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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 11.03.2003
Aktenzeichen: 4 St RR 7/03
Rechtsgebiete: GG, AO, EStG 1990, EStG 1997, Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts, Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 100 Abs. 1
AO § 370 Abs. 1 Nr. 1
AO § 396
EStG 1990 § 20 Abs. 1 Nr. 1
EStG 1990 § 20 Abs. 1 Nr. 7
EStG 1990 § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
EStG 1997 § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit b)
Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs u. zur Bereinigung des Steuerrechts Art. 1
Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform Art. 1
Zur Frage der Strafbarkeit von Steuerhinterziehungen durch Nichtangabe von Einkünften aus der Veräußerung von Zero-Bonds sowie durch Nichtangabe von Spekulationsgewinnen.
Tatbestand:

Der Angeklagte reichte am 7.6.1994 beim Finanzamt für das Veranlagungsjahr 1993 die Einkommensteuererklärung ein, in der er ein zu versteuerndes Einkommen von 52875 DM angab. Da das Finanzamt seiner Darstellung folgte, wurde mit Bescheid vom 21.2.1995 die von ihm zu zahlende Einkommensteuer auf 8918 DM festgesetzt. Der Angeklagte hatte in dieser Steuererklärung wahrheitswidrig angegeben, eine Wohnung in dem von ihm mit seiner Familie allein bewohnten Zweifamilienhaus vermietet zu haben, und einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 5266 DM erklärt.

Ferner verschwieg er Erträge aus dem Verkauf von Zero-Coupon-Bonds in Höhe von 333570 DM, obwohl er damit rechnete, diese versteuern zu müssen.

Außerdem gab er eingenommene Zinsen und Dividenden in Höhe von insgesamt 822 DM nicht an.

Deswegen wurde die von ihm zu zahlende Einkommensteuer um 143104 DM zu niedrig festgesetzt.

Zu den für die Veranlagungszeiträume 1994 mit 1996 am 17.5.1995, am 21.6.1996 und am 10.11.1997 beim Finanzamt eingegangenen Einkommensteuererklärungen gab der Angeklagte aus den vorgenannten Gründen jeweils wahrheitswidrig Verluste aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 3203 DM bzw. 3575 DM bzw. 3277 DM an. Da das Finanzamt diese Zahlen seinen Bescheiden zugrunde legte, wurden die vom Angeklagten zu zahlenden Einkommensteuern für 1994 um 666 DM, für 1995 um 688 DM und für 1996 um 926 DM zu niedrig festgesetzt.

In der am 11.8.1999 beim Finanzamt eingegangenen Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1997 gab der Angeklagte ein zu versteuerndes Einkommen von 87957 DM an.

Dabei verschwieg er Spekulationsgewinne aus dem Kauf und Verkauf von Aktien und Optionsscheinen in Höhe von insgesamt 40630 DM, obwohl er damit rechnete, dass er diese zu versteuern hatte. Demzufolge wurde die von ihm für 1997 zu zahlende Einkommensteuer im Bescheid vom 8.3.2000 um 13570 DM zu niedrig festgesetzt.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 10.4.2002 wegen fünf Fällen der Einkommensteuerhinterziehung, in drei Fällen davon in Tateinheit mit Hinterziehung von Solidaritätszuschlag, zur Gesamtgeldstrafe von 320 Tagessätzen zu je 100 Euro.

Gegen diese Entscheidung legten der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft, letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, Berufung ein.

Am 7.10.2002 beschränkte die Strafkammer das Verfahren auf den Vorwurf der Einkommensteuerhinterziehung, verwarf die Berufung der Staatsanwaltschaft und änderte das amtsgerichtliche Urteil auf die Berufung des Angeklagten dahin ab, dass er wegen Einkommensteuerhinterziehung in fünf Fällen zur Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt wurde.

Die Revision des Angeklagten war unbegründet.

Gründe:

1. Der Senat hält es nicht für geboten, das Verfahren nach § 396 AO auszusetzen (vgl. dazu etwa BVerfG NStZ 1991, 88; BGHSt 37, 266; 34, 272 jeweils m. w. N.). Ebenso wenig ist es erforderlich, die Sache dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorzulegen, ob die jeweils zur Tatzeit geltenden einkommensteuerrechtlichen Regelungen der Besteuerung von Zinsen, Erträgen aus dem Verkauf von Zero-Bonds und von Spekulationsgewinnen mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind.

