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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.12.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 268/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1835 Abs. 3
Ein Rechtsanwalt kann eine Betreuertätigkeit nach anwaltlichem Gebührenrecht abrechnen, wenn die ausgeübte Tätigkeit eine spezifische anwaltliche Tätigkeit ist.
Gründe:

I.

Zum Berufsbetreuer der mittellosen Betroffenen ist ein Rechtsanwalt bestellt.

Für seine Tätigkeit im Rahmen der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs der Betroffenen gegen ihren Vater stellte er eine Geschäftsgebühr, eine Besprechungsgebühr und eine Vergleichsgebühr sowie Post- und Telekommunikationsentgelte in Rechnung und beantragte, diese Aufwendungen in Höhe von 2035,10 DM zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer gegen die Staatskasse festzusetzen.

Mit Beschluss vom 19.6.2001 lehnte das Amtsgericht den Antrag ab, da die betreffende Tätigkeit nicht über die Gebührenordnung für Rechtsanwälte abgerechnet, sondern nur nach dem für Berufsbetreuer geltenden Vergütungsrecht abgegolten werden könne.

Die sofortige Beschwerde des Betreuers, mit der dieser seinen Antrag, ausgenommen die in Ansatz gebrachte Vergleichsgebühr, weiter verfolgte, hat das Landgericht am 1.8.2001 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betreuer mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige, insbesondere vom Landgericht zugelassene Rechtsmittel (§ 69e Satz 1, § 56g Abs. 5 Satz 2 FGG), bleibt ohne Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung, teils durch Bezugnahme auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors, wie folgt begründet:

Der Betreuer könne seine Tätigkeit in der Unterhaltsfrage nicht nach der BRAGO abrechnen. Er erhalte aufgrund seiner Qualifikation einen Stundensatz von 60 DM, weil gesetzlich vermutet werde, dass seine Kenntnisse als Anwalt für die Betreuung nutzbar seien. Die Vorschrift des § 1835 Abs. 3 BGB, wonach ein Betreuer Dienste, die zu seinem Beruf gehören, als Aufwendungen geltend machen könne, sei wegen ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen. Der Betreuer weise zwar zu Recht darauf hin, dass Unterhaltsverhandlungen eine typisch anwaltliche Tätigkeit seien. Im konkreten Fall hätten sich die Unterhaltsverhandlungen und deren Ergebnis jedoch auf ein Stadium beschränkt, in dem ein qualifizierter Berufsbetreuer, der nicht Rechtsanwalt sei, vernünftigerweise noch keinen Rechtsanwalt zu Rate gezogen hätte. Grundsätzlich versuche jedermann, ob juristisch vorgebildet oder nicht, zunächst in eigenen Verhandlungen mit seinem Kontrahenten seine Ziele bzw. zumindest einen Kompromiss zu erreichen. Hier habe der Vater der Betroffenen sich lediglich mündlich bereit erklärt, weiterhin Unterhalt zu leisten, und zwar in Höhe von monatlich 900 DM. Die Verhandlungen hätten weder zu einer konkreten schriftlichen Vereinbarung geführt, noch sei ein Rechtsstreit erforderlich gewesen.

2. Diese Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO).

a) Ist als Berufsbetreuer ein Rechtsanwalt bestellt, kann dieser für die zur Betreuung aufgewandte und erforderliche Zeit gemäß § 1908i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1836 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB Vergütung und für seine Aufwendungen nach dem für den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 669, 670 BGB Ersatz verlangen (§ 1835 Abs. 1 Satz 1 BGB). Bei Mittellosigkeit des Betreuten kann er diese Ansprüche gegen die Staatskasse geltend machen (§ 1836a BGB i.V.m. § 1 BVormVG; § 1835 Abs. 4 Satz 1 BGB).

