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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.12.2003
Aktenzeichen: 5 St RR 331/03
Rechtsgebiete: StGB, FIS-Regel


Vorschriften:

StGB § 222
StGB § 229
FIS-Regel Art. 1
FIS-Regel Art. 3
FIS-Regel Art. 5
1. Die vom Internationalen Skiverband aufgestellten Regeln für das Verhalten der Skifahrer konkretisieren das allgemein bestehende Rechtsgebot, wonach sich jeder so zu verhalten hat, dass andere nicht gefährdet oder geschädigt werden.

2. FIS-Regel 3 gilt nur zwischen Skifahrern, die auf ein und derselben Piste abfahren.

3. Ob eine präparierte Piste und ein daran angrenzendes Tiefschneeterrain ein und dieselbe Piste im Sinne von FIS-Regel 3 bilden, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.

4. Ist angrenzendes Tiefschneeterrain wegen beflaggter Abgrenzungspfosten und Niveauunterschieden des Geländes von bis zu ungefähr einem halben Meter nicht mehr der präparierten Piste zuzurechnen, steht einem aus dem Tiefschneegelände kommenden und die präparierte Piste querenden Snowboardfahrer nicht das Vorrecht nach FIS-Regel 3 zu; er unterliegt dann FIS-Regel 5.


Tatbestand:

Bei einer Abfahrt mit ihrem Snowboard auf einer Skipiste stieß die jugendliche Angeklagte mit dem Geschädigten zusammen. Der Geschädigte hatte sich in einem Schwung nach rechts befunden; die Angeklagte hatte zum selben Zeitpunkt die Piste in einem Winkel von nahezu 90° gekreuzt. Es kam zu einem Zusammenprall der Köpfe des Geschädigten und der Angeklagten, in dessen Folge der Geschädigte erhebliche Kopfverletzungen erlitt. An diesen verstarb er sechs Monate später. Das Amtsgericht sprach die Angeklagte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde die Angeklagte vom Landgericht wegen fahrlässiger Tötung zu Arbeitsauflagen verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision begründete sie mit der Sachrüge der unzureichenden Beweiswürdigung. Die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht hat in ihrer Stellungnahme zur Revision einen Erörterungsmangel deswegen verneint, weil sich das Landgericht mit allen nahe liegenden tatsächlichen Möglichkeiten auseinander gesetzt hatte und rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt war, dass beide Beteiligte den Unfall hätten vermeiden können. Die Revision der Angeklagten blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Senat folgt den im Ergebnis zutreffenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht in deren Antragsschrift und nimmt auf diese Bezug. Ergänzend hierzu ist wegen der Ausführungen der Revision zu FIS-Regel 3 anzumerken:

Die vom Internationalen Skiverband aufgestellten Regeln für das Verhalten der Ski- und auch der Snowboardfahrer auf Abfahrtsstrecken konkretisieren nach Maßgabe der Besonderheiten des Ski- bzw. des Snowboardfahrens das allgemein bestehende Rechtsgebot, wonach sich jeder so zu verhalten hat, dass andere nicht gefährdet oder gar geschädigt werden (BHGZ 58, 40 f.).

Diese allgemeingültige Verhaltenspflicht wird in FIS-Regel Nr. 1 - "Rücksicht auf die anderen Skifahrer" - formuliert.

Die Strafkammer stellt auf BU S. 4/6 i.V.m. S. 10/12 revisionsrechtlich einwandfrei fest, dass die Angeklagte hiergegen schuldhaft verstoßen hat. Dies allein rechtfertigt den angefochtenen Schuldspruch.

Zu Unrecht rügt die Revision die fehlende Auseinandersetzung der Strafkammer mit FIS-Regel 3 - "Wahl der Fahrspur" - in den Urteilsgründen.

Nach FIS-Regel 3 muss der von hinten kommende Skifahrer seine Fahrspur so wählen, dass der vor ihm fahrende Ski- bzw. Snowboardfahrer nicht gefährdet wird. Die Revision verkennt, dass - selbst wenn die Feststellungen des Tatrichters prinzipiell die Anwendung dieser Regel rechtfertigen würden - dies nicht bedeutet, dass der querende Snowboardfahrer auf von oben kommende Skifahrer überhaupt keine Rücksicht nehmen müsste, selbst wenn ihm dies - wie es nach den Feststellungen der Strafkammer, hier der Fall war - nach der konkreten Fahrweise und Wahrnehmungslage leicht möglich und zumutbar ist. Der querende Ski- bzw. Snowboardfahrer muss vielmehr beim und auch nach dem Einfahren in die Piste regelmäßig pistenaufwärts blicken, wenn ihm dies - wie hier nach den Feststellungen der Strafkammer infolge nahezu rechtwinklig zur Fahrlinie der Geschädigten geführter Einfahrspur mit Blickfeld bergwärts, also ohnehin auf die herannahenden Geschädigten gerichtet - leicht möglich ist. Kommt - wie hier nach den Feststellungen der Strafkammer die Angeklagte - der querende Snowboardfahrer dieser Beobachtungspflicht nicht nach und kollidiert er deshalb mit einem abfahrenden Skiläufer, ist ihm zumindest ein Mitverschulden an dessen Schädigung zuzurechnen (vgl. OLG Graz, Urteil vom 15.3.1994, Az.: 1 R 4/94, juris-web).

Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen der Strafkammer liegen hier aber entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen der FIS-Regel 3 nicht einmal vor.

Diese Regel gilt nämlich nur zwischen Ski- bzw. Snowboardfahrern, die auf ein und derselben Piste abfahren. Die Angeklagte befand sich im Kollisionszeitpunkt jedoch nicht lediglich in einer "Querbewegung zum Hang" innerhalb ein und derselben Piste im Sinne der FIS-Regel 3. Nach den UA S. 4/5 fuhr sie vielmehr zunächst auf einem "Tiefschnee"-Terrain und querte dann in nahezu rechtem Winkel zur Fahrlinie der beiden Geschädigten die von diesen genutzte präparierte Piste.

Dieses Tiefschneeterrain war von der präparierten Piste durch beflaggte Stangen im Abstand von jeweils ca. 50 m sowie durch Niveauunterschiede von bis zu einem halben Meter deutlich abgegrenzt. Es war daher nicht mehr der von den Geschädigten benutzten Piste zuzurechnen (zum Grundsätzlichen BGH NJW 1973, 1379; vgl. ferner OLG Karlsruhe NJW-RR 1994, 351). Der Angeklagten stand deshalb bei der Einfahrt in die präparierte Piste nicht mehr das Vorrecht nach FIS-Regel 3 zu. Sie hatte vielmehr nach FIS-Regel 5 vor ihrer Einfahrt in die Piste der Geschädigten "sich nach oben und unten zu vergewissern, dass sie dies ohne Gefahr für sich und andere tun kann" (zum Grundsätzlichen vgl. OLG München, OLGR München 1994, 97).

Dieser Verpflichtung ist die Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer schuldhaft nicht nachgekommen.



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