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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 08.03.2005
Aktenzeichen: 4 St RR 211/04
Rechtsgebiete: StPO, AuslG (1990)


Vorschriften:

StPO § 261
AuslG (1990) § 39 Abs. 1
1. Widerspricht eine im tatrichterlichen Urteil nur teilweise wiedergegebene Anordnung einer Verwaltungsbehörde den allgemein bekannten Vorgehensregeln der Obersten Dienstbehörde, so muss sich das Urteil mit dem Inhalt der Anordnung im Einzelnen auseinandersetzen, um dem Revisionsgericht die Prüfung des Sachverhalts zu ermöglichen.

2. Eine Duldungsbescheinigung i.S. des § 39 AuslG (1990) konnte von der Verwaltungsbehörde dahingehend eingeschränkt werden, dass sie nicht als Ausweisersatz erteilt wird.


Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagte wegen passlosen Aufenthaltes zu einer Geldstrafe. Auf die Berufung der Angeklagten hob das Landgericht dieses Urteil auf und sprach die Angeklagte frei. Mit ihrer Revision rügte die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Ansicht, die Angeklagte sei wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu verurteilen. Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) und begründet, weil der Freispruch der Angeklagten vom Vorwurf des passlosen Aufenthalts einer tragfähigen Grundlage entbehrt.

Gründe:

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts handelt es sich bei der Angeklagten um eine iranische Staatsangehörige, die am 4.4.2002 in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und am 18.4.2002 Asylantrag stellte. Dieser wurde zuletzt mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19.11.2002 abgewiesen. Nach Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung durch den Bay. Verwaltungsgerichtshof vom 13.2.2003 ist diese Entscheidung seit dem 27.2.2003 rechtskräftig, die Angeklagte seitdem vollziehbar ausreisepflichtig.

Die Angeklagte ist nicht Willens, in ihr Heimatland zurückzukehren. Sie besitzt derzeit eine gültige Bescheinigung über die Duldung gemäß § 56a AuslG mit Lichtbild und persönlichen Daten. Das Landratsamt - Ausländerbehörde - betreibt gegen die Angeklagte die Abschiebung, die jedoch daran scheitert, dass die Angeklagte bei der Beschaffung von Heimreisepapieren nicht mitwirkt. Unter anderem wurde sie mit Schreiben des Landratsamts vom 17.6.2003 aufgefordert, unverzüglich mit ihren Eltern oder anderen Verwandten nachweisbar Kontakt aufzunehmen, um Dokumente über ihre Identität zu erhalten und diese der Ausländerbehörde vorzulegen. Die Ausländerbehörde ist auch bereit, die Angeklagte bei einer persönlichen Vorsprache im iranischen Konsulat in Frankfurt durch einen Mitarbeiter zu begleiten. Dies alles lehnt die Angeklagte mit der Behauptung ab, ihren Eltern oder sonstigen Angehörigen würden deshalb im Iran Nachteile entstehen. Anlässlich der Verlängerung ihrer Duldung erklärte die Angeklagte am 5.7.2004 auf die Mitteilung der Ausländerbehörde, sie solle zur Ausstellung einer Kennkarte freiwillig zum iranischen Konsulat fahren, dass sie nicht bereit sei, sich mit einem Mitarbeiter des Landratsamts bzw. Herrn K von der Zentralstelle Rückführung zu diesem Zweck zum iranischen Konsulat nach Frankfurt zu begeben. Eine persönliche Vorsprache dort lehne sie ab. Sie sei nicht bereit, in den Iran zurückzukehren.

2. Die Bewertung der Strafkammer, eine Verurteilung der Angeklagten wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG (a.F.) komme nicht in Betracht, weil

a) eine ausländische Botschaft grundsätzlich nicht in der Lage sei, einen Ausweisersatz im Sinne von § 39 Abs. 1 AuslG auszustellen (unter Hinweis auf BayObLG, Beschluss vom 14.10.2002, 4St RR 107/02),

b) die Angeklagte im Besitz einer gültigen Duldungsbescheinigung gemäß § 56a AuslG sei mit Angaben zur Person einschließlich Lichtbild,

c) der Angeklagten nicht der Vorwurf gemacht werden könne, sie habe sich nicht in zumutbarer Weise vom Bundesgebiet aus um die Ausstellung eines Passes bemüht, denn einen solchen könne sie nur erlangen, wenn sie im Besitz ihres abgelaufenen iranischen Passes sei,

d) nicht festgestellt werden könne, ab welchem Zeitpunkt die Angeklagte bei zeitgerechter Antragstellung im Besitz eines Passes hätte sein können, hält der rechtlichen Überprüfung nach den getroffenen Feststellungen nicht stand.

