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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 30.11.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 222/04
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 25
FGG § 70i Abs. 2
BGB § 1906
Will das Vormundschaftsgericht die Unterbringung eines Betreuten über eine Dauer von vier Jahren hinaus verlängern, darf es diese Maßnahme nur dann auf das Gutachten eines bereits früher im Unterbringungsverfahren tätigen Sachverständigen stützen, wenn hierfür besondere Gründe vorliegen. Zu den Anforderungen an die Begründung der Verlängerungsentscheidung in einem solchen Fall.
Gründe:

I.

Für den Betroffenen ist seit März 2000 ein Betreuer bestellt mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge.

Nach vorangegangener vorläufiger Unterbringung wurde mit Beschluss vom 13.4.2000 die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung erstmals bis 13.4.2001 vormundschaftsgerichtlich genehmigt und anschließend mehrfach verlängert. Zuletzt wurde mit Beschluss vom 30.7.2004 die Unterbringung des Betroffenen in der beschützenden Abteilung eines Pflegeheims bis 29.7.2006 genehmigt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 7.9.2004, dem Betroffenen zugestellt am 22.9.2004, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 30.9.2004.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1. a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf das Gutachten des vom Vormundschaftsgericht beauftragten Psychiaters A gestützt. Dieser war bereits anlässlich der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts vom 5.4.2001 über die erste Verlängerung der Unterbringung als gerichtlich bestellter Gutachter tätig gewesen. Der erneuten Verlängerung der Unterbringung des Betroffenen mit vormundschaftsgerichtlichem Beschluss vom 29.1.2003 lag ein Gutachten des Psychiaters B zu Grunde.

b) In der Sache hat das Beschwerdegericht seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Der Betroffene leide, wie sich aus dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten ergebe, an einer chronifizierten paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit Residualsymptomatik sowie einem Alkoholabhängigkeitssyndrom. Die geschlossene Unterbringung sei erforderlich, weil die Gefahr bestehe, der Betroffene werde ohne den beschützenden Rahmen der Unterbringung sofort wieder alkoholrückfällig werden mit der Folge erheblicher weiterer Schädigungen seiner Gesundheit. Diese Annahme werde durch die völlige Leugnung der Alkoholerkrankung durch den Betroffenen gestützt, der in keiner Weise krankheitseinsichtig und krankheitsbedingt nicht in der Lage sei, die Tragweite seiner Handlungen zu überblicken und die Konsequenzen abzuschätzen. Da dem Betroffenen auch hinsichtlich seiner psychotischen Erkrankung jegliche Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft fehle, würde er freiwillig die notwendigen Medikamente nicht einnehmen mit den hieraus resultierenden negativen Folgen für seinen Gesundheitszustand. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass der Betroffene auf sich allein gestellt seine Körperhygiene völlig vernachlässigen und dadurch seine Gesundheit erheblich gefährden würde. Auch innerhalb der geschlossenen Unterbringung könne die notwendige Körperpflege nur mit Hilfe der in der geriatrischen Abteilung in ausreichender Zahl vorhandenen Pflegekräfte sichergestellt werden. Die geschlossene Unterbringung sei erforderlich, da Alternativen derzeit nicht ersichtlich seien. So komme insbesondere die Verlegung in eine offene Station oder Einrichtung nicht in Betracht, da im Hinblick auf die Krankheitsuneinsichtigkeit des Betroffenen dann eine völlige Alkoholabstinenz nicht gewährleistet sei. Die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung für weitere zwei Jahre sei angesichts der erheblichen Selbstgefährdung und der ungünstigen Prognose verhältnismäßig.

2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält schon aus verfahrensrechtlichen Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Bei der Entscheidung über die Verlängerung einer Unterbringungsmaßnahme mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren soll das Gericht nach § 70i Abs. 2 Satz 2 FGG in der Regel keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat oder der Einrichtung angehört, in der der Betroffene untergebracht ist. Zweck der Regelung ist es, dass längerfristig Untergebrachte in aller Regel nach Ablauf von vier Jahren von einem neuen Sachverständigen zu begutachten sind. Es soll sichergestellt werden, dass eine Unterbringung nicht auf Grund einer fest gefügten Meinung eines Sachverständigen länger als erforderlich ausgedehnt wird (vgl. BT-Drs. 11/4528 S. 186; Marschner/Volckhart Freiheitsentziehung und Unterbringung 4. Aufl. § 70i FGG Rn. 7). Dem eventuellen Verdacht eines Betroffenen, die Maßnahmen gegen ihn beruhten auf Voreingenommenheit des Gutachters soll entgegengewirkt werden (vgl. Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 70i FGG Rn. 9). Von der Regel des § 70i Abs. 2 Satz 2 FGG darf nur in Ausnahmefällen abgewichen werden, wenn z.B. andere als nach dieser Vorschrift ausgeschlossene Ärzte für Psychiatrie nicht oder nur schwer erreichbar sind (vgl. BT-Drs. 11/4582 S. 186, Keidel/Kayser FGG 15. Aufl. § 70i Rn. 9).

