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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.07.1999
Aktenzeichen: 4Z BR 1/99
Rechtsgebiete: InsO, GZVJu, ZPO, FGG, GKG


Vorschriften:

InsO § 305 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 305 Abs. 3
InsO § 305 Abs. 3 Satz 1
InsO § 7 Abs. 3
InsO § 6 Abs. 1
InsO § 7 Abs. 1 Satz 1
InsO § 305 Abs. 3 Satz 2
InsO § 34 Abs. 1
InsO § 34
InsO § 305 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4
InsO § 4
GZVJu § 29 Abs. 2
ZPO § 574
ZPO § 97 Abs. 1
FGG § 20 Abs. 1
GKG § 38
GKG § 37 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerisches Oberstes Landesgericht

Beschluß

4Z BR 1/99

2 T 63/99 Landgericht Hof IK 35/99 Amtsgericht Hof

Der 4. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Brießmann sowie der Richter Jaggy und Kehrstephan

am 28. Juli 1999

in dem Insolvenzverfahren

beschlossen:

Tenor:

I. Die sofortige weitere Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluß des Landgerichts Hof vom 20. Mai 1999 wird verworfen.

II. Der Schuldner trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für dieses Verfahren wird auf 870,60 DM festgesetzt.

I.

1. Der Schuldner beantragte mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 8.3.1999, über sein Vermögen das Verbraucherinsolvehzverfahren zu eröffnen. Diesem Antrag war u.a. die "Bescheinigung über das Scheitern eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO)" beigefügt, die von dem im vorliegenden Verfahren bevollmächtigten Rechtsanwalt am 7.3.1999 ausgestellt worden war, nachdem ein Einigungsversuch am "4.3.1999 endgültig gescheitert sei". Der Einigungsversuch soll nach den vorgelegten Urkunden dadurch belegt werden, daß das Muster eines der "Anschreiben" an die Gläubiger sowie ein (negatives) Antwortschreiben eines einzelnen Gläubigers vom 5.3.1999 beigefügt wurde. In dem Anschreiben der "bescheinigenden Person" wurde der betreffende Gläubiger "namens und im Auftrage" des Schuldners (Mandanten) gebeten, auf seine Forderung zu verzichten und die anliegende Zustimmungserklärung "umgehend ausgefüllt und unterzeichnet" zurückzusenden. Bei letzterem handelt es sich um ein Formblatt, der dem angeschriebenen Gläubiger (hier der als Nr. 12 in der Gläubigerliste eingetragene Gläubiger mit einer Forderung von 12.000 DM) die Möglichkeit eröffnet, seinen Willen durch Ankreuzen eines der beiden Kästchen kundzutun, ob er nämlich entweder auf seine Förderung gegen den Schuldner verzichtet oder dem "außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan" nicht zustimmt.

2. Mit Verfügung vom 18.3.1999 wies das Amtsgericht den Schuldner gemäß § 305 Abs. 3 InsO unter Hinweis auf die Rücknahmefiktion darauf hin, die vorgelegte Bescheinigung belege nicht den erfolglosen Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Aus der Bescheinigung ergebe sich, daß ein solcher Versuch gerade nicht ernstlich unternommen worden sei, weil der Vorschlag "dementsprechend unannehmbar" gestaltet worden sei.

3. Gegen diese Verfügung legte der Schuldner sofortige Beschwerde ein, die er im wesentlichen damit begründete, dem Insolvenzgericht fehle die Kompetenz zur Nachprüfung der von einer geeigneten Person oder Stelle ausgestellten Bescheinigung. Die (vorläufige) Beurteilung der Ernsthaftigkeit des Einigungsversuchs sei ausschließlich der zur Ausstelllung der Bescheinigung berufenen "geeigneten Person oder Stelle" übertragen. Nach der kurzen Darstellung in der "Bescheinigung" sei es offenbar so gewesen, daß dem Schuldner aufgrund der Vorgeschichte erkennbar war, zumindest eine Gläubigerin werde sich jeder Einigung widersetzen. In der Bescheinigung sei dargelegt, warum es gelte, diese - de lege ferenda abzuschaffende - bürokratische Hürde für einen zulässigen Insolvenzantrag möglichst rasch zu überwinden.

4. Das Landgericht verwarf mit Beschluß vom 20.5.1999 die sofortige Beschwerde des Schuldners wegen fehlender Statthaftigkeit und führte im wesentlichen aus, das Insolvenzgericht habe mit der angegriffenen Verfügung vom 18.3.1999 nicht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgewiesen, sondern lediglich von der Möglichkeit des § 305 Abs. 3 Satz 1 InsO Gebrauch gemacht. Eine beschwerdefähige Entscheidung liege somit noch nicht vor. Die Rücknahmefiktion trete kraft Gesetzes ein, das für diesen Fall kein gesondertes Anfechtungsrecht vorsehe.

