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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.06.2001
Aktenzeichen: RE-Miet 1/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2
Auch die Übertragung von Wohnungseigentum zur Erfüllung eines Vermächtnisses kann als eine Veräußerung im Sinne des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB zu werten sein.
Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts erlässt unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Kenklies und Zwirlein

am 29. Juni 2001

in dem Rechtsstreit

wegen Räumung und Herausgabe,

auf Vorlage des Landgerichts München I

folgenden

Rechtsentscheid

Tenor:

Als Veräußerung im Sinne des _ 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB ist auch die Übertragung von Wohnungseigentum in Erfüllung eines Vermächtnisses anzusehen.

Gründe:

I.

Die Beklagten sind Mieter einer 3-Zimmer-Wohnung mit Gartenanteil in München. Sie haben die Wohnung auf unbestimmte Zeit mit schriftlichem Vertrag vom 23.9.1992 von A, vertreten durch eine Grundstücksverwaltungsgesellschaft, angemietet und am 1.11.1992 bezogen; die monatliche Kaltmiete beträgt seit 1.1.1998 DM 2148. Die Wohnung und das gesamte fünf weitere Wohnungen umfassende Anwesen standen je zur Hälfte im ungeteilten Miteigentum der Vermieterin A und ihrer Schwester B; die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass auch letztere auf Vermieterseite Partei des Mietvertrages geworden ist. Am 17.3.1993 veräußerte A ihren Anteil an C, der am 9.5.1994 als Miteigentümer im Grundbuch eingetragen wurde.

Mit notariellem Testament vom 14.10.1993 setzte B als Alleinerbin D ein und verfügte als Vermächtnis, dass die Klägerin den Miteigentumsanteil an dem Wohnanwesen erhalten soll. Mit notarieller Erklärung vom 6.6.1995 teilten die Miteigentümer C und B, letzterer vertreten durch die Klägerin, das Anwesen nach Wohnungseigentumsrecht (§ 3 WEG) auf. Hierbei wurde der Miteigentümerin B unter anderem die an die Beklagten vermietete Wohnung Nr. 1 als Sondereigentum zugewiesen. Die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 12.6.1996.

Am 23.12.1998 verstarb B, für die die Klägerin als Betreuerin bestellt war. Mit notarieller Urkunde vom 3.3.1999 übertrug die Erbin an die Klägerin in Vollzug des Vermächtnisses vom 14.10.1993 den Miteigentumsanteil mit Sondereigentum an der von den Beklagten gemieteten Wohnung Nr. 1. Die Eintragung der Klägerin als Eigentümerin ins Grundbuch erfolgte am 26.4.1999.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 11.5.1999 ließ die Klägerin gegenüber den Beklagten eine Kündigung zum 31.12.1999 wegen Eigenbedarfs aussprechen. Die Beklagten widersprachen durch Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14.6.1999.

Die Klägerin hat Räumungsklage erhoben und den Eigenbedarf damit begründet, dass die von ihr angemietete Wohnung durch einen derzeit stattfindenden U-Bahn-Bau lärm- und staubbelastet sei und - im Gegensatz zur Wohnung der Beklagten - keinen Gartenanteil habe. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, das Nutzungsinteresse der Klägerin an dem zur Wohnung gehörenden Garten sei ein ausreichender Grund für die Eigenbedarfskündigung. Der Wirksamkeit der Kündigung stehe die Wartefrist des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB nicht entgegen. Der Eigentumserwerb aufgrund eines Vermächtnisses sei keine Veräußerung im Sinne dieser Vorschrift, weil hierbei der Zeitpunkt des Eigentumsübergangs unbestimmt sei und dem Eigentumserwerb das Element der Freiwilligkeit fehle, das für eine Veräußerung wesentlich sei.