b) Der Sachverständige, auf dessen Gutachten das Vormundschafts- und das Beschwerdegericht ihre Entscheidungen über die Verlängerung der Unterbringung stützen, war im Rahmen der bereits über vier Jahre andauernden Unterbringung - wie dargelegt - bereits früher als Gutachter tätig. Weder die gerichtlichen Entscheidungen (vgl. § 25 FGG und Keidel/Sternal § 25 Rn.28) noch der sonstige Akteninhalt lassen einen Grund erkennen, aus dem von der Vorschrift des § 70i Abs. 2 Satz 2 FGG abgewichen wurde. Allein der Umstand, dass in der Zwischenzeit bei einer weiteren Verlängerungsentscheidung ein anderer Gutachter beauftragt wurde, lässt nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes und dem Normzweck keine Ausnahme zu. Da nicht auszuschließen ist, dass die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf einem Verstoß gegen § 70i Abs. 2 Satz 2 FGG beruht, war die Entscheidung aufzuheben und an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 27 FGG, § 546 ZPO).

3. Für das weitere Verfahren wird auf Folgendes aufmerksam gemacht:

Über die Feststellung der Krankheit bzw. Behinderung hinaus setzt die Genehmigung der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB weiter voraus, dass auf Grund der Krankheit die Gefahr besteht, der Betroffene werde sich töten oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen. Nach der Rechtsprechung des Senats muss es sich um eine ernstliche und konkrete Gefahr handeln. Eine solche Annahme verlangt eine Prognose anhand von tatsächlichen Feststellungen (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1617/1618 m.w.N.). Dabei setzt die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, in dessen Schutzbereich die Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen eingreift, auch Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidung. Die Einschränkung der persönlichen Freiheit ist stets der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen (vgl. BVerfG NJW 1998, 1774/1775; NJW 1986, 767). Die Dauer der Unterbringung beeinflusst sowohl die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs als auch die Anforderungen an die Begründung der Entscheidung (vgl. BVerfG NJW 1986, 767/770).

Im Hinblick auf diese verfassungsrechtlichen Anforderungen erscheinen im weiteren Verfahren nähere Feststellungen zu Art und Schwere der befürchteten negativen Folgen des zu erwartenden Alkoholrückfalls und Therapieabbruchs angezeigt. Es erscheint zwar nahe liegend, dass mit Absetzen der Medikation die schizophrene Erkrankung des Betroffenen wieder aufleben würde. Ob bei dem Betroffenen tatsächlich diese Gefahr besteht und welche Auswirkungen dies für ihn hätte, wird aber noch genauerer Darlegung bedürfen. Möglicherweise ergeben sich Anhaltspunke hierfür aus den Sachverhalten, die den fünfmaligen Aufenthalten des Betroffenen im Bezirkskrankenhaus während seiner Unterbringung im Pflegeheim zu Grunde liegen.

Auch die Auswirkungen des Alkoholrückfalls auf den physischen und psychischen Gesundheitszustand des Betroffenen sollten genauer dargetan werden, da mit zunehmender Dauer der Unterbringung die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Darlegung sowohl der Erheblichkeit des Gesundheitsschadens als auch an dessen Wahrscheinlichkeit steigen. Dies gilt auch für die selbst im Pflegeheim fortbestehenden Verwahrlosungstendenzen des Betreuten, da sich aus diesem Begriff allein keine hinreichend konkreten Folgen für den Gesundheitszustand des Betroffenen ableiten lassen (vgl. auch Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1906 BGB Rn. 36; OLG Hamm BtPrax 2001, 40/41).

Auch hinsichtlich der Dauer einer weiteren Unterbringung wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in besonderer Weise Berücksichtigung finden müssen. Die bereits mehrere Jahre dauernde Unterbringung des Betroffenen lässt es angezeigt erscheinen, die Höchstdauer der Überprüfungsfrist nach § 70f Abs. 1 Nr. 3 FGG nicht voll auszuschöpfen. Dafür spricht auch, dass bereits nach dem vorliegenden Sachverständigengutachten vom 2.7.2004 eine langfristige weitere Unterbringung des Betroffenen nicht erforderlich sein dürfte.

Ende der Entscheidung

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