b) Soweit § 1835 Abs. 3 BGB bestimmt, dass als Aufwendungen auch solche Dienste des Betreuers gelten, die zu seinem Gewerbe oder Beruf gehören, schließt § 1 Abs. 2 Satz 1 BRAGO eine Liquidierung der von einem Rechtsanwalt geleisteten Betreuertätigkeit auf der Grundlage der BRAGO zwar grundsätzlich aus (vgl. BGHZ 139, 309/311; HK-BUR/Bauer/Deinert § 1835 BGB Rn.54; Knittel BtG § 1835 BGB Rn.25). § 1 Abs. 2 Satz 2 BRAGO eröffnet Rechtsanwälten jedoch die Möglichkeit, die Wahrnehmung bestimmter Einzelaufgaben der Betreuung über § 1835 Abs. 3 BGB ausnahmsweise nach anwaltlichem Gebührenrecht abzurechnen (vgl. BT-Drucks.13/7158 S.41; BVerfG FamRZ 2000, 345/347; BtPrax 2000, 120/122; BGHZ 139, 309/311, 312). Dabei kann es sich sowohl um eine gerichtliche wie um eine außergerichtliche Tätigkeit handeln (BGH aaO).

c) Die Frage, welche Tätigkeit eines zum Betreuer bestellten Rechtsanwalts im Sinne des § 1835 Abs. 3 BGB ein zu seinem Beruf gehörender Dienst ist, wirft, insbesondere im Bereich der außergerichtlichen Tätigkeiten, schwierige Abgrenzungsprobleme auf (vgl. Gerold/Schmidt/Madert BRAGO 14.Aufl. § 1 Rn.22; Gregersen/Deinert Die Vergütung des Betreuers 2.Aufl. Kap. 4.7).

aa) Betreuung ist schon ihrer Natur nach mit zahlreichen Rechtshandlungen verbunden. Aufgabe des Betreuers ist die rechtliche Besorgung von Angelegenheiten des Betreuten (§ 1901 Abs. 1 BGB), insbesondere dessen gerichtliche und außergerichtliche Vertretung (§ 1902 BGB). Hierzu bedarf es gewisser Rechtskenntnisse, die je nach den Lebensumständen des Betroffenen von dem einfachen üblicherweise jeder in geschäftlichen Angelegenheiten einigermaßen bewanderten Person geläufigen Grundwissen über das einer mit geschäftlichen und sozialen Angelegenheiten vertrauten, insbesondere auch in Betreuungssachen geschulten und erfahrenen Person eigene besondere Wissen bis zu speziellen Kenntnissen in rechtlichen Sondergebieten wie dem Unternehmens- oder Steuerrecht reichen können. Als Betreuer ist eine Person nur dann geeignet, wenn sie aufgrund ihrer Qualifikation den auch in rechtlicher Hinsicht im Rahmen der konkreten Betreuung zu erwartenden Anforderungen entspricht (§ 1897 Abs. 1 BGB), also entweder selbst über die entsprechenden Kenntnisse verfügt oder doch, soweit die Kenntnisse nur in einzelnen Bereichen der Betreuungstätigkeit von Bedeutung sind, in der Lage ist, Fachleute mit derartigen Kenntnissen zu beschaffen und deren Tätigkeit sachgerecht zu überwachen. Das Gesetz trägt diesen unterschiedlichen Anforderungen an den (Berufs)Betreuer dadurch Rechnung, dass ihm im Rahmen der Vergütung je nach seiner beruflichen Qualifikation verschieden hohe Stundensätze zuerkannt werden. Einen Rechtsanwalt wird das Vormundschaftsgericht insbesondere dann zum Betreuer bestellen, wenn die sachgerechte Führung der Betreuung das allgemeine berufliche Wissen bzw. die allgemeinen beruflichen Fähigkeiten eines Rechtsanwalts erfordert.

bb) Aufgrund seiner Qualifikation steht einem Rechtsanwalt für jede Stunde der für die Betreuung eines mittellosen Betreuten aufgewandten und erforderlichen Zeit gemäß der für die Vergütung von Berufsbetreuern geltenden gesetzlichen Regelung der Höchstbetrag von 60 DM zu (§ 1836a BGB, § 1 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr.2 BVormVG), der auch bei nicht mittellosen Betreuten nur ausnahmsweise überschritten werden darf (vgl. BGHZ 145, 104).