Hinsichtlich der vom Angeklagten im Jahr 1993 erzielten und gemäß § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 7 Einkommensteuergesetz (EStG) 1990, dieses im Veranlagungszeitraum 1993 zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMGB) vom 21.12.1993 (BGBl I S. 2310), steuerpflichtigen Dividenden und Zinsen teilt der Senat die vom Bundesfinanzhof im Urteil vom 18.2.1997 (BFHE 183, 45) vertretene Auffassung, dass die Besteuerung dieser Einkünfte seit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) vom 9.11.1992 (BGBl I S. 1853) nicht mehr gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

Soweit der Beschwerdeführer verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Besteuerung der Kapitalerträge aus dem Verkauf von Zero-Bonds im Jahr 1993 gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 1990 und gegen diejenige der im Jahr 1997 erzielten Spekulationsgewinne gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit b) EStG 1997 vom 16.4.1997 (BGBl I S. 823/871), dieses im Veranlagungszeitraum 1997 zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 - (BGBl I S. 2590), geltend macht, hätte der Senat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur einzuholen, wenn die Klärung der in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Fragen zur abschließenden Beurteilung der hier zu entscheidenden Sachverhalte unerlässlich wäre (st. Rspr., vgl. z.B. BVerfG NJW 1995, 772; BVerfGE 84, 232; 79, 240; 72, 90; 68, 310; 66, 84; 61, 138 jeweils m. w. N.). Dies ist jedoch auch dann nicht der Fall, wenn man die Verfassungswidrigkeit der hier interessierenden Normen in den jeweils zur Tatzeit geltenden Fassungen wie der Bundesfinanzhof im Vorlagebeschluss vom 16.7.2002 (BStB1 2003 II S. 74) zur Besteuerung privater Spekulationseinkünfte (vgl. hierzu auch BFHE 194, 157; FG Düsseldorf DStRE 1999, 858; Niedersächsisches Finanzgericht EFG 2000, 374; Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht EFG 2000, 178) wegen Verstoßes gegen das Gebot der Steuergerechtigkeit (vgl. dazu auch BVerfGE 74, 182; 18, 224) bejahen würde. Denn dann wäre die Vorlage der Sache gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nur geboten, wenn die Verfassungswidrigkeit die Nichtigkeit der beanstandeten Regelungen nach sich ziehen würde (vgl. z.B. BVerfGE 79, 244; 66, 100; 65, 160). Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz bestimmt aber als Folge der Verfassungswidrigkeit nicht ausnahmslos die Nichtigerklärung der Norm, sondern lässt auch eine bloße Verfassungswidrigerklärung gesetzlicher Bestimmungen zu. Die Nichtigkeit als Regelfolge der Verfassungswidrigkeit (vgl. dazu etwa BVerfGE 99, 88; 57, 294; 55, 100) tritt nicht ein, wenn der durch die Nichtigkeit der Norm herbeigeführte Zustand dem Grundgesetz noch ferner stünde als der bisherige (vgl. z.B. BVerfGE 101, 106/131; 90, 60/104; 85, 386/401; 83, 130/154; 37, 217/262). Ebenso wenig ist die Nichtigkeit dann die Folge, wenn der Gesetzgeber die Verfassungswidrigkeit auf verschiedene Weise beseitigen kann; gerade auch bei Verstößen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist dies der Fall (vgl. zum Ganzen etwa BVerfGE 101, 54/104; 99, 202/215; 96, 1/7, 260/264; 94, 241/265; 93, 386/402, 37/84; 61, 43/68). Diese Grundsätze gelten gerade auch für den Bereich des Steuerrechts. Hier hält das Bundesverfassungsgericht eine bloße Erklärung der Verfassungswidrigkeit der Norm für geboten, wenn etwa Gründe des Gemeinwohls bzw. der Rechtssicherheit einen schonenden Übergang erfordern oder eine Nichtigerklärung mit dem Grundgesetz noch weniger zu vreinbaren wäre als eine vorübergehende Fortgeltung der verfassungswidrigen Norm [vgl. hierzu z.B. BVerfGE 99, 216/244 (Kinderbetreuungskosten); 91, 186/207 (Kohlepfennig); 87, 152/178 (Existenzminimum); 61, 319/356 (Besteuerung Alleinstehender mit Kindern)]. Ebenso beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht in diesem Rechtsbereich gerade auch bei Verstößen gegen den Gleichheitssatz auf die Erklärung der Verfassungswidrigkeit, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beheben [BVerfGE 99, 280/298 (Stellenzulage); 93, 165/178 (Erbschaftssteuer); 93, 121/148 (Vermögens-Steuer); 28, 227/243 (Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung landwirtschaftlicher Grundstücke)]. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 27.1.1991 zur Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (BVerfGE 84, 239) die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen. Denn es hat entschieden, dass die damals geltende Regelung der Besteuerung dieser Einkünfte zwar wegen Verletzung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieß, dem Gesetzgeber aber für die Herstellung der Besteuerungsgleichheit eine Übergangsfrist bis 1.1.1993 eingeräumt, während der das bisherige Recht fortgalt.

Nichts anderes hat fü den Fall zu gelten, dass die vom Beschwerdeführer gegen die Besteuerung der Erträge aus dem Verkauf von Zero-Bonds oder/und die vom Bundesfinanzgerichtshof gegen die Besteuerung von Spekulationsgewinnen erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken zutreffen sollten. Denn sie erschöpfen sich in der Beanstandung der jeweiligen Erhebungsregelung, die mit einer Art. 3 Abs. 1 GG verletzenden Belastungsungleichheit begründet wird. Die grundsätzliche Zulässgkeit der Besteuerung der Einnahmen aus dem Verkauf von Zero-Bonds wird dagegen ebenso wenig in Frage gestellt wie die der Besteuerung von Spekulationsgewinnen (jetzt: von Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften). Der Senat zieht sie ebenfalls nicht in Zweifel. Deswegen ist auch auszuschließen, dass eine auf der Verletzung des Gebots der Steuergerechtigkeit beruhende Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 1990 und/oder des §23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit b) EStG 1997 die Nichtigkeit einer dieser Normen zur Folge hat. Sie kann nur dazu führen, dass eine von ihnen oder beide zwar unvereinbar mit dem Verfassungsrecht, aber für eine Übergangsfrist noch anzuwenden sind. Denn zum einen könnte der Gesetzgeber etwa den Gleichheitssatz verletzende Mängel auf verschiedene Weise beseitigen (so auch BFH BStB1 2003 11 S. 74/85). Andererseits kommt wegen der haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen, die die Nichtigkeit der in Rede stehenden Bestimmung zur Folge hätte, nur die Anordnung ihrer vorübergehenden Weitergeltung in Betracht.

Da sich eine etwaige Unvereinbarkeitserklärung nur für die Zukunft auswirken wird, entfällt auch die mit einer solchen Erklärung grundsätzlich verbundene Anwendungssperre (vgl. BGHSt 47, 138 zur Vermögenssteuerhinterziehung). Die bereits verwirklichte Hinterziehung von Steuern auf Kapitalerträge aus dem Verkauf von Zero-Bonds und von solchen, die auf Spekulationsgewinne zu entrichten sind, bleibt also während des hier interessierenden Tatzeitraums strafbar.

2. Die Verfahrensrügen sind unzulässig, weil sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO nicht genügen.

Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, die Strafkammer habe entgegen seinem Antrag das Verfahren nicht nach § 396 AO ausgesetzt, trägt er in der Revisionsbegründung weder vor, dass er diesen Antrag in der landgerichtlichen Hauptsacheverhandlung gestellt hat, noch teilt er den genauen Inhalt dieses Antrags mit.

Seine Rüge, die Strafkammer habe den Antrag auf Vernehmung seiner Ehefrau zu seinen Spielbankbesuchen und den damit verbundenen Ausgaben zu Unrecht abgelehnt, scheitert schon daran, dass in der Revisionsbegründung der Inhalt dieser Entscheidung nicht wiedergegeben wird.

Im Übrigen handelte es sich bei diesem Antrag nicht um einen Beweis-, sondern um einen Beweisermittlungsantrag, da mit ihm keine bestimmten Tatsachenbehauptungen aufgestellt wurden (vgl. z.B. BGH StV 1982, 55).

3. Auch sachlich-rechtlich weist die angefochtene Entscheidung keine den Angeklagten belastenden Mängel auf.

Der zutreffend auf § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützte Schuldspruch ist nicht zu beanstanden. Denn die Strafkammer hat alle hierfür erforderlichen Feststellungen getroffen. Auch der Beschwerdeführer zieht ihn abgesehen von seinen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht in Zweifel.

Bei der Verhängung der Einzelgeldstrafen wie bei der Bemessung der Gesamtgeldstrafe hat die Strafkammer keinen wesentlichen Schuldmilderungsgrund übersehen, aber auch nicht in unzulässiger Weise Strafschärfungsgründe herangezogen. Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Sachrüge darauf hinweist, er sei bei Fertigung der Einkommensteuererklärung 1997 nicht im Besitz der erforderlichen Unterlagen gewesen, weil sie von der Steuerfahndung beschlagnahmt und mitgenommen worden seien, übersieht er, dass dem Revisionsgericht für die sachlichrechtliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung allein die Urteilsurkunde zur Verfügung steht (vgl. z.B. BGHSt 35, 238/241 m. w. N.). Dort aber fehlen entsprechende Feststellungen.

Ende der Entscheidung

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