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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.05.2004
Aktenzeichen: 3Z BR 76/04
Rechtsgebiete: FGG, GG


Vorschriften:

FGG § 27
GG Art. 103 Abs. 1
Stützt das Beschwerdegericht seine Entscheidung auch auf ärztliche oder behördliche Stellungnahmen, welche dem Betroffenen nicht zur Kenntnis gebracht wurden, stellt eine hierin liegende Verletzung des rechtlichen Gehörs keinen absoluten Beschwerdegrund dar. Sie ist vielmehr nur dann von Bedeutung, wenn die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensverstoß beruht oder beruhen kann. Werden die Stellungnahmen dem Betroffenen im Verfahren der weiteren Beschwerde eröffnet und lässt sich nicht feststellen, dass das Beschwerdegericht in Kenntnis des Vorbringens des Betroffenen hierzu möglicherweise abweichend entschieden hätte, ist der Verfahrensverstoß der Vorinstanz nicht kausal.
Gründe:

I. Für den Betroffenen ist seit 12.4.2002 ein berufsmäßiger Betreuer bestellt mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, gesundheitliche Fürsorge, Organisation von Miet-, Pacht- und Wohnungsangelegenheiten sowie Vertretung gegenüber dem Gericht und weiteren Behörden bei Beantragung von Leistungen, z. B. Rente, Klärung der Vermögensverhältnisse und Schuldentilgung bzw. Verwaltung des Restvermögens. Seine hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 28.8 2002 zurückgewiesen; die weitere Beschwerde des Betroffenen wurde mit Senatsbeschluss vom 2.10.2002 - 3Z BR 193/02 zurückgewiesen.

Mit Beschluss vom 26.11.2003 hat das Vormundschaftsgericht die Betreuung verlängert mit der Maßgabe, dass spätestens bis zum 24.11.2008 über eine Aufhebung oder weitere Verlängerung der Betreuung zu beschließen sei. Zugleich hat es einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet für Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis "Vertretung gegenüber Gerichten, Behörden, Versicherungen und Sozialleistungsträgern" betreffen.

Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel hat das Landgericht mit Beschluss vom 29.1.2004 zurückgewiesen. Mit der sofortigen weiteren Beschwerde und der weiteren Beschwerde wendet sich der Betroffene weiterhin gegen die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts und gegen die Verlängerung der Betreuung.

II. Die Rechtsmittel sind als sofortige weitere Beschwerde hinsichtlich des Einwilligungsvorbehalts (§ 29 Abs. 2, § 69g Abs. 4 Nr. 1 FGG) und als weitere Beschwerde hinsichtlich der Verlängerung der Betreuung zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. Sie sind aber in der Sache nicht begründet.

1. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt:

a) Der Betroffene sei am 5.11.2003 vom Vormundschaftsrichter persönlich angehört worden. Auf Grund dieser hinreichend zeitnahen Verfahrenshandlung sei eine erneute Anhörung durch die Kammer nicht erforderlich gewesen. Sie hätte nicht zur weiteren Sachaufklärung beitragen können; außerdem habe der Betroffene schriftlich Stellung genommen. Eine erneute Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht notwendig gewesen, da neue Erkenntnisse hieraus nicht zu erwarten gewesen seien.

b) Die bestehende Betreuung sei zu verlängern gewesen, da die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB vorgelegen hätten. Auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. F. vom 11.7.2003 stehe fest, dass bei dem Betroffenen weiterhin ein sensitiver Beziehungswahn mit einem systematisierten Wahnsystem, psychomotorische Unruhe und verbal aggressives Verhalten mit querulatorischen Zügen bei völlig fehlender Krankheitseinsicht bestünden. Der Zustand des Betroffenen habe sich eher verschlechtert; jedenfalls sei bezüglich der Gründe, die zur Errichtung der Betreuung geführt hätten, keine Änderung eingetreten.

c) Auch die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts durch das Vormundschaftsgericht sei nicht zu beanstanden. Sie beruhe auf der Anregung des Betreuers, der mitgeteilt habe, dass der Betroffene immer wieder aussichtslose Klagen wegen einer Vielzahl von Vorgängen - teilweise auch unter Einschaltung von Rechtsanwälten -, einreiche und hierdurch erhebliche Kosten verursache. Dies gefährde sein Vermögen.

In einem ergänzenden Gutachten vom 24.11.2003 habe der Sachverständige Dr. F. ausgeführt: Der Betroffene sei durch seine Krankheit in seinen Gedankengängen so beeinträchtigt, dass er Handlungen in Zusammenhang mit Behörden und öffentlichen Einrichtungen nicht auf Grund einer freien Willensentscheidung nachvollziehen könne. Sein Handeln sei krankheitsbedingt so beeinflusst, dass er immer wieder zu selbstschädigendem Verhalten neige. Nach Auffassung des Sachverständigen könne dem Betroffenen nur durch einen Einwilligungsvorbehalt geholfen werden.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Das Beschwerdegericht kann von der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen, wenn dieser bereits vom Vormundschaftsgericht angehört wurde und von einer erneuten Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (§ 69g Abs. 5 Satz 3 FGG). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, zumal der Betroffene im Beschwerdeverfahren ausführlich schriftlich Stellung genommen hat. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht von einer erneuten persönlichen Anhörung abgesehen hat.

Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch das Beschwerdegericht war nicht erforderlich, weil es sich nach § 69g Abs. 5 FGG auf die im ersten Rechtszug eingeholten Gutachten stützen konnte. Hier stand einer Verwertung der bisherigen Sachverständigengutachten auch in der Beschwerdeinstanz weder der Zeitablauf bis zur Entscheidung des Landgerichts, die nur rund zwei Monate nach dem vormundschaftsgerichtlichen Beschluss erging, noch etwa eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Änderung des Zustands des Betroffenen seit der letzten Begutachtung entgegen.

b) Der Betroffene hat gerügt, dass ihm sowohl ein Schreiben der Betreuungsstelle vom 14.10.2003 als auch eine ärztliche Stellungnahme vom 24.11.2003 nicht bekannt gegeben worden seien, obwohl das Landgericht seine Entscheidung auch hierauf gestützt habe. Die gegebenenfalls hierin liegende Verletzung des rechtlichen Gehörs kann aber als unbeachtlich angesehen werden, weil sie sich nicht als ursächlich für die Entscheidung erwiesen hat.

Die Verletzung rechtlichen Gehörs ist kein absoluter Beschwerdegrund, bei dessen Vorliegen unwiderlegbar vermutet wird, dass die Entscheidung auf dieser Gesetzesverletzung beruhe. Sie ist vielmehr nur dann von Bedeutung, wenn die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensverstoß beruht oder beruhen kann (BayObLGZ 1968, 268; BayObLG FamRZ 1987, 101). Deshalb muss stets die Ursächlichkeit des Verfahrensverstoßes geprüft werden (BayObLGZ 1980, 23/25). Der Rechtsbeschwerdeführer muss, jedenfalls nach Kenntniserlangung von den ihm zunächst vorenthaltenen Umständen, darlegen, was er bei Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Vorinstanz vorgetragen hätte (BayObLGZ 1990, 177/180).

Der Senat hat dem Betroffenen die in Rede stehenden Unterlagen in Abdruck zur Verfügung gestellt und ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme hierzu gegeben. Der Betroffene hat mit Schreiben vom 9.4.2004 ausführlich Stellung genommen. Unter eingehender Würdigung seiner Ausführungen kann nicht festgestellt werden, dass das Landgericht, hätte es diese gekannt, in seinem Beschluss vom 29.1.2004 möglicherweise zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Daher fehlt die Kausalität zwischen der Vorenthaltung der Stellungnahme sowie des Gutachtens und der angefochtenen Entscheidung, so dass diese nicht etwa wegen der vom Betroffenen gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist.

c) Die Verlängerung einer Betreuung kann vom Vormundschaftsgericht angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen der Erstbestellung eines Betreuers vorliegen (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 921). Das setzt insbesondere das weitere Vorliegen einer psychischen Erkrankung oder geistigen bzw. seelischen Behinderung im Sinne von § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB voraus. Das ist auch Voraussetzung für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gemäß § 1903 Abs. 1 BGB (BayObLG NJW-RR 2003, 871).

Die Ausführungen des Gutachters, für dessen Sachkunde seine berufliche Stellung als Facharzt für Psychiatrie und Oberarzt im Bezirkskrankenhaus spricht, legen überzeugend die medizinischen Voraussetzungen sowohl der Verlängerung der Betreuung als auch des zusätzlich vom Vormundschaftsgericht angeordneten Einwilligungsvorbehalts dar. Der Sachverständige hat bei dem Betroffenen einen sensitiven Beziehungswahn festgestellt, der mit einem systematisierten Wahnsystem verbunden und durch zusätzliche Symptome wie psychomotorische Unruhe und verbal aggressives Verhalten mit querulatorischen Zügen geprägt sei. Dem Gutachten lässt sich auch mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass der Betroffene zu einer freien Willensbestimmung sowohl hinsichtlich der von ihm abgelehnten Betreuung als auch des ebenfalls von ihm nicht gewünschten Einwilligungsvorbehalts nicht in der Lage ist. Das Landgericht durfte dem uneingeschränkt folgen.

d) Der Entscheidung des Beschwerdegerichts ist - gestützt auf die gutachterlichen Feststellungen - jedenfalls zu entnehmen, dass der Betroffene in den bestehenden Aufgabenkreisen nicht in der Lage ist, in wichtigen Angelegenheiten eigenverantwortliche und an seinem Wohl orientierte Entscheidungen zu treffen. Diese Tatsachenfeststellung genügt, um auch die weiteren Voraussetzungen der Anordnung bzw. Verlängerung einer Betreuung gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB zu bejahen, nämlich die Unfähigkeit zur Besorgung eigener Angelegenheiten.

Die tatsächliche Notwendigkeit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gem. § 1903 Satz 1 BGB ist schließlich hinreichend dargetan durch die auf der glaubwürdigen Angabe des Betreuers beruhenden Feststellung, dass der Betroffene durch eine Vielzahl unnötiger und kostenträchtiger Gerichtsverfahren und damit zusammenhängende Mandatierungen von Rechtsanwälten sein Vermögen erheblich gefährde.

Deshalb erweisen sich die sofortige weitere Beschwerde bezüglich des Einwilligungsvorbehalts als auch die weitere Beschwerde hinsichtlich der Verlängerung der Betreuung als unbegründet und sind zurückzuweisen.

e) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Rechtsbeschwerdeverfahren war nicht geboten, da die Voraussetzungen hierfür gemäß § 67 Abs. 1 FGG nicht gegeben sind.



Ende der Entscheidung

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