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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.02.2002
Aktenzeichen: 4 St RR 17/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 Abs. 3
Bei der Verhängung mehrerer selbständiger Freiheitsstrafen wegen gleichartiger Taten kann die Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung ihre Vollstreckung gebietet, nur einheitlich beantwortet werden.
Tatbestand:

Der Angeklagte ist Mieter zweier Wohnungen im gleichen Anwesen in M. Die eine ist ca. 80m² groß; die für sie zu zahlende monatliche Inklusivmiete bewegte sich in den Jahren 1995 mit 1998 zwischen mindestens 1146 DM und mindestens 1200 DM. Die bewohnbare Fläche der anderen betrug ab 1992 ca. 60m² zuzüglich ca. 40m² Nebenflächen. Ihre Monatsmiete betrug zum 1.5.1990 530 DM inklusive Nebenkosten mit einer vereinbarten Staffelmieterhöhung von 15 DM pro Jahr.

Nachdem der Angeklagte zunächst die billigere Wohnung mit seiner Familie genutzt und in der anderen sein Büro betrieben hatte, zog er zum 1.1.1996 mit seiner Familie in die teurere und verlegte sein Büro in die andere. Dies führte jedoch bei steuerlich korrektem Verhalten des Angeklagten zu einer Reduzierung seiner Büromiete und dementsprechend zu einer steuerlichen Mehrbelastung. Angesichts dessen entschloss sich der Angeklagte, gegenüber dem Finanzamt auch die Kosten seiner Privatwohnung als Betriebsausgabe geltend zu machen. Dazu verfasste er am 1.11.1995 über seine als Büro genutzte Wohnung einen Scheinmietvertrag, wonach er für sie bei einem Mietbeginn am 1.1.1996 eine Monatsmiete von 1823 DM mit einer jährlichen Erhöhung von 45 DM zu zahlen hatte. Tatsächlich war dies die Summe der von ihm für beide Wohnungen zu zahlenden Mieten.

Am 10.3.1998 reichte der Angeklagte seine Einkommensteuererklärung für 1996 beim Finanzamt M. ein. Darin machte er Mietkosten in Höhe von 21876 DM als Betriebsausgaben geltend. Wie er wusste, waren darin 13770 DM Miete für seine Privatwohnung enthalten. Das Finanzamt legte seinem Einkommensteuerbescheid vom 3.4.1998 diese Ausgaben zugrunde, so dass die Einkommensteuer um 1182 DM zu niedrig festgesetzt wurde.

Die Einkommensteuererklärung für 1997 reichte er am 12.4.1999 beim Finanzamt M ein. In den in ihr als Betriebsausgaben für Büromiete geltend gemachten Kosten waren 13986 DM Miete für seine Privatwohnung enthalten. Das Finanzamt erkannte diesen Betrag jedoch nicht als Betriebsausgabe an. Hätte der Angeklagte mit seinem Vorgehen Erfolg gehabt, wäre die von ihm zu zahlende Einkommensteuer um 3880 DM verkürzt worden.

Am 27.5.1999 legte der Angeklagte seine Einkommensteuererklärung für 1998 dem Finanzamt M. vor. Darin machte er die für seine Privatwohnung gezahlte Miete in Höhe von 14.202 DM zu Unrecht als Betriebsausgaben geltend. Auch hier scheiterte der Angeklagte mit seinem Vorhaben, das im Erfolgsfalle zu einer Steuerverkürzung in Höhe von 5068 DM geführt hätte.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 23.5.2001 wegen Steuerhinterziehung unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts vom 12.11.1998 verhängten Einzelstrafen zur Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten und zur Geldstrafe - ausweislich der Urteilsgründe zur Gesamtgeldstrafe - von 160 Tagessätzen zu je 50 DM, sowie wegen zweier versuchter Steuerhinterziehungen zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten setzte es zur Bewährung aus.

