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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.04.2001
Aktenzeichen: 4Z BR 23/00
Rechtsgebiete: InsO, SGB I


Vorschriften:

InsO § 1
InsO § 114 Abs. 2
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 2
SGB I § 52
Die Gläubigergleichbehandlung (§ 1 InsO) geht bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Verwaltungsvereinfachung und engen Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger (§ 52 SGB I) vor.
Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS

Der 4. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Jaggy sowie der Richter Kehrstephan und Heiss

am 10. April 2001

in dem Insolvenzverfahren

pp.

beschlossen:

Tenor:

I. Der Beschwerdeführerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde und zur Beantragung der Zulassung dieses Rechtsmittels auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

II. Das Rechtsmittel wird zugelassen.

III. Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Amberg vom 19. Oktober 2000 wird als unbegründet zurückgewiesen.

IV. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde und der Wiedereinsetzung zu tragen.

V. Der Wert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 2.374,80 DM festgesetzt.

I.

1. In dem auf Antrag des Schuldners mit dem Ziel der Restschuldbefreiung vor dem Amtsgericht Ende 1999 eingeleiteten Verfahren auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens erhob die Beschwerdeführerin Einwendungen im sinne von § 308 Abs. 1 Satz 1, § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO gegen den vom Schuldner vorgelegten Schuldenbereinigungsplan, der für alle Gläubiger eine Befriedigungsquote von 8,878 % vorsieht. Auf Antrag des Schuldners ersetzte das Insolvenzgericht mit Beschluß vom 20.3.2000 die von der Beschwerdeführerin verweigerte Zustimmung. Gegen den ihr am 28.3.2000 zugestellten Beschluß legte die Beschwerdeführerin am 4.4.2000 sofortige Beschwerde ein, der das Insolvenzgericht nicht abhalf und die das Landgericht mit Beschluß vom 19.10.2000 als unbegründet zurückwies.

2. Das Beschwerdegericht stellte folgenden Sachverhalt fest:

In dem dem Eröffnungsantrag beigefügten Gläubiger- und Forderungsverzeichnis sind insgesamt vier Gläubiger aufgeführt: A mit 1.641,48 DM, B mit 198.422,07 DM, die Beschwerdeführerin mit 48.119,40 DM und C mit 2.886,46 DM. Zur Schuldenbereinigung bot der Schuldner auf die Gesamtverbindlichkeiten in Höhe von 251.069,61 DM eine Gesamttilgungsleistung in Höhe von 22.290 DM an, zu erbringen über den Tilgungszeitraum mit 60 Monaten zu jeweils 371,50 DM. Dies entspricht einer Quote von 8,878 %, bezogen auf die dargestellte Forderung der Beschwerdeführerin ergibt sich eine Gesamtleistung in Höhe von 4.272,05 DM bei monatlichen Raten in Höhe von 71,20 DM. C hatte bereits zugestimmt, ihre Forderung beträgt 1,14 % der Gesamtverbindlichkeiten. Mit Beschluß des Insolvenzrichters vom 25.11.1999 wurde das Ruhen des Insolvenzverfahrens bis zur Entscheidung über den Schuldenbereinigungsplan verfügt; dieser Beschluß wurde sämtlichen Gläubigern gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Hinweis auf § 307 Abs. 2 Satz 1 InsO zugestellt; die Zustellung gegenüber der Beschwerdeführerin erfolgte am 30.11.1999. B erklärte sich ausdrücklich mit dem Schuldenbereinigungsplan einverstanden, seitens A ging keine Stellungnahme ein. Die Beschwerdeführerin lehnte mit Schreiben vom 7.12.1999 den Schuldenbereinigungsplan mit der Begründung ab, sie habe das Arbeitsamt mit Schreiben vom 26.4.1996 gemäß § 52 SGB I ermächtigt, ihre seinerzeitige Forderung an rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich Kosten und Gebühren in Höhe von 25.960,10 DM zuzüglich Säumniszuschläge in Höhe von 1 % monatlich ab 13.3.1983 mit dem von dem Schuldner bezogenen Arbeitslosengeld bzw. dem Anspruch darauf zu verrechnen; das Arbeitsamt habe den Schuldner mit Schreiben vom 26.2.1998 davon in Kenntnis gesetzt, gemäß §§ 52, 51 SGB I von dieser Ermächtigung Gebrauch zu machen; sie habe demzufolge seit Jahren monatliche Verrechnungszahlungen seitens des Arbeitsamtes er halten, zuletzt in Höhe von 553,90 DM/Monat, diese Verrechnungszahlungen liefen bis zum Beginn von Rentenzahlungen an den Schuldner (vermutlich ab 1.4.2001) weiter; für voraussichtlich noch 13 Verrechnungszahlungen habe sie somit insgesamt 7.200,70 DM zu erwarten gegenüber lediglich 4.272,05 DM bezogen auf die Gesamttilgungsdauer von 60 Monaten. Eine Schuldentilgung nach Maßgabe des Schuldenbereinigungsplanes stelle sie daher wirtschaftlich schlechter als eine durch analoge Anwendung von § 114 Abs. 2 InsO geschützte Fortsetzung der seit 1996 im Wege der Verrechnung nach § 52 SGB I erfolgreich praktizierten Beitreibung.