2.1. Nach § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG (a.F.) macht sich strafbar, wer sich entgegen § 4 Abs. 1 i.V.m. § 39 Abs. 1 AuslG ohne Pass oder Ausweisersatz im Bundesgebiet aufhält. Ein Ausländer, der weder einen Pass besitzt noch ihn in zumutbarer Weise erlangen kann, genügt der Ausweispflicht im Bundesgebiet jedoch auch mit einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung, wenn sie mit Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen ist (Ausweisersatz), vgl. § 39 Abs. 1 AuslG.

2.1.1. Der Tatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG setzt zunächst voraus, dass die Angeklagte der Ausweispflicht nach § 4 Abs. 1 AuslG unterliegt. Das ist der Fall. Wer sich im Bundesgebiet aufhalten will, benötigt grundsätzlich einen Pass. Ein Ausnahmefall nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 AuslG liegt nicht vor. Auch der Umstand, dass die Angeklagte Asyl beantragt hatte, befreite sie nach Abschluss des Asylverfahrens nicht von der Passpflicht. Hierzu bestimmt § 64 Abs. 1 AsylVfG, dass ein Ausländer nur für die Dauer des Asylverfahrens seiner Ausweispflicht mit einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung (§ 63 AsylVfG) genügt.

2.1.2. Als weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG bestimmt das Ausländerrecht, dass sich der passlose Ausländer unter Umständen auch mit der Aufenthaltsgenehmigung oder einem Ausweisersatz, also einer mit einem Lichtbild und Angaben zur Person versehenen Duldungsbescheinigung, ausweisen kann (§ 39 Abs. 1 AuslG). Diese Voraussetzung wäre grundsätzlich auch dann erfüllt, wenn dem Ausländer zur Tatzeit eine Duldungsbescheinigung in Form eines Ausweisersatzes zu erteilen gewesen wäre (vgl. hierzu auch Beschluss des OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 308, 309, in dem allerdings auf die Frage der Zumutbarkeit der Passerlangung nicht eingegangen wurde). Einen Anspruch auf Erteilung einer solchen qualifizierten Duldungsbescheinigung macht § 39 Abs. 1 AuslG allerdings davon abhängig, dass der Ausländer einen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen konnte. Diese verwaltungsrechtliche Vorfrage muss der Tatrichter anhand aller ihm bekannten und erforderlichenfalls noch aufklärbaren Umstände entscheiden. Kommt er zu dem Ergebnis, der Angeklagte habe in zumutbarer Weise einen Pass nicht erlangen können und deshalb sei ihm ein Ausweisersatz auszustellen gewesen, so kann diese Bewertung vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob von ihm der Begriff der Zumutbarkeit verkannt wurde oder ob er bei seiner Bewertung wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (BayObLG Beschluss vom 14.9.2004, 4St RR 71/2004).

2.2. Die Urteilsbegründung samt Beweiswürdigung ist lückenhaft.

2.2.1. Die Strafkammer hat zunächst im angefochtenen Urteil die Art der erteilten Duldungsbescheinigung nach § 56a AuslG nicht mitgeteilt und sich nicht mit der allgemein zugänglichen Weisung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 14.5.2003 hinsichtlich der Erteilung einer Duldung an vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer auseinandergesetzt (Az. IA2-2081.30-28).

(Fundstelle im Internet: http://verdi.bybn.de/to/rundschr_4ade.doc über www.bybn.de - Bayerisches Behördennetz - Infothek - dort http.//www.stmi.bybn.de/auslaender/default.htm - unter "Auswahl wichtiger Rundschreiben zum Vollzug des Ausländer- und Asylrechts ab März 1998- dort "Neue Rundschreiben"- mit Auswahl und Anzeige in "Word" -):

Dem Senat ist es zwar mangels erhobener Formalrüge verwehrt, das Verfahren hinsichtlich der Einführung der konkret erteilten Duldungsbescheinigung in die Hauptverhandlung zu beanstanden, da diese nur in Augenschein genommen und nicht als Urkunde verlesen wurde; auch kann der Senat nicht direkt die Kopie der Duldung berücksichtigen, da nur die Urteilsurkunde der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt.

Die Urteilsgründe sind aber aus folgenden Erwägungen lückenhaft: Das Landgericht hat nur festgestellt, die Angeklagte "besitze derzeit eine gültige Bescheinigung über die Duldung gemäß § 56a AuslG mit Lichtbild und persönlichen Daten" und dass "ein Original der Duldung nach § 56a AuslG mit dem derzeitigen Gültigkeitsvermerk in Augenschein genommen wurde". Mit dem Inhalt der konkret erteilten Duldung setzt sich die Strafkammer aber nicht auseinander, insbesondere nicht mit der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung durch die Ausländerbehörde aufgrund der genannten Weisung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 14.5.2003.

Darin heißt es unter 4.2.ff. u.a. (Duldung für Personen mit geklärter Identität):

"Liegen bei geklärter Identität und Staatsangehörigkeit keine Ausweisdokumente vor und ist die Passbeschaffung unzumutbar, ist die Duldung als Ausweisersatz im Sinne des § 39 Abs. 1 AuslG auszustellen. Die Duldung kann also nur als Ausweisersatz erteilt werden, wenn der Ausländer weder einen Pass besitzt, noch in zumutbarer Weise erlangen kann.

Die Ausländerbehörde entscheidet im Falle geklärter Identität im Einzelfall nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens unter Beachtung aller konkreten Umstände des Einzelfalls, ob die Erwerbstätigkeit zugelassen wird.

Ist eine Passbeschaffung bei geklärter Identität und Staatsangehörigkeit sowie fehlenden Ausweisdokumenten zumutbar, kann eine Bescheinigung nach § 56a AuslG über die Duldung erteilt werden.

Die nachfolgenden Hinweise für zu vertretende Abschiebungshindernisse bei ungeklärter Identität (4.3.1) gelten für diese Fälle entsprechend.

4.3. Duldung für Personen ungeklärter Identität

4.3.1 Abschiebungshindernisse sind zu vertreten

Hat der Ausländer die Abschiebungshindernisse selbst zu vertreten, indem er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht, oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Abschiebungshindernisse nicht erfüllt, ist nach Maßgabe der Nr. 4.1 gleichwohl eine Duldung zu erteilen. In diesen Fällen darf der Ausländer aber keinen Ausweisersatz im Sinne von § 39 Abs. 1 AuslG erhalten. Es obliegt dem Ausländer, den Nachweis zu bringen, dass er keinen Pass besitzt und in zumutbarer Weise auch keinen Pass erlangen kann. Vielmehr ist eine Bescheinigung nach § 56a AuslG über die Duldung auszustellen, die die Strafbarkeit nach § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht entfallen lässt. Vordruckmuster und Ausstellungsmodalitäten bestimmt das Bundesministerium des Innern durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die entsprechende Rechtsverordnung bleibt abzuwarten.

In diesen Fällen wird die Ermessensausübung in der Regel ergeben, dass die grundsätzliche Geltungsdauer der Duldung einen Monat beträgt, um zu verhindern, dass nicht mitwirkungsbereite Ausländer begünstigt werden. Die Duldung wird in Form einer Bescheinigung über die Duldung nach beiliegendem Muster, nicht aber mittels Klebeetikett schriftlich erteilt und ist mit der Überschrift "Bescheinigung nach § 56a AuslG über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung)" und dem Zusatz: "Kein Ausweisersatz" zu versehen. Zur Vermeidung von Missbrauch ist ein Passfoto des Inhabers anzubringen und zu siegeln."

Dementsprechend ist es möglich, dass die Ausländerbehörde die Duldung nicht als Ausweisersatz erteilt hat, sondern einschränkend nur eine sog. "Blatt- oder Zettelduldung", da sie unter Umständen von der Zumutbarkeit der Passbeschaffung ausging. Grundsätzlich wird durch diese Verfahrensweise (entgegen der Ansicht des LG Freiburg vgl. InfAusR 258, 2004) ein Ausländer nicht durch die Ausländerbehörde kriminalisiert, denn zum einen wird dem Duldungsanspruch, der trotz Verletzung von Mitwirkungspflichten besteht (vgl. BVerfG Beschluss vom 6.3.2003 NStZ 2003, 488, 489) Rechnung getragen, der Aufenthalt durch die Erteilung der Duldung legalisiert, zum anderen hat es ein Ausländer hinsichtlich des Vorwurfs des unerlaubten Aufenthalts ohne Pass bei Heimatstaaten, die Pässe erteilen, selbst in der Hand, sich einen solchen zu beschaffen. Eine entsprechende Regelung trifft § 48 Abs.2 AufenthG vom 30.7.2004 (BGBl I 1950).

Hätte das Landgericht den Inhalt der erteilten Duldung richtig bewertet und die wiedergegebenen ministerielle Weisungen gegenüber der Ausländerbehörde in diese Bewertung einbezogen, wäre es zu dem Ergebnis gelangt, dass u.U. keine qualifizierte Duldung gemäß § 39 Abs. 1 AuslG erteilt wurde und dass bei Zumutbarkeit der Passbeschaffung eine Strafbarkeit gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG (a.F.) in Betracht kommt. Darauf beruht das freisprechende Urteil (§ 337 StPO).

2.2.2. Die Strafkammer hat die Frage der "Zumutbarkeit" im Sinne von § 39 Abs. 1 AuslG verkannt.

Ein Ausländer kann einen Pass nur dann nicht in zumutbarer Weise erlangen, wenn ihm von seinen Heimatbehörden ein Pass verweigert wird oder wenn er einen solchen nicht in angemessener Zeit oder nur unter schwierigen Umständen erhalten kann (GK - AuslR Stand: Mai 2004 - AuslG § 39 Rn. 13).

Das Zumutbarkeitskriterium soll lediglich der Nachlässigkeit oder der Bequemlichkeit des Ausländers Einhalt gebieten (Hailbronner Ausländerrecht Stand: Juni 2004 - AuslG § 39 Rn. 7). Andererseits verpflichtet jedoch § 25 DVAuslG einen Ausländer, der sich im Bundesgebiet aufhält, unter anderem dann zur Beantragung eines neuen Passes, wenn der bisherige abhanden gekommen ist.

Den Feststellungen der Strafkammer lässt sich jedoch nicht entnehmen, aus welchen Gründen die Angeklagte ohne Pass ist. Sie hat nur festgestellt, dass die Angeklagte am 4.4.2002 ohne Dokumente nach Deutschland einreiste und auch jetzt nicht im Besitz irgendwelcher Identifikationspapiere (Pass, iranische Kennkarte, Führerschein, Geburtsurkunde etc.) ist. Andererseits führt die Strafkammer folgendes aus:

"Der Angeklagten ist der Vorwurf zu machen, dass sie sich nicht in zumutbarer Weise um Rückreisepapiere (Laissez Passer) bemüht hat und sich auch weiterhin nicht bemühen will. Von ihr ist durchaus zu verlangen, dass sie sich mit oder ohne Begleitung persönlich zum iranischen Konsulat nach Frankfurt begibt und dort alles Erforderliche unternimmt, um die Rückreisepapiere ausgestellt zu bekommen. Die schuldhafte Weigerung würde insoweit aber nicht § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG unterfallen."

Wenn aber bereits nach Ansicht der Strafkammer die Beschaffung von Heimreisepapieren durch persönliche Vorsprache beim iranischen Konsulat in Frankfurt samt eigener Bemühungen der Angeklagten zumutbar ist, sind keine Gründe ersichtlich, weshalb die Passbeschaffung unzumutbar sein soll, zumal auch hierzu lediglich das Erscheinen der Angeklagten bei ihrer Auslandsvertretung und ihre Mitwirkung, insbesondere die Antragstellung, gefordert ist.

