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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.06.2000
Aktenzeichen: 5 St RR 122/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 184 Abs. 3 Nr. 1
Wer kinderpornograhische Schriften über Internet per E-Mail versendet, erfüllt nicht den Tatbestand des "Verbreitens".
Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS

5St RR 122/00

Der 5. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Jaggy sowie der Richter Kehrstephan und Heiss

am 27. Juni 2000

in dem Strafverfahren

wegen unerlaubten Besitzes kinderpornographischer Schriften u.a.

nach Anhörung und auf Antrag der Staatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Schöffengerichts bei dem Amtsgerichts Mühldorf a.Inn vom 16. Dezember 1999 mit den Feststellungen aufgehoben,

im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen fünf sachlich zusammentreffender Fälle des Verbreitens kinderpornographischer Schriften in Tatmehrheit mit zwei sachlich zusammentreffenden Fällen des verbotenen Bezuges kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist,

sowie

im Strafausspruch, mit Ausnahme der wegen unerlaubten Besitzes kinderpornographischer Schriften erkannten (Einzel-)Freiheitsstrafe von neun Monaten.

Mitaufgehoben wird die Kostenentscheidung.

II. Anstelle der durch die Teilaufhebung des Schuldspruchs gemäß oben Ziffer I in Wegfall geratenen Straftaten ist der Angeklagte schuldig der Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften in sieben sachlich zusammentreffenden Fällen.

III. Im übrigen wird die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.

IV. Im Umfang der Aufhebung des Strafausspruchs wird die Sache an ein anderes Schöffengericht bei dem Amtsgericht Mühldorf a.Inn zurückverwiesen.

Angewendete Vorschriften: § 184 Abs. 5, § 53 StGB.

Gründe:

I.

1. Das Amtsgericht - Schöffengericht - Mühldorf a.Inn verurteilte den Angeklagten am 16.12.1999 wegen unerlaubten Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tatmehrheit mit fünf sachlich zusammentreffenden Fällen des Verbreitens kinderpornographischer Schriften in Tatmehrheit mit zwei sachlich zusammentreffenden Fällen des verbotenen Bezugs kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

2. Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die zulässige Revision hat teilweise Erfolg.

1. Soweit sich das Rechtsmittel gegen die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes kinderpornographischer Schriften und die hierfür vom Amtsgericht erkannte (Einzel-)Freiheitsstrafe von neun Monaten richtet, ist es offensichtlich unbegründet und muß nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen werden.

2. Dagegen können der weitergehende Schuldspruch und - mit Ausnahme der (Einzel-)Freiheitsstrafe von neun Monaten wegen unerlaubten Besitzes kinderpornographischer Schriften - der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.

a) Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fünf sachlich zusammentreffender Fälle des Verbreitens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184 Abs. 3 Nr. 1 StGB verurteilt, weil er nach den Feststellungen des Schöffengerichts zwischen dem 5. und 15.5.1999 über Internet per E-Mail an fünf Empfänger, von denen jeweils nur die Deckadressen bekannt sind, kinderpornographische Darstellungen versandt hat. Das Tatbestandsmerkmal des "Verbreitens" i.S. des § 184 Abs. 3 Nr. 1 StGB sieht das Gericht als gegeben an, weil bei Deckadressen nicht bekannt sei, wer der oder die Empfänger seien und wie viele Personen Zugang zur jeweiligen EDV-Anlage oder zu ausgedruckten Bildern hätten, so daß die übermittelten Abbildungen grundsätzlich einem nicht kontrollierbaren Personenkreis zugänglich seien.

Die Subsumtion des vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalts unter dem Begriff des "Verbreitens" erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung erfordert der Begriff des Verbreitens zum einen, daß die Schrift bzw. die ihr gleichgestellten Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und anderen Darstellungen (§ 11 Abs. 3 StGB) der Substanz nach, nicht nur inhaltlich, an den Empfänger weitergegeben werden. Dieses Körperlichkeitskriterium ist nach herrschender Meinung unverzichtbar, so daß bei Computernetzen der Datenspeicher selbst, d.h. die Festplatte oder Diskette, übergeben werden muß (statt vieler: Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 74 d Rn. 4 m.w.N.; Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 74 d Rn. 5, § 184 Rn. 7a m.w.N.). Allerdings wird inzwischen für die Verbreitung in Computernetzen auch schon eine gelockerte Form des Verbreitungsbegriffs in der Weise vertreten, daß es zur Weitergabe von Computerdaten ausreichen soll, wenn die elektronisch übertragenen Daten auf einem neuen Datenträger gespeichert werden (vgl. Derksen NJW 97, 1878, 1881; Pelz, wistra 99, 53, 54).

Der Angeklagte hat nach den Feststellungen nicht den Datenträger übergeben, sondern die kinderpornographischen Darstellungen den jeweiligen Empfängern an deren E-Mail-Adresse übermittelt. Damit entfällt in Ermangelung einer körperlichen Übertragung nach herrschender Meinung eine Verbreitung. Aber auch nach dem weiteren Verständnis dieses Begriffs ist das Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt, weil der Angeklagte die Darstellung jeweils nur als E-Mail an den Empfänger übermittelte. Dort ist sie für den Empfänger zwar aufrufbar, aber solange sie von ihm nicht im Wege des sog. "downloading" auf seinen Rechner kopiert worden ist, noch nicht gespeichert. Eine solche Speicherung hat das Gericht aber nicht festgestellt.

Ein Verbreiten i.S. des § 184 Abs. 3 Nr. 1 StGB erfordert zudem, daß die Darstellung einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird. Dies ist dann der Fall, wenn so vielen Personen der Zugang eröffnet wird, daß es sich um einen für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis handelt (BGH 13, 257; Tröndle/Fischer § 184 Rn. 38). Auch diese Voraussetzung ist nicht festgestellt. Nach den Urteilgründen gingen die kinderpornographischen Abbildungen per E-Mail an fünf unterschiedliche Deckadressen. Die elektronische Post ist, worauf die Verteidigung mit Recht hinweist, nur vom Empfänger und nur dann abrufbar, wenn er dem Netzbetreiber seine Adresse und persönliche Geheimnummer bekannt gibt. Hinsichtlich des Zugriffs, der im Regelfall nur dem Inhaber eines Briefkastens möglich ist, ist daher die Versendung elektronischer Post mit dem gegenständlichen Postversand durchaus vergleichbar. Dies hat zur Folge, daß die vom Angeklagten übermittelten Darstellungen nur den jeweiligen Adressaten zugänglich waren. Daß sich unter den Deckadressen, wie das Amtsgericht mutmaßt, jeweils ein großer Personenkreis verbarg bzw. die Empfänger ihrerseits bereit waren, ihre elektronische Post an andere Interessenten weiterzugeben, ist nicht festgestellt.

Die tatrichterlichen Feststellungen tragen somit eine Verurteilung des Angeklagten nach § 184 Abs. 3 Nr. 1 StGB nicht.

b) Rechtsfehlerhaft hat das Amtsgericht auch den Tatbestand zweier sachlich zusammentreffender Fälle des Bezugs kinderpornographischer Schriften gemäß § 184 Abs. 3 Nr. 3 StGB bejaht.

Die Staatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme zur Revision des Angeklagten ausgeführt, den Urteilsgründen sei nicht zu entnehmen, daß der Angeklagte beabsichtigt habe, diese kinderpornographischen Schriften i.S. des § 184 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 StGB zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen. Eine derartige Verbreitungsabsicht des Angeklagten, die Tatbestandsvoraussetzung sei, ergebe sich auch nicht aus dem Gesamtinhalt der Urteilsgründe. Dagegen spreche die Einlassung des Angeklagten, er habe "wissen wollen, wer so etwas versende".

Der Senat schließt sich dieser Stellungnahme, der nichts hinzuzufügen ist, an. Der Schuldspruch wegen zweier Fälle des § 184 Abs. 3 Nr. 3 StGB kann daher ebenfalls keinen Bestand haben.

3. a) Das im Urteil beschriebene Tatgeschehen zur Versendung kinderpornographischer Schriften über Internet per E-Mail an fünf verschiedene Empfänger erfüllt jedoch den Tatbestand fünf tatmehrheitlicher Fälle der Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften gemäß § 184 Abs. 5 Satz 1 2. Alternative StGB; denn der Angeklagte hat es durch die Versendung der E-Mails unternommen, Dritten den Besitz von kinderpornographischen Schriften zu verschaffen, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand haben und ein tatsächliches und wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben. Die Übermittlung kinderpornographischer Dateien an einen anderen über Zwischenspeicher, insbesondere als E-Mail, erfüllt den Tatbestand der Besitzverschaffung (vgl. Tröndle/Fischer § 184 Rn. 42).

b) Soweit der Angeklagte am 15.5.1999 über Internet von dem Absender C K und dem Absender T H 99 kinderpornographische Darstellungen bezogen hat, hat er sich zweier Fälle der Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften gemäß § 184 Abs. 5 Satz 1 1. Alternative schuldig gemacht; denn er hat sich durch die Speicherung der ihm übermittelten Darstellungen auf seiner EDV-Anlage den Besitz von pornographischen Schriften verschafft, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand haben und ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben.

4. Im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs war die Sache nicht zu neuer Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Tatrichter zurückzuverweisen, weil insoweit nach den Urteilsgründen eine weitere Sachaufklärung zu der Frage, ob der Angeklagte im oben dargelegten Sinn kinderpornographische Darstellungen verbreitet hat, mangels zusätzlicher Erkenntnismöglichkeiten nicht zu erwarten ist.

Da das Verhalten des Angeklagten anstelle von fünf tatmehrheitlichen Fällen des § 184 Abs. 3 Nr. 1 StGB und zwei sachlich zusammentreffenden Fällen des § 184 Abs. 3 Nr. 3 StGB den Tatbestand sieben tatmehrheitlicher Fälle der Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften nach § 184 Abs. 5 StGB (s. oben Nr. 3 a und b) erfüllt, konnte insoweit unter entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO der Schuldspruch dahin berichtigt werden, daß der Angeklagte der Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften in sieben tatmehrheitlichen Fällen schuldig ist.

Die Voraussetzungen für eine Schuldspruchberichtigung (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 354 Rn. 12 ff.) liegen vor. Die Urteilsfeststellungen sind für eine Verurteilung nach § 184 Abs. 5 StGB vollständig und tragfähig. Ein rechtlicher Hinweis, daß auch eine Verurteilung wegen verbotener Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften in Betracht kommen kann, wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht gegeben. Im übrigen trägt auch der Verteidiger des Angeklagten in der Revisionsbegründung vor, daß anstelle der Verurteilung nach § 184 Abs. 3 Nr. 1 und 3 StGB nur ein Schuldspruch nach § 184 Abs. 5 StGB geboten ist, so daß insoweit auch keine andere Verteidigung des Angeklagten zu erwarten ist. Der Angeklagte wird durch die Schuldspruchberichtigung günstiger gestellt; denn § 184 Abs. 5 StGB stellt gegenüber § 184 Abs. 3 StGB wegen des niedrigeren Strafrahmens das mildere Gesetz dar.

5. Auf die Revision des Angeklagten ist daher der Schuldspruch teilweise aufzuheben und zu berichtigen (§ 353 Abs. 1 StPO).

Der Rechtsfolgenausspruch ist - mit Ausnahme der wegen unerlaubten Besitzes kinderpornographischer Schriften erkannten (Einzel-)Freiheitsstrafe von neun Monaten - ebenfalls aufzuheben, weil die erkannten Einzelstrafen nicht aus dem Strafrahmen des § 184 Abs. 3 StGB, sondern des § 184 Abs. 5 StGB zu bilden sind. Aus diesem Grund kann auch die aus den aufzuhebenden Einzelstrafen gebildete Gesamtstrafe keinen Bestand haben.

Im Umfang der Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts Mühldorf a.Inn zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO), der auch über die Kosten der Revision zu befinden haben wird.

6. Die Entscheidung ergeht einstimmig und, soweit die Revision verworfen wird, auf Antrag der Staatsanwaltschaft (§ 349 Abs. 2 und 4 StPO).

Ende der Entscheidung

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