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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 27.05.2003
Aktenzeichen: 4 St RR 47/03
Rechtsgebiete: StPO, BtMG


Vorschriften:

StPO § 318
BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10
BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11
BtMG § 29 Abs. 4
1. Wird der Angeklagte verurteilt, weil er seine Wohnung vorsätzlich Dritten zum Rauschgiftkonsum zur Verfügung gestellt hat, ist in den schriftlichen Urteilsgründen neben der Angabe der Zahl der Teilnehmer, bei Minderjährigen auch ihres Alters und ihrer Erfahrung mit Rauschgift, des konsumierten Rauschgifts, sowie der Mitteilung, ob Gelegenheit zum Rauschgiftkonsum geboten oder Rauschgift zur eigenständigen Verfügung abgegeben wurde (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 oder Nr. 10 BtMG), auch die Feststellung erforderlich, dass der Angeklagte diese Tatmodalitäten zumindest billigend in Kauf genommen hat.

2. Fehlt ein Teil dieser Feststellungen im angefochtenen Urteil, ist eine Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch regelmäßig unwirksam.


Tatbestand:

1. Zwischen September 2001 und Ende des Monats Januar 2002 besuchten die minderjährigen Mädchen L.R. und S.D. öfters den Angeklagten in dessen Wohnung in Marktredwitz. Bei mindestens zwei dieser Besuche rauchten die beiden Mädchen mit anderen Leuten, die sich ebenfalls in der Wohnung des Angeklagten befanden, Haschisch. Dieses Haschisch haben die Mädchen von anderen Leuten bekommen. Dabei handelte es sich nicht um den ersten Haschischkonsum der beiden Mädchen. Der Angeklagte selbst stellte das Rauschgift nicht zur Verfügung und rauchte auch nicht. Er stellte aber seine Wohnung zum Konsum von Rauschgift zur Verfügung. Er bemerkte auch, dass Rauschgift geraucht wurde.

2. Am 12.4.2002 war der Angeklagte in seiner Wohnung im Besitz einer geringen menge eines Marihuana-Tabak-Gemisches im Gewicht von weniger als 1 Gramm. Er verfügte nicht über die erforderliche Erlaubnis nach dem Betäubungsmittelgesetz.

Das Schöffengericht sprach den Angeklagten am 16.10.2002 des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit zwei sachlich zusammentreffenden Vergehen der unerlaubten Gewährung einer Gelegenheit zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln schuldig.

Es verhängte wegen des unter 1. dargestellten Sachverhalts zwei Freiheitsstrafen von je vier Monaten, ahndete die unter 2. beschriebene Tat mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40 EUR und bildete aus diesen Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft, die sie auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt hatte, verwarf das Landgericht Hof am 14.2.2003 als unbegründet.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Gründe:

Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge ist zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorausgegangenen amtsgerichtlichen Urteils entschieden hat. Aus diesem Grund ist vom Revisionsgericht, wenn sich, wie hier, das Berufungsgericht wegen der von der Berufungsführerin erklärten Berufungsbeschränkung (§ 318 StPO) nur noch mit der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung befasst hat, auch nachzuprüfen, ob und inwieweit die Berufung rechtswirksam auf diesen Teil des Ersturteils beschränkt ist (BayObLGSt 1999, 99 m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall.

Die Beschränkung der Revision auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung erweist sich als unwirksam, weil die Feststellungen des Schöffengerichts im Fall 1 so weitgehende Lücken aufweisen, dass sie den Umfang der Schuld des Angeklagten in diesen Anklagepunkten nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße erkennen lassen und die sonst in der Regel gegebene Trennbarkeit zwischen Schuld- und Strafausspruch ausnahmsweise zu verneinen ist (vgl. BGHSt 33, 59; BayObLGSt 1994, 253/254).

Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft mit der Revision ausschließlich die Frage der Strafaussetzung angreift, lässt das Fehlen ausreichender Feststellungen zum Unrechtsgehalt der Tat und zur Schuld des Angeklagten nicht als entbehrlich erscheinen. Zwar kann die Frage, ob eine verhängte Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, im Grundsatz unabhängig von deren Bemessung entschieden werden (vgl. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer StPO 24. Aufl. § 318 Rn. 83 m. w. N.), sofern nicht eine innere Abhängigkeit von der gesamten Straffrage besteht (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 318 Rn. 20 m. w. N.). Letzteres ist jedoch hier der Fall. Ist für das Revisionsgericht nämlich nicht nachvollziehbar, welcher objektive Unrechtsgehalt der Tat zugrunde liegt und in welchem Umfang ein Schuldvorwurf gegenüber dem Angeklagten erhoben wird, so sind die insoweit fehlenden Feststellungen sowohl für die Frage der Bemessung der Strafe, wie auch für die Frage der Strafaussetzung von entscheidender Bedeutung. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BayObLGSt 1999, 105/106; BayObLG v. 2.2.2000 - 4St RR 9/2000 und v. 30.10.2001 - 4St RR 121/2001; Urteil v. 26.3.2002 - 4St RR 22/2002).

Zwar kann sich der Angeklagte nach den unter 1 wiedergegebenen Feststellungen grundsätzlich zweier tatmehrheitlich zusammentreffender Vergehen des Gewährens einer Gelegenheit zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BtMG schuldig gemacht haben, so dass eine Bestrafung nach dieser Vorschrift in Betracht zu ziehen ist. Wer nämlich seine eigene Wohnung Dritten zum Umgang mit Rauschgift im Sinne des unbefugten Erwerbs oder der unbefugten Abgabe zur Verfügung stellt, gewährt eine Gelegenheit im Sinne des genannten Tatbestands. Er fördert damit unmittelbar die genannten Rauschgiftgeschäfte Dritter und stellt somit günstige äußere Bedingungen für einen Rauschgiftkonsum her (vgl. hierzu BayObLGSt 1982, 100 = MDR 1983, 75 und Beschluss vom 20.6.1991 - RReg. 4St 10/91; Körner BtMG 5. Aufl. § 29 Rn. 1406).

In subjektiver Hinsicht muss sich hierbei der Vorsatz des Angeklagten allerdings auf jeweils alle Tatumstände erstrecken, die das Gewähren einer Gelegenheit zur unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln umfassen, wobei bedingter Vorsatz genügt (vgl. Weber BtMG 2. Aufl. § 29 Rn. 1173 i.V.m. Vor §§ 29 ff. Rn. 259, 269). Auch jene Umstände, die im Wesentlichen den Schuldumfang bestimmen und damit für die Strafzumessung ausschlaggebend sind, müssen vom Vorsatz des Täters umfasst sein (vgl. hierzu Weber Vor §§ 29 ff. Rn. 261).

Hinsichtlich der Anforderungen zur subjektiven Tatseite hat das Schöffengericht jedoch lediglich festgestellt, dass der Angeklagte seine Wohnung zum Konsum von Rauschgift zur Verfügung gestellt hat. Ihnen ist nicht zu entnehmen, dass er zumindest auch damit gerechnet und es billigend in Kauf genommen hat, dass die Besucher seiner Wohnung anderen Besuchern Rauschgift abgeben würden. Insoweit deuten die Feststellungen eher darauf hin, dass sich der Angeklagte nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 BtMG strafbar gemacht haben könnte und hinsichtlich eines Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BtMG lediglich fahrlässiges Verhalten vorliegt (vgl. § 29 Abs. 4 BtMG). Zwar stehen Mängel in der sachlich-rechtlichen Bewertung der Tat der Wirksamkeit einer Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nicht entgegen, solange die grundsätzliche Strafbarkeit der verfahrensgegenständlichen Tat nicht zweifelhaft ist (vgl. hierzu BGH NStZ 1996, 352/353) und das geltende Recht lediglich falsch angewendet wurde (vgl. BayObLGSt 1987, 69/70; Meyer-Goßner § 318 Rn. 17 a). Insoweit ist der Wille der Verfahrensbeteiligten, am Schuldspruch nichts zu ändern, regelmäßig zu akzeptieren. Dieser Grundsatz erfährt jedoch dann eine Ausnahme, wenn - wie hier - die zum Schuldumfang getroffenen Feststellungen so wesentliche Lücken aufweisen, dass sie weder für die Bemessung der auszusprechenden Strafen noch für die nach § 56 Abs. 1 StGB zu treffende Prognose eine tragfähige Grundlage bilden.

