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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.11.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 369/01
Rechtsgebiete: GG, AuslG, FGG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2
AuslG § 57 Abs. 3 Satz 2
FGG § 27
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bereits seit einem Jahr dauernde Abschiebungshaft verlängert werden kann.
Gründe:

I.

Die Ausländerbehörde betreibt die Abschiebung des Betroffenen, eines nach eigenen Angaben Staatsangehörigen von Bhutan.

Mit Beschluss vom 24.9.2001 verlängerte das Amtsgericht mit sofortiger Wirksamkeit die gegen ihn zur Sicherung seiner Abschiebung seit 28.9.2000 vollzogene Abschiebungshaft um weitere drei Monate.

Die vom Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht am 30.10.2001 zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

1. Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Das Landgericht hat zwar im Ergebnis zutreffend das Vorliegen eines Haftgrundes bejaht. Nicht frei von Rechtsfehlern ist aber die Würdigung des Landgerichts, dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus auf nunmehr über 12 Monate vorlägen (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO).

a) Sicherungshaft kann über sechs Monate hinaus nur verlängert werden, wenn der Betroffene die Ausländerbehörde durch ein von ihm zu vertretendes pflichtwidriges Tun oder Unterlassen daran gehindert hat, ihn innerhalb der grundsätzlichen Hafthöchstdauer von sechs Monaten abzuschieben (§ 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG; vgl. hierzu OLG Hamm FGPrax 1997, 77/78; KG FGPrax 1995, 128/129; Saarl. OLG FGPrax 1999, 243). Ein pflichtwidriges Unterlassen in diesem Sinne kann darin bestehen, dass der Betroffene sich entgegen § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG weigert, in dem erforderlichen Maß an der Beschaffung der notwendigen Heimreisedokumente mitzuwirken (vgl. BT-Drucks. 12/4450 S. 18; OLG Braunschweig Nds.Rpfl. 1995, 394; OLG Düsseldorf InfAus1R 1995, 209 und 1995, 367/368; OLG Hamm FGPrax 1997, 77/78; SchlHOLG AuAS 1999, 16). Das Unterbleiben der Abschiebung in dem genannten Zeitraum muss maßgeblich auf das zurechenbare pflichtwidrige Verhalten des Betroffenen zurückzuführen sein (vgl. OLG Düsseldorf aaO; KG FGPrax 1995, 128/129; Saarl. OLG FGPrax 1999, 243/244). Die Voraussetzungen des § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG müssen feststehen. Verbleiben Zweifel, darf der Betroffene nicht über sechs Monate hinaus in Haft gehalten werden (vgl. KG FGPrax 1995, 128/129).

b) Das Landgericht durfte ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts (§ 12 FGG) nicht davon ausgehen, der Betroffene habe hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit falsche Angaben gemacht.

Die Ausländerbehörde hat insoweit als Anknüpfungstatsache lediglich vorgetragen, die Behörden von Bhutan hätten den Betroffenen "als Nepalesen klassifiziert" (vgl. Antrag vom 28.9.2000). Der Umstand, dass die Ausländerbehörde seit Juli 2001 erneut ein Heimreisepapier von den Behörden Bhutans zu erlangen trachtete, zeigt jedoch, dass die offenbar auf dieser "Klassifizierung" beruhende Einschätzung der Ausländerbehörde, der Betroffene sei Staatsangehöriger von Nepal, nicht mehr hinreichend tragfähig ist, zumal in den Akten weitere Einzelheiten fehlen, welche die seinerzeitige Einschätzung der Behörden von Bhutan über eine nepalesische Staatsangehörigkeit des Betroffenen untermauern könnten. Der Betroffene hat von Anfang an angegeben, Staatsangehöriger von Bhutan zu sein. Er hat auch im übrigen keine widersprüchlichen Personalien angegeben. Deshalb hätte es weiterer Ermittlungen bedurft.

2. Eine Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht ist nicht geboten. Da aufgrund neuer Tatsachen weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind, kann das Rechtsbeschwerdegericht in der Sache selbst entscheiden (vgl. BayObLGZ 1993, 88/93). Der Senat kann das Fax der Ausländerbehörde vom 21.11.2001 mit dem dort beigefügten Schreiben der Deutschen Botschaft in Neu-Delhi vom 15.10.2001 verwerten (vgl. BGHZ 35, 135/142; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 59). Danach ist die weitere Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft nicht mehr verhältnismäßig. Es erscheint aussichtslos, dass der Betroffene noch innerhalb der zulässigen Höchstdauer der Abschiebungshaft, sei es nach Nepal, sei es nach Bhutan, abgeschoben werden kann (vgl. OLG Hamm FGPrax 1997, 77/78; InfAuslR 1998, 351). Die Deutsche Botschaft teilt nämlich in dem o.g. Schreiben mit, dass das Ersuchen der Ausländerbehörde zur Beschaffung von Heimreisedokumenten für den Betroffenen am 15.10.2001 an die bhutanische Botschaft in Neu-Delhi weitergeleitet worden sei. Erfahrungsgemäß lasse sich die bhutanische Botschaft zwischen 10 und 12 Monaten Zeit, ehe die erste Reaktion auf eine solche Eingabe erfolge. Vor Ablauf eines Jahres solle die Ausländerbehörde von Sachstandsanfragen absehen. Was die Beschaffung von Heimreisepapieren von den Behörden Nepals betrifft, ist festzustellen, dass die Ausländerbehörde selbst nach rund neun Monaten vergeblichen Wartens im Juli 2001 weitere Bemühungen in diese Richtung aufgegeben hat; seit dieser Zeit betreibt sie nur noch die Abschiebung nach Bhutan. Daher ist die Abschiebungshaft des Betroffenen zu beenden, was durch die Aufhebung der Haftanordnung des Amtsgerichts geschieht. Der weitergehende Haftantrag der Ausländerbehörde ist abzulehnen.

3. Der Gebietskörperschaft, der die Ausländerbehörde angehört, waren die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht aufzuerlegen, da nicht feststeht, dass zum Zeitpunkt der Stellung des letzten Haftverlängerungsantrags durch die Ausländerbehörde hierzu kein begründeter Anlass vorlag (§ 16 Abs. 1 Satz 1 FreihEntzG).

Ende der Entscheidung

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