5. Gegen diese Entscheidung hat der Schuldner sofortige weitere Beschwerde eingelegt und gleichzeitig deren Zulassung beantragt.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 7 Abs. 3 InsO i.V.m. § 29 Abs. 2 GZVJu i.d.F. vom 6.7.1995 (GVBl S. 343) zur Entscheidung über die sofortige weitere Beschwerde berufen.

2. Die weitere Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen, da sich bereits der Zulassungsantrag als unzulässig erweist, denn eine Zulassung der weiteren Beschwerde kommt schon wegen fehlender Statthaftigkeit der Erstbeschwerde wie auch der weiteren Beschwerde und somit auch fehlender Beschwerdebefugnis des Schuldners nicht in Betracht (§ 574 ZPO; Heidelberger Kommentar/Kirchhof InsO § 7 Rn. 13, 25, § 6 Rn. 15).

a) Der Beschluß des Landgerichts ist nicht mit der sofortigen weiteren Beschwerde anfechtbar, weil die Verfügung des Insolvenzgerichts, die angefochten wird, wegen fehlender Beschwerdefähigkeit nicht Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens sein kann. Der Gesetzgeber hat sich in § 6 Abs. 1 InsO eindeutig für eine von vornherein infolge ausdrücklicher Vorschrift bestimmte und dadurch begrenzte Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde auf einzelne - im Gesetz konkretisierte - Entscheidungen des Insolvenzgerichts entschieden. Die sonst gebräuchliche Eröffnung eines Rechtsmittelzugs aufgrund einer allgemeinen Bestimmung, die - wie z.B. § 567 Abs. 1, 2. Alternative ZPO - die Zurückweisung eines Gesuchs oder - wie § 20 Abs. 1 FGG - jede Beeinträchtigung eines Rechts des Beschwerdeführers durch die Verfügung genügen läßt, scheidet somit nach der Systematik der InsO aus.

§ 7 Abs. 1 Satz 1 InsO knüpft hinsichtlich der Statthaftigkeit der weiteren Beschwerde (selbstverständlich) an § 6 Abs. 1 InsO an (OLG Köln ZIP 1999, 586; Heidelberger Kommentar/Kirchhof § 7 Rn. 5), weil sich nur aus der Art der angefochtenen Ausgangsentscheidung die Beschwerdebefugnis (Statthaftigkeit) ergeben kann, die nicht etwa durch die Erfolglosigkeit der Erstbeschwerde erst geschaffen wird.

b) Da der angefochtenen Verfügung des Insolvenzgerichts wegen der Rücknahmefiktion in § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO eine den Schuldner beeinträchtigende für das Verfahren nach Stellung seines Eröffnungsantrags konstitutive Wirkung zukommen kann, handelt es sich entgegen der Auffassung der Beschwerdekammer allerdings nicht lediglich um eine bloß vorbereitende richterliche Tätigkeit, sondern um eine Entscheidung im Sinne des § 6 Abs. 1 InsO (Kübler/Prütting InsO § 6 Rn. 8 m.w.N.).

Da diese allerdings noch keine förmliche Nichteröffnungsentscheidung im Sinn des § 34 Abs. 1 InsO darstellt, ist die sofortige Beschwerde nicht statthaft. Der Entscheidung kommt nicht die Bedeutung zu (s. u. Ziff. 4.), die nach dem Gesetz (§ 34 InsO) die Beschwerdefähigkeit begründet (Begr. RegE in Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd. I S. 203; Heidelberger Kommentar/Kirchhof InsO § 34 Rn. 2).

c) Die Anwendbarkeit der §§ 6, 7 InsO kann im vorliegenden Fall auch nicht mit der Erwägung bezweifelt werden, bei der angefochtenen Verfügung handle es sich nicht um eine "Entscheidung des Insolvenzgerichts" i.S. des § 6 Abs. 1 InsO, weil darunter das Insolvenzverfahren unmittelbar betreffende, also insolvenzspezifische oder gar nur Entscheidungen nach Zulassung des (Verbraucher-)Insolvenzantrags zu verstehen seien (OLG Köln ZIP 1999, 586/587; Uhlenbruck NZI 1999, 175; für letzteres angeblich Uhlenbruck in Mitteilung über "Probleme des Eröffnungsverfahrens" - Diskussion des Berlin/Brandenburger Arbeitskreises für Insolvenzrecht e.V. NZI 1999, 143).