Im Übrigen verkennt die Kammer bei ihrer Urteilsbegründung, dass es vorliegend um die Zumutbarkeit der Beschaffung eines Passes und nicht um die Beschaffung von Rückreisepapieren und auch nicht um die Ausstellung eines Ausweisersatzes durch eine ausländische Botschaft geht. Der zitierte Beschluss des BayObLG vom 14.10.2002 (4St RR 107/2002) bezieht sich lediglich darauf, dass eine ausländische Botschaft nicht in der Lage wäre, einen Ausweisersatz im Sinne des § 39 Abs. 1 AuslG, also eine Aufenthaltsgenehmigung oder eine (qualifizierte) Duldung, auszustellen. Die Entscheidung betrifft aber nur die Herkunftsländer, die lediglich bereit sind, nach Vorlage geeigneter Identitätspapiere Ersatzpapiere auszustellen, die zur Einreise in das Heimatland berechtigen, aber keine Pässe erteilen. Nur insoweit hat der Senat Zweifel an der Strafbarkeit gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG geäußert. Für Herkunftsländer, deren konsularische Vertretungen Pässe ausstellen - wie jetzt im Iran - gilt diese Einschränkung nicht.

Ein Ausländer kommt seiner Verpflichtung, sich einen Reisepass zu beschaffen, nur dann nach, wenn er zumindest einen entsprechenden Antrag bei der diplomatischen Vertretung seines Heimatstaates stellt. Diese Frage ist vom Tatrichter im Verfahren wegen passlosen Aufenthalts auch dann zu prüfen, wenn an sich ein Anspruch auf Erteilung einer qualifizierten Duldungsbescheinigung nach § 39 Abs. 1 AuslG gegeben wäre, weil eine solche voraussetzt, dass ein Reisepass nicht in zumutbarer Weise erlangt werden kann (BayObLG Urteil vom 14.9.2004, 4St RR 71/2004).

Liegt aber wie in vorliegendem Fall nicht einmal ein entsprechender Antrag auf Erteilung eines neuen Passes (bzw. einer iranischen Kennkarte) vor, verbietet sich grundsätzlich die Annahme, ein solcher sei in zumutbarer Weise nicht zu erlangen. Insoweit ist es im Regelfall jedem Ausländer zuzumuten, bei dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er vor der Einreise in das Bundesgebiet seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, einen Pass zu beantragen, soweit - wie hier- kein Rechtsanspruch auf einen deutschen Passersatz besteht (vgl. Allg. Verwaltungsvorschrift zum AuslG Nr. 39.0.2).

Es kommt daher eine Strafbarkeit gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG in Betracht.

2.2.3. Die Erwägung der Strafkammer, die Angeklagte könne die Anforderungen für die Ausstellung eines Passes nicht erfüllen, weil sie nicht im Besitz ihres abgelaufenen iranischen Originalpasses sei (BU S. 6 dort Merkblatt des Generalkonsulats der Islamischen Republik Iran in Frankfurt unter Nr. 4) vermag die generelle Zumutbarkeit der Passantragstellung nicht zu entkräften, da das Merkblatt erkennbar nur den Fall der Beantragung eines neuen Passes nach Ablauf des alten Passes betrifft. Demgemäß nimmt Ziffer 4 des Merkblatts ausdrücklich auf den "abgelaufenen" iranischen Pass Bezug. Das Landgericht hätte sich daher mit der Frage befassen müssen, unter welchen Voraussetzungen bei dem Generalkonsulat ein neuer Pass beantragt werden kann, wenn der alte Pass aus welchen Gründen auch immer nicht mehr vorhanden ist.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, die sich auf die Aussage des Zeugen K von der Zentralen Rückführungsstelle in München sowie insbesondere auf eine telefonische Auskunft des iranischen Generalkonsulats vom 21.5.2004 gründen, kann die Angeklagte die benötigten Papiere (Pass, Heimreiseschein oder Kennkarte) im Konsulat beantragen. Sie müsse sich dazu auf jeden Fall persönlich vorstellen und einen Identitätsnachweis führen. Die Angaben der Angeklagten zur Identität könnten, falls sie nicht durch Verwandte im Iran entsprechende Dokumente besorgen könne, auch durch das Konsulat über das Hauptstandesamt in Teheran überprüft werden. Dies geschehe aber nur aufgrund einer Antragstellung der Angeklagten und nach persönlicher Vorsprache. In diesem Fall sei mit einer Bearbeitungszeit von einem halben Jahr bis zur Ausstellung einer Kennkarte zu rechnen. Die Ausstellung der Kennkarte solle vor der Beantragung des Passes erfolgen.

