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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.04.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 269/03
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 13a Abs. 1
FGG § 13a Abs. 2
Erledigt sich die Hauptsache einer mit Selbsttötungsgefahr begründeten öffentlich-rechtlichen Unterbringung durch Entlassung des Betroffenen, kann grundsätzlich die Erstattung seiner notwendigen Auslagen durch die zuständige Verwaltungsbehörde als Beteiligter aus Billigkeitsgründen angeordnet werden. Hat der Betroffene wiederholt Suizidankündigungen von Gewicht geäußert, wird die hierfür erforderliche Feststellung, ein begründeter Anlass zur Stellung eines Unterbringungsantrags habe nicht vorgelegen, im Regelfall ausscheiden. Das gilt auch dann, wenn im Verfahren ungeklärt blieb, ob der Betroffene die Äußerungen letztlich ernst gemeint hatte.
Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 31.3.2003 ordnete die zuständige Behörde die sofortige vorläufige Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung der D.-Klinik an, weil die Betroffene nach Angaben ihres Ehemannes ihre acht Kinder "öfters mit Suiziddrohungen konfrontiert" und in der vorangegangenen Nacht "innerhalb der Familie erneut im Rahmen eines eskalierenden Familienstreits massive Suizidankündigungen ausgesprochen" habe.

In einer richterlichen Anhörung am 24.3.2003 erklärte der behandelnde Arzt als Sachverständiger, die Suizidgefahr bei der Betroffenen sei nicht sicher zu verifizieren. Ihr Verhalten sei aber nicht berechenbar. Sie habe eine Impulskontrollstörung, eine wie auch immer geartete Affekthandlung sei nicht auszuschließen. Eine Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz könne nicht sicher beurteilt werden. Befürwortet würde aber eine Unterbringung nach Betreuungsrecht, "insbesondere § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB". Die Betroffene sei in jedem Fall untersuchungs- und behandlungsbedürftig. Krankheitseinsicht sei nicht vorhanden.

Der Richter eröffnete der Betroffenen daraufhin, dass voraussichtlich "die Unterbringung angeordnet" werde, vermutlich aber nicht wegen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sondern "wegen Untersuchungs- und Behandlungsbedürftigkeit". Zugleich legte er der Betroffenen nahe, zu ihrem eigenen Wohl freiwillig zur weiteren Krankheitsabklärung in der Klinik zu bleiben. Die Betroffene erklärte daraufhin ihre Bereitschaft zu einem weiteren Klinikaufenthalt einschließlich der notwendigen Untersuchungen.

Mit Beschluss vom 27.3.2003 stellte das Vormundschaftsgericht mit entsprechender Begründung das Unterbringungsverfahren ein.

Nachdem die Betroffene offenbar ihre Freiwilligkeitserklärung widerrufen hatte, wurde sie am 11.4.2003 erneut in Anwesenheit des behandelnden Oberarztes sowie eines Psychologen angehört. Am selben Tag ordnete das Vormundschaftsgericht die vorläufige öffentlich-rechtliche Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis höchstens 22.5.2003 und die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses an. Zur Begründung wurde eine schwere Persönlichkeitsstörung der Betroffenen mit gestörter Impulskontrolle und Unberechenbarkeit angeführt. Affekthandlungen seien nicht auszuschließen. Es bestehe die "nicht unerhebliche Gefahr suizidaler Handlungen".

Auf die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde übertrug die zuständige Kammer das Beschwerdeverfahren einem Mitglied als Einzelrichter zur Entscheidung.

Dieser hörte am 24.4.2003 in Anwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen zunächst den behandelnden Oberarzt sowie anschließend die Betroffene an. Am 28.4.2003 wurde die sofortige Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 11.4.2003 zurückgewiesen.

Auf die hiergegen eingelegte sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen hat der Senat mit Beschluss vom 15.5.2003 - 3Z BR 104/03 den Beschluss des Landgerichts vom 28.4.2003 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

In einem Telefongespräch vom 21.5.2003 mit einem Richter der Beschwerdekammer erklärte die Betroffene, sie werde jedenfalls bis zum nächsten Tag freiwillig in der Klinik bleiben, weil sie noch einen Termin beim Arzt habe. Anschließend sei eine ambulante Behandlung geplant. In einer ebenfalls am 21.5.2003 verfassten Stellungnahme teilte das Ordnungsamt der Stadt mit, dass nach einer Mitteilung des Gesundheitsamts Maßnahmen nach dem Unterbringungsgesetz nicht mehr für erforderlich gehalten würden.

Nach der Entlassung der Betroffenen beantragte diese mit Schriftsatz vom 27.5.2003, "die Kosten für das gegenständliche Verfahren der Staatskasse aufzuerlegen". Durch ihre Entlassung habe sich die Hauptsache des Beschwerdeverfahrens erledigt. Zu diesem Zeitpunkt seien der angefochtene Beschluss des Landgerichts "und damit der ursprüngliche Ausgangsbeschluss" nicht gerechtfertigt gewesen.

Mit Beschluss vom 24.11.2003 hat das Landgericht die "Unterbringungs- und Heilbehandlungskosten" der Betroffenen, soweit nicht ein Träger der Sozialversicherung leistungsverpflichtet ist und die Betroffene auch von keiner privaten Krankenversicherung Ersatz verlangen kann, dem Freistaat Bayern auferlegt. Im Übrigen hat es "die sofortige Beschwerde der Betroffenen in Form der Anträge vom 27.5.2003 zurückgewiesen".

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen, mit der diese weiterhin die Auferlegung der "Verfahrenskosten" auf die Staatskasse anstrebt.

II.

Das auf die Entscheidung über die Verfahrenskosten beschränkte Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.

Es bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Eine Anordnung der Erstattung von Auslagen für die Rechtsvertretung der Betroffenen im Verfahren ist nicht veranlasst.

1. Das Landgericht hat in seinen Beschlussgründen ausgeführt:

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen der Betroffenen richte sich hier nach § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG. Obwohl § 13a Abs. 2 Satz 3 FGG und Art. 25 Abs. 2 UnterbrG nicht unmittelbar Anwendung fänden, sei es sachgerecht, deren Grundsätze auch für die Entscheidung über die Kosten nach Erledigung der Hauptsache heranzuziehen. Es gebe keinen Grund, im Falle der Erledigung andere Voraussetzungen für eine Kostenerstattung aufzustellen als ohne den Eintritt der Erledigung. Weitere Ermittlungen seitens des Gerichts nach Erledigung der Hauptsache schieden aus.

Für die Frage, ob es der Billigkeit entspreche, der zuständigen Behörde die zur notwendigen Rechtsverteidigung des Betroffenen entstandenen Auslagen aufzuerlegen, genüge es daher nicht, wenn die Betroffene möglicherweise im Beschwerdeverfahren obsiegt hätte. Zusätzlich sei erforderlich, dass kein begründeter Anlass bestanden habe, die Unterbringung zu veranlassen. Zumindest bedürfe es einer über den Umstand des voraussichtlichen Obsiegens hinausgehenden weiteren Rechtfertigung für die Auferlegung der Kosten.

Unerheblich sei zwar, dass die zuständige Behörde hier wohl zunächst nicht an dem neuen Unterbringungsverfahren beteiligt gewesen sei. Allerdings lägen die Voraussetzungen einer Erstattung nicht vor, da begründeter Anlass zur Stellung eines derartigen Antrages bestanden habe.

Die Betroffene habe in der Vergangenheit und auch noch während der Unterbringung gegenüber einem Sozialarbeiter Suizidabsichten geäußert. An der Tatsache der Äußerungen bestünden keine Zweifel. Zwar seien die Tatsachen, die der Sachverständige seiner Würdigung zugrunde gelegt habe, in ihrem Gehalt unklar und ihre Aussagekraft für die Ernsthaftigkeit der Drohung sogar noch nach der Anhörung durch das Beschwerdegericht ungewiss gewesen. Jedoch sei die Frage der Unterbringung am 10.4.2004 aufgrund des Entlassungswunsches der Betroffenen unmittelbar akut geworden, so dass eine Entscheidung über die Unterbringung durch das Vormundschaftsgericht sofort habe getroffen werden müssen. Weitere Ermittlungen durch den Erstrichter oder die Kreisverwaltungsbehörde seien nicht rechtzeitig möglich gewesen.

