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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.07.2004
Aktenzeichen: 4St RR 070/04
Rechtsgebiete: BtMG, StPO


Vorschriften:

BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1
StPO § 261
Der Tatrichter kann seine Überzeugung vom Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel nicht auf statistische Erwägungen stützen.
Tatbestand:

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verurteilt. Das Landgericht Ansbach verwarf die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monaten verurteilt wurde.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die zulässig eingelegte (§ 341 Abs. 1 StPO) und begründete (§§ 344, 345 StPO) Revision hatte mit der Sachrüge Erfolg, soweit die Beweiswürdigung der Strafkammer zum Wirkstoffgehalt des eingeführten Heroins betroffen ist. Diese nämlich entfernt sich in einem entscheidenden Punkt von einer festen Tatsachengrundlage und stützt sich auf bloße Vermutungen (vgl. BGH NStZ 1981, 33).

Gründe:

Zutreffend hat die Strafkammer erkannt, dass die im eingeschmuggelten Rauschgift enthaltene Wirkstoffmenge entscheidend für die Feststellung ist, ob es sich bei dem Heroingemisch um eine "nicht geringe Menge" im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr.4 BtMG handelt. Weiterhin kommt der Wirkstoffmenge wesentliche Bedeutung für die Beurteilung der Schwere der Tat und der Bestimmung des Schuldumfangs zu (vgl. BayObLGSt 1995, 27,28). Wenn - wie im vorliegenden Fall- die Betäubungsmittel nicht sichergestellt wurden und daher eine Wirkstoffuntersuchung nicht möglich ist, hat der Tatrichter alle Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen. So ist unter Berücksichtigung aller festgestellter Tatumstände, insbesondere des Preises und der Herkunft ( Verpackung, Verplombung, Aussehen), der Beurteilung durch andere Tatbeteiligte, der Qualität des Lieferanten oder der Möglichkeit des Streckens zu untersuchen, von welcher Mindestqualität und damit welchem Wirkstoffgehalt auszugehen ist (BGH NStZ 1985, 221). Können auch auf diese Weise hinreichend sichere Feststellungen nicht getroffen werden, so ist von dem für den Angeklagten günstigsten Mischungsverhältnis auszugehen, das nach den Umständen in Betracht kommt (BGH a.a.O.).Dabei ist zwar der Zweifelsgrundsatz zu beachten, jedoch ist es nicht erforderlich, stets von der denkbar schlechtesten Qualität auszugehen (BGH NStZ 1986, 232).

Die Strafkammer hat ihre Überzeugung von einem Mindestwirkstoffgehalt des Heroins von 15 % aus der Erwägung hergeleitet, aus einer Vielzahl von Sachverständigengutachten sei bekannt, "dass ein in Deutschland in der Szene angebotenes 'Straßengramm' Heroin regelmäßig einen Heroinhydrochloridgehalt zwischen 10 und 20 % hat, während aus den Niederlanden stammendes Heroin stets von wesentlich besserer Qualität ist und regelmäßig einen Wirkstoffgehalt von etwa 40 % aufweist". Weiterhin geht die Strafkammer davon aus, dass der Angeklagte und sein Mittäter die kostenaufwändigen und risikoreichen Einfuhrfahrten nicht unternommen hätten, wenn das Rauschgift von schlechterer Qualität gewesen wäre; insbesondere hätten sie dann keine zweite Fahrt unternommen. Diese Annahme stimmt schon nicht mit den statistischen Werten überein (vgl. Weber, Kommentar zum BtMG, 2.Auflage, Anhang H - Häufigkeit der Wirkstoffgehalte - Heroin).

Diese Feststellungen bieten aber auch für sich alleine keine ausreichend feste Tatsachengrundlage, um den von der Strafkammer angenommenen Wirkstoffgehalt von 15 % zu rechtfertigen. Dieser Mangel der Beweiswürdigung kann mit der Sachrüge geltend gemacht werden (vgl. BGH NStZ 1981, 33; Meyer - Goßner Strafprozessordnung 47. Aufl. § 261 Rn.38). Selbst wenn die von der Strafkammer erwähnten Heroin-Wirkstoffgehalte für die Bundesrepublik und die Niederlande statistisch zuträfen würde dies allein es nicht rechtfertigen, in allen Fällen, in denen der Heroinanteil nicht festgestellt werden kann, ohne weiteres von diesen Erfahrungswerten auszugehen. Da auch Heroinzubereitungen mit wesentlich geringeren Heroinanteilen gehandelt werden, müssen noch weitere konkrete Feststellungen über die Qualität des Heroingemischs hinzukommen (vgl. BGH NStZ 1982, 207 zu einem festgestellten Heroinanteil von 25 %). Auch der Umstand, dass der Angeklagte mit seinem Mittäter S zwei Mal in die Niederlande gefahren ist, rechtfertigt im Zusammenhang mit den vorgenannten Erwägungen nicht die Feststellung, dass man bei diesen Gelegenheiten auch tatsächlich Heroin in der erwarteten guten und dort üblichen Qualität erhalten hat. Dies gilt zumindest für die erste Rauschgift-Einkaufsfahrt, von der auch nicht bekannt ist, welche Rohmenge Heroin hierbei - 15 oder 20 Gramm - erworben wurde.

Die Verfahrensrüge greift hingegen nicht durch: Im Zusammenhang mit einer unterlassenen Sachverhaltsaufklärung wegen des Fehlens einer Aussagegenehmigung ist zwar eine Aufklärungsrüge zulässig, die darauf gestützt werden kann, dass sich das Gericht nicht genügend bemüht hat, die Aussagegenehmigung zu erlangen (Meyer- Goßner § 54 Rn.32). Hat ein Zeuge - wie hier - aber ausgesagt, wäre ein mangelndes Bemühen des Gerichts, die Aussagegenehmigung beizubringen folgenlos, da eine Sachverhaltsaufklärung ja tatsächlich stattgefunden hat.

Sollte die vom Gericht unterlassene Nachfrage hinsichtlich der Aussagegenehmigung dazu geführt haben, dass der Zeuge verfahrensfehlerhaft ohne Aussagegenehmigung ausgesagt hat, läge zwar ein Verstoß gegen § 54 StPO vor. Einen solchen Verstoß kann jedoch der Angeklagte nicht rügen, da diese Vorschrift nicht seinem Schutz dient, sondern ausschließlich das Interesse des Staates an der Wahrung der Amtsgeheimnisse im Auge hat (KK-Senge § 54 Rn.26).

Für das weitere Verfahren wird bemerkt: Wie aus dem Akteninhalt ersichtlich ist, stehen dem Landgericht weitere Aufklärungsmöglichkeiten hinsichtlich des Wirkstoffgehaltes des Rauschgifts zur Verfügung. Zwar beschränken sich die Urteilsgründe bisher auf die Feststellung lediglich zweier Rauschgiftbeschaffungsfahrten des Mittäters S mit dem Angeklagten. Aufgrund seiner polizeilichen Vernehmung besteht jedoch Grund zur Annahme, dass S bereits mehrfach mit anderen Begleitern in die Niederlande gefahren ist, um Rauschgift zu erwerben. Könnten in der erneuten Hauptverhandlung derartige Feststellungen getroffen werden, dann stünde die Schlussfolgerung, S und seine jeweiligen Begleiter hätten diese Fahrten wegen der in den Niederlanden besseren Qualität des Rauschgiftes unternommen, auf einer sichereren Grundlage. Angezeigt erscheint auch eine ausdrückliche Befragung des S und seiner anderen Begleiter zur Frage der Qualität des bei den anderen Gelegenheiten erworbenen Heroins und zu den Begleitumständen, die auf eine immer annähernd gleiche Qualität des erworbenen Heroins schließen lassen (z. B. Person des Lieferanten). Hierbei kann auch dem Umstand Bedeutung beikommen, dass S in seiner polizeilichen Vernehmung lediglich bei einer einzigen Beschaffungsfahrt mit den anderweitig verfolgten G und St von einer "ziemlich schlechten Qualität" des Heroin gesprochen hat.



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