3. Gegen den ihr am 22.11.2000 zugestellten Beschluß des Landgerichts vom 19.10.2000 wendet sich die Beschwerdeführerin mit der am 18.12.2000 bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangenen sofortigen weiteren Beschwerde, deren Zulassung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 InsO sie zugleich beantragt. Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Zulassungsantrags beantragt sie ferner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, sie habe einen den Zulassungsantrag und die sofortige weitere Beschwerde enthaltenden Schriftsatz vom 5.12.2000 am 6.12.2000 irrtümlich bei dem Oberlandesgericht eingereicht, weil in der dem landgerichtlichen Beschluß beigefügten Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft das Oberlandesgericht als für den Zulassungsantrag und die sofortige weitere Beschwerde zuständig benannt worden sei. Auf diesen Fehler sei sie am 7.12.2000 durch das Oberlandesgericht hingewiesen worden.

4. Zur Begründung des Zulassungsantrags führt die Beschwerdeführerin aus, die angefochtene Entscheidung beruhe auf einer Gesetzesverletzung, weil das Landgericht auf den vorliegenden Sachverhalt die Bestimmung des § 114 Abs. 2 InsO nicht analog angewendet habe. Der Frage, ob § 114 Abs. 2 InsO auf Sachverhalte wie dem hier gegebenen anzuwenden ist, komme grundsätzliche Bedeutung zu. Die Nachprüfung der landgerichtlichen Entscheidung sei daher auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

5. Zur Begründung der weiteren Beschwerde trägt die Beschwerdeführerin ergänzend vor: Die als Arbeitslosengeld von dem Arbeitsamt an den Schuldner zu leistenden Zahlungen seien "Bezüge" i. S. v. § 114 Abs. 2 Satz 1 InsO, da sie an die Stelle der Bezüge aus einem Dienstverhältnis getreten seien (§ 114 Abs. 1 InsO). Das in § 114 Abs. 2 InsO dem Leistungsverpflichteten eingeräumte Recht zur Aufrechnung mit eigenen Ansprüchen gegen Schuldner sei auf das in § 52 SGB I geschaffene Institut der Verrechnung mit offenen Forderungen anderer Sozialleistungsträger zu erstrecken. Zumindest durch analoge Anwendung des § 114 Abs. 2 InsO sei die Verrechnung der Aufrechnung gleichzustellen. Denn der Gesetzgeber habe durch das Institut der Verrechnung die Aufrechnungsmöglichkeiten der Sozialleistungsträger erweitern wollen.

6. Der Senat gab dem Schuldner Gelegenheit, zum Vortrag der Beschwerdeführerin Stellung zu nehmen; er machte hiervon keinen Gebrauch.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 7 Abs. 3 InsO i. V. m. § 29 Abs. 2 GZVJu (GVBl 1995 S. 343) zur Entscheidung berufen.

