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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 23.12.2003
Aktenzeichen: 4 St RR 100/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 412 Satz 1
StPO § 329 Abs.1 Satz 1
StPO § 232 Abs. 1 Satz 1
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 412 Satz 1 StPO ist dem Gericht eine Entscheidung in der Sache nach § 232 Abs. 1 Satz 1 StPO verwehrt.
Tatbestand:

Gegen den Angeklagten war mit Strafbefehl des Amtsgerichts vom 03.02.2003 wegen unerlaubter Einreise nach Abschiebung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Abschiebung eine Geldstrafe in Höhe von 65 Tagessätzen zu je EUR 30 festgesetzt worden. Auf den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl setzte das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung vor dem Strafrichter fest und verfügte gleichzeitig die Ladung des Angeklagten über einen Zustellungsbevollmächtigten. In der Hauptverhandlung beantragte der Vertreter der Staatsanwaltschaft, den Einspruch des nicht erschienenen, jedoch ordnungsgemäß geladenen Angeklagten zu verwerfen. Der Strafrichter sprach den Angeklagten schuldig der unerlaubten Einreise in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Aufenthalt und verhängte eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je EUR 20. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Nachdem das schriftliche Urteil des Amtsgerichts der Staatsanwaltschaft zugestellt worden war, bezeichnete die Staatsanwaltschaft ihr zum Nachteil des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel als Revision und begründete diese darin mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.

Gründe:

Der statthaften und zulässigen (§§ 335, 312, 341, 344, 345 StPO) Sprungrevision der Staatsanwaltschaft kommt in der Sache zumindest ein vorläufiger Erfolg zu, da die Verfahrensrüge der Verletzung des § 230 StPO durchgreift, wonach gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden darf.

Die vom Amtsgericht als Ausnahme von dem genannten Grundsatz herangezogene Bestimmung des § 232 StPO, wonach unter bestimmten Umständen ein Urteil nach Verhandlung zur Sache trotz Ausbleibens des Angeklagten erfolgen kann, erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Im Strafbefehlsverfahren gebietet § 412 Satz 1 StPO den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl ohne Verhandlung zur Sache entsprechend § 329 Abs. 1 StPO zu verwerfen, wenn bei Beginn der Hauptverhandlung der Angeklagte weder erschienen noch durch einen Verteidiger vertreten und das Ausbleiben des Angeklagten auch nicht genügend entschuldigt ist. Diese Folge ist zwingend (einhellige Meinung, vgl. LR-Gössel StPO 25. Aufl. § 412 Rdnr. 1, HK-Kurth StPO 3. Aufl. § 412 Rdnr. 1, AK-Loos StPO § 412 Rdnr. 7); eine Entscheidungsmöglichkeit für das Gericht durch Sachurteil besteht daneben gerade nicht (vgl. OLG Saarbrücken NStZ 1999, 265/266; KMR-Metzger StPO § 412 Rdnrn. 3, 4).

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob als rechtliche Begründung der in jedem Fall zwingenden Verwerfung des Einspruchs des Angeklagten bei § 412 StPO eine Verzichtsvermutung oder eine Verwirkungsfiktion dienen soll (vgl. die Darstellung bei LR-Gössel aaO.).

Dem Amtsgericht war es demnach aus Rechtsgründen verwehrt, den Angeklagten mit der Ladung zur Hauptverhandlung eine Belehrung nach § 232 StPO zu erteilen und in eine Verhandlung zur Sache einzutreten, wenn die Voraussetzungen des § 412 StPO vorlagen.

Der Verstoß gegen § 230 StPO stellt einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO dar.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist das angefochtene Urteil daher aufzuheben (§ 353 Abs. 1 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Amtsgericht Laufen zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Das Amtsgericht wird bei der Ladung zur erneut gebotenen Hauptverhandlung den Angeklagten über die nach § 412 StPO im Falle seines Ausbleibens drohenden Rechtsfolgen zu belehren haben (LR-Gössel aaO. Rdnr. 8; so schon BayObLGSt 1962, 6 zu § 412 StPO aF.).

Mangels gebotener Belehrung des Angeklagten über die nach § 412 StPO drohenden gravierenderen Folgen (als bei § 232 StPO) sah sich der Senat an einer eigenen Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 StPO gehindert.



Ende der Entscheidung

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