cc) Bei Berücksichtigung des Wesens der Betreuung als Rechtsfürsorge, des Umstands, dass die Vergütungsregelung für Berufsbetreuer an deren Qualifikation anknüpft, sowie des Charakters des § 1835 Abs. 3 BGB als Ausnahme zur üblichen Vergütung einer Betreuung kann der Rechtsanwalt für eine von ihm im Rahmen der Betreuung ausgeführte Tätigkeit nur dann ein Honorar nach den Grundsätzen der BRAGO verlangen, wenn die Bewältigung der mit der abzurechnenden Tätigkeit verbundenen Aufgabe besondere rechtliche Fähigkeiten erfordert und deshalb eine originär anwaltliche Dienstleistung dargestellt hat (vgl. BVerfG FamRZ 2000, 345/348; BGHZ 139, 309/311, 312). Es muss sich um eine Aufgabe handeln, für die ein anderer Betreuer in vergleichbarer Lage vernünftigerweise einen Rechtsanwalt herangezogen hätte, weil sie eine für den Beruf des Rechtsanwalts spezifische Tätigkeit darstellt (vgl. BVerfG FamRZ 2000, 1280/1282; 2000, 1284/1285; OVG Hamburg NJW-RR 1999, 518). Dabei kann als Maßstab nicht der Kenntnis- und Erfahrungsstand eines - auch geschäftsgewandten - Laien dienen. Vielmehr ist zu beachten, dass die Zuerkennung der höchsten Vergütungsstufe, die jeder Anwalt ohnehin verlangen kann, in rechtlichen Fragen bereits allgemein eine erhebliche Qualifikation voraussetzt, die nicht nochmals gesondert honoriert werden soll. Es kommt daher darauf an, ob gerade auch ein Betreuer, der die Qualifikation der höchsten Vergütungsstufe aufweist, zur Erfüllung der Aufgabe den Umständen nach die Beiziehung eines Rechtsanwalts für erforderlich hätte halten dürfen. Dies entspricht dem Maßstab des § 670 BGB, der auch für Aufwendungsersatz des Betreuers gemäß § 1835 BGB den Rahmen absteckt.

Diese Voraussetzung wird in der Regel dann gegeben sein, wenn es um Leistungen geht, die dem Kernbereich anwaltlicher Tätigkeit zuzuordnen sind. Als derart anwaltsspezifischer Dienst stellt sich die Besorgung einer Angelegenheit vor allem dar, wenn wegen deren Bedeutung und/oder Schwierigkeit notwendiger- oder zumindest üblicherweise professioneller Rechtsrat erholt worden wäre (vgl. BVerfG FamRZ 2000, 1280/1282) und ein Betreuer ohne Ausbildung zum Volljuristen deshalb berechtigterweise einen Rechtsanwalt beigezogen hätte (vgl. BT-Drucks.13/7158 S.41; BVerfG FamRZ 2000, 1284/1285; BGHZ 139, 309/312; OLG Frankfurt a.Main FGPrax 2001, 195; Bühler BWNotZ 1999, 25/31).

(1) Ureigenste Aufgabe eines Rechtsanwalts ist es, Ansprüche gerichtlich durchzusetzen oder gerichtlich geltend gemachte Ansprüche abzuwehren, und zwar auch dann, wenn kein Anwaltszwang besteht (vgl. BVerfG FamRZ 2000, 1284/1285; Küsgens BtPrax 2000, 242/244; Seitz BtPrax 1992, 82/86).