2. Der form- und fristgerecht gestellte (§ 4 InsO, §§ 236, 234 Abs. 1, 2 ZPO) Antrag auf Wiedereinsetzung ist begründet. Die Beschwerdeführerin hat glaubhaft gemacht, daß sie durch eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung und damit unverschuldet (BGH NJW 1993, 3206) die mit der Zustellung vom 22.11.2000 in Gang gesetzte 2-Wochen-Frist (§ 4 InsO, § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO) versäumt hat. Innerhalb der am 7.12.2000 in Gang gesetzten 2-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO hat sie jedoch die versäumten Prozeßhandlungen vor dem zuständigen Gericht nachgeholt (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde sind erfüllt. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts war gemäß § 6 Abs. 1, § 309 Abs. 2 Satz 3 InsO die sofortige Beschwerde statthaft. Da das Landgericht dieses Rechtsmittel zurückgewiesen hat, liegt eine der sofortigen weiteren Beschwerde grundsätzlich zugängliche Ausgangsentscheidung vor (§ 7 InsO). Zulassungsantrag und sofortige weitere Beschwerde sind - nach erteilter Wiedereinsetzung - frist- und formgerecht eingereicht (§§ 4, 7 InsO, §§ 569, 577 Abs. 2, § 233 ZPO). Mit der Beschwerdebegründung werden eine Gesetzesverletzung geltend gemacht und Rechtsfragen angesprochen, deren Klärung nicht nur der Einzelfallgerechtigkeit, sondern auch der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. Eine obergerichtliche Entscheidung zu der Frage, ob die einem Sozialleistungsträger nach § 114 Abs. 2 InsO eingeräumte Aufrechnungsbefugnis (mit eigenen Gegenansprüchen) auch eine Verrechnungsbefugnis nach § 52 SGB I (mit offenen Forderungen anderer Sozialleistungsträger) umfaßt, ist, soweit ersichtlich, bisher nicht ergangen. Die Beschwerdeführerin macht nachvollziehbar geltend, daß die Klärung dieser Frage über den Einzelfall hinaus von erheblicher wirtschaftlicher Tragweite ist.

4. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat die Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen den Schuldenbereinigungsplan des Schuldners auf dessen Antrag hin zu Recht durch gerichtliche Zustimmung gemäß § 309 Abs. 1 Satz 1 InsO ersetzt. Die Bestimmung des § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO steht der Zustimmung nicht entgegen, denn die Beschwerdeführerin wird durch den Schuldenbereinigungsplan wirtschaftlich nicht schlechter gestellt, als sie bei Durchführung des Verfahrens über die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Erteilung von Restschuldbefreiung stünde. Zur Beantwortung der Frage, ob eine gerichtliche Zustimmungsersetzung den Einwendungen erhebenden Gläubiger wirtschaftlich schlechter stellt, sind einerseits das aus dem vorgeschlagenen Schuldenbereinigungsplan zu erwartende Ergebnis (hier: Tilgungsquote von ca. 8,88 % mit 60 Monatsraten zu je 71,20 DM = 4.272 DM) und andererseits das für den Fall der Eröffnung und Durchführung des Insolvenzverfahrens zu erwartende wirtschaftliche Ergebnis miteinander zu vergleichen. Element des anzustellenden Vergleichs kann nicht das Ergebnis einer Forderungsdurchsetzung außerhalb eines Insolvenzverfahrens sein, weil das Insolvenzeröffnungsverfahren von Amts wegen wieder aufgenommen werden müßte, wenn die Voraussetzungen für eine Zustimmungsersetzung nach § 309 Abs. 1 Satz 1 InsO verneint werden müßten (§ 311 InsO). Die in der Beschwerdebegründung behauptete Schlechterstellung würde nur dann zutreffen, wenn die Beschwerdeführerin für weitere drei Jahre (jedenfalls aber für weitere 13 Monate) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die seit 1996 im Wege der Verrechnung nach § 52 SGB I praktizierte Form der Beitreibung von zuletzt monatlich ca. 550 DM in (analoger) Anwendung von § 114 Abs. 2 InsO fortsetzen dürfte. In Übereinstimmung mit beiden Vorinstanzen ist der Senat der Ansicht, daß eine in Anwendung von § 52 SGB I außerhalb eines Insolvenzverfahrens zweifelsfrei zulässige Durchsetzung von Ansprüchen eines Dritten nicht in den in § 114 Abs. 2 InsO normierten dreijährigen Schutz einer bestimmten Aufrechnungslage einbezogen werden kann. Dies zu tun, wäre Aufgabe des Gesetzgebers.

