Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 11.01.2005
Aktenzeichen: 4St RR 176/04
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 58 Abs. 4
Ein dauerhaftes Abschiebehindernis, das für den Täter einen "Vertrauenstatbestand" bildet, kann nicht durch das Zwischenstadium eines nur "vorübergehenden Abschiebehindernisses", für welches § 58 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG nicht mehr gelten würde, beendet werden. Die Rechtssicherheit erfordert zwischen dem Dauerzustand der Nichtabschiebung und der Beendigung dieses Zustandes eine klare Zäsur, die auch für den Täter erkennbar sein muss (Anschluss an das Urteil des Senats vom Urteil vom 22.9.2004 - 4St RR 93/04).
Tatbestand:

Das Amtsgericht sprach den Angeklagten, einen irakischen Staatsangehörigen mit Urteil vom 30.4.2004 vom Vorwurf der wiederholten Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Asylverfahrensgesetz frei, weil er nach § 58 Abs. 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz wegen eines dauernden Abschiebehindernisses berechtigt gewesen sei, den Geltungsbereich der Aufenthaltsgestattung am 15.2.2004 vorübergehend zu verlassen. Hiergegen wandte sich die Staatsanwaltschaft und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Ihrer Meinung nach lag zur Tatzeit kein dauerhaftes Abschiebehindernis vor. Die (Sprung-) Revision erwies sich als zulässig (§ 335 Abs. 1, §§ 312, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO), jedoch nicht begründet.

Gründe:

1. Das Amtsgericht hat zur Frage eines dauernden Abschiebehindernisses folgende Feststellungen getroffen:

"Aus vielen gleich gelagerten Verfahren ist dem Gericht bekannt, dass irakische Staatsbürger spätestens seit Beginn des 1. Golfkrieges im Jahr 1991 nicht mehr in den Irak abgeschoben werden. Nach Auskunft der entsprechenden Ausländerämter im Bezirk und auch der Zentralen Abschiebestelle bei der Regierung von Oberbayern werden auch derzeit irakische Staatsangehörige nicht in den Irak abgeschoben. Ob und wann wieder eine Abschiebung in den Irak erfolgen wird, ist nicht geklärt. In Anbetracht der derzeit sich weiter zuspitzenden Verhältnisse im Irak, ist auch nicht davon auszugehen, dass demnächst mit einer Aufnahme der Abschiebung von irakischen Staatsangehörigen in ihr Heimatland begonnen wird. Bei dieser Sachlage ist die Abschiebung irakischer Staatsangehöriger aus tatsächlichen Gründen auf Dauer ausgeschlossen. Nicht erforderlich ist insoweit, dass die Abschiebung zu keinem Zeitpunkt in der Zukunft mehr stattfinden wird, sondern dass für eine geraume Zeit in der Vergangenheit und für eine unbestimmte Zeit in der Zukunft eine Abschiebung nicht erfolgt ist oder erfolgen wird. Nachdem Abschiebungen in den Irak seit 1991 nicht erfolgen und auch in nächster Zukunft die Aufnahme von Abschiebungen von Irakern in deren Heimatland nicht begonnen wird, liegt das Tatbestandsmerkmal des Ausschlusses auf Dauer vor. "

Das Urteil setzt sich zwar nicht im Einzelnen damit auseinander, weshalb Abschiebungen in den Irak seit 1991 unterbleiben, sondern bezieht sich nur allgemein auf die dortigen Verhältnisse. Vorliegend war jedoch eine genauere Begründung der getroffenen Tatsachenfeststellung ausnahmsweise entbehrlich. Es handelt sich hierbei nämlich um allgemeinkundige Tatsachen, die auch vom Revisionsgericht zu beachten sind (vgl. Meyer-Goßner StPO § 244 Rn. 50 ff.; § 337 Rn. 25) und die eine Beweiserhebung, bzw. Beweiswürdigung überflüssig machen. Es ist allgemein - auch durch Veröffentlichung in zahlreichen Gerichtsentscheidungen - bekannt, dass Abschiebungen in den Irak seit 1990 wegen tatsächlicher Abschiebungshindernisse nicht möglich waren. Auch die Staatsanwaltschaft wendet sich in ihrem Revisionsvorbringen nicht gegen diese Feststellungen, sondern lediglich gegen die vom Amtsgericht hieraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen.

2. Aufgrund der getroffenen Tatsachenfeststellungen ist das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Abschiebung des Angeklagten zur Tatzeit "auf Dauer" ein tatsächliches Hindernis entgegensteht, § 58 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 Asylverfahrensgesetz.