Gegen diese Entscheidung haben die Beklagten Berufung eingelegt. Das Landgericht hat am 14.2.2001 beschlossen, einen Rechtsentscheid zu folgender Frage einzuholen:

Darf der Eigentümer einer Wohnung sich als Vermieter auf ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses i. S. des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB (Eigenbedarf) ohne Rücksicht auf die Sperrfrist des Art. 14 Satz 2 Nr. 1 Sozialklauselgesetz, § 564 b Abs. 2 Nr. 2 Sätze 2 und 4 BGB berufen, wenn

1. erst nach Überlassung der Wohnung an den Mieter die Miteigentümer (in Bruchteilsgemeinschaft) des Hausgrundstücks das Miteigentum gemäß § 3 WEG in der Weise beschränkt haben, dass jedem Miteigentümer abweichend von § 93 BGB Sondereigentum eingeräumt wurde,

2. wenn der frühere vermietende Miteigentümer, der auf diese Weise im Jahr 1996 Wohnungseigentum an der Wohnung erlangt, nachfolgend verstorben ist, und

3. wenn dessen Erbe in Erfüllung eines Vermächtnisses zu seinen Gunsten das Wohnungseigentum an ihn veräußert hat.

Es hält den von der Klägerin geltend gemachten Eigenbedarf für gegeben und ist der Auffassung, dass B aufgrund der Aufteilung gemäß § 3 WEG und Zuweisung der streitgegenständlichen Wohnung als Sondereigentum in die Vermieterstellung eingerückt sei. Dies habe die Sperrfrist des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB noch nicht ausgelöst. Als erstmalige Veräußerung an einen Erwerber der Wohnung komme deshalb die Übertragung des Wohnungseigentums durch die Alleinerbin D der am 28.12.1998 verstorbenen B an die Klägerin in Betracht. Es komme streitentscheidend darauf an, ob sich die Beklagten gegenüber der Eigenbedarfskündigung der Klägerin auf die Wartefrist des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB i.V.m. Art. 14 Satz 2 Nr. 1 Sozialklauselgesetz berufen können. Das Landgericht möchte diese Frage bejahen.

II.

1. Die Vorlage an das Bayerische Oberste Landesgericht (vgl. BayObLGZ 1991, 348/350) ist statthaft (§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO; BayObLGZ 1989, 319/321). Die Voraussetzungen für einen Rechtsentscheid sind auch im übrigen gegeben.

Bei der vom Landgericht als Berufungsgericht vorgelegten Frage handelt es sich um eine Rechtsfrage, die sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergibt (§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Frage ist entscheidungserheblich, weil bei ihrer Verneinung das dem Räumungs- und Herausgabeverlangen der Klägerin stattgebende Urteil des Amtsgerichts zu bestätigen und die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen wäre. Die Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich aus der rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts zu beurteilen. Das zum Rechtsentscheid berufene Gericht ist nur dann nicht an die rechtliche Würdigung des vorlegenden Gerichts gebunden, wenn diese unhaltbar oder verfassungswidrig ist (BayObLG WM 1991, 18; Zöller/Gummer ZPO 22. Aufl. § 541 Rn. 63).

Das Landgericht hält die Kündigung der Klägerin für formell wirksam und hinsichtlich des Eigenbedarfs für schlüssig. Dies ist jedenfalls vertretbar (vgl. Schmidt-Futterer/Blank Mietrecht 7. Aufl. [1999] § 564b BGB Rn. 96).

Das Landgericht geht auf der Grundlage des unstreitigen Parteivorbringens davon aus, dass die im schriftlichen Mietvertrag vom 23.9.1992 nicht aufgeführte B neben A Vermieterin geworden ist. Der angenommene Formmangel steht der Wirksamkeit des Mietvertrags nicht entgegen (§ 566 Satz 2 BGB).

Weiter ist das Landgericht der Auffassung, dass die gemäß § 3 WEG vorgenommene Einräumung von Sondereigentum an der streitgegenständlichen Wohnung an die bisherige Miteigentümerin B keinen Veräußerungsfall im Sinne von § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB darstellt und diese nach Einräumung des Sondereigentums allein den Mietvertrag fortgesetzt hat. Dies entspricht der Rechtsauffassung des BGH im Rechtsentscheid vom 6.7.1994 (NJW 1994, 2542/2543).

Die Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, weil anzunehmen ist, dass sie sich in der Praxis auch künftig wiederholt stellen wird und unterschiedlich beantwortet werden kann; sie ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht geklärt und im Schrifttum nicht ausdrücklich behandelt (vgl. Zöller/ Gummer § 541 Rn. 40, 44).