Diese Telefonauskunft wurde mit Schreiben des iranischen Generalkonsulats Frankfurt nochmals bestätigt. Darin heißt es wörtlich: " Wenn sie (die Angeklagte) nicht im Besitz der iranischen Papiere ist, sollte sie zuerst die Ausstellung ihrer iranischen Kennkarte beantragen."

Wie die Strafkammer bei dieser Sachlage zu dem Ergebnis kommt, die Ausstellung eines neuen iranischen Passes erfordere die Vorlage des abgelaufenen Passes, den die Angeklagte nicht vorlegen kann (oder will), woraus sich die Unzumutbarkeit der Passbeschaffung ergebe, kann nicht nachvollzogen werden.

2.2.4. Soweit die Strafkammer tatbestandsmäßiges Handeln verneint, weil es nicht möglich sei, festzustellen, ab welchem Zeitpunkt die Angeklagte bei zeitgerechter Antragstellung im Besitz eines Passes hätte sein können, reicht diese Begründung zur Widerlegung der detaillierten Urteilsbegründung des Amtsgerichts nicht aus. Das Amtsgericht hat eingehend das Verfahren zur Beschaffung eines iranischen Passes über die Beantragung einer iranischen Kennkarte beschrieben und auf der Grundlage der mitgeteilten Bearbeitungszeiten für die Erteilung beider Papiere von sechs Monaten und weiteren drei Monaten sowie unter Berücksichtigung von je zwei Monaten für die "terminliche Einrichtung" der Angeklagten den Weg aufgezeigt, wie es zu einen Tatzeitpunkt spätestens ab 1.2.2004 kam. Da die mündliche Verhandlung am 4.6.2004 stattfand und der Angeklagten ein Dauerdelikt zur Last lag, fällt das Ende der Tatzeit mit diesem Zeitpunkt zusammen.

Rechtsfehlerhaft ist, dass das Landgericht mit keinem Wort substantiiert ausführt, aus welchen Gründen die zeitlichen Betrachtungen des Amtsgerichts unzutreffend sein sollen. Die pauschale Begründung, der Tatzeitpunkt sei nicht feststellbar, lässt jegliche Anknüpfung an das Ersturteil vermissen.

Die Begründung des Landgerichts trägt den Freispruch der Angeklagten nicht.

3. Für das weitere Verfahren ist ggfs. davon auszugehen, dass die Ausländerbehörde die Duldung entsprechend der Weisung des Bay. Staatsministeriums des Innern vom 14.5.2003 mit dem Zusatz erteilt hat, dass diese keinen Ausweisersatz im Sinne des § 39 Abs. 1 AuslG darstellt. In einer neuen Hauptverhandlung wird dann unter Berücksichtigung obiger Ausführungen als verwaltungsrechtliche Vorfrage zu prüfen sein, ob die Ausländerbehörde zu Recht die Zumutbarkeit der Passbeschaffung bejahte und deshalb nur eine sog. Blattduldung ausstellen durfte oder ob anderenfalls ein Anspruch auf eine qualifizierte Duldung bestand, die eine Strafbarkeit wegen passlosen Aufenthaltes entfallen ließe.

Nach den Feststellungen der Strafkammer zum Verhalten der Angeklagten kommt jedenfalls eine Strafbarkeit gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG schon deshalb in Betracht, weil sich die Angeklagte von vorneherein strikt weigert, einen Antrag auf Erteilung einer iranischen Kennkarte (als Vorstufe zur Passerteilung) zu stellen und sich daher, wie ausgeführt, grundsätzlich die Annahme verbietet, ein Pass sei nicht in zumutbarer Weise zu erlangen.

Der Tatrichter wird in der neuen Hauptverhandlung auch zu prüfen haben, ob der seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004 (BGBl. I 1950, 1982 ff.) mit Wirkung vom 1.1.2005 geltende Tatbestand nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das mildere Recht ist (§ 2 Abs. 3 StGB).

Ende der Entscheidung

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