Da die psychisch kranke Betroffene durch ihre Äußerungen, auch wenn sie letztlich nicht ernst gemeint gewesen sein sollten, selbst den Handlungsbedarf provoziert habe, könne nicht angenommen werden, dass die vorläufige Unterbringung ohne begründeten Anlass angeordnet worden sei. Eine Anordnung der Kostenerstattung durch die zuständige Behörde als Beteiligte bzw. deren Träger entspreche nicht der Billigkeit. Insofern scheide auch eine Anordnung der Kostenerstattung für durch grobes Verschulden veranlasste Kosten gem. § 13a Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. FGG aus.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Nach Erledigung der Hauptsache im Verfahren der weiteren Beschwerde ist eine Entscheidung über den erledigten Verfahrensgegenstand nicht mehr zulässig. Beschränkt der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel auf die Kosten, hat das Gericht nur noch über die Kosten des gesamten Verfahrens zu befinden (vgl. BayObLG FamRZ 2003, 783; Keidel/Zimmermann FGG 15. Aufl. § 13a Rn. 47 m.w.N.). In Unterbringungssachen scheidet im Regelfall eine Entscheidung über Gerichtskosten aus, weil diese, abgesehen von den Kosten eines Verfahrenspflegers unter bestimmten, hier nicht gegebenen Voraussetzungen, gemäß § 128b KostO nicht erhoben werden. Insoweit kommt allenfalls eine Auslagenentscheidung nach den Vorschriften in § 13a Abs. 1 oder 2 FGG in Betracht.

b) Da es sich hier um eine öffentlich-rechtliche Unterbringungsmaßnahme nach § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 FGG handelt, kommt eine Entscheidung über die Erstattung von Auslagen des Betroffenen zunächst auf der Grundlage des § 13a Abs. 2 Satz 3 FGG in Frage. Danach hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen der Körperschaft aufzuerlegen, welcher die Behörde angehört, die den Antrag auf eine Unterbringungsmaßnahme gestellt hat, wenn der Antrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde. Hinzukommen muss, dass für die zuständige Verwaltungsbehörde ein begründeter Anlass zur Stellung des Unterbringungsantrags nicht vorgelegen hat.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier nicht erfüllt, da ein Unterbringungsantrag der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde weder abgelehnt noch zurückgenommen wurde. Andere Arten der Verfahrensbeendigung, die für die zivilrechtliche Unterbringung in § 13a Abs. 2 Satz 1 FGG genannt werden (Aufhebung, Einschränkung, sonstiges Verfahrensende), sind in Abs. 2 Satz 3 nicht geregelt. Für sie muss auf § 13a Abs. 1 FGG zurückgegriffen werden (vgl. Keidel/Zimmermann Rn. 51l).

c) Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG kann das Gericht anordnen, dass die Kosten, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, ganz oder teilweise zu erstatten sind, wenn dies der Billigkeit entspricht. Diese Vorschrift ist auf die Kostenerstattung in öffentlich-rechtlichen Unterbringungsverfahren auch dann anwendbar, wenn die besonderen Verfahrensbeendigungsgründe gem. § 13a Abs. 2 Satz 3 FGG nicht gegeben sind (vgl. BayObLGZ 1993, 381; BayObLG Beschluss vom 29.4.2003 Gz. 3Z BR 68/03 = FamRZ 2003, 1777). Die zuständige Behörde ist selbst dann als Beteiligte anzusehen, wenn sie selbst keinen Antrag auf Unterbringung gestellt hat (BayObLG aaO).

Hier ist im Rahmen der Abwägung aller für eine Billigkeitsentscheidung heranzuziehenden Gesichtspunkte Folgendes zu berücksichtigen:

Der Senat hatte mit Beschluss vom 15.5.2003 die Feststellungen des Landgerichts zum Vorliegen einer psychischen Krankheit für ausreichend gehalten, nicht jedoch die Tatsachengrundlagen für die Annahme des Landgerichts, dass auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung gegeben sei. Er hatte deshalb die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben, weil es insoweit den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hatte und auch die übrigen bekannten Umstände für die Bejahung einer konkreten Gefahr der Selbstschädigung nicht ausreichten.