2. Der Senat fasst die Frage ohne Veränderung ihres rechtlichen Kerns neu (BayObLGZ 1989, 406/409) und beantwortet sie so, wie der Entscheidungssatz lautet.

a) Ist an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden, so kann sich der Erwerber gemäß § 564b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB auf berechtigte Interessen im Sinne von § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB (Eigenbedarf) nicht vor Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung an ihn berufen (zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift vgl. BGH aaO; BayObLGZ 1994, 22/27). In Gebieten mit Wohnraummangel, die durch Verordnung der Landesregierungen bestimmt werden, verlängert sich die Sperrfrist auf fünf Jahre (§ 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 und 4 BGB). Darüber hinaus bestimmt Art. 14 Satz 2 Nr. 1 Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22.4.1993 (BGBl I S. 466; SozialklauselG), dass die Sperrfrist auf 10 Jahre ausgedehnt werden kann.

b) Ziel der Vorschrift ist in erster Linie der Schutz des Mieters gegen die erhöhte Gefahr der Eigenbedarfskündigung, die nach Umwandlung einer Mietwohnung in eine Eigentumswohnung eintritt. Für den Mieter einer Wohnung in einem herkömmlichen Mietshaus spielt die Gefahr einer Eigenbedarfskündigung in aller Regel eine untergeordnete Rolle. Demgegenüber ist das Mietverhältnis durch eine Umwandlung mit nachfolgender Veräußerung erheblich gefährdet, denn der Erwerb einer in eine Eigentumswohnung umgewandelten Mietwohnung erfolgt regelmäßig zur Befriedigung eigenen Wohnbedarfs. Der erhöhten Kündigungsgefahr steht daher die Sperrfrist gegenüber, in der der Mieter sich auf die Eigenbedarfslage seines neuen Vermieters einstellen kann. Darüber hinaus haben die auf § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB gründenden Sperrfristen die erwünschte Nebenfolge, dass sich der Kreis der am Erwerb einer umgewandelten Wohnung interessierten Personen verkleinert und sich die Gefahr der Umwandlungsspekulation verringert (vgl. BGH aaO; BayObLGZ 1992, 187/190 m.w.N.).

c) Der Begriff der Veräußerung des Wohnungseigentums ist in § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB nicht definiert. Er baut jedoch auf dem Veräußerungsbegriff des § 571 Abs. 1 BGB auf (BayObLG aaO S. 193). Danach ist eine Veräußerung im Sinne dieser Vorschrift zugleich eine solche im Sinne des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB, auch wenn dessen Anwendungsbereich über den des § 571 Abs. 1 BGB hinausgeht (Zuschlag von Wohnungseigentum im Wege der Zwangsversteigerung; BayObLGZ 1992, 187/191 f.). Aus dem Schutzzweck des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB ergibt sich, dass die Vorschrift alle Formen der rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragung im Sinn von § 571 Abs. 1 BGB erfaßt, die auf einen auf freiwilliger Entscheidung beruhenden Verpflichtungsgrund zurückgehen (vgl. Bub/ Treier/Grapentien Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 3. Aufl. [1999] IV Rn. 76b; Schmidt/Futterer/Blank Wohnraumschutzgesetze 6. Aufl. [1988] Rn. B 642; Blank in Festschrift für Bärmann und Weitnauer PiG 18, 87/100). Entscheidend ist insoweit, dass der Mieter einer Wohnung, an der nachträglich Wohnungseigentum begründet worden ist, eines erhöhten Bestandsschutzes bedarf, wenn diese Wohnung nach der Umwandlung von einer Person erworben wird, die mit dem bisherigen Vermieter nicht identisch ist, und dass die freiwillige rechtsgeschäftliche Eigentumsübertragung gemäß § 571 Abs. 1 BGB immer einen Wechsel in der Person des Vermieters zur Folge hat (BGH aaO; BayObLGZ 1994, 22/27).

d) Eine Veräußerung im Sinn von § 571 Abs. 1 BGB und damit auch innerhalb des Anwendungsbereichs des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB liegt vor, wenn das Eigentum an dem Grundