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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 30.01.2002
Aktenzeichen: 3Z BR 244/01
Rechtsgebiete: FreihEntzG, GG


Vorschriften:

FreihEntzG § 11
FreihEntzG § 16
GG Art. 104 Abs. 1
Die vor der Anordnung einstweiliger Abschiebungshaft unterbliebene Anhörung des Betroffenen ist unverzüglich nachzuholen, selbst wenn der Betroffene zwei Tage nach seiner Festnahme abgeschoben wird.
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Schreieder und Dr. Denk

am 30. Januar 2002

in der Abschiebungshaftsache

auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen

beschlossen:

Tenor:

I. Der Beschluss des Landgerichts Passau vom 12. Juni 2001 wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung des Betroffenen durch die Beschlüsse des Amtsgerichts Passau vom 20. April 2001 und 24. April 2001 nicht rechtmäßig erfolgt ist.

III. Der Betroffene trägt in allen Instanzen keine Gerichtskosten.

Gründe:

I.

Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung des Betroffenen, eines mongolischen Staatsangehörigen. Dieser sollte am 27.4.2001 abgeschoben werden. Auf Antrag der Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 20.4.2001 gegen ihn zur Sicherung seiner Abschiebung mit sofortiger Wirksamkeit einstweilige Abschiebungshaft auf die Dauer von längstens zwei Wochen an und erlegte ihm die Verfahrenskosten auf. Die Zustellung dieses Beschlusses sollte "nach Festnahme" erfolgen. Da die Ausländerbehörde um Erweiterung des Beschlusses auf eine Aliaspersonalie des Betroffenen bat, erließ das Amtsgericht den Beschluss mit dieser Ergänzung am 24.4.2001 nochmals.

Am 25.4.2001 wurde der Betroffene festgenommen und in die Justizvollzugsanstalt am Ort des Sitzes des Amtsgerichts verbracht. Am gleichen Tag legte er "gegen den erlassenen Sicherungshaftbefehl" "Rechtsmittel" ein. Am 27.4.2001 wurde der Betroffene in sein Heimatland abgeschoben. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen erklärte auf eine gerichtliche Anfrage, ob die Beschwerde zurückgenommen werde, sinngemäß, dass jetzt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung begehrt werde-. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde des Betroffenen am 12.6.2001 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig und begründet. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG; § 3 Satz 2 FreihEntzG; § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO n.F.) nicht stand.

1. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die sofortige Beschwerde des Betroffenen trotz der Hauptsacheerledigung weiterhin zulässig ist.

a) Durch die Abschiebung des Betroffenen am 27.4.2001 hat sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt (vgl. BayObLGZ 1988, 317/318; OLG Karlsruhe FGPrax 2000, 83).

b) Der Betroffene hat gleichwohl die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung begehrt. mit diesem Ziel ist das Rechtsmittel weiterhin zulässig. Die dem Richter vorbehaltene Anordnung von Abschiebungshaft (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) greift tief in den Schutzbereich des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ein. Im Fall einstweiliger Abschiebungshaft, welche die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten darf (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FreihEntzG), kann eine abschließende gerichtliche Entscheidung in dem von der Prozessordnung gegebenen Instanzenzug kaum erlangt werden.

Daher kann der Betroffene sein gegen die Erstentscheidung eingelegtes Rechtsmittel mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung fortführen, auch wenn sich das ursprünglich damit verfolgte Begehren wegen des Endes der Haft prozessual überholt hat, da ihm anderenfalls der durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte effektive Rechtsschutz versagt würde (vgl. BVerfG NJW 1998, 2432/2433; BayObLGZ 2000, 220/221; OLG Köln BtPrax 1998, 35; OLG Karlsruhe InfAuslR 2001, 179/180).

2. Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 20. und 24.4.2001 leiden an erheblichen Verfahrensmängeln, die zu ihrer Rechtswidrigkeit führen. Insbesondere hat das Amtsgericht die Vorschriften über die persönliche Anhörung des Betroffenen nicht beachtet. Auf die weitere Beschwerde ist daher die Entscheidung des Landgerichts aufzuheben und die Rechtswidrigkeit der Anordnungen festzustellen.

a) Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2, § 5 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG i. V. m. § 12 FGG hat das Gericht den Betroffenen, gegen den Abschiebungshaft angeordnet werden soll, vor der Anordnung grundsätzlich mündlich zu hören (BayObLGZ 1999, 12/13). Das gilt im Grundsatz auch für die Anordnung einer einstweiligen Abschiebungshaft (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FreihEntzG). Nur bei Gefahr im Verzug kann die vorherige Anhörung ausnahmsweise unterbleiben, ist dann aber unverzüglich nachzuholen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 FreihEntzG; BayObLGZ 1996, 180/181; KG FGPrax 1997, 74/76). Der Pflicht zur Nachholung der Anhörung, kommt besonderes Gewicht zu, da sich das Gericht im Rahmen einer einstweiligen Anordnung gemäß § 11 FreihEntzG, die Eilbedürftigkeit voraussetzt, häufig nur auf die Angaben der Ausländerbehörde stützen wird, wenn eine Anhörung nicht möglich war. Dann gibt erst die nachträgliche Anhörung dem Betroffenen die Gelegenheit, den Sachvortrag der Verwaltungsbehörde, der Grundlage der Anordnung ist, in Frage zu stellen oder zu ergänzen. Sie ist deshalb, abgesehen von der mit ihr verbundenen Gewährung rechtlichen Gehörs, auch ein wichtiges Mittel der Sachaufklärung (§ 12 FGG). Die ohne Anhörung getroffene Haftanordnung steht von vornherein unter dem Vorbehalt, dass die nachträgliche Anhörung keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen erbringt (BayObLGZ 1996, 180/181).

