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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.03.2004
Aktenzeichen: 4 St RR 27/04
Rechtsgebiete: DVAuslG, Grenzgängerabkommens zwischen Österreich und Ungarn


Vorschriften:

DVAuslG § 12 Abs. 2 Nr. 2a
Grenzgängerabkommens zwischen Österreich und Ungarn Art. 5
Der Inhaber einer österreichischen Zulassung als Grenzgänger nach dem Grenzgängerabkommen zwischen den Republiken Österreich und Ungarn ist im Besitze einer Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 2a DVAuslG.
Tatbestand:

Das Amtsgericht sprach den Angeklagten dreier Vergehen der unerlaubten Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt schuldig. Es verurteilte ihn deswegen zu einer Gesamtgeldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 70 Euro.

Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte, ein ungarischer Staatsangehöriger, als Fernfahrer der Firma H-Transportgesellschaft mit Sitz in Österreich drei Mal mit dem LKW seines Arbeitgebers durch die Bundesrepublik. Er wies dabei immer eine Zulassung als "Grenzgänger" des Arbeitsmarktservices Österreich vor. In seinem Reisepass befand sich ein Aufenthaltstitel als "Grenzgänger". Dieses Dokument berechtigte ihn zur Arbeit als Lkw-Fahrer nicht nur in der Grenzzone zu Ungarn, sondern im gesamten österreichischen Staatsgebiet. Eine Aufenthaltsgenehmigung für die Bundesrepublik Deutschland besaß er nicht. Mit der Sprungrevision beanstandete der Angeklagte das Verfahren und rügte die Verletzung des materiellen Rechts. Das Rechtsmittel erwies sich als zulässig (§ 335 Abs. 1, §§ 312, 341, 344, 345 StPO) und bereits mit der Sachrüge begründet. Es führte zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zum Freispruch des Angeklagten.

Gründe:

1. Das Amtsgericht hat den jeweiligen Aufenthalt des Angeklagten im Bundesgebiet als unerlaubt angesehen, weil es der Meinung war, der Grenzgängerstatus des Angeklagten beinhalte nach österreichischem Recht höchstens eine Aufenthaltserlaubnis, aber keine Arbeitserlaubnis. Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 2a DVAuslG hätten deshalb nicht vorgelegen, da der Angeklagte im Sitzstaat des Unternehmens nicht die erforderliche Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung gehabt habe. Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

2. Wegen unerlaubter Einreise bzw. wegen unerlaubten Aufenthalts macht sich nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6 AuslG grundsätzlich strafbar, wer sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AuslG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eine Aufenthaltsgenehmigung in Form eines Sichtvermerks (Visum), wobei nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG das Bundesministerium des Innern zur Erleichterung des Aufenthalts von Ausländern Rechtsverordnungen erlassen kann. § 1 Abs. 1 Satz 1 DVAuslG sieht daher vor, dass Staatsangehörige der in der Anlage I zu dieser Verordnung aufgeführten Staaten bei Vorliegen der erforderlichen Personaldokumente bei einem Aufenthalt bis zu drei Monaten keiner Aufenthaltsgenehmigung bedürfen, solange sie keine Erwerbstätigkeit ausüben. Ungarn ist in dieser Staatenliste aufgeführt. Als ungarischer Staatsangehöriger benötigte der Angeklagte somit grundsätzlich eine Aufenthaltsgenehmigung, da er in Deutschland zur Tatzeit als Kraftfahrer gearbeitet hat und damit im Sinne des § 12 Abs. 1 DVAuslG erwerbstätig geworden ist. Hieran hat sich auch nach Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15.3.2001 (ABl EG Nr. L 81 v. 21.3.2001), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 453/2003 des Rats vom 6.3.2003 (ABl EG Nr. L 069 v. 13.3.2003) zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreitung der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumspflicht befreit sind, nichts geändert. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. BayObLGSt 2002, 80/83).

Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn in der Person des Ausländers einer der in § 12 Abs. 2 - 5 DVAuslG zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehrs normierten Ausnahmetatbestände vorliegt. Da ist hier der Fall. Entgegen der Meinung des Amtsgerichts greift zugunsten des Angeklagten die Bestimmung des § 12 Abs. 2 Nr. 2a DVAuslG ein. Danach übt ein ausländischer Arbeitnehmer im Bundesgebiet dann keine Erwerbstätigkeit aus, wenn er im Dienst eines Unternehmens mit Sitz im Ausland unter Beibehaltung seines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland längstens insgesamt drei Monate innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten im Bundesgebiet als Angehöriger des fahrenden Personals im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr tätig ist, sofern das Unternehmen seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines EWR-Vertragsstaates hat, das Fahrzeug dort zugelassen ist und der Arbeitnehmer dort die erforderliche Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung besitzt.

Diese Voraussetzungen hat der Angeklagte zur Tatzeit erfüllt. Nach den Feststellungen stand er im Dienste eines Unternehmens mit Sitz in Österreich, das von ihm geführte Fahrzeug war dort zugelassen und er war im grenzüberschreitenden Güterverkehr eingesetzt. Darüber hinaus war er auch im Besitz der in Österreich erforderlichen Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung.