Zu weiteren Ermittlungen in dieser Richtung kam es nicht mehr, weil sich inzwischen durch die Erklärung der Betroffenen, sie verbleibe am letzten Tag der angeordneten Unterbringungsmaßnahme freiwillig in der Einrichtung, spätestens aber durch ihre Entlassung am darauf folgenden Tag, die Hauptsache des Verfahrens erledigt hatte.

Im Rahmen einer Entscheidung über die Auslagen des Verfahrens ist es nicht erforderlich, Beweiserhebungen nachzuholen, welche für eine Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung selbst unerlässlich gewesen wären. Denn nach einer Erledigung der Hauptsache und bei einer hierwegen beantragten Kostenentscheidung kann das erkennende Gericht davon absehen, einen rechtlich oder tatsächlich schwierig gelagerten Fall hinsichtlich aller für dessen Ausgang bedeutsamen Fragen näher zu würdigen (vgl. Keidel/Zimmermann § 13a Rn. 44 mit umfangr. Rechtsprechungsnachweisen). Das gilt auch für die Erledigung der Hauptsache in Unterbringungsverfahren (BayObLGZ 1990, 350/352; einschränkend aber Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3. Aufl. § 13a Rn. 48 zur Frage des "begründeten Anlasses" in Abs. 2 Satz 3 der Vorschrift).

Es kann nach dem zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses gegebenen Sachstand zwar als durchaus möglich, nicht aber als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden, dass die Unterbringungsmaßnahme wegen einer fehlenden Selbstgefährdung der Betroffenen hätte beendet werden müssen. Als weitere Voraussetzung für eine Kostenerstattung aus Billigkeitsgründen in einem derartigen Fall muss - worauf das Landgericht zutreffend hinweist - regelmäßig hinzukommen, dass nach dem Ergebnis des Verfahrens ein begründeter Anlass zur Stellung eines Unterbringungsantrages nicht vorgelegen habe. Das wird zwar ausdrücklich nur für die Entscheidung nach § 13a Abs. 2 Satz 3 FGG vorgeschrieben, bei der unter den gesetzlich genannten Voraussetzungen zwingend die dort geregelte Kostenentscheidung zu treffen ist. Jedoch wird es im Allgemeinen nicht der Billigkeit entsprechen, eine Kreisverwaltungsbehörde als Beteiligte mit Kosten zu belasten, wenn nach dem Ergebnis des Verfahrens nicht das Fehlen eines begründeten Anlasses zur Antragstellung festgestellt werden kann. Hat der Betroffene wiederholt Suizidankündigungen von einigem Gewicht geäußert, kann im Regelfall ein solcher begründeter Anlass nicht verneint werden. Das gilt auch dann, wenn - wie hier - im Verfahren ungeklärt blieb, ob der Betroffene die Äußerungen letztlich ernst gemeint hatte.

Unstrittig steht fest, dass die Betroffene wiederholt Selbsttötungsabsichten geäußert hatte. Diese waren auch keinesfalls von vornherein als nicht ernst gemeint erkennbar. Die Betroffene hat es sich daher selbst zuzuschreiben, wenn in Reaktion hierauf das zuständige Gericht zum Schutz der Betroffenen vor sich selbst eine öffentlich-rechtliche Unterbringungsmaßnahme angeordnet hat, auch wenn sie in der Folgezeit die Ernsthaftigkeit ihrer Äußerungen bestritten hat und dieser Umstand wegen der Erledigung der Hauptsache nicht mehr aufgeklärt wurde. Jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass für die zuständige Verwaltungsbehörde ein begründeter Anlass, den Unterbringungsantrag zu stellen, nicht vorgelegen habe.

Deshalb hat das Landgericht zu Recht die Voraussetzungen einer Kostenerstattung nach § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG verneint.

Ende der Entscheidung

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