(2) Im Rahmen außergerichtlicher Geschäfte zählt zum Kernbereich anwaltlicher Tätigkeit die Besorgung von Angelegenheiten, die besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweisen, etwa weil sie eine intensive Befassung mit rechtlich schwierigeren Fragen erfordern, oder die Maßnahmen verlangen, die auch in diesem Bereich üblicherweise den rechtsberatenden Berufen vorbehalten sind. Dies kann etwa für die Gestaltung eines komplizierteren Vertragswerkes gelten (vgl. HK-BUR/Bauer/Deinert § 1835 BGB Rn.51), für die Vertretung des Betroffenen in einer nicht nur geringfügigen streitigen Angelegenheit, in der der Gegner sich von einem Rechtsanwalt unterstützen lässt, oder für Verhandlungen mit Behörden, die nicht alltägliche Rechtsfragen zum Gegenstand haben (vgl. Gerold/Schmidt/Madert § 1 Rn. 22).

(3) Die Grenzziehung nach diesen Grundsätzen bietet dem Rechtsanwalt Raum für eine angemessene Ergänzung seiner Einkünfte aus der Betreuung (vgl. hierzu BVerfG FamRZ 2000, 345/347; BtPrax 2000, 120/122), ohne den Betroffenen bzw. die Staatskasse unzumutbar zu belasten. Sie entspricht dem Ziel, qualifizierte Betreuer zu gewinnen, das sich nur bei einer angemessenen Bezahlung der Leistungen des Betreuers erreichen lässt (vgl. Winterstein BtPrax 1993, 44/45).

d) Soweit eine Tätigkeit im Rahmen der Betreuung die Voraussetzungen des § 1835 Abs. 3 BGB erfüllt, hat der Rechtsanwalt die Wahl, ob er dafür Vergütung verlangt, also nach Zeitaufwand und (gegebenenfalls erhöhtem) Stundensatz abrechnet, oder ein Honorar nach der BRAGO geltend macht (vgl. BayObLG BtPrax 1999, 29; OLG Frankfurt a.Main FGPrax 2001, 195; HK-BUR/Bauer/Deinert § 1835 BGB Rn.52; Knittel § 1835 BGB Rn.26). Für seine Tätigkeit im übrigen gelten die allgemeinen Regeln zur Betreuervergütung.

e) Ob eine konkrete Tätigkeit des zum Betreuer bestellten Rechtsanwalts sich im Sinne des § 1835 Abs. 3 BGB als Dienst darstellt, der "zu seinem Beruf gehört", ist aufgrund einer Wertung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen. Diese Beurteilung obliegt dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann sie nur auf Rechtsfehler überprüfen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG), d.h. dahin, ob der Tatrichter von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, ob er den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt, die Feststellungen nicht verfahrensfehlerfrei getroffen, maßgebliche Umstände nicht berücksichtigt oder in ihrer Bedeutung verkannt oder in seine Erwägungen sachfremde Umstände einbezogen hat, oder ob seine Wertung auf der Grundlage der konkreten Umstände des Einzelfalls sich nicht im Rahmen des ihm zuzubilligenden Beurteilungsermessens hält (vgl. BayObLGZ 1997, 113/118 ff.).

f) Die hier in Frage stehende Beschwerdeentscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat § 1835 Abs. 3 BGB zutreffend ausgelegt, insbesondere den Ausnahmecharakter der Bestimmung beachtet, und ohne Rechtsfehler darauf abgestellt, ob ein anderer qualifizierter Berufsbetreuer unter den konkreten Umständen einen Rechtsanwalt beigezogen hätte. Die Verneinung dieser Frage begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Beschwerdeentscheidung lässt erkennen, dass die Kammer sich der Bedeutung der Regelung des Unterhalts für die Betroffene bewusst war. In der Würdigung, dass ein geschäftserfahrener Betreuer ohne rechtswissenschaftliche Ausbildung die Unterhaltsverhandlungen mit dem Vater der Betroffenen bis zu dem hier erzielten Ergebnis ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts hätte führen können und geführt hätte, sieht der Senat keine fehlerhafte Ausübung des Beurteilungsermessens.

Ende der Entscheidung

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