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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 13.12.2000
Aktenzeichen: 3Z BR 287/00
Rechtsgebiete: BGB, FGG, GG


Vorschriften:

BGB § 1896
FGG § 69g Abs. 5
FGG § 68 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 103 Abs. 1
Aus Art. 103 Abs. 1 GG kann kein Anspruch auf mündliche Verhandlung oder persönliche Anhörung im Beschwerdeverfahren hergeleitet werden.
BayObLG Beschluß

LG Nürnberg-Fürth 13 T 5741/00; AG Nürnberg XVII 321/99

3Z BR 287/00

13.12.00

Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Nitsche und Fuchs am 13. Dezember 2000 in der Betreuungssache auf die weitere Beschwerde der Betroffenen

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. August 2000 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Am 9.6.2000 bestellte das Amtsgericht für die Betroffene eine Betreuerin mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine Unterbringung.

Die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 28.8.2000 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Betroffene mit der weiteren Beschwerde.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist in der Sache nicht begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. M., eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, vom 27.3.1999 stehe fest, dass die Betroffene an einer paranoid-schizophrenen Psychose leide. Im Vordergrund der Symptomatik stehe ein über viele Jahre chronifiziertes Wahnsystem mit Verfolgungs- und Beeinträchtigungsideen. Die Betroffene sei in ihrem Wahn unkorrigierbar und in keiner Weise krankheitseinsichtig. Sie sei aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht in der Lage, ihre gesundheitlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen. Deshalb sei eine Betreuung vor allem für die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge und der Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine geschlossene Unterbringung erforderlich. Unbehandelt nehme eine derartige Erkrankung einen viel ungünstigeren Verlauf. Deshalb solle noch einmal der Versuch einer medikamentösen Behandlung unternommen werden. Die Kammer habe an der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen Dr. M., dessen Sachkunde feststehe und der der Kammer aus einer Vielzahl von psychiatrischen Gutachten hinreichend bekannt sei, nicht den geringsten Zweifel. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. L. stehe dem nicht entgegen. Dieser habe lediglich Zweifel geäußert, ob eine, Betreuung erfolgversprechend und damit erforderlich sei. Nach seiner Auffassung könne eine stationäre psychiatrische Behandlung die Symptomatik nur unwesentlich beeinflussen, da die Betroffene keinerlei Problembewußtsein oder Krankheitseinsicht habe. Es bestehe nur eine geringe Chance, dass sich die Symptomatik durch eine erzwungene stationäre Behandlung deutlich bessere. Die Betroffene sei bereit, sich bei ihm in ambulante psychiatrische Behandlung zu begeben und ein Neuroleptikum einzunehmen. Auch der Sachverständige L. gehe somit davon aus, dass die psychische Erkrankung der Betroffenen einer medikamentösen Behandlung bedürfe. Das ärztliche Zeugnis dieses Sachverständigen biete deshalb keine Veranlassung, die Richtigkeit des ausführlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. M. anzuzweifeln. Im Hinblick auf die dringend gebotene medikamentöse Behandlung müsse ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge bestellt werden. Da der Sachverständige Dr. M. eine stationäre medikamentöse Behandlung für geboten halte, müsse die Betreuung auch auf den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung auf eine Unterbringung ausgedehnt werden. Es sei dann Aufgabe der Betreuerin zu entscheiden, ob sie einen Antrag auf Unterbringungsgenehmigung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellen müsse. Die Kammer habe von der beantragten erneuten persönlichen Anhörung abgesehen, weil diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden sei und im Hinblick auf die Erkrankung der Betroffenen und aufgrund des gesamten Akteninhalts durch ihre erneute Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten seien.

2. Diese Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) stand.

a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Nach § 1896 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Das Prinzip der Erforderlichkeit durchzieht das gesamte Betreuungsrecht. Dieser aus dem Rechtsstaatsprinzip sich ergebende (BVerfGE 19, 342/348 f.) Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 58, 208/226) - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Diese Notwendigkeit entfällt, wenn sich der angestrebte Zweck durch die vorgesehene Maßnahme nicht erreichen läßt, etwa die Bestellung eines Betreuers keinen Erfolg verspricht (BayObLGZ 1994, 209/211 f.).

b) Diese Grundsätze hat das Landgericht bei seiner Entscheidung beachtet. Es hat die entscheidungserheblichen Tatsachen verfahrensfehlerfrei und damit für den Senat bindend (Bassenge/Herbst FGG/RPflG 8. Aufl. § 27 Rn. 23) festgestellt.

aa) Das Landgericht hat das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich grundsätzlich kein Anspruch auf mündliche Verhandlung oder persönliche Anhörung; es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise das rechtliche Gehör gewährt werden soll (BVerfGE 89, 391 unter Hinweis auf BVerfGE 60, 210 ff.; Leibholz/Rinck/Hesselberger GG 7. Aufl. Rn. 457).