Am 15.10.2001 verwarf das Landgericht die Berufung des Angeklagten als unbegründet und änderte auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das amtsgerichtliche Urteil im Strafausspruch dahin ab, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts vom 12.11.1996 verhängten Einzelstrafen zur Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und zu einer Gesamtgeldstrafe von 170 Tagessätzen zu je 50 DM, sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde.

Die Revision des Angeklagten hatte teilweise Erfolg.

Gründe:

Vergeblich greift der Beschwerdeführer den Schuldspruch an. Für die sachlich-rechtliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung steht dem Revisionsgericht nur die Urteilsurkunde zur Verfügung (BGHSt 35, 238/241). Die dort getroffenen Feststellungen tragen die Auffassung der Strafkammer, dass es sich bei dem "Mietvertrag" vom 1.11.1995 um einen nur zum Schein gefertigten Vertrag handelte, der an den bestehenden Mietverträgen zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen K. nichts ändern sollte, sondern dem Angeklagten nur dazu diente, dem Finanzamt gegenüber auch seinen privaten Mietaufwand steuermindernd als Betriebsausgabe geltend machen zu können. Die Strafkammer hat auch mit einleuchtender Begründung dargelegt, weshalb sie die Einlassung des Angeklagten, wonach es sich um einen von beiden Parteien ernsthaft gewollten Mietvertrag gehandelt haben soll, für unglaubwürdig erachtet hat.

Zutreffend hat die Strafkammer die Taten des Angeklagten nicht als Dauerstraftat, sondern als sachlich zusammentreffende (§ 53 StGB) - teils versuchte - Steuerhinterziehungen gewertet. Das Verfertigen und mehrfache Verwenden des Scheinmietvertrags verklammert das - vollendete wie das versuchte - Verkürzen der zu zahlenden Einkommensteuer auch dann nicht zu einer einheitlichen Tat, wenn dieser Vertrag bereits in der Absicht hergestellt wurde, ihn für mehrere Einkommensteuererklärungen zu benutzen. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Angeklagte die unrichtigen Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 1996 mit 1998 zu unterschiedlichen Zeiten gefertigt und sie mit erheblichem zeitlichen Abstand beim Finanzamt eingereicht hat (vgl. dazu z.B. BGH wistra 1996, 231; HFR 1995, 545, wistra 1991, 135 jeweils m.w.N.).

Die verhängten Einzelstrafen wie die daraus gebildeten Gesamtstrafen weisen aus revisionsgerichtlicher Sicht keinen den Angeklagten belastenden Fehler auf. Die Strafkammer hat alle wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände bei der Strafzumessung berücksichtigt. Auch ihre Erwägungen, mit denen sie die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen verhängt hat, sind nicht zu beanstanden (vgl. dazu etwa BayObLGSt 1988, 109).

Keinen Bestand kann jedoch ihre Entscheidung haben, die Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten nicht zur Bewährung auszusetzen. Denn die Strafkammer konnte die Frage der Strafaussetzung hinsichtlich der beiden von ihr in einer Entscheidung verhängten Gesamtfreiheitsstrafen nicht unterschiedlich beurteilen. Maßgeblicher Zeitpunkt, auf den sie für die Sozialprognose abzustellen hatte, war der ihres Urteils, nicht der der Taten. Im Rahmen ihrer für die Sozialprognose gebotenen Gesamtschau hatte sie deshalb bei der Bewertung der früher begangenen Taten die weitere Entwicklung ebenso im Auge zu behalten wie die Vorgeschichte bei der Würdigung der später begangenen Delikte. Aus diesem Blickwinkel kann die Prognose des weiteren Werdegangs des Angeklagten nur einheitlich gestellt werden, weil sie sonst ein in sich widersprüchliches Ergebnis hätte, nämlich gleichzeitig ein positives und ein negatives (vgl. dazu auch BGHSt 11, 342; BayObLGSt 1966, 84/88; BayObLG Urt. vom 9.10.2001, Az. 2St RR 97/01).