2.1 Der Aufenthalt des Angeklagten in Österreich war erlaubt, weil er eine Zulassung als Grenzgänger hatte. Insoweit bestimmt das Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Republik Ungarn über die Beschäftigung in Grenzzonen vom 26.3.1997 - nachfolgend Grenzgängerabkommen - GGA (BGBl für die Republik Österreich Teil III 1998, 179 ff.) in Art. 6 Abs. 3 Satz 1, dass Grenzgänger im Sinne des Abkommens zur Einreise und für die Dauer der Beschäftigung zum Aufenthalt in den Vertragsstaaten berechtigt sind. Der Status als Grenzgänger umfasst somit ein Aufenthaltsrecht.

2.2 Der Angeklagte war zur Tatzeit auch im Besitz einer Arbeitsgenehmigung im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 2a DVAuslG. Aus Art. 5 Abs. 1 GGA erschließt sich, dass ungarische Staatsangehörige, die nach diesem Abkommen zur Ausübung einer Beschäftigung in Österreich zugelassen werden sollen, ein entsprechendes Ersuchen auf Zulassung zu einer Beschäftigung als Grenzgänger stellen. Wird diesem Ersuchen entsprochen, wird dem Arbeitnehmer, wie im Falle des Angeklagten geschehen, eine Grenzgängerbescheinigung ausgestellt (Art. 5 Abs. 2 GGA). Diese berechtigt ihn dann zur Aufnahme einer Beschäftigung bei einem Arbeitgeber in der Grenzzone (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GGA). Somit war der Angeklagte auch im Besitz der erforderlichen Arbeitsgenehmigung. Seine Tätigkeit im Sitzstaat des Unternehmens war daher von der arbeitsgenehmigungsrechtlichen Seite her rechtmäßig und entsprach somit dem Gegenseitigkeitsgrundsatz, wonach derjenige, der in einem EWR-Staat über die erforderlichen Genehmigungen verfügt, im Rahmen des grenzüberschreitenden Verkehrs nicht auch noch um entsprechende Erlaubnisse in einem anderen Mitgliedsstaat nachsuchen muss (vgl. hierzu BayObLGSt 2002, 102, 104). Keinesfalls handelt es sich hierbei um eine Arbeitserlaubnis minderen Rechts. Das wird durch die Regelung des Art. 7 GGA bekräftigt, wonach auf die Beschäftigung eines Grenzgängers sämtliche Arbeitsvertrags- und Arbeitsschutzvorschriften der Republik Österreich anzuwenden sind.

3. Die Berechtigung des Angeklagten zum Aufenthalt und zur Arbeit in Österreich hat auch nicht dadurch eine Einschränkung erfahren oder gar zu deren Wegfall geführt, weil der Angeklagte nicht täglich zu seinem ständigen Wohnort in Ungarn zurückgekehrt ist. Insoweit bestimmt Art. 3 lit. b GGA ausdrücklich, dass zwar eine Rückkehrpflicht grundsätzlich besteht, jene Arbeitnehmer aber hiervon ausgenommen sind, die an wechselnden Beschäftigungsorten tätig sind. Gerade das ist aber bei einem Kraftfahrer der Fall. Der Angeklagte war folglich von der Verpflichtung befreit, nur in der Grenzzone einer Beschäftigung nachzugehen und täglich nach Ungarn zurückzukehren.

Soweit das Amtsgericht aus der Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes der Republik Österreich (AuslBG) den Schluss gezogen hat, der Angeklagte sei nicht mehr im Besitz der erforderlichen Arbeitsgenehmigung gewesen, weil er sich zwischen dem 8.7.2002 und dem 17.2.2002, also um mehr als eine Woche, im Ausland befunden hat, trifft das ebenfalls nicht zu. Zwar bestimmt die genannte Vorschrift, dass eine neue Arbeitsbewilligung erforderlich ist, wenn der ausländische Arbeitnehmer länger als eine Woche an einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt ist. Insoweit wurde jedoch übersehen, dass die Regelungen des AuslBG zwischenstaatliche Vereinbarungen über die Beschäftigung von Ausländern unberührt lassen (§ 1 Abs. 3 AuslBG). Konsequenterweise führt das AuslBG auch, soweit es die verschiedenen arbeitsrechtlichen Genehmigungen nennt, die im Einzelnen die Beschäftigung eines Ausländers in Österreich erlauben sind (vgl. § 3 Abs. 2 AuslBG), die Grenzgängerbewilligung nicht auf. Das Grenzgängerabkommen selbst enthält aber keine zeitlichen Einschränkungen in den Fällen, in denen ein ausländischer Arbeitnehmer an wechselnden Beschäftigungsorten tätig ist. Im Übrigen enden die Rechtswirkungen der durch eine Grenzgängerbewilligung geschaffenen ausländer- und arbeitsgenehmigungsrechtlichen Rechtsposition frühestens mit der Entziehung der Bewilligung (Art. 9 Abs. 2 GGA) und nicht bereits bei einem Verstoß gegen Bestimmungen des GGA. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 2a DVAuslG lagen daher entgegen der Meinung des Erstgerichts vor, so dass eine Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt in keinem der drei festgestellten Fälle in Betracht kommt.

Wegen des aufgezeigten Mangels (§ 337 StPO) wird das angefochtene Urteil daher auf die Revision des Angeklagten aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen (§§ 335, 354 Abs. 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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