Nach § 69g Abs. 5 Satz 1 FGG gelten für das Beschwerdeverfahren die Vorschriften über den ersten Rechtszug entsprechend, somit auch § 68 (nicht 98) Abs. 1 Satz 1 FGG, wonach das Gericht den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm zu verschaffen hat. Gemäß § 69g Abs. 5 Satz 3 FGG kann das Beschwerdegericht von solchen Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Davon ist das Landgericht zu Recht ausgegangen. Die Betroffene war im Verfahren vor dem Landgericht durch einen Rechtsanwalt vertreten. Sie legt nicht dar, was sie im Rahmen einer persönlichen Anhörung über das Vorbringen ihres Verfahrensbevollmächtigten hinaus vorgebracht hätte. Sie hat auch nicht erklärt, inwieweit das Landgericht durch den Eindruck im Rahmen einer persönlichen Anhörung zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

bb) Die Beweiswürdigung des Landgericht begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Beweiswürdigung, insbesondere die Würdigung von Sachverständigengutachten, ist Sache des Tatrichters und vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüfbar (BayObLGZ 1993, 18/19 f. m.w.N.). Auf der Grundlage des ihm vorliegenden Beweisstoffes durfte das Landgericht die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers bejahen. Nach dem Gutachten zweier Sachverständiger liegt bei der Betroffenen eine schwere psychische Erkrankung vor, die einer medikamentösen Behandlung bedarf. Um sicherzustellen, dass die Betroffene die erforderlichen Medikamente einnimmt, durfte das Landgericht der Anordnung einer Betreuung mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge für erforderlich halten. Dies gilt aber auch hinsichtlich des Aufgabenkreises Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine geschlossene Unterbringung. Der Sachverständige Dr. M. hält eine geschlossene Unterbringung für erforderlich, um die konsequente Einnahme der erforderlichen Medikamente sicherzustellen, während der Sachverständige Dr. L. nur eine geringe Chance sieht, dass sich die Symptomatik durch eine erzwungene stationäre Behandlung deutlich bessert. Nach Auffassung des Sachverständigen Dr. L. ist abzuwarten, ob die Betroffene bei ambulanter Behandlung die verordneten Medikamente auf längere Zeit regelmäßig einnimmt. Aufgrund dieser Beweissituation durfte das Landgericht die Bestellung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine geschlossene Unterbringung für erforderlich halten. Zutreffend weist es darauf hin, in einem solchen sei es gerade die Aufgabe der Betreuerin zu entscheiden, ob ein Antrag auf Unterbringungsgenehmigung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu stellen ist, über den dann in einem gesonderten Verfahren zu befinden sei.

c) Die Betroffene kann sich nicht auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16.11.1999 (NJW 2000, 2750) und die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig vom 3.11.1999 (NJW 2000, 2752) berufen. Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat entschieden, dass der Betreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge eine Behandlung ambulant nicht schon deshalb durchsetzen kann, weil sie gegenüber einer - zulässigen - Unterbringung die weniger belastende Maßnahme darstellt. Das Oberlandesgericht Schleswig hat entschieden, dass die Unterbringung zu einer Heilbehandlung nicht erforderlich, weil nicht erfolgversprechend ist, wenn der Betroffene zu der beabsichtigten Behandlung nicht bereit ist. Die Krankheits- und Behandlungseinsicht darf durch die Unterbringung nicht erzwungen werden.

Hier geht es aber nicht um die Durchsetzung einer ambulanten Maßnahme und auch nicht um die Anordnung einer Unterbringung, sondern um die Anordnung der Betreuung. Ob eine Unterbringung geboten ist, hat - worauf das Landgericht zu Recht hinweist - der Betreuer erst zu prüfen.

Ende der Entscheidung

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