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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.08.2004
Aktenzeichen: 4Z BR 45/04
Rechtsgebiete: AuslG, FGG, GG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 1
FGG § 27
GG Art. 19 Abs. 4
Bei nicht vollzogener (als Überhaft angeordneter) Abschiebungshaft besteht regelmäßig nach Erledigung der Hauptsache (hier: Rücknahme des Haftantrags) kein Rechtsschutzbedürfnis für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung.
Gründe:

I.

Die Stadt beabsichtigt die Ausweisung und Abschiebung der Betroffenen, einer ungarischen Staatsangehörigen, die am 12.03.2004 mit zwei Landsleuten visumfrei als Touristin in das Bundesgebiet einreiste. Noch am selben Tag wurde die Betroffene wegen des Verdachts des versuchten Bandendiebstahls, des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vorläufig festgenommen und ab 13.03.2004 in Untersuchungshaft genommen. Zum Zeitpunkt der Festnahme bestanden außerdem Vollstreckungshaftbefehle von zwei Staatsanwaltschaften wegen zu verbüßender Reststrafen von insgesamt 127 Tagen.

Mit Beschluss vom 15.04.2004 ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Ausländerbehörde vom 01.04.2004 gegen die Betroffene mit sofortiger Wirkung Vorbereitungshaft für die Dauer von sechs Wochen im Anschluss an die Untersuchungshaft an. Die von der Betroffenen hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde wies das Landgericht mit Beschluss vom 07.05.2004 zurück. In den Gründen führte das Landgericht aus, die Ausweisung der Betroffenen stehe angesichts der ihr zur Last gelegten schwerwiegenden Straftaten und der bereits erhobenen Anklage hinreichend bevor. Ohne Inhaftnahme würde die Abschiebung wesentlich erschwert oder vereitelt. Im Hinblick auf den Beitritt Ungarns zur Europäischen Union müsse im Fall der Ausweisung allerdings eine Entscheidung über die Befristung der Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 AuslG getroffen werden. Hierfür sei die strafrechtliche Verurteilung und die Strafhöhe relevant. Aus diesem Grund könne über die Ausweisung nicht sofort entschieden werden.

Am 25.05.2004 legte die Betroffene sofortige weitere Beschwerde ein mit dem Ziel der Aufhebung der Beschlüsse vom 15.04.2004 und 07.05.2004. Sie machte geltend, die Haftanordnung sei schon deshalb unzulässig, da die gesetzlich vorgegebene zeitliche Grenze von sechs Wochen durch den Übergang von der Untersuchungshaft zur Vorbereitungshaft weit überschritten werde. Außerdem sei die Ausweisung nicht hinreichend sicher, denn die Behörde mache ihre Entscheidung vom Ausgang des für 27.07.2004 terminierten Strafverfahrens abhängig, was nicht zulässig sei. Es sei auch nicht richtig, dass für die Frage der Befristung der Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 AuslG das Strafurteil abgewartet werden müsse. Über die Befristung könne auch nach der Ausweisung und Ausreise der Betroffenen entschieden werden.

Zum Vorbringen der Betroffenen gab die Ausländerbehörde keine Stellungnahme ab, obwohl ihr hierzu Gelegenheit gegeben wurde. Am 11.06.2004 nahm sie den Haftantrag vom 01.04.2004 zurück.

Die Betroffene, gegen die weiterhin Untersuchungs- bzw. Strafhaft vollstreckt wird, beantragt nunmehr festzustellen, dass die Anordnung von Vorbereitungshaft für die Dauer von sechs Wochen im Anschluss an die Untersuchungshaft durch den Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 15.04.2004 rechtswidrig war.

II.

1. Die mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Vorbereitungshaft aufrecht erhaltene sofortige weitere Beschwerde ist nicht zulässig.

