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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 12.12.2002
Aktenzeichen: 5 St RR 299/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 318
StGB § 46
StGB § 3
StGB § 56 Abs. 3
Fehlen Ausführungen zum gesamten Bild des Täters und sein gesamtes Verhalten zur Tat, so bieten die Feststellungen zur Schuldfrage keine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung. Deswegen ist eine Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgenentscheidung unwirksam.
Tatbestand:

Am 1.1.2002 gegen 6.30 Uhr betrat der Angeklagte die Wohnung der Geschädigten B. und T.P. in der F.Straße in L. Er zog einen Gasrevolver und schoss damit dem Geschädigten T.P. ohne Vorwarnung aus einer Entfernung aus ca. 20-30 cm ins Gesicht. Der Geschädigte erlitt durch diese Behandlung ein starkes Brennen in den Augen und fiel rückwärts gegen die Kante eines Türpfostens. Dadurch erlitt er eine Schulterprellung an der linken Seite.

Unmittelbar darauf kam es zu einer Rangelei zwischen dem Geschädigten und dem Angeklagten, da der Geschädigte versuchte, dem Angeklagten nun die Waffe zu entreißen. Der Angeklagte schoss daraufhin nochmals dem Geschädigten aus einer Entfernung von etwa 20 cm ins Gesicht. Anschließend ließ der Angeklagte von dem Geschädigten T.P. ab und ging zur Geschädigten B.P.

Dieser setzte er die Gaspistole auf die Haut im Genickbereich auf und schoss ebenfalls einmal. Die Geschädigte erlitt durch diese Behandlung eine punktförmige Hautverletzung im Nackenbereich. Weiterhin erlitten beide Geschädigte starke Schmerzen durch Brennen des Gases in den Augen.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen dreier Fälle der gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr. Die auf das Strafmaß beschränkte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht am 11.7.2002 als unbegründet mit der Maßgabe, dass die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte - auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - jedenfalls vorläufig Erfolg.

Gründe:

Nach Maßgabe der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft ist die Revision auf die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt. Zwar beantragt die Staatsanwaltschaft, den Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben, jedoch wird in der Begründung ausschließlich die Verletzung des § 56 StGB gerügt. Das durch Auslegung zu ermittelnde Angriffsziel ist damit ausschließlich die gewährte Strafaussetzung (BGH NStZ 1998, 210).

Grundsätzlich kann die Revision auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden, wenn sich diese von der Strafzumessung trennen lässt (h. M., z.B. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 56 Rn. 12 m. w. N.). Eine solche isolierte Anfechtung ist jedoch dann nicht möglich, wenn im Einzelfall die Feststellungen zur Straftat, sei es auch nur zur inneren Tatseite, so lückenhaft sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden (Kleinknecht./Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 318 Rn. 16 m. w. N.). Dieser Mangel liegt hier vor; er hat bereits die Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung zur Folge.

Die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils sind so unvollständig, dass sie den Schuldumfang nicht einmal in groben Umrissen erkennen lassen.

Über den oben wiedergegebenen Sachverhalt hinaus wird lediglich ausgeführt, dass der Angeklagte in vollem Umfang geständig gewesen sei und angegeben habe, dass es mit den Geschädigten schon wiederholt Auseinandersetzungen gegeben habe, die darauf beruhten, dass sie die anderen Mieter, unter anderem ihn selbst, mehrfach gestört hätten, er erheblich getrunken habe, was zu einer Blutalkoholkonzentration von 1,75 %o geführt habe.

Diese Feststellungen lassen den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht einmal in den wesentlichen Zügen erkennen und bilden so keine ausreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung (BGHSt 33, 59; BayObLGSt 1988, 62/63; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO). Der für die Strafzumessung und damit auch für die Strafaussetzungsfrage maßgebliche Umfang des Schuldvorwurfs lässt sich nur hinreichend beurteilen, wenn nicht nur die reine Tathandlung, sondern auch das zu dieser führende Gesamtgeschehen näher dargestellt wird. Gegenstand des Schuldvorwurfs ist das gesamte tatrelevante Täterverhalten (Tröndle/Fischer § 46 Rn. 6, 23). Dass die Tatbestandsverwirklichung allein nicht schon Grundlage der Strafzumessung sein kann, ergibt sich schon daraus, dass der Tatbestand nur die Funktion hat, diejenigen Merkmale zu beschreiben, welche die Strafbarkeit begründen. Es kommt also neben der Tat auch auf andere Tatsachen an, die für Tat und Täterbeurteilung von Bedeutung sind. Für die Strafzumessung müssen das gesamte Bild des Täters und sein gesamtes Verhalten herangezogen werden, soweit sie wegen ihrer engen Beziehung zur Tat Rückschlüsse auf Unrechtsgehalt und innere Einstellung des Täters gewähren oder sonst als tatrelevant anzusehen sind (Tröndle/ Fischer aaO). Solche, das Maß der Schuld bestimmende Umstände, lassen sich dem Urteil nicht ausreichend entnehmen.

