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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.03.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 253/03
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 68b Abs. 4
1. Ablehnung einer Rechtswidrigkeitsfeststellung für eine Unterbringung zur Vorbereitung eines Gutachtens zur Betreuungsbedürftigkeit.

2. Voraussetzung für eine Unterbringung zur Begutachtung ist ein konkreter Verdacht auf Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen.


Gründe:

I.

Nach vorheriger richterlicher Anhörung ordnete das Amtsgericht am 1.9.2003 die Unterbringung und Beobachtung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses R. zur Vorbereitung eines Gutachtens über die Notwendigkeit einer Betreuung sowie einer Unterbringung einschließlich unterbringungsähnlicher Maßnahmen bis längstens 15.9.2003 und die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses an.

Gegen diesen Beschluss legte die Betroffene am 8.9.2003 Beschwerde ein. Am 10.9.2003 wurde sie aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 16.9.2003 den Beschluss des Amtsgerichts vom 1.9.2003 aufgehoben und formlos der Betroffenen am 18.9.2003 mitgeteilt.

Am 26.9.2003 stellte die Betroffene, vertreten durch ihre Mutter, zu Protokoll des Landgerichts den Antrag, den Beschluss des Landgerichts insoweit zu berichtigen, dass der Beschluss des Amtsgerichts nicht wegen Gegenstandslosigkeit, sondern deswegen aufgehoben werde, weil er nicht rechtmäßig gewesen sei.

Daraufhin hat das Landgericht am 5.11.2003 die Beschwerde der Betroffenen mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit des amtsgerichtlichen Beschlusses zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Betroffene mit ihrer weiteren Beschwerde, mit der sie ihr Ziel weiter verfolgt, die Feststellung der Rechtswidrigkeit des amtsgerichtlichen Beschlusses zu erreichen. Zugleich beantragt sie, ihr für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig, § 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 und Abs. 2 FGG; es handelt sich um eine einfache weitere Beschwerde (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 1559) mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit einer Unterbringungsmaßnahme festzustellen.

a) Der zunächst mit der Beschwerde angegriffene Beschluss des Amtsgerichts vom 1.9.2003 hat sich spätestens durch Zeitablauf am 15.9.2003 in der Hauptsache erledigt. Nach Erledigung ist er am 16.9.2003 zusätzlich durch Beschluss des Landgerichts aufgehoben worden. Die Erledigung führt zum Ende des Verfahrens in der Hauptsache, ohne dass es zu einer Entscheidung des Gerichts über den Verfahrensgegenstand kommt. Ein nach Erledigung eingelegtes Rechtsmittel ist deshalb grundsätzlich unzulässig.

b) Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings entschieden, Art. 19 Abs. 4 GG gebiete den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv zu machen. Deshalb sei das Rechtsschutzinteresse in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe auch dann zu bejahen, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt zwar erledigt hat, eine Sachentscheidung nach dem typischen Verfahrensablauf aber in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu erlangen war (vgl. BVerfG NJW 1998, 2432 ff.). Hierzu gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erledigte richterliche Durchsuchungsanordnungen, beendete richterlich bestätigte Ingewahrsamnahmen sowie im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit kurzer Frist angeordnete und genehmigte Freiheitsentziehungen, bei denen typischerweise vor Beendigung der mit einem erheblichen Grundrechtseingriff verbundenen Maßnahme keine hinreichende Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung besteht (vgl. Keidel/Kahl FGG 15. Aufl. § 19 Rn. 85 und 86). In einem Fall der Abschiebungshaft ist das Bundesverfassungsgericht von dem Zeiterfordernis abgerückt und hat die Gewährung von Rechtsschutz weder vom konkreten Ablauf des Verfahrens noch vom Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon abhängig gemacht, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden könne. Es hat dabei maßgeblich darauf abgestellt, dass dem Recht auf Freiheit der Person unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonders hoher Rang zukomme und der richterlichen Anordnung im Fall der Abschiebungshaft wegen des impliziten Vorwurfs, der Betroffene habe sich gesetzwidrig verhalten, auch diskriminierende Wirkung zukomme (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456). Unter Beachtung dieser Rechtsprechung hat der Senat für die Fälle der Unterbringung die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit zugelassen (vgl. BayObLGZ 2002, 304 ff.; BayObLG BtPrax 2003, 184).

c) Nach diesen Grundsätzen ist das Rechtsmittel der Betroffenen zulässig. Es kann dahinstehen, ob die weitere Beschwerde mit dem Ziel der Rechtswidrigkeitsfeststellung nicht bereits in dem am 26.9.2003 gestellten Antrag auf Berichtigung des landgerichtlichen Beschlusses zu sehen ist. Jedenfalls ist die weitere Beschwerde nach der am 5.11.2003 getroffenen Entscheidung des Landgerichts, in der dieses erstmals auf den zulässigen Antrag der Betroffenen auf Rechtswidrigkeitsfeststellung eingegangen ist, statthaft und formgerecht eingelegt.

2. Die weitere Beschwerde ist aber nicht begründet.

a) Das Landgericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:

Das Vormundschaftsgericht habe zu Recht nach Vorliegen ausreichender Indizien, die auf eine psychische Krankheit hindeuteten, ein Betreuungsverfahren für die Betroffene eingeleitet. Da eine ambulante Untersuchung durch einen Sachverständigen wegen der fehlenden Mitwirkung der Betroffenen nicht möglich gewesen sei, sei zur Abklärung der Diagnose und der Betreuungs- und Unterbringungsbedürftigkeit der Betroffenen eine Beobachtung und Untersuchung auf einer geschlossenen Station erforderlich gewesen. Die Betroffene habe im Rahmen der richterlichen Anhörung keinerlei Krankheitseinsicht gezeigt, sondern deutliche psychische Auffälligkeiten und paranoide Gedankengänge offenbart. Der Beschluss des Amtsgerichts sei rechtmäßig ergangen.

b) Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand, § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO. Die Unterbringung zur Vorbereitung eines Gutachtens ist durch das Amtsgericht rechtmäßig angeordnet worden, § 68b Abs. 4 FGG.

(1) Das Vormundschaftsgericht darf nur dann für einen Betroffenen einen Betreuer bestellen, wenn dieser aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen, seelischen oder körperlichen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht zu besorgen vermag (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Betroffenen und gegen seinen Willen, setzt weiter voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. BayObLG FamRZ 2000, 189; 2002, 1145). Ein Betreuer darf erst bestellt werden, nachdem das Gutachten eines Sachverständigen über die Notwendigkeit einer Betreuung eingeholt worden ist (§ 68b Abs. 1 FGG). Das Gericht kann anordnen, dass der Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige Behörde zu einer Untersuchung vorgeführt wird (§ 68b Abs. 3 Satz 1 FGG). Nach Anhörung eines Sachverständigen und des Betroffenen kann das Gericht anordnen, dass der Betroffene auf bestimmte Dauer untergebracht und beobachtet wird, soweit dies zur Vorbereitung des Gutachtens erforderlich ist (§ 68b Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 FGG). Der Anordnung sind enge Grenzen gesetzt. Voraussetzung ist eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung (BayObLG FamRZ 2001, 1559/1560; Keidel/Kayser § 68b Rn. 16). Zunächst sind alle anderen ärztlichen Maßnahmen, insbesondere eine Vorführung zur Untersuchung oder zu einem Erörterungstermin zu versuchen (Keidel/Kayser aaO; Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. § 68b FGG Rn. 15). In Anbetracht der Schwere des Grundrechtseingriffs ist weitere Voraussetzung für eine derartige Unterbringung ein konkreter Verdacht auf Betreuungsbedürftigkeit. Es müssen also tatsächliche Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht auf eine Betreuungsbedürftigkeit hindeuten; bloße Vermutungen reichen nicht aus. Nicht entscheidend ist hingegen, ob es später aufgrund des während der Unterbringung erstellten Gutachtens tatsächlich zu einer Betreuerbestellung für den Betroffenen kommt. Der Richter kann bei der Anordnung einer Unterbringung zur Vorbereitung eines Gutachtens nur eine fundierte Prognose abgeben, dass die ihm bekannten Tatsachen wahrscheinlich eine Betreuerbestellung erforderlich machen werden. Auch wenn sich dann in der Zukunft diese Prognose als unzutreffend erweisen sollte, ist für die Rechtswidrigkeit der Maßnahme ausschlaggebend nur der Zeitpunkt der Unterbringungsanordnung selbst (vgl. Senatsbeschluss vom 17.12.2003, Az. 3Z BR 202/03, für den Fall einer Betreuerbestellung; BGH RPfleger 2003, 499 für den Bereich der Amtshaftung).

(2) Diese Grundsätze hat das Amtsgericht beachtet. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts ergibt, lagen bereits im August 2001 Hinweise auf Verwirrtheitszustände und eine besorgniserregende Abmagerung der Betroffenen vor. Der nach Einleitung eines Betreuungsverfahrens beauftragte Gutachter kam in einem Kurzgutachten zu der Arbeitsdiagnose einer psychischen Krankheit; er hielt eine Betreuung und eine Unterbringung der Betroffenen für angezeigt. Ein dringender Verdacht auf eine psychiatrische Erkrankung wurde gleichfalls durch die sachverständige Ärztin des Bezirkskrankenhauses bejaht, welche die Betroffene nach ihrer Vorführung am 1.9.2003 angehört hatte. Aus dem richterlichen Anhörungsvermerk vom 1.9.2003 ergeben sich weitere konkrete Hinweise auf psychische Störungen der Betroffenen. Anlass für die Einleitung eines Betreuungsverfahrens und die Überprüfung der Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen sind damit zu Recht bejaht worden. Daran ändern auch die von der Betroffenen in ihrer Beschwerdebegründung angestellten anders lautenden Vermutungen zum Zweck der Einleitung eines Betreuungsverfahrens und die von ihr bisher vorgelegten privatärztlichen Atteste nichts. Diese verneinen zwar - soweit sie sich mit dieser Thematik befassen - eine psychische Erkrankung der Betroffenen, enthalten aber kaum eine Begründung für die gestellte Diagnose.

(3) Das Amtsgericht durfte aufgrund des konkreten Verdachtes auch die Unterbringung der Betroffenen zur Vorbereitung eines Gutachtens zur Frage der Betreuungsbedürftigkeit anordnen. Die Betroffene hat sich über zwei Jahre lang allen Bemühungen entzogen, sie freiwillig zu einer Untersuchung zu bewegen. Bereits das erste Kurzgutachten endet nur deshalb mit einer Arbeitsdiagnose, weil der Gutachter wegen der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Betroffenen diese nicht untersuchen konnte. Dem anschließend im Januar 2002 beauftragten Sachverständigen gelang es bis August 2003 gleichfalls nicht, die Betroffene zu einer Untersuchung zu bewegen, obwohl er die damaligen Verfahrensbevollmächtigten eingeschaltet hatte. Erst dann ordnete das Amtsgericht am 25.8.2003 die Vorführung der Betroffenen zur Untersuchung an. Die Betroffene versuchte, sich auch dieser Vorführung dadurch zu entziehen, dass sie sich im Wohnhaus versteckte und bei Auffindung als Besucherin ausgab. Eine eingehende ambulante Untersuchung durch den beauftragten Gutachter war nach Vorführung wiederum wegen der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen nicht möglich. Soweit die Betroffene nun im Rechtsbeschwerdeverfahren vorträgt, es sei mit dem Gutachter vereinbart worden, dass eine Untersuchung in Anwesenheit des damaligen Verfahrensbevollmächtigten stattfinden solle, ist dieser Vortrag durch die Feststellungen des Landgerichts widerlegt. Hiernach ergibt sich, dass vor der Vorführungsanordnung der Gutachter dem Amtsgericht mitgeteilt hatte, auch dieser Versuch sei ergebnislos verlaufen. Unter diesen Umständen ist die Auffassung des Amtsgerichts, eine Gutachtenerstellung sei ohne Unterbringung der Betroffenen nicht möglich, nicht zu beanstanden.

(4) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. Die Unterbringung zur Vorbereitung der Begutachtung ist als letztes Mittel herangezogen worden, nachdem alle anderen Versuche, zu einer Begutachtung zu gelangen, fehlgeschlagen waren und eine ambulante Begutachtung im Bezirkskrankenhaus von der Betroffenen verweigert wurde. Der Zeitraum wurde auf vierzehn Tage begrenzt und die Pflicht zur Entlassung der Betroffenen zu einem früheren Zeitpunkt, falls die Unterbringung zur Erstellung des Gutachtens nicht mehr erforderlich sein sollte, ausdrücklich im gerichtlichen Beschluss ausgesprochen.

3. Da die weitere Beschwerde von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg hatte, war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.



Ende der Entscheidung

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