a) Das Landgericht hat die Erstbeschwerde im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, die Heranziehung des § 114 Abs. 2 InsO setze voraus, daß der Verpflichtete gegen die Forderung des Schuldners auf "Bezüge" mit einer Forderung aufrechnet, welche ihm gegen den Schuldner zusteht. An dieser Voraussetzung fehle es jedoch vorliegend. Diese Aufrechnungsbefugnis korrespondiere mit derjenigen gemäß § 51 Abs. 1 SGB I, die Abtretung bzw. Verpfändung von Forderungen auf "Bezüge" gemäß § 114 Abs. 1 InsO mit der Rechtslage gemäß § 53 SGB I und schließlich die Pfändung gemäß § 114 Abs. 3 InsO mit der Rechtslage gemäß § 54 SGB I. Bei der "Verrechnung" gemäß § 52 SGB I handele es sich um einen Sonderfall: Dieses Rechtsinstitut eigener Art sei deshalb geschaffen worden, weil gemäß der amtlichen Begründung im Sozialrecht angesichts derselben oder ähnlichen Zielsetzung aller Sozialleistungen, angesichts der Verpflichtung aller Leistungsträger zur engen Zusammenarbeit und angesichts des Strebens nach, Verwaltungsvereinfachung auf die Gegenseitigkeit der aufgerechneten Forderungen verzichtet werden könne; aus der inhaltlich übereinstimmenden Zielrichtung der Sozialleistungen werde eine daraus resultierende, wirtschaftlich zu vereinheitlichende Gläubigerstellung der Sozialleistungsträger gefolgert und die Wirkung der Aufrechnung auch auf einen solchen Fall erstreckt, in welchem es an dem Prinzip der Gegenseitigkeit zwar mangelt, aber der eine Leistungsträger den anderen zur "Verrechnung" ermächtigt hat. Die Ermächtigung der Beschwerdeführerin gegenüber dem Arbeitsamt, deren Annahme durch dieses und die in der Folgezeit vorgenommene "Verrechnung" gegenüber dem Schuldner sei somit lediglich Ausfluß der dargestellten Verwaltungsvereinfachung, ohne daß daraus zugunsten der Beschwerdeführerin eine analoge Anwendung von § 114 Abs. 2 InsO abgeleitet werden könnte. Die Bestimmung des § 114 InsO sei vor folgendem Hintergrund zu sehen:

"Ein Ziel der Insolvenzordnung ist die Restschuldbefreiung gemäß §§ 286 ff. Danach sollen natürliche Personen, wenn sie dessen 'würdig' sind, unter bestimmten Voraussetzungen von ihren Schulden befreit werden, sofern die Verbindlichkeiten im Insolvenzverfahren ungedeckt geblieben sind. In diesem Rahmen ist eine siebenjährige 'Wohlverhaltensperiode' vorgesehen, während der die laufenden pfändbaren Einkünfte des Schuldners an die Insolvenzgläubiger verteilt werden. Dieses System der Restschuldbefreiung setzt voraus, daß die laufenden Bezüge während einer längeren Zeit nach Verfahrensbeendigung für die Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung stehen. Daher werden die regelmäßig vorliegenden Vorausabtretungen, Verpfändungen und Pfändungen der Bezüge in ihrer Wirksamkeit zwar nicht aufgehoben, aber zeitlich beschränkt. Für den gleichen 3-Jahres-Zeitraum, für den eine Abtretung oder Verpfändung der Bezüge wirksam ist, ist nach Absatz 2 eine Aufrechnung gegen die Forderung auf Zahlung der Bezüge zulässig. Absatz 3 schränkt die Wirksamkeit einer vor Verfahrenseröffnung erfolgten Zwangsvollstreckung in die Bezüge des Schuldners stark ein; die Pfändung hat nur für rund einen Monat nach der Verfahrenseröffnung Bestand. Damit soll der eher zufällige Vorsprung eines Gläubigers vor den übrigen wieder rückgängig gemacht werden."