Die Berufungskammer hat zwar ergänzende Feststellungen zur Vorgeschichte der Tat getroffen, aber wesentliche Umstände nicht erörtert.

Weder das Amts- noch das Landgericht setzen sich, was angesichts der Tatausführung (zweimal Schüsse aus 20 bzw. 20-30 cm ins Gesicht, einmal auf die Haut im Genick aufgesetzter Schuss) erforderlich gewesen wäre, mit der Art des verwendeten Gasrevolvers auseinander. Bei der Verwendung eines Gasrevolvers, der das Gas nach vorne abgibt, können erhebliche, insbesondere bei einem aufgesetzten Schuss auch tödliche Verletzungen eintreten (BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 Waffe 2; § 250 Abs. 1 Nr. 1 Schusswaffe 2,3; Abs. 2, Gesamtbetrachtung 5). Dass solche nach den Urteilsfeststellungen nicht erfolgten, kann daran liegen, dass es sich um eine Waffe handelte, die das Gas und die Explosionsgase zur Seite austreten lässt oder daran, dass der Lauf bei Schussabgabe so gesetzt war, dass solche Verletzungen nicht entstehen konnten. Beides ist für den Schuldumfang von erheblicher Bedeutung, da dies die kriminelle Energie des Täters kennzeichnen kann (BGHR StGB § 250 Abs. 1 Nr. 2 Waffe 1).

Ausreichende Feststellungen zum Schuldumfang fehlen darüber hinaus auch im Hinblick auf die Alkoholisierung des Angeklagten. Dem Berufungsurteil ist immerhin zu entnehmen, dass die BAK zum Zeitpunkt der Blutentnahme am 1.1.2002, 9.12 Uhr (also zwei Stunden und 42 Minuten nach der Tat) 1,75 %o betrug. Jedoch fehlen Angaben über die maximale Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit. Gerichtsbekannt beträgt diese unter Berücksichtigung der Kriterien der Rechtsprechung 2,49 %o. Dieser Wert gibt grundsätzlich Veranlassung, die Voraussetzungen des § 21 StGB zu erörtern (Tröndle/Fischer § 20 Rn. 9 b). Unter Umständen kann aufgrund sonstiger Faktoren (mangelnde Trinkgewohnheit, affektiver Erregungszustand) sogar Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB in Betracht kommen (Tröndle/Fischer aaO und 9 j). Nach den Urteilsgründen trinkt der Angeklagte nur selten, ferner gab es bereits am Vormittag eine Auseinandersetzung wegen Ruhestörung und erneut mitten in der Nacht. Die bloße Feststellung im Rahmen der Strafzumessung "ferner war seine Hemmschwelle durch die erhebliche Alkoholisierung und durch das Verhalten der Geschädigten in der Vergangenheit, das er als Provokation empfand, herabgesetzt" durch das nicht sachverständig beratene Gericht ist deshalb nicht geeignet, die Strafzumessung zu tragen (vgl. auch OLG Frankfurt NJW 68, 1638/1639).

Die Unwirksamkeit der Beschränkung der Revision führt dazu, dass das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen hat, ob die Beschränkung der Berufung wirksam war (Kleinknecht/Meyer-Goßner § 352 Rn. 3, 4). Die dargestellten Mängel führen - wie dargelegt - bereits zur Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung.

Die Beschränkung der Berufung war schon deshalb unwirksam, weil das Amtsgericht die Frage der Schuldfähigkeit nicht geprüft hatte, obwohl dazu Anlass bestand (siehe oben Ziffer. 1.2.2; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 318 Rn. 17 m. w. N.; BayObLGSt 1994, 253/254). Bereits das Amtsgericht hatte wiederholte Auseinandersetzungen sowie eine nicht auf einen bestimmten Entnahmezeitpunkt bezogene BAK in Höhe von 1,75 %o festgestellt.

Das Urteil der Strafkammer beruht auch auf der Verkennung der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung, da das Gericht die notwendigen Feststellungen nicht rechtsfehlerfrei nachgeholt hat. Auch was die unzureichenden Feststellungen zur Vorgeschichte betrifft, können auch diese dem Urteil nicht zugrunde gelegt werden, da die Urteilsgründe keine überprüfbare Beweiswürdigung aufweisen. Der Tatrichter hat den festgestellten Sachverhalt, soweit er bestimmte Schlüsse zugunsten oder ungunsten des Angeklagten nahe legt, in Verbindung mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen und diese erschöpfende Würdigung in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen (Kleinknecht/Meyer-Goßner § 267 Rn. 12). Enthalten die Urteilsgründe keine Beweiswürdigung, so ist das Urteil auf Sachrüge aufzuheben (Kleinknecht/Meyer-Goßner Rn. 42). Zur Vorgeschichte, die für den Schuldumfang von erheblicher Bedeutung ist, enthält das Berufungsurteil u. a. folgende Angaben:

"Etwa gegen 4.00 Uhr (morgens) sei er dann nach Hause gekommen. Dann habe er noch den Hund ausgeführt und dann ins Bett gehen wollen. In der Wohnung P. sei immer noch lautstark gefeiert worden. Auf Vorhalt der Aussage des Zeugen T.P. vom 1.1.02 bei der Polizeiinspektion L., dass sie gegen 23.00 Uhr am Sylvesterabend ins Bett gegangen seien, hat der Angeklagte erklärt, dass dies nicht richtig sei, vielmehr sei dort noch gefeiert worden, als er ins Bett gehen wollte."

Eine Auseinandersetzung mit diesen widersprechenden Angaben lässt das Berufungsurteil vermissen. offensichtlich folgte es dem Angeklagten, führt aber keinerlei Gründe aus, warum es dem Geschädigten nicht glaubt, so dass diese "Beweiswürdigung" nicht nachvollziehbar ist.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das landgerichtliche Urteil auch im Hinblick auf § 5 6 Abs. 3 StGB nicht nachvollziehbar ist. Die Berufungskammer führt dazu lediglich aus, "auch die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet vorliegend nicht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe (§ 56 Abs. 3 StGB). Insbesondere liegen keine schwerwiegenden Besonderheiten in einer der Taten oder in der Person des Täters vor".

Grundsätzlich bedarf der Versagungsgrund nach § 56 Abs. 3 StGB in den Urteilsgründen keiner näheren Erörterung, wenn aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe auszuschließen ist, dass das Gericht diese Vorschrift übersähen und sie deshalb bei der Entscheidung über die Strafaussetzung außer acht gelassen hat. Eine nähere Erörterung ist jedoch dann erforderlich, wenn der der Verurteilung zugrunde gelegte Sachverhalt die Notwendigkeit der Strafvollstreckung zur Verteidigung der Rechtsordnung nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lässt (Schönke/Schröder/Stree StGB 26. Aufl. § 56 Rn. 50). Dies ist dann der Fall, wenn im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalls eine Strafaussetzung für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich oder gar unerträglich wäre und die Strafaussetzung das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts und den Schutz der Rechtsordnung vor kriminellen Angriffen erschüttern könnte (BGHSt 24, 40/46 und 64/66).

Es ist dann eine Gesamtabwägung von Tat und Täter unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung vorzunehmen. Insbesondere stellt es einen sachlich-rechtlichen Fehler dar, wenn bei einem vielfach und auch einschlägig vorbestraften, bewährungsbrüchigen Täter sowie bei der Art der hier festgestellten Tatausführung (aufgesetzter Schuss mit einer Gaspistole mit der Gefahr erheblicher Verletzungen) eine Gesamtabwägung unter Erörterung dieser Umstände nicht vorgenommen wird (Tröndle/Fischer § 56 Rn. 10, 11).

Ende der Entscheidung

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