Der Senat hat sich bereits in dem Urteil vom 22. 9.2004 (4St RR 93/2004) in einem gleich gelagerten Fall allerdings mit Tatzeit (18.2.2003) vor dem 2. Golfkrieg mit dem Rechtsbegriff "auf Dauer" im Sinne des § 58 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG auseinandergesetzt und dazu ausgeführt:

Bei dem Tatbestandsmerkmal "auf Dauer" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Der unbestimmte Rechtsbegriff bezeichnet im Verwaltungsrecht ein Merkmal innerhalb einer gesetzlichen Bestimmung, das aus sprachlicher Sicht für sich betrachtet keinen eindeutigen Inhalt zu haben scheint, das gewissermaßen "unscharf" ist. Erst durch Auslegung gewinnt der unbestimmte Rechtsbegriff an Schärfe. Die Auslegung schließt dabei stets eine Bewertung aller Umstände des Einzelfalles ein, in dem der Begriff konkret angewandt werden soll.

In der gängigen Kommentarliteratur zum Ausländerrecht (vgl. Renner Ausländerrecht 7. Aufl. § 58 AsylVfG Rn. 6; Hailbronner Ausländerrecht 20. Erg.-Lfg. § 58 Rn.9; Marx Kommentar zum Asylverfahrensgesetz 3. Aufl. § 58 Rn. 25 ff.;) erfolgt keine Definition des Tatbestandsmerkmals "auf Dauer". Vielmehr findet sich der immer wiederkehrende Hinweis, dass das Vorliegen dieser Voraussetzung "schwierig" bzw. "problematisch" festzustellen sei. Als Beispiele für dauernde tatsächliche Abschiebehindernisse werden die Schließung der Grenzen oder des einzigen Flughafens eines Staates oder lang dauernde schwere Krankheit des Asylbewerbers genannt. Einigkeit scheint aber darüber zu bestehen, dass "auf Dauer" jedenfalls nicht "auf Lebenszeit des Ausländers" oder gar "bis in alle Ewigkeit" oder "für immer" zu bedeuten hat (OLG Celle StV 1995, 474). Der Rechtsbegriff eines Abschiebehindernisses "auf Dauer" ist vielmehr im Gegensatz zu dem im Ausländerrecht bzw. der Rechtsprechung verwandten Begriff "vorübergehendes Abschiebehindernis" zu verstehen (vgl. VG Ansbach Urteil vom 16.12. 2003 AN 4 K03.05072), das sich dadurch auszeichnet, dass sein Wegfall in nicht allzu ferner Zukunft absehbar ist. Ein "dauerndes" Abschiebehindernis liegt dann vor, wenn zum maßgeblichen Tatzeitpunkt ein tatsächliches Abschiebungshindernis besteht und auf noch nicht absehbare, voraussichtlich längere Zeit weiter fortbestehen wird. Bei der Beurteilung der Frage, ob von einem Fortbestehen dieses Hindernisses auf unabsehbare Zeit auszugehen ist, kann auch auf die in der Vergangenheit stattgefundene Entwicklung zurückgegriffen werden. Wenn - wie im vorliegenden Fall - bereits seit über 10 Jahren keine Abschiebungen mehr erfolgt sind, spricht vieles dafür, dass eine gewisse "Verfestigung" des Zustandes eingetreten ist, die auch in die Zukunft fortwirkt, es sei denn, dass bereits konkrete gegenteilige Entwicklungen stattgefunden haben. "

Anknüpfend an diese Entscheidung sind Entwicklungen oder Tatsachen in dem oben genannten Sinn nur solche, die geeignet sind, dauerhaft, definitiv und für jedermann nach außen erkennbar das tatsächliche Abschiebungshindernis zu beseitigen. Der Umstand, dass seit über zehn Jahren keine Abschiebungen in den Irak mehr erfolgen, bildet nämlich ein Indiz für das Bestehen eines dauerhaften Abschiebehindernisses. Diese Indizwirkung kann nur durch Tatsachen beseitigt werden, die den Schluss auf eine dauerhafte Änderung der für die Durchführung von Abschiebungen maßgeblichen Umstände zulassen (BayObLG, aaO, Leitsätze 2 und 3).

Zur Beseitigung dieser Indizwirkung ist abgesehen von einer tatsächlichen Wiederaufnahme von Abschiebungen zumindest erforderlich, dass Umstände eingetreten sind, die Abschiebungen zu einem konkret vorhersehbaren bzw. bestimmbaren Zeitpunkt in nächster Zeit als sicher realisierbar erscheinen lassen.

Wegen der vorzunehmenden ex-ante-Betrachtung muss sich dies bereits zum Tatzeitpunkt objektiv abgezeichnet haben. Auch der subjektive Tatbestand hinsichtlich eines Verstoßes gegen die räumliche Beschränkung nach dem AsylVfG wäre nur dann erfüllt, wenn der Täter das Ende des Abschiebungsstopps vorhersehen konnte und daher mit seiner Abschiebung rechnen musste. Gleiches gilt für die früheren räumlichen Verstöße.

3. Das Amtsgericht ist bei einer Tatzeit am 15.2.2004, also deutlich nach Beendigung des 2. Irakkrieges, zu Recht noch von einem dauerhaften Abschiebehindernis gemäß § 58 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG ausgegangen. Dabei hat es zutreffend auf die Verhältnisse zur Tatzeit abgestellt und festgestellt, dass Abschiebungen in den Irak nicht erfolgen und nicht geklärt ist, ob und wann diese wieder aufgenommen werden.

Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft liegt weiterhin ein dauerhaftes Abschiebehindernis vor. Eine Beendigung dieses Zustandes durch eine "konkrete gegenteilige Entwicklung" im obigen Sinne hat (noch) nicht stattgefunden. Richtig ist zwar, dass der zweite Irakkrieg am 20.3.2003 begonnen wurde und die vormalige irakische Regierung am 10.4.2004 die eingetretene Niederlage eingeräumt hat. Auch hat am 1.5.2003 der amerikanische Präsident den Krieg für beendet erklärt. Zutreffend ist, dass Großbritannien - und auch die Bundesrepublik Deutschland - diplomatische Beziehungen zur derzeitigen irakischen Übergangsregierung aufgenommen haben. Mit dem Sturz des Saddam-Regimes und der Tötung der Söhne Saddam Husseins als potentielle Nachfolger war zumindest eine regimeabhängige Verfolgung beendet.

Diese Umstände waren indes, wie die Realität zeigt, nicht geeignet, das noch bestehende tatsächliche Abschiebungshindernis zu beseitigen. Nach Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums des Innern wurde bis dato in Bayern weder mit Abschiebungen begonnen noch ist klar, wann diese definitiv wieder aufgenommen werden können. Nach Kenntnis des Senats besteht gegenwärtig bereits deshalb noch ein faktisches Abschiebehindernis, weil es weder Flugverbindungen nach Bagdad noch Transitflüge über die Türkei gibt und Landabschiebungen ausgeschlossen sind. Rückreisen von Irakern erfolgen, unterstützt durch die Ausländerbehörden, lediglich auf freiwilliger Basis.

Es bleibt abzuwarten, ob sich nach Durchführung demokratischer Wahlen im Irak und Herstellung stabiler Verhältnisse etwas ändert.

Die Verhältnisse zur Tatzeit und auch noch gegenwärtig sind eher von Instabilität geprägt. So waren bereits im Februar 2004 zahlreiche Selbstmordanschläge gegen die Besatzungstruppen und deren Einrichtungen, gegen die irakische Polizei und Zivilisten in vollem Gange. Die Aufständischen-Hochburg Falludscha war von Unruhen erschüttert. Die Welle der Gewalt setzte sich in den Folgemonaten ungehindert fort.

Nach dem Großangriff der US-Truppen gegen Aufständische in Falludscha im November 2004 kam der Irak auch im Dezember 2004 nicht zur Ruhe.

Die jüngsten herausragenden Ereignisse allein vom 1.12.2004 bis 21.12.2004 waren stichpunktartig folgende:

Selbstmordanschlag in Bagdad am 1.12.2004 mit 3 Verletzten, Serie von Anschlägen am 2.12.2004 in Bagdad, zwei Anschläge im Bagdad am 3.12.2004 mit 26 Toten, Angriff in der westirakischen Provinz El Anbar mit 2 getöteten US-Soldaten, zwei Anschläge vor einer Polizeistation am 4.12.2004 mit 2 getöteten Polizisten und 42 Verletzten, weiterer Anschlag auf US-Patrouille mit einem Toten und drei Verletzten, Selbstmordanschlag in Mossul am 4.12.2004 mit 17 Toten, Anschlag in Tikrit am 5.12.2004 mit 17 Toten, Selbstmordanschlag in der Stadt Beidschi gegen einen Kontrollpunkt der irakischen Nationalgarde mit 3 Toten, Überfall auf einen Polizeiposten in der Provinz El Anbar am 6.12.2004 mit einem getöteten Polizisten, Bombenattentat auf irakische Nationalgarde bei Bagdad am 7.12.2004 mit drei Toten, Stürmung einer christlichen Kirche in Mossul am 7.12.2004 und Inbrandsetzung mit Sprengsätzen, Angriff von Aufständischen am 8.12.2004 in Samarra mit 6 Toten; Explosion einer Autobombe am 9.12.2004 in Mossul auf einem belebten Markt mit zwei Verletzten; Granatenanschlag im Norden Bagdads am 9.12.2004 gegen einen Stützpunkt der Nationalgarde mit drei Toten, Beschießung der italienischen Botschaft in Bagdad mit Mörsergranaten mit zwei getöteten irakischen Zivilisten; Entdeckung von 21 Leichen, davon 19 Opfer der irakischen Nationalgarde in Mossul, Überfall auf irakische Polizeipatrouille am 10.12.2004 mit zwei getöteten Beamten, Granatenangriff am 10.12.2004 in Samarra mit Tötung eines Autofahrers, Tötung eines Kandidaten für die Parlamentswahl am 10.12.2004, der für das Bündnis schiitischer Parteien nominiert war, Beschuss eines Busses mit Angestellten des Bildungsministeriums am 11.12.2004 mit 5 Verletzten, Explosion einer Autobombe am 11.12.2004 in Mossul mit zwei Verletzten, Bombenanschlag auf Polizeifahrzeug am 11.12.2004 in Basra mit einem Verletzten, Autobombenanschlag am 12.12.2004 in Erbil, weitere Bombadierung der Stadt Falludscha durch US-Streitkräfte nach heftigen Kämpfen mit Aufständischen am 12.12.2004 im Zusammenhang mit der Bekämpfung des islamischen Extremistenführers Abu Masab el Sarkawi, Selbstmordattentat am 13.12.2004 am Eingang der sog. "Grünen Zone" in Bagdad mit 13 Verletzten, Verletzung von drei US-Soldaten bei einem weiteren Anschlag im Norden Bagdads, zwei getötete US-Soldaten bei Kampfeinsätzen in der Provinz Anbar am 14.12.2004, Selbstmordanschlag in Bagdad am 14.12.2004 mit Tötung eines irakischen Soldaten und 12 Verletzten, Tötung eines Kommandeurs der Al-Mahdi-Miliz des schiitischen Predigers Muktada al Sadr aus einem fahrenden Auto vermutlich durch rivalisierende Gruppen, Tötung zweier ranghoher Polizisten am 14.12.2004 im Osten Bagdads, Tötung von 4 irakischen Polizisten und Verletzung von 20 Beamten am 15.12.2004 im Süden Bagdads, Anschlag auf das Büro des Schiitenführer Ali al-Sistani am 15.12.2004 mit 8 Toten und 32 Verletzten, Entführung eines italienischen Staatsangehörigen, der für eine britische Hilfsorganisation arbeitete, Tötung eines ranghohen Regierungsbeamten am 16.12.2004 in Bagdad, am gleichen Tag Explosion einer Bombe im Westen Bagdads mit einem Toten und zwei Verletzten, am 16.12.2004 Auffinden der Leiche des entführten Italieners, Tötung eines US-Soldaten in der Unruheprovinz El Anbar am 16.12.2004, Tötung mehrerer türkischer Botschaftswachleute im Nordirak am 17.12.2004, Autobombenanschlag in der Stadt Beidschi im Nordirak am 18.12.2004 mit vier Verletzten US-Bürgern, Exekution zweier Iraker durch Rebellen in der Stadt Beidschi, Granatenangriff auf Behördengebäude nördlich von Bagdad am 18.12.2004 mit Tötung von zwei Zivilisten, Tötung der Tochter und des Schwiegersohns des früheren irakischen Präsidenten Abdel Salam Aref und Entführung des Sohnes des Paares, Autobombenexplosion am 19.12.2004 in Kerbela mit 10 Toten und 40 Verletzten, Tötung dreier Mitarbeiter eines Wahlbüros am 19.12.2004 in Bagdad, Autobombenanschlag in der Schiiten heiligen Stadt Nadschaf am 19.12.2004 mit 54 Toten und 142 Verletzten, Bombenanschlag am 20.12.2004 gegen US-Militärfahrzeug in der Nähe des Flughafens von Bagdad mit einem Verletzten, Granatenangriff Aufständischer gegen US-Patrouille am 20.12.2004, am gleichen Tag Explosion einer Autobombe nördlich von Bagdad mit 6 Verletzten, US- Luftangriff am 21.12.2004 auf Ziele in der Stadt Hit westlich von Bagdad, am selben Tag Tötung des Atomwissenschaftlers Professor Taleb Ibrahim el Daher von der Universität Dijala in der Stadt Bakuba, Explosion auf einem US-Militärstützpunkt in Mossul mit 20 Toten und über 60 Verletzten, am 21.12.2004 Freilassung zweier seit Monaten verschleppter Franzosen.

Angesichts dieser allgemein bekannten Fakten kann von stabilen Verhältnissen im Irak und von einer tatsächlichen Beendigung der Kriegshandlungen nicht die Rede sein.

Die Ansicht der Staatsanwaltschaft, mit "Abschluss des Krieges" sei die Möglichkeit von Abschiebungen in greifbare Nähe gerückt, Abschiebungen seien in nicht allzu ferner Zukunft möglich und bereits damit sei das dauernde Abschiebehindernis beseitigt, kann nicht geteilt werden, weil sich - ungeachtet der angespannten Sicherheitslage im Irak - nach wie vor ein konkreter, hinreichend bestimmbarer Abschiebezeitpunkt nicht abzeichnet, der endgültige Zeitpunkt des Wegfalls des dauernden Abschiebehindernisses letztlich offen bliebe.

Ein dauerhaftes Abschiebehindernis, das für den Täter einen "Vertrauenstatbestand" bildet, kann nicht durch das Zwischenstadium eines nur "vorübergehenden Abschiebehindernisses", für welches § 58 Abs. 4 Satz 1AsylVfG nicht mehr gelten würde, beendet werden. Die Rechtssicherheit erfordert zwischen dem Dauerzustand der Nichtabschiebung und der Beendigung dieses Zustandes eine klare Zäsur. Die Zerstörung eines Vertrauenstatbestandes bzw. eines Rechtsscheins muss nach außen definitiv erfolgen und für den Täter erkennbar sein.

Dieser Ansicht liegen folgende Überlegungen zu Grunde: Ein dauerndes Abschiebehindernis im Sinne von § 58 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG stellt einen gesetzlichen Befreiungstatbestand dar (vgl. Marx Kommentar zum AsylVfG 3. Aufl. § 85 Rn.17), nicht lediglich einen Rechtfertigungsgrund (vgl. Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG § 85 Rn. 24). Mangels Vorliegen einer Zuwiderhandlung nach §§ 56, 85 Abs. 2 AsylVfG entfällt daher bereits die Tatbestandsmäßigkeit. Nach Hailbronner (Kommentar Ausländerrecht, § 85 AsylVfG Rn. 5/9) handelt es sich bei der Vorschrift des § 58 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG um einen Erlaubnistatbestand.

Einem gesetzlichen Befreiungstatbestand bzw. einem Erlaubnistatbestand, der wie hier bereits sehr lange andauert, ist immanent, dass Asylbewerber zunächst unbefristet darauf vertrauen können, nicht abgeschoben zu werden. Die Zerstörung dieses Vertrauens bzw. des gesetzten Rechtsscheins erfordert daher aus Gründen der Rechtssicherheit- und klarheit eine deutliche und endgültige Zäsur. Dazu ist die tatsächliche Wiederaufnahme von Abschiebungen zu fordern oder zumindest die Ankündigung, zu einem exakt in der Zukunft bestimmbaren Zeitpunkt die Abschiebungen wieder aufzunehmen, sofern diese, wie ausgeführt, auch realisierbar sind.

Da weder Abschiebungen aufgenommen noch ein konkreter Zeitpunkt in der Zukunft für die Wiederaufnahme von Abschiebungen bestimmt werden kann, lag zum Tatzeitpunkt (noch) ein tatsächliches Abschiebehindernis von ungewisser Dauer vor.

Auf die Frage, ob der Angeklagte durch seine Aufenthalte am 31.12.2002, 7.5.2003, 6.6.2003 und 27.7.2003 gegen seine Aufenthaltsbeschränkung verstoßen hatte - erst hierdurch hätte der angeklagte räumliche Verstoß vom 15.2.2004 zu einem "wiederholten" im Sinne der §§ 56, 85 Nr. 2 AsylVfG werden können - oder ob insoweit ebenfalls § 58 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 2 AsylVfG zu Gunsten des Angeklagten eingegriffen hätte, kommt es daher nicht mehr an.



Ende der Entscheidung

Zurück