b) Diese Ausführungen halten den Angriffen der Beschwerdeführerin im Rechtsbeschwerdeverfahren stand. Der Senat folgt im Ergebnis und in der Begründung dem Landgericht. Auf folgende Gesichtspunkte ist ergänzend hinzuweisen:

aa) Um den in § 1 InsO gesetzten Zielen des Insolvenzverfahrens (gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger und Befreiung des redlichen Schuldners von seinen restlichen Verbindlichkeiten) zum Erfolg zu verhelfen, hat der Gesetzgeber die Privilegierungen, die die Konkursordnung bis Ende 1998 bestimmten Gläubigern, insbesondere der öffentlichen Hand, zum Beispiel in § 61 Abs. 1 Nr. 1 - 3 KO eingeräumt hatte, weitgehend abgeschafft, zumindest stark eingeschränkt. Selbst die durch Zwangsvollstreckung bereits erworbenen Rechtspositionen einzelner Gläubiger werden im Interesse der Masseerhaltung und der Gleichbehandlung aller Gläubiger in empfindlicher Weise eingeschränkt (§§ 88 und 114 Abs. 3 InsO). Die in der Insolvenzordnung vorgesehenen Tatbestände, die außerhalb der Verteilung nach §§ 187 ff. InsO eine die Masse (§ 35 InsO) schmälernde privilegierte Befriedigung bestimmter Gläubiger (u. a. durch Aufrechnung nach §§ 94 - 96 und 114 Abs. 2 InsO) zulassen, haben nach der Systematik der Insolvenzordnung Ausnahmecharakter, was gegen eine Erweiterung ihres Regelungsgehaltes mit dem Mittel der Analogie spricht.

bb) In § 114 Abs. 2 InsO beschränkt sich das Gesetz auf die Verwendung des in §§ 387, 389 BGB definierten Begriffs "aufrechnen", obwohl es an anderer Stelle (§ 96 Abs. 2 Satz 1, angefügt durch Gesetz vom 8.12.1999, BGBl I, 2384) auch den Begriff "Verrechnung" verwendet. Eine Bestimmung, die die Verrechnung der Aufrechnung gleichstellt, fehlt.

cc) Die Gesetzesmaterialien zu § 52 SGB I (BTDrs. 7/868 S. 32) und zu §§ 96, 114 InsO (BTDrs. 12/7302 S. 165 Nr. 60 und 12/2443 S. 150/151 zu § 132 E) beantworten die Frage nicht, ob eine Verrechnungslage nach § 52 SGB I der Aufrechnungslage nach § 114 Abs. 2 InsO gleichgestellt werden soll. Soweit ersichtlich, hat lediglich der Regierungsentwurf von November 1989 (abgedruckt in Kübler/Prütting Das neue Insolvenzrecht 2. Aufl. S. 276/277) in der Begründung zu § 108 des Entwurfs (jetzt § 96 InsO) die Frage erörtert, ob "der Gedanke der Einheit der Sozialleistungsträger, der § 52 SGB I zugrunde liegt, dem Aufrechnungsverbot des § 108 Nr. 2 des Entwurfs (jetzt § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO) vorgeht". Eine eindeutige Stellungnahme haben bereits die Entwurfverfasser vermieden ("... kann man hier die Auffassung vertreten..."). Ein gesetzgeberischer Wille, diese Frage in einem bestimmten Sinne zu entscheiden, ist weder den Materialien noch (dem letztlich verabschiedeten Gesetzestext zu entnehmen.