Mit der Rücknahme des Antrags auf (bisher nicht vollzogene) Vorbereitungshaft hat sich die Hauptsache im Verlauf des weiteren Beschwerdeverfahrens erledigt. Die Fortsetzung eines in der Hauptsache erledigten Verfahrens zum Zwecke der Feststellung der Rechtswidrigkeit ist im FGG nicht vorgesehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist mit dem aus Art. 19 Abs. 4 GG resultierenden Gebot des effektiven Rechtsschutzes durchaus vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem vorhandenen und fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen. Ein Rechtsschutzinteresse ist zu bejahen, solange der Rechtsuchende gegenwärtig betroffen ist und mit seinem Rechtsmittel ein konkretes praktisches Ziel erreichen kann. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses annehmen. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht, dass die Gerichte generell auch dann noch weiter in Anspruch genommen werden können, um Auskunft über die Rechtslage zu erhalten, wenn damit aktuell nichts mehr bewirkt werden kann. Dies dient auch der Entlastung der Gerichte, die damit Rechtsschutz insgesamt für alle Rechtsschutzsuchenden schneller und effektiver gewähren können (vgl. BVerfG vom 5.12.2001, Az. 2 BvR 527/99, BVerfGE 104, 220 = NJW 2002, 2456).

Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzzieles kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung allerdings fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist, etwa um einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Auch bei tief greifenden Grundrechtseingriffen besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Nachprüfung der Maßnahme. So hat das Bundesverfassungsgericht in Fällen der Abschiebungshaft ein Rechtsschutzbedürfnis auch nach Erledigung der Hauptsache bejaht, da die (tatsächlich stattgefundene) Inhaftierung in schwerwiegender Weise in das Grundrecht auf Freiheit der Person eingreife und die Haftanordnung den Vorwurf gesetzwidrigen Verhaltens impliziere, somit geeignet sei, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen (vgl. BVerfG a.a.O., BVerfG vom 24.7.2002, Az. 2 BvR 2266/00, AuAs 2002, 200, 201).

Vorliegend liegen die genannten Voraussetzungen nicht vor. Denn anders als in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen befand sich die Betroffene zu keinem Zeitpunkt aufgrund der angefochtenen Anordnung in Haft. Bis zur Rücknahme des Haftantrags der Ausländerbehörde wurde vielmehr Untersuchungs- bzw. Strafhaft in anderer Sache vollstreckt. Die bloße Anordnung einer Freiheitsentziehung ohne Vollzug führt zu keinem schwerwiegenden hoheitlicher Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Freiheitsrecht und begründet somit auch kein Feststellungsinteresse nach Erledigung der Hauptsache (vgl. BayObLG, Beschluss vom 22.12.2003, Az. 3Z BR 260/03, veröffentlicht in juris; OLG Hamm, Beschluss vom 22.12.2003, Az. 15 W 437/04, OLG Report Hamm 2004, 140; OLG Hamm vom 1.4.2004, Az. 15 W 74/04, OLG Report Hamm 2004, 208, 201 für den Fall einer nicht vollzogenen betreuungsrechtlichen Maßnahme). Auch ein Rehabilitierungs- oder Genugtuungsinteresse ist im konkreten Einzelfall nicht gegeben. Die Inhaftierung der Betroffenen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine diskriminierende Wirkung in der Öffentlichkeit indiziert, erfolgte aufgrund von Haftbefehlen der Strafverfolgungsbehörden und nicht aufgrund der angefochtenen Maßnahme. Es ist nicht ersichtlich, dass der bloße Erlass der Haftanordnung geeignet wäre, das Ansehen der Betroffenen in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Der angefochtene Abschiebungshaftbefehl wurde nur der Betroffenen (bzw. deren Anwalt) sowie den mit der Sache befassten Amtspersonen bekannt. Eine nachwirkende Diskriminierung der Betroffenen, der nach Erledigung der Hauptsache im Wege eines feststellenden Beschlusses entgegengetreten werden müsste, wie dies etwa bei einer Presseberichterstattung denkbar wäre, wurde weder dargelegt, noch ergeben sich hierfür Anhaltspunkte aus den Akten.

Da es an einem schutzwürdiges Rechtschutzinteresse an der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angeordneten und zu keinem Zeitpunkt vollzogenen Überhaft im konkreten Fall fehlt, verbleibt es bei dem Grundsatz, dass mit Erledigung der Hauptsache das Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde unzulässig geworden ist.

2. Nach Erledigung der Hauptsache ist entsprechend § 16 FreihEntzG über die Kosten zu entscheiden. Danach sind die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen der öffentlichen Hand aufzuerlegen, wenn die Ausländerbehörde keinen berechtigten Anlass zur Stellung des Haftantrags hatte.

Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 AuslG ist ein Ausländer zur Vorbereitung der Ausweisung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde. Vorbereitungshaft darf nur angeordnet werden, wenn die Ausweisung hinreichend sicher bevorsteht. Die Dauer der Vorbereitungshaft ist nach der Zeit zu bemessen, die die Ausländerbehörde zur Vorbereitung der Ausweisung voraussichtlich benötigt, wobei mit der Ausweisungsverfügung innerhalb eines Zeitraums von - im Regelfall - höchstens sechs Wochen zu rechnen sein muss (§ 57 Abs. 1, Satz 2 AuslG). Grundsätzlich begegnet die Anordnung von Vorbereitungshaft erst im Anschluss an eine bestehende Untersuchungs- oder Strafhaft keinen rechtlichen Bedenken. Allerdings ist die Zeit, während der sich der Betroffene auf Betreiben der Staatsanwaltschaft in Haft befindet, zur Vorbereitung der Ausweisung zu nutzen, da die Ausländerbehörde das Ausweisungsverfahren nach dem bei Einschränkungen der persönlichen Freiheit besonders streng zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben hat. Gemäß dem Beschleunigungsgebot darf die Ausländerbehörde den Erlass der Ausweisungsverfügung nicht bis zu einer etwaigen Verurteilung des Betroffenen zurückstellen, um dessen Ausweisung zusätzlich hierauf stützen zu können (vgl. BayObLGZ 1998, 124, 133).

Vorliegend lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer sechswöchigen Vorbereitungshaft bei Antragstellung vor. Die Ausländerbehörde beabsichtigte die Ausweisung und Abschiebung der bereits vorbestraften und erneut wegen des Verdachts nicht unerheblicher Straftaten inhaftierten Betroffenen. Hierzu waren Vorbereitungsmaßnahmen (z.B. die Anhörung der Betroffenen) erforderlich. Es bestand auch die Gefahr, dass sich die von zwei Staatsanwaltschaften mit Haftbefehl gesuchte Betroffene einer Ausweisung und Abschiebung entziehen werde. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war für die Ausländerbehörde des Weiteren nicht absehbar, wie lange die Betroffene für die Strafverfolgungsbehörden in Haft bleibt. Sowohl die Untersuchungshaft als auch die Strafhaft von ca. 4 Monaten hätten kurzfristig (z.B. durch eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls, Reststrafenbewährung, Gnadenentscheidung oder einen Strafaufschub) enden können. Die Ausländerbehörde hatte damit einen hinreichenden Grund für den Haftantrag vom 1.4.2004. Zum damaligen Zeitpunkt bestand auch die Möglichkeit, dass eine Ausweisungsverfügung binnen sechs Wochen erlassen werden kann. Ob die Ausweisung und Abschiebung der Betroffenen zu Recht betrieben wurde, haben die Haftgerichte nicht zu prüfen. Insoweit obliegt die Gewährung von Rechtsschutz ausschließlich den Verwaltungsgerichten.

Allerdings war die Behörde gehalten, in der Folgezeit zügig die beabsichtigte Ausweisung voranzutreiben und nicht etwa bis zum Ausgang eines mehrere Monate dauernden Strafverfahrens abzuwarten. Die Festsetzung einer Sperrfrist für die Wiedereinreise gemäß § 8 Abs. 2 AuslG stand einer alsbaldigen Entscheidung über die Ausweisung nicht entgegen, zumal diese auch nachträglich bestimmt werden kann (vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage, § 8 AuslG Rn. 17 und 23). Auch war die Behörde aus dem Beschleunigungsgebot heraus verpflichtet, so schnell wie möglich abzuklären, ob die Strafverfolgungsbehörden ihr Einverständnis mit der Abschiebung erteilen oder ob die zu vollstreckenden Strafen bzw. das Strafverfahren einer Abschiebung in absehbarer Zeit entgegenstehen. Nachdem die Stadt ihren Haftantrag mittlerweile zurückgenommen hat und die Hauptsache erledigt ist, kommt es hierauf jedoch nicht mehr an. Allein ein möglicher Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot löst gemäß § 16 FreihEntzG noch keine Kostenpflicht aus. Maßgeblich ist nach dem Gesetz vielmehr, ob die Behörde einen berechtigten Anlass für die Stellung des Haftantrags hatte, was vorliegend der Fall war.



Ende der Entscheidung

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