Dem angegriffenen Urteil kann hierzu nicht entnommen werden, wie umfangreich und schutzwürdig der Personenkreis war, dem der Angeklagte in den beiden Fällen seine Wohnung zur Verfügung gestellt hatte. Das Schöffengericht spricht nur von zwei minderjährigen Mädchen, die mit "anderen Leuten", deren Zahl offen geblieben ist, geraucht und von denen sie Haschisch bekommen haben. Damit steht die Mindestzahl der am Geschehnis beteiligten Personen nicht fest. Ebenso wenig erschließt sich aus den Feststellungen die Schutzwürdigkeit der beteiligten Mädchen, deren Alter bei nahezu 18 Jahren, aber auch ganz wesentlich darunter gelegen haben kann. Auch die Feststellung, bei beiden habe es sich nicht um den ersten Haschischkonsum gehandelt, gibt der Vermutung freien Raum, was deren Erfahrung im Umgang mit Rauschgift betrifft. Die Feststellungen sagen auch nichts darüber aus, inwieweit den Mädchen lediglich eine Gelegenheit zum Mitkonsum gegeben wurde (vgl. hierzu BayObLG StV 1998, 592 m. Anm. Körner) oder ob sie - im Sinne der Abgabe und des Erwerbs - zur eigenständigen Verfügung Rauschgift erhalten hatten, um darüber nach Belieben verfügen zu können (vgl. hierzu die ständige Rechtsprechung, etwa BGH bei Holtz MDR 1991, 482/484). Aus den Urteilsgründen, die im Rahmen der sachlich-rechtlichen Überprüfung für den Senat die einzige Prüfungsgrundlage bilden (vgl. Meyer-Goßner § 337 Rn. 22), erschließt sich auch nichts zum Umfang des Rauschgiftkonsums. Hinzu kommt noch, dass auch nicht feststeht, ob Haschisch in der Wohnung des Angeklagten abgegeben wurde oder ob das außerhalb der Wohnung geschah. Ebenso wenig ist festgestellt, ob der Angeklagte, falls Rauschgift in der Wohnung abgegeben wurde, insoweit vorsätzlich oder nur fahrlässig Gelegenheit hierzu gegeben hat.

Angesichts der Vielzahl fehlender Feststellungen enthält das angegriffene Urteil damit für die Bemessung des Rechtsfolgenausspruchs wie auch für die Prognoseentscheidung keine ausreichenden Grundlagen.

Im Übrigen hat die Beschränkungserklärung der Staatsanwaltschaft zur Rechtskraft des Schuldspruchs und der verhängten Geldstrafe im Fall 2 geführt. Hierzu enthält das Urteil des Erstgerichts ausreichende Feststellungen.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

1. Die unter 1. beschriebene Tat des Angeklagten wird von der neu entscheidenden Strafkammer auch im Hinblick auf § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 und Abs. 4 BtMG zu würdigen sein. Die Straftatbestände nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 und 11 BtMG können tateinheitlich zusammentreffen.

2. Im Rahmen der Gesamtstrafenbildung muss sich aus den Gründen ergeben, dass der Tatrichter die Bestimmung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB beachtet hat.

3. Bei einer Positiven Sozialprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB ist der Tatrichter gehalten, im Urteil nachvollziehbar darzustellen, worauf sich seine begründete Erwartung stützt, der Angeklagte werde sich schon die Verurteilung als solche zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen. Er muss hierbei darlegen, dass eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit straffreier Führung besteht. Hierbei muss auch gewürdigt werden, ob diese Tatsachen schon zur Tatzeit vorgelegen haben oder erst später aufgetreten sind. Ist der Täter gewichtig vorbestraft und mehrfacher Bewährungsversager, bedarf die Prognose einer besonders sorgfältigen Begründung (Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 56 Rn. 6 m. w. N.). Wurde, wie hier, eine zuletzt verhängte Strafe im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt, so wird der Tatrichter seiner Verpflichtung zur umfassenden Würdigung aller für die Prognoseentscheidung wesentlichen Umstände nur dann gerecht, wenn er sich anhand des Gnadenhefts auch mit den Gründen befasst, die der Angeklagte damals zur Begründung des Gnadengesuchs genannt hat.

Ende der Entscheidung

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