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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.11.2003
Aktenzeichen: 4Z Sch 17/03
Rechtsgebiete: ZPO, UNÜ


Vorschriften:

ZPO § 1061 Abs. 1
ZPO § 1061 Abs. 2
UNÜ Art. V Abs. 2b
Es widerspricht dem ordre public international, wenn eine Partei im Schiedsverfahren ein Urteil ergehen lässt, obwohl zuvor beide Schiedsparteien außerhalb des Schiedsverfahrens einen Streit beendenden Vergleich geschlossen haben.
Gründe:

I.

Die Antragstellerin lieferte auf Grund des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags vom 11.11.1999, der nachfolgend mit "Supplements" ergänzt wurde, an die Antragsgegnerin Hydraulikzylinder, über deren Bezahlung zwischen den Parteien Streit besteht. Unter Nr. 12 des Vertrags vereinbarten die Parteien eine Schiedsklausel, wonach alle Streitigkeiten vor dem Internationalen Handels-Schiedsgericht bei der Industrie- und Handelskammer Russland auszutragen sind.

Auf Grund einer mündlichen Verhandlung vom 27.5.2002, zu der die Antragsgegnerin nicht erschienen und in der sie auch nicht vertreten war, verurteilte das Schiedsgericht mit Schiedsspruch vom 5.9.2002 (Gz.: 179/2000) die Antragsgegnerin zur Zahlung einer Hauptschuldsumme von 14.522 USD, einer Konventionalstrafe von 950 USD sowie einer Kostenerstattung für die von der Antragstellerin im Voraus gezahlten Schiedsgerichtsgebühren in Höhe von 1.706 USD.

Unter Vorlage der mit einer Apostille versehenen Kopie des Schiedsspruchs nebst einer von einer vom Oberlandesgericht Düsseldorf allgemein ermächtigten Übersetzerin beglaubigten Übersetzung begehrt die Antragstellerin dessen Vollstreckbarerklärung.

Sie trägt vor, dass zwischen den Parteien ein den Gegenstand des Schiedsurteils betreffender Vergleich nicht zu Stande gekommen sei. Wenn ein solcher jedoch geschlossen worden wäre, hätte die Antragsgegnerin Gelegenheit gehabt, dies dem Schiedsgericht bis zum Urteilsspruch am 5.9.2002 mitzuteilen.

Der Schiedsspruch selbst könne nur durch einen beim Schiedsgericht zu stellenden, den Formvorschriften genügenden Antrag auf Aufhebung angefochten werden, was die Antragsgegnerin jedoch unterlassen habe. Nunmehr sei die Antragsgegnerin mit ihrer Einwendung, die Parteien hätten sich in dieser Sache verglichen, präkludiert.

Der von der Antragsgegnerin an sie gezahlte Betrag von 3.528 USD sei keine Zahlung auf einen Vergleich; sie könne jedenfalls die eingegangene Zahlung keinem konkreten Geschäft der Parteien zuordnen. Im Übrigen sei der den Generaldirektor der Antragstellerin vertretende Direktor nicht befugt gewesen, einen Vergleich abzuschließen.

Die Antragstellerin beantragt,

den Schiedsspruch des Internationalen Handelsschiedsgerichts der Industrie- und Handelskammer der Russischen Föderation in Moskau vom 5.9.2002, durch den die Antragsgegnerin zur Zahlung der Hauptschuldsumme in Höhe von 14.422 USD, zur Zahlung einer Konventionalstrafe in Höhe von 950 USD und zur Erstattung der verauslagten Schiedsgerichtsgebühr in Höhe von 1.706 USD verurteilt worden ist mit der Maßgabe für vollstreckbar zu erklären, dass die Hauptschuldsumme auf 10.894 USD ermäßigt wird, der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und den Beschluss für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass der Schiedsspruch im In land nicht anzuerkennen ist.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Antragsgegnerin trägt vor, dass zwischen den Parteien zur Abgeltung der Schiedsklage ein außergerichtlicher Vergleich über 3.528 USD zu Stande gekommen sei, den die Antragsgegnerin durch eine Überweisung vom 4.6.2002 erfüllt habe.

Eine Vollsteckbarerklärung des Schiedsspruchs würde gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) verstoßen, weil die Antragstellerin trotz der Streiterledigung durch Vergleich das Schiedsurteil habe ergehen lassen, obwohl nach Abschluss und Erfüllung des Vergleichs die Antragstellerin der Antragsgegnerin zugesagt habe, die Tatsache des Vergleichsabschlusses dem Schiedsgericht mitzuteilen.

In der mündlichen Verhandlung vom 6.11.2003 hat der Senat Beweis erhoben durch Einvernahme von zwei Zeugen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Sitzungsprotokoll sowie auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig. Dem Schiedsspruch war jedoch die Anerkennung im Inland zu versagen.

1. Die Zuständigkeit des Senats ergibt sich aus § 1025 Abs. 4, § 1062 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 und Abs. 5 ZPO i.V.m. § 6a GZvJu. Die Antragsgegnerin hat ihren Sitz in Bayern.

2. Die formellen Antragserfordernisse des Art. IV, VII Abs. 1 UN-Übereinkommen vom 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche [UNÜ], § 1064 Abs. 1 ZPO hat die Antragstellerin mit den vorgelegten Urkunden erfüllt.

3. Die beantragte Vollsteckbarerklärung des Schiedsspruchs ist jedoch zu versagen, da dessen Vollstreckung der öffentlichen Ordnung (ordre public) widersprechen würde (§ 1061 Abs. 1 Satz 1 ZPO, Art. V Abs. 2 b UNÜ).

Der ordre public-Verstoß beruht darauf, dass die Antragstellerin in dem von ihr eingeleiteten Schiedsverfahren ein Schiedsurteil gegen die Antragsgegnerin ergehen ließ, dessen Vollsteckbarkeitserklärung sie nunmehr im gegenständlichen Verfahren begehrt, obwohl sich die Parteien vor Erlass des Schiedsspruchs darauf geeinigt hatten, dass nach Zahlung von 3.528 USD durch die Antragsgegnerin "der Fall erledigt" sei und im Anschluss daran die Antragstellerin zugesagt hatte, dies dem Schiedsgericht zum Zwecke der Beendigung des Schiedsverfahrens mitzuteilen, was die Antragstellerin trotz erfolgter Überweisung des Vergleichsbetrages durch die Antragsgegnerin jedoch abredewidrig unterließ.

a) Der Maßstab für den ordre public ist primär der lex fori zu entnehmen, wobei der Verstoß sowohl materiell- als auch vefahrensrechtlicher Natur sein kann. Ein Schiedsspruch verstößt gegen den ordre public, wenn er eine Norm verletzt, die die Grundlagen des deutschen staatlichen und wirtschaftlichen Lebens in zwingender, dem Parteibelieben entzogener Weise regelt und nicht nur auf bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen beruht (vgl. Zöller/Geimer ZPO 23. Aufl. § 1059 Rn. 55 ff. m.w.N.).

Auch unter Einbeziehung des Gesichtspunkts, dass bei Vorliegen eines ausländischen Schiedsspruchs wie im gegenständlichen Verfahren unter den Begriff des "ordre public international" durchaus ein höheres Maß an Abweichungen von den Normen und rechtspolitischen Prinzipien toleriert werden kann, die der Rechtsordnung Deutschlands zu Grunde liegen (vgl. Stein/Jonas/Schlosser ZPO 22. Aufl. Anhang § 1061 Rn. 135 m.w.N.), muss die beantragte Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs abgelehnt werden. Denn auf Grund der vom Senat erhobenen Beweise steht fest, dass die Erlangung eines Vollstreckungstitels durch die Antragstellerin den Grundsatz der Vertragstreue in einem mit der Rechtsordnung nicht zu vereinbarenden Maße verletzen würde. Denn die Parteien haben durch den Vergleich einen gegenseitigen Vertrag geschlossen, auf Grund dessen der zwischen den Parteien im Schiedsverfahren ausgetragene Streit beseitigt wurde mit der Folge, dass der Antragstellerin neben dem auf Grund des Vergleichs erworbenen Zahlungsanspruch kein weiterer Anspruch durch das Schiedsgericht zugesprochen werden durfte.

Ein Lieferant, der nach einer außergerichtlichen Streiterledigung das Vertrauen seines Geschäftspartners auf die Erledigung und das Versprechen, ein begonnenes Schiedsverfahren zu beenden, missbraucht, in Wirklichkeit das Schiedsverfahren weiter betreibt und unter Verschweigen einer zwischenzeitlich eingegangenen Zahlung über den vollen ursprünglichen Klageantrag ein Schiedsurteil erwirkt und dessen Vollstreckbarerklärung - erneut unter Verschweigen der eingegangenen Zahlung - anstrebt, verstößt massiv gegen Grundprinzipien der Fairness und der vertrauensvollen Zusammenarbeit, die für einen effizienten internationalen Handel unerlässlich sind; ein derartiges Procedere verletzt den ordre public international.

b) Diesen Vergleich haben die Parteien zur Überzeugung des Senats rechtswirksam abgeschlossen. Auf Grund der mündlichen Verhandlung des Schiedsgerichts vom 14.1.2002, bei der beide Parteien, vertreten durch die Zeugen A und B, zugegen waren, haben die Parteien auf Anregung des Schiedsgerichts Vergleichsgespräche aufgenommen, was beide Zeugen übereinstimmend bestätigten. Diese Verhandlungen, die, wie ebenfalls beide Zeugen aussagten, in der Folgezeit schriftlich und mündlich geführt wurden, mündeten, wie der Zeuge A bestätigte, hingegen der Zeuge B bestritt, in die Abmachung, dass in Erledigung des vor dem Schiedsgericht anhängigen Streits die Antragsgegnerin an die Antragstellerin 3.528 USD bezahlt.

Mit der Erfüllung des Vergleichs auf Seiten der Antragsgegnerin war die Antragstellerin ihrerseits gehalten zu verhindern, dass gegen die Antragsgegnerin ein Schiedsurteil ergeht, indem sie die Beendigung des von ihr eingeleiteten Schiedsverfahrens herbeiführte (Art. 32 Abs. 2 IHSGG; vgl. auch Märkl Schiedsgerichtsbarkeit in Russland S. 174).

c) Die Glaubwürdigkeit der Aussage des Zeugen A steht zur Überzeugung des Senats außer Zweifel. Im Gegensatz zum Zeugen B ist der Zeuge A zwischenzeitlich in Rente gegangen und bei seiner Arbeitgeberin, der Antragsgegnerin, ausgeschieden und somit ihr nicht mehr verpflichtet; der Zeuge B ist nach wie vor als Vizedirektor bei der Antragstellerin beschäftigt. Die Aussage des Zeugen A wird darüber hinaus dadurch gestützt, dass die Antragsgegnerin den Überweisungsbeleg über den Betrag von 3.528 USD vorlegte, hingegen die Antragstellerin nicht in der Lage war, darzulegen, welche anderweitige Schuld außer der Zahlung des Vergleichsbetrages die Antragsgegnerin mit dieser Überweisung erfüllte. Insbesondere ist die Glaubwürdigkeit des Zeugen A dadurch indiziert, dass der Zeuge B bestätigte, er habe das von ihm an die Antragsgegnerin gesendete Fax vom 23./24.5.2002, das Auskunft über die Bankverbindung der Antragstellerin gibt, deshalb verfasst, weil der Zeuge A ihn gebeten habe, für die Zahlung von 3.528 USD das richtige Bankkonto mitzuteilen.

d) Die Einwendung der Antragstellerin, der Zeuge B sei nicht befugt gewesen, im Namen der Antragstellerin mit der Antragsgegnerin einen Vergleich abzuschließen, greift nicht durch. Die Antragstellerin hat zu keinem Zeitpunkt der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass der Zeuge B keine ausreichende Vertretungsmacht habe. Weil der Zeuge B die Antragstellerin sowohl am 14.1.2002 (und auch am 29.3.2002) vor dem russischen Schiedsgericht vertrat, als auch davor und danach mit der Antragsgegnerin verhandelte, konnte die Antragsgegnerin auf den von der Antragstellerin gesetzten Rechtsschein vertrauen, dass B für die Antragstellerin rechtsverbindlich handelte, zumal sowohl das Schreiben der Antragstellerin vom 26.2.2002 an die Antragsgegnerin, das ein Vergleichsangebot enthielt, als auch die schriftliche Mitteilung der Bankverbindung und des Kontos der Antragstellerin, auf das der Vergleichsbetrag überwiesen wurde, allein von B unterzeichnet worden waren.

e) Auch wenn die Antragsgegnerin den Schiedsspruch vom 5.9.2002 zwar schriftlich angefochten, hierbei jedoch nicht die zwischen den Parteien vereinbarte Form durch Anwendung der russischen Gesetzesvorschriften beachtet hat, ist sie mit der Geltendmachung der Einwendung, die Parteien hätten in Erledigung des Schiedsverfahrens ihren Streit durch Abschluss eines Vergleichs beigelegt, im vorliegenden Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht ausgeschlossen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, nach der Einwendungen gegen einen ausländischen Schiedsspruch, die im Ausland mit einem fristgebundenen Rechtsbehelf geltend zu machen gewesen wären, aber nicht geltend gemacht wurden, für das inländische Verfahren der Vollstreckbarerklärung verloren sind, gilt nicht für Einwendungen gemäß Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 b UNÜ (BGH IPRspr. 1990 Nr. 236 b m.w.N.). Denn - wie oben dargelegt - verstößt das Verschweigen des das russische Schiedsgerichtsverfahren erledigenden Vergleichs jenseits eines bloßen Verfahrensmangels gegen den ordre public international.



Ende der Entscheidung

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