreten darf (vgl. Palandt/Heinrichs BGB 62. Aufl. § 181 Rn. 5; BayObLG NJW 1962, 964), kann dahinstehen. Jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art ist ein Interessenkonflikt zwischen dem Betreuer und dem Betroffenen, für welchen der Betreuer auftritt, nicht denkbar. Kern des Verfahrens ist die Frage der Mittellosigkeit des Betroffenen. Ziel des Rechtsmittels ist die Abwehr von Ansprüchen gegen den Betroffenen. Der Betreuer erlangt keinen Vorteil auf Kosten des Betreuten, wenn er für ihn die Zahlung aus der Staatskasse durchsetzt.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet.

Zwar werde in der Rechtsprechung zum Teil die Auffassung vertreten, dass einem in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitenden Betreuten ohne weiteres der Vermögensfreibetrag von nunmehr 23010 Euro gemäß § 88 Abs. 3 Satz 3 BSHG zukomme, so dass sich zusammen mit dem allen Betreuten zustehenden Schonbetrag von 2301 Euro insgesamt ein Freibetrag von (richtig) 25311 Euro ergebe (vgl. LG Dresden FamRZ 2001, 712 und LG Chemnitz FamRZ 2001, 1026).

Demgegenüber sei das Landgericht Osnabrück (FamRZ 2002, 702) der Ansicht, dass der Bezug von Eingliederungshilfe in einer Werkstatt für behinderte Menschen für die Berücksichtigung des erhöhten Freibetrags nicht ausreiche, sondern darüber hinaus besondere Umstände vorliegen müssten, wonach der Einsatz des vorhandenen Vermögens eine Härte bedeuten würde. Die Berücksichtigung eines erhöhten Freibetrags allein auf Grund der Aufnahme des Betreuten in eine derartige Werkstatt sei lediglich insoweit gerechtfertigt, als es um den Rückgriff des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Betreuten gehe; für die Unterbringung in einer Werkstatt für behinderte Menschen fielen besonders hohe Kosten an. Soweit aber die Vermögensgrenze für die Heranziehung zu Betreuungskosten zu ermitteln seien, sei kein Grund dafür ersichtlich, den in einer Werkstatt Untergebrachten in höherem Maße zu schonen als andere Betreute. Ein erhöhter Vermögensfreibetrag könne daher nur in besonderen Einzelfällen angesetzt werden.

Die Kammer schließe sich dieser Auffassung in vollem Umfang an. Auch im vorliegenden Fall seien keine besonderen Umstände zu erkennen, die einen erhöhten Freibetrag rechtfertigen würden.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.

a) Gemäß § 1836d, § 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB gilt ein Betreuter u.a. als mittellos, wenn er die Vergütung oder den Aufwendungsersatz aus seinem einzusetzenden Einkommen oder Vermögen nicht aufbringen kann. Für die Kosten der Betreuung hat der Betreute nach § 1836c Nr.2, § 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB, § 88 Abs. 1 BSHG sein gesamtes verwertbares Vermögen einzusetzen, soweit keiner der Tatbestände des § 88 Abs. 2 oder 3 BSHG vorliegt (vgl. BGH FamRZ 2002, 157/158 unter Hinweis auf BT-Drucks. 13/7158 S.31). Nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG sind dem Betreuten kleinere Barbeträge oder sonstige geringe Geldwerte zu belassen, wobei der anrechnungsfreie Geldbetrag durch die dazugehörige Durchführungsverordnung (DVO) konkretisiert wird. Der maßgebende Schonbetrag ist § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 b Alt.1 DVO zu entnehmen (BGH aaO) und beträgt derzeit 2301 Euro.

b) Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies, für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde (§ 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG). Bei der Eingliederungshilfe zur Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen liegt nach Satz 3 der Vorschrift im Regelfall auch dann eine Härte vor, wenn das einzusetzende Vermögen den zehnfachen Betrag des Geldwertes nicht übersteigt, der sich bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen aus der oben zitierten Vorschrift der DVO ergibt, also nicht über 23010 Euro hinausgeht. Bei der Bestimmung des § 88 Abs. 3 Satz 3 BSHG handelt es sich um eine "konkretisierte Härteklausel" (W. Schellhorn/H. Schellhorn BSHG 16. Aufl. § 88 Rn. 79 c). Sie wurde mit Wirkung vom 1.8.1994 eingefügt. Anlass hierfür war eine Entscheidung des BVerwG (DVBl. 1993, 1267), die entgegen der überwiegenden Praxis die Meinung vertreten hatte, dass die Gesetzeslage die Annahme einer Härte für die Vermögensverwertung bei Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte nur bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall zulasse. Der Bundestag hat mit dem neu eingefügten Satz 3 dieser Rechtsprechung den Boden entzogen mit der Begründung, dass ihre Folgen allgemein als ungerecht empfunden würden (vgl. W. Schellhorn/H. Schellhorn Rn. 79 a). Insbesondere falle ins Gewicht, dass dadurch dem behinderten Menschen vielfach die Arbeitsmotivation genommen werde. Auch sei zu berücksichtigen, dass Vermögen für die Bezahlung der Werkstattentschädigung aufgebraucht werden müsse, das Eltern im Vertrauen auf die bisherige Praxis aus gutem Grund für die Zukunft ihrer behinderten Kinder angesammelt hätten (zum Ganzen W. Schellhorn/H. Schellhorn aaO).

c) Ungeachtet der speziellen Zielrichtung dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber bei der erstmals durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz vom 25.6.1998 (BGBl. I S.1580) eingeführten gesetzlichen Definition der Mittellosigkeit im Rahmen der Regelung der Betreuervergütung in § 1836 c BGB ohne Einschränkung auf die "Maßgabe des § 88 des Bundessozialhilfegesetzes" verwiesen. Dass insoweit kein Versehen, sondern eine bewusste Entscheidung vorliegt, ergibt sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs in BT-Drucks. 13/7158 S.29 [31], in der a.E. ausgeführt wird: "Dagegen wird der höhere Schonbetrag nach § 88 Abs. 3 Satz 3 BSHG dem Betroffenen nur dann gewährt werden können, wenn die dort genannte Voraussetzung der Gewährung von Eingliederungshilfe zur Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte im Einzelfall tatsächlich vorliegt."

Daraus ist zu schließen, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung der Mittellosigkeit einem Betreuten den erhöhten Freibetrag nach der "konkretisierten Härteklausel" des § 88 Abs. 3 Satz 3 BSHG ungeachtet ihrer ursprünglich auf den Vermögensschutz bei Eingliederungshilfe bezogenen Zielrichtung immer dann zukommen lassen will, wenn der Betreute in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt ist. Ob darüber hinaus weitere Härtegründe vorliegen, ist nicht entscheidend (so auch OLG Dresden, Beschluss vom 17.5.2000 - 15 W 677/00).

c) Dann kann es folgerichtig aber auch keine Rolle spielen, dass der ursprüngliche spezifische Regelungszweck der Vorschrift - nämlich der Schutz des Leistungsempfängers vor dem Einsatz seines Vermögens in bestimmtem Umfang bei gewährter sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfe - offenbar entfallen ist, nachdem § 43 Abs. 1 und Abs. 2 Nr.7 BSHG seit der Neufassung durch das SGB IX zum 1.7.2001 den Anspruch auf Hilfe weitgehend unabhängig von der Zumutbarkeit der Aufbringung der Mittel durch den Empfänger regeln. Wenn der Gesetzgeber es für richtig gehalten hat, die keineswegs "vergessene", sondern durch redaktionelle Anpassung an den Sprachgebrauch des SGB IX geänderte Bestimmung des § 88 Abs. 3 Satz 3 BSHG aufrecht zu erhalten, stellt sie auch weiterhin eine "Maßgabe" im Sinne von § 1836c Nr.2 BGB dar, die bei der Ermittlung des vom Betroffenen einzusetzenden Vermögens zu beachten ist.

Da sowohl das Landgericht als auch das Amtsgericht diese Grundsätze verkannt haben, waren die Entscheidungen aufzuheben. Dies gilt auch für die Anordnung der Erstattung bereits aus der Staatskasse an den Betreuer geleisteter Zahlungen. Das Amtsgericht wird nunmehr über den Antrag des Betreuers, ihm Leistungen aus der Staatskasse zu bewilligen, anhand der vorstehend dargelegten Grundsätze zu entscheiden haben.

e) Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß § 14 FGG, § 114 ZPO liegen vor.

f) Der Wert des Beschwerdegegenstandes war nach der Summe der Beträge festzusetzen, deren Zahlung als Vergütung angeordnet bzw. von der Staatskasse im Wege des Rückgriffs beim Betroffenen eingefordert wurde.

Ende der Entscheidung

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