Soweit die Strafkammer der Auffassung ist, die Verteidigung der Rechtsordnung (vgl. zu diesem Begriff BGHSt 24, 40) gebiete die Vollstreckung der sechsmonatigen Freiheitsstrafe, lässt die angefochtene Entscheidung schon über diesen Satz hinaus jede Begründung vermissen, obwohl die Prüfung, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 3 StGB zu versagen ist, eine umfassende Würdigung von Tat und Täter erfordert, die den Besonderheiten des Einzelfalles gerecht werden muß (st. Rspr., vgl. z.B. BGH wistra 2001, 378; 1999, 418; StV 1998, 260, BGHR § 56 Abs. 3 StGB Verteidigung 16 jeweils m.w.N.). Entscheidend kommt weiter hinzu, dass die Strafkammer auf die Berufung der Staatsanwaltschaft keinen Anlass gesehen hat, auch hinsichtlich der zehnmonatigen Gesamtfreiheitsstrafe Strafaussetzung wegen der gebotenen Verteidigung der Rechtsordnung zu versagen. Sie hat damit die Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Strafvollstreckung gebietet, für zwei in einem Urteil verhängte Strafen diametral verschieden beantwortet. Dies ist jedenfalls im vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft. Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 24.4.1958 (BGHSt 11, 342) die Frage offengelassen, wie zu entscheiden ist, wenn nach Auffassung des Tatrichters das öffentliche Interesse (im Sinne des § 23 Abs. 3 Nr. 1 StGB in der damals geltenden Fassung) die Vollstreckung nur einer von mehreren in einer Entscheidung verhängten Strafen erfordert. Unentschieden blieb dies auch im oben genannten Urteil des BayObLG vom 9.10.2001. Das BayObLG hat im Urteil vom 2.8.1966 (BayObLGSt 1966, 84/89) die Auffassung vertreten, die Strafaussetzung sei ihrem Wesen nach nicht unteilbar. Ob dieser Ansicht, auf der die genannte Entscheidung letztlich nicht beruht, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Ebenso kann in diesem Zusammenhang offen bleiben, wie zu verfahren ist, wenn in einem Urteil wegen ihrem Wesen nach völlig verschiedener Taten auf mehrere untereinander nicht gesamtstrafenfähige (Gesamt)-Freiheitsstrafen erkannt wurde.

Jedenfalls dann, wenn wie hier gleichartige Taten in einer Entscheidung zu ahnden sind, kann die Entscheidung, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Strafvollstreckung gebietet, nicht davon beeinflusst werden, ob nur eine oder - zufälligerweise - mehrere Freiheitsstrafen zu verhängen sind. Dieses Ergebnis entspricht zum einen auch dem in § 56 Abs. 4 StGB normierten Verbot, die Vollstreckung nur eines Teils der verhängten Strafe zur Bewährung auszusetzen. Denn ein qualitativer Unterschied zwischen der teilweisen Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe und der Aussetzung der Vollstreckung eines Teils von mehreren gleichzeitig verhängten Strafen ist nicht erkennbar. Zum anderen steht sie im Einklang mit dem in § 454 b Abs. 2 Satz 1 StPO normierten Gebot, dass über die Reststrafenaussetzung bei mehreren nacheinander zu vollstreckenden Freiheitsstrafen einheitlich zu entscheiden ist (vgl. dazu z.B. KG Berlin Beschluss vom 28.6.1999 5 Ws 396/99; OLG Karlsruhe Justiz 1998, 602; NStZ-RR 1997, 253).

Wegen der hier zwingend gebotenen einheitlichen Entscheidung über die Frage der Strafaussetzung ist auch die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten zur Bewährung auszusetzen. Denn über die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten zur Bewährung hat der Senat nicht mehr zu befinden, da nur der Angeklagte gegen das landgerichtliche Urteil Revision eingelegt hat. Der Senat kann daher die hier allein in Betracht kommende Sachentscheidung selbst treffen (§ 354 Abs. 1 StPO). Die Entscheidungen nach §§ 56 a) - d) StGB sowie die Belehrung des Angeklagten nach § 268 Abs. 3 StPO bleiben jedoch dem Tatgericht überlassen (vgl. dazu etwa BGH NStZ-RR 1999, 281 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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