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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 04.04.2003
Aktenzeichen: 3Z BR 41/03
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 70e
Soll ein Betroffener untergebracht werden, muß er das Sachverständigengutachten vollständig, schriftlich und rechtzeitig vor seiner persönlichen Anhörung erhalten.
Gründe:

I.

Das zuständige Vormundschaftsgericht hat mit Beschluss vom 12.11.2002 durch einstweilige Anordnung einen Betreuer für den Betroffenen unter anderem mit den Aufgaben "Aufenthaltsbestimmung" und "Entscheidung über Unterbringung sowie die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen" bestellt.

Ebenfalls am 12.11.2002 genehmigte das Vormundschaftsgericht die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 23.12.2002.

Am 5.12.2002 beantragte der Betreuer die weitere Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung für die Dauer von zwei Jahren.

Am 20.12.2002 hörte das Vormundschaftsgericht den Betroffenen im Bezirkskrankenhaus in Anwesenheit seiner Verfahrensbevollmächtigten und des zuständigen Oberarztes persönlich an. Der Oberarzt erklärte hierbei eine weitere stationäre Unterbringung für unabdingbar, weil nur so die erforderliche medikamentöse Behandlung des Betroffenen gewährleistet werden könne.

Der Richter teilte dem Betroffenen mit, dass nach Eingang des noch für denselben Tag vom Oberarzt zugesagten schriftlichen Gutachtens eine Entscheidung ergehen werde. Nachdem am Nachmittag des 20.12.2002 das Gutachten als Telefax bei Gericht eingegangen war, genehmigte das Vormundschaftsgericht mit Beschluss vom selben Tage die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. einer geschlossenen Einrichtung bis zum 19.12.2004 und ordnete die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses an.

Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene sofortige Beschwerde ein. Diese hat das Landgericht mit Beschluss vom 30.1.2003 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

II.

Auf das zulässige Rechtsmittel des Betroffenen ist die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben.

1. Sowohl das Landgericht als auch zuvor das Amtsgericht haben die jeweilige Entscheidung ausdrücklich auf das am 20.12.2002 erstattete schriftliche Gutachten gestützt, ohne dass dieses dem Betroffenen zuvor zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden wäre.

Soll der Betroffene - wie hier - nicht nur vorläufig untergebracht werden, darf im Hinblick auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ein Gutachten nur verwertet werden, wenn er ausreichend Gelegenheit hatte, vor der Entscheidung dazu Stellung zu nehmen (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1989, 544). Das Gutachten muss ihm daher in der Regel vollständig, schriftlich und rechtzeitig vor der Anhörung zugehen (BayObLG BtPrax 1993, 208/209 und FamRZ 1995, 695; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 3.Aufl. § 70e Rn.16; Knittel BtG § 70e Rn. 15).

Diese Voraussetzungen des rechtlichen Gehörs sind hier nicht erfüllt. Nach den Bekundungen des Richters in der Niederschrift über die Anhörung vom 20.12.2002 lag das schriftliche Gutachten zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Nach seinem Eingang am Nachmittag desselben Tages wurde aber sofort über die endgültige Unterbringungsmaßnahme entschieden, ohne dass der Betroffene nochmals Gelegenheit zur Äußerung hatte.

Die Kenntnis von den mündlichen Ausführungen des Oberarztes im Anhörungstermin konnte - jedenfalls nach ihrem protokollierten Inhalt - nicht der Kenntnisnahme von dem späteren ausführlichen schriftlichen Gutachten gleichgestellt werden.

Auch für die Folgezeit bis zur Entscheidung des Landgerichts am 30.1.2003 lässt sich den Akten nicht entnehmen, dass dem Betroffenen oder seiner Verfahrensbevollmächtigten nachträglich das Gutachten übersandt wurde bzw. auf anderem Wege, z.B. durch Akteneinsicht, zur Kenntnis gebracht wurde. Damit hat auch das Landgericht über die Unterbringungsanordnung entschieden, ohne dass dem Betroffenen rechtliches Gehör zu dem entscheidungserheblichen schriftlichen Gutachten gewährt wurde.

Allein dieser Verfahrensfehler zwingt zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung. Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden, da weiteres erhebliches Vorbringen des Betroffenen zum Inhalt des Gutachtens nicht ausgeschlossen werden kann.

2. Im Hinblick auf den weiteren Verfahrensverlauf ist zu bemerken:

a) Geht es um die nicht nur vorläufige Unterbringung, ist die Wiederholung der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren im Hinblick auf die Schwere des freiheitsentziehenden Eingriffs in der Regel geboten (BayObLG Beschluss vom 29.1.2003 - 3Z BR 15/03). Dies gilt besonders dann, wenn wie hier im verfahrensgegenständlichen Unterbringungsbeschluss die Höchstfrist von zwei Jahren gemäß § 70f Abs. 1 Nr.3 FGG ausgeschöpft wird.

Wenn sich der Betroffene durch Einlegung eines Rechtsmittels erkennbar gegen den erstinstanzlichen Unterbringungsbeschluss wenden will, kann die danach ausgebliebene Begründung der Beschwerde durch den Verfahrensbevollmächtigten nicht ohne weiteres als Argument für die Annahme herangezogen werden, dass von einer weiteren Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten seien. Dies mag in Einzelfällen allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn der Betroffene selbst ein eingelegtes Rechtsmittel nicht begründet. Das Ausbleiben einer Beschwerdebegründung durch den Verfahrensbevollmächtigten kann aber verschiedene Ursachen haben und darf deshalb bei der Prognose über die in einer weiteren Anhörung zu erwartenden Erkenntnisse nicht ohne weiteres zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden.

b) Der vormundschaftsgerichtliche Beschluss vom 20.12.2002 spricht - im Gegensatz zu der vorausgegangenen Entscheidung vom 12.11.2002 - keine Genehmigung von Fixierungsmaßnahmen gegenüber dem Betroffenen aus. Das Vorbringen in der Begründung zur sofortigen weiteren Beschwerde vom 17.3.2003 legt aber die Annahme nahe, dass derartige, gegebenenfalls einer Genehmigungspflicht nach § 1906 Abs. 4 BGB unterliegende, Maßnahmen weiterhin vollzogen werden. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass auch eine Genehmigung nach § 1906 Abs. 4 BGB den Anforderungen entsprechen muss, die § 70f Abs. 1 FGG an den Inhalt von Entscheidungen über Unterbringungsmaßnahmen stellt. Die bloße Genehmigung "der erforderlichen Fixierungsmaßnahmen" wird dem nicht hinreichend gerecht.

Ende der Entscheidung

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