dd) Eine im Rechtszug nach § 7 InsO ergangene obergerichtliche Entscheidung zum Anwendungsumfang von § 114 Abs. 2 InsO ist, wie bereits ausgeführt, nicht ersichtlich. In der veröffentlichten insolvenzrechtlichen Rechtsprechung der Instanzgerichte hat, soweit ersichtlich, bisher nur das Amtsgericht Hamburg in seinem Beschluß vom 25.2.2000 (NZI 2000, 283/284) die Frage, ob eine Verrechnungsbefugnis nach § 52 SGB I einer Aufrechnungsbefugnis nach § 114 Abs. 2 InsO gleichzustellen sei, angesprochen; es hat sie, da für das dortige Verfahren nicht entscheidungserheblich, letztlich offen gelassen mit dem Hinweis, daß es dazu neige, die Frage zu verneinen, da die Insolvenzordnung die Gegenseitigkeit von Haupt- und Gegenforderung voraussetze.

ee) Versuche der Finanzverwaltung, unter Berufung auf Bestimmungen des Steuerrechts (§§ 222, 227 AO) den Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis im Rahmen einer Zustimmungsentscheidung nach § 309 Abs. 1 InsO gegenüber den Ansprüchen der Gläubiger anderer, privatrechtlicher Forderungen eine bevorzugte Stellung zu verschaffen, hatten in der insolvenzgerichtlichen Rechtsprechung bisher keinen Erfolg (siehe OLG Köln ZIP 2000, 2263 = NZI 2000, 596). In der zitierten Entscheidung bestätigt das Oberlandesgericht Köln die Entscheidung der Vorinstanz (LG Bonn ZInsO 2000, 341). Beide Gerichte kamen zu dem Ergebnis, daß die Bestimmungen der §§ 308, 309 InsO gegenüber den Grundsätzen der Besteuerung eines zahlungsfähigen Schuldners die speziellere Regelung treffen. Entscheidung und Begründung fanden in der Kommentarliteratur Zustimmung (Schmerbach EWiR 2001, 173).

ff) In der Rechtsprechung der Sozialgerichte (Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.7.1990 BSGE 67, 143; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31.3.1992, L 18 An 231/91, zitiert in Hess InsO § 96 Rn. 43) ist - noch unter Geltung der Konkursordnung - die Ansicht vertreten worden, "kraft der spezialgesetzlichen Regelung des § 52 SGB I" stehe die Verrechnung auch im Konkurs der Aufrechnung gleich (BSGE aaO S. 153). Dem kann sich der Senat nicht anschließen, da nach seiner Ansicht - nach Einleitung eines Insolvenzeröffnungsverfahrens - die eine bevorzugte Befriedigung einschränkenden Bestimmungen der seit 1.1.1999 geltenden Insolvenzordnung spezialgesetzlichen Vorrang haben. Die Voraussetzungen für eine Divergenzvorlage nach § 7 Abs. 2 InsO liegen nicht vor; diese ist auf Fragen aus dem seit 1.1.1999 geltenden Insolvenzrecht und auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte beschränkt.

gg) Unter Berufung auf die in § 1 InsO erklärten Ziele des Insolvenzverfahrens ist auch in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. LAG Hamm ZInsO 2000, 113; LAG Köln ZInsO 2000, 237; zitiert in Kirchhof ZInsO 2001, 1) eine Tendenz anzutreffen, durch einschränkende Auslegung des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO die auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Lohnansprüche auf bloße Insolvenzforderungen herabzustufen, eine Auslegung, die im Entwurf der Bundesregierung zur Änderung der Insolvenzordnung (Beilage zu ZInsO-Heft 1/2001) mit dem Vorschlag, § 55 InsO einen 3. Absatz anzufügen, Zustimmung gefunden hat.