Die in § 5 Abs. 1, § 11 Abs. 2 Satz 2 FreihEntzG vorgesehenen Anhörungspflichten sind Bestandteil der durch Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG geforderten und mit grundrechtlichem Schutz versehenen Verfahrensgarantien (BayObLGZ 1999, 12/13; vgl. auch BVerfG InfAuslR 1996, 198/200; BayObLGZ 1999, 269/274; 2000, 220/223 f.). Ein Verstoß hiergegen drückt der angeordneten Freiheitsentziehung bis zur Durchführung der Anhörung den Makel der rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf (BayObLGZ 2000, 220/224).

b) Das Amtsgericht hat die Haftanordnung erlassen, ohne den Betroffenen vorher angehört zu haben. Der Richter hatte außerdem verfügt, dass die Anordnung dem Betroffenen erst "nach Festnahme" zugestellt werden solle (vgl. aber § 6 Abs. 2 Buchst. a FreihEntzG). Es kann dahinstehen, ob eine solche Verfahrensweise rechtens war, insbesondere ob die von der Verwaltungsbehörde vorgetragenen Umstände ausreichten, um die in § 11 Abs. 2 Satz 2 FreihEntzG vorausgesetzte Gefahr im Verzug zu bejahen. Jedenfalls hätte das Amtsgericht den Betroffenen unter den gegebenen Umständen unverzüglich nach seiner Festnahme anhören müssen. Eine solche Anhörung wäre auch möglich gewesen, da der Betroffene am 25.4.2001 morgens in die Justizvollzugsanstalt am Gerichtsort verbracht worden und dies dem Gericht noch am selben Tag mitgeteilt worden war. Ebenfalls am 25.4.2001 ging bereits die sofortige Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen ein. Statt den Betroffenen anzuhören verfügte der Richter jedoch am 26.4.2001 die Vorlage des Rechtsmittels an das Landgericht. Da der Betroffene, was dem Richter bekannt war, am 27.4.2001abgeschoben werden sollte und auch abgeschoben wurde, musste eine solche Verfahrensweise geradezu zwangsläufig dazu führen, dass eine Anhörung unterblieb und dem Betroffenen die Möglichkeit einer Überprüfung der einstweiligen Anordnung noch vor seiner Abschiebung auf der Grundlage einer weiteren Sachaufklärung durch die Anhörung genommen wurde.

c) Den in dieser Verfahrensweise liegenden Verstoß gegen § 11 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 FreihEntzG und damit auch gegen grundgesetzlich gewährleistete Verfahrensgarantien hat das Landgericht nicht beachtet. Seine Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Da weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind, kann der Senat selbst in der Sache entscheiden. Dies führt aus den dargestellten Gründen zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Anordnung.

d) Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 24.4.2001 nicht als vollständig neue Entscheidung hätte ergehen dürfen (§ 18 Abs. 2 FGG i.V.m. § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 21. § 7 Abs. 1 FreihEntzG; vgl. Jansen FGG 2. Aufl. § 18 Rn. 4; Bassenge/ Herbst FGG 9. Aufl. § 18 Rn. 3). Das Hinzufügen des Aliasnamens des Betroffenen kam nur im Wege der Ergänzung des Erstbeschlusses in Betracht (vgl. BayObLGZ 19E1, 90/91; Jansen 18 Rn. 39).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Abs. 3 FreihEntzG. Eine rechtmäßige Anordnung der Abschiebungshaft liegt, wie ausgeführt, nicht vor.

4. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen ist § 16 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG entsprechend anzuwenden, (vgl. BayObLGZ 1979, 211/213 f.; 1980, 288/291). Danach trägt der Betroffene seine Auslagen selbst. Das Verfahren hat nicht ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Abschiebungshaftantrags nicht vorlag. Die Ausreisefrist für den Betroffenen war nach der seit 22.4.1999 bestandskräftigen Ablehnung des Asylantrags des Betroffenen längst abgelaufen. (§ 42 Abs. 3 AuslG, § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVfG), die Heimreisepapiere für den Betroffenen lagen vor, der Termin 27.4.2001 für seine Abschiebung stand fest. Die Ausländerbehörde durfte daher Abschiebungshaft bis zu zwei Wochen auf der Grundlage des § 57 Abs. 2 Satz 2 AuslG ohne das Vorliegen der Haftgründe des § 57 Abs. 2 Satz 1 AuslG beantragen.



Ende der Entscheidung

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