Die hier angefochtene Entscheidung hat ihre Grundlage unmittelbar in der Insolvenzordnung, nämlich in § 305 InsO, wobei der Bezug zum neuen Insolvenzrecht gerade bei der spezifischen Regelung in § 305 Abs. 3 InsO besonders deutlich wird.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 Abs. 1 InsO ("Entscheidungen des Insolvenzgerichts") und der Stellung dieser Vorschrift im ersten, allgemeinen Teil dieses Gesetzes, kann allein aus dem Umstand, daß das Insolvenzverfahren mehrere Abschnitte aufweist und auch Vorschriften über das Verfahren vor der Eröffnung bzw. vor der Zulassung des Eröffnungsantrags des Schuldners enthält, nicht geschlossen werden, die Einschränkung der Beschwerdefähigkeit (Statthaftigkeit) nach § 6 Abs. 1 InsO beziehe sich nur auf Entscheidungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Da die Insolvenzordnung auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Insolvenzverfahrens regelt, handelt es sich auch insofern um eine Entscheidung innerhalb des Insolvenzverfahrens (Heidelberger Kommentar/Kirchhof InsO § 6 Rn. 4, § 2 Rn. 4). Eine Ausweitung der Beschwerdemöglichkeiten im Insolvenzverfahren vor der Zulassung würde auch eindeutig dem Normzweck des § 6 Abs. 1 InsO zuwiderlaufen, der auf ein möglichst justizfernes und beschleunigtes Insolvenzverfahren gerichtet ist (Kübler/Prütting InsO, § 6 Rn. 5; Begründung RegE in Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd. I S. 2, 159).

3. Auch die Eröffnung einer Anfechtungsmöglichkeit nach den Grundsätzen der greifbaren Gesetzwidrigkeit kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung ausnahmsweise eine im Gesetz nicht vorgesehene "außerordentliche Beschwerde" zuläßt, im vorliegenden Fall in keiner Weise erfüllt sind.

§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO fordert die Vorlage einer Bescheinigung, aus der sich der erfolglose Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern ergibt. Da das Insolvenzgericht sich an diese Vorschrift zu halten hat, hat es neben der rein formellen Kontrolle, ob überhaupt eine Bescheinigung vorgelegt wurde, welche die schlichte Behauptung hinsichtlich eines derartigen Versuchs enthält, auch zu prüfen, ob die "Bescheinigung" hinsichtlich der materiellen Anforderungen des § 305 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 InsO wenigstens insgesamt schlüssige Erklärungen enthält.

Da diese gesetzliche Bestimmung keinen deklaratorischen, sondern den Zweck verfolgt, durch die Ausschöpfung außergerichtlicher Einigungsmöglichkeiten ein gerichtliches Insolvenzverfahren zu vermeiden oder es wenigstens zu beschleunigen oder zu vereinfachen (Begründung RegE in Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd. II S. 566), gibt sie dem Insolvenzgericht auch die entsprechende Prüfungskompetenz (a.A. hinsichtlich des Schuldenbereinigungsplans nach § 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO AG Dortmund ZIP 1999, 456/457 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist offenkundig, daß die materiellen Anforderungen des § 305 Abs. 1 InsO nicht erfüllt sind, weil die Bescheinigung keinen (ernsthaften) Einigungsversuch dokumentiert (Vallender NZI 1999, 218/220), sondern statt dessen ihrem Inhalt nach die Ablehnung eines in Wirklichkeit nur scheinbar gemachten Einigungsvorschlags provoziert. Es fehlt somit von vornherein an einem entsprechenden Willen, den ein Einigungsversuch zwangsläufig voraussetzt.

Eine Bescheinigung, die die schlüssige Erklärung eines Einigungsversuchs beinhaltet, liegt somit nicht vor.

Daß bei dieser Sachlage von einer greifbaren Gesetzwidrigkeit nicht die Rede sein kann, die eine Entscheidung voraussetzte, die mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar wäre, weil sie jeder Grundlage entbehrte und inhaltlich dem Gesetz fremd wäre (BGHZ 109, 41/43), bedarf keiner weiteren Begründung.

4. Im übrigen teilt der Senat nicht die von Vallender (aaO Fn. 17) wegen der in § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO enthaltenen Rücknahmefiktion unter Berücksichtigung des Art. 19 Abs. 4 GG geäußerten Bedenken.

Die fingierte Rücknahme hindert den Schuldner nicht daran, mit einem erneuten Antrag die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens anzustreben, da § 305 Abs. 3 InsO nur den vorgenannten Normzwecken dient und einen erneuten Antrag nicht etwa im Sinne einer Notfrist ausschließt (Smid/Krug/Haarmeyer InsO § 305 Rn. 26).

Somit wirkt sich die Rücknahmefiktion lediglich als formelle Präklusion aus, die die Gerichtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kaum berührt, zumal dieses Grundrecht nicht die Vorhaltung eines Instanzenzuges gebietet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - lediglich geringfügige Rechtsverluste zu befürchten sind, weshalb die Gerichtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG in solchen Fällen eine Tatsacheninstanz genügen läßt (von Mangold/Klein/Starck GG 4. Aufl. Art. 19 Rn. 480 m.w.N.).

5. Kosten: § 4 InsO, § 97 Abs. 1 ZPO.

6. Streitwert: § 38 i.V.m. § 37 Abs. 1 GKG (Summe der Aktiva).

Ende der Entscheidung

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