hh) In der insolvenzrechtlichen Kommentarliteratur wird auf die Frage, ob der in § 114 Abs. 2 InsO normierte dreijährige Schutz einer Aufrechnungslage auch eine Verrechnungslage nach § 52 SGB I umfaßt, nur vereinzelt und überwiegend ohne vertiefende Begründung eingegangen. Hess (InsO § 96 Rn. 43) bejaht die Frage unter Hinweis auf die oben (ff) zitierte sozialgerichtliche Rechtsprechung. Wittkowski (in Nerlich/Römermann InsO [Stand November 2000] § 96 Rn. 15) vertritt die Ansicht, die "Aufrechnungsbefugnis" von Sozialleistungsträgern nach § 52 SGB I werde durch § 96 Nr. 2 InsO nicht berührt. Häsemeyer (Insolvenzrecht 2. Aufl. Rn. 2.19 und 2.20) lehnt eine auf soziale, wirtschaftliche oder fiskalische Gründe gestützte Bevorzugung einzelner Gläubigergruppen ab; in der Frage der Gläubigergleichbehandlung schließe das Insolvenzrecht die Relevanz nicht privatrechtlicher Argumente aus. "Im Verhältnis der Sozialleistungsträger zu sonstigen Insolvenzgläubigern wird das Maß der Gläubigergleichbehandlung ausschließlich durch das Insolvenzrecht bestimmt" (Häsemeyer Kölner Schrift zur Insolvenzordnung 2. Aufl. S. 655/656 Rn. 32), mit anderen Worten: Die Ermächtigungs- und Verrechnungsbefugnis nach § 52 SGB I setze die Regelung des § 96 Ziff. 2 InsO nicht außer Kraft (Kölner Schrift aaO), bereits die steuerrechtliche Konzentration der Aufrechnungsbefugnis bei der verwaltenden Körperschaft nach § 226 Abs. 4 AO "(dürfte) auf der Grenze liegen" (Kölner Schrift S. 656 Fn. 46). Lüke in Kübler/Prütting InsO (Stand November 2000) § 96 Rn. 37 schließt sich unter Bezugnahme auf Häsemeyer dessen Ansicht an. Smid (InsO § 114 Rn. 4) verweist in seiner Kommentierung zu § 114 Abs. 2 InsO zwar einleitend ebenfalls auf Häsemeyer in Kölner Schrift (1. Auflage), geht jedoch auf die Wirkung des § 52 SGB I im Insolvenzverfahren nicht ein. Auch Wimmer/App/Eisenbeis (Frankfurter Kommentar zur InsO) behandeln diese Frage in § 96 Rn. 10 - 15 und in § 114 Rn. 7 nicht. Aus den bereits unter aa) - gg) ausgeführten Gründen schließt sich der Senat der von Lüke (aaO § 96 Rn. 37) und Häsemeyer (Kölner Schrift) vertretenen und vom letztgenannten eingehend begründeten Ansicht an. Die Regelung des § 52 SGB I wird dadurch nicht bedeutungslos; die vom Gesetzgeber bei Einführung dieser Bestimmung angestrebten Ziele der engen Zusammenarbeit aller Sozialleistungsträger und der Verwaltungsvereinfachung (BTDrs. 7/868 S. 32) können außerhalb eines, Insolvenzverfahrens in einer Vielzahl von Fällen, in denen die Unpfändbarkeitsgrenze der §§ 850 c ff. ZPO übersteigende Leistungen mit Schulden aus anderen sozialrechtlichen Sachverhalten zusammentreffen, weiterhin zur Geltung gelangen. Eine nach § 52 SGB I begründete Verrechnungslage muß keineswegs mit einer drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit (§§ 17, 18 InsO) zusammentreffen, die auf Antrag (§§ 13, 14 InsO) zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens führen kann. Erst die durch drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit manifest gewordene Krise rechtfertigt es, einem anderen gesetzgeberischen Ziel, dem der Gläubigergleichbehandlung, Vorrang einzuräumen (ebenso OLG Köln in bezug auf Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis, siehe oben ee).

c) Die zugelassene sofortige weitere Beschwerde ist somit als unbegründet mit der Kostenfolge aus § 4 InsO, § 97 Abs. 1, § 238 Abs. 4 ZPO zurückzuweisen.

d) Der Beschwerdewert ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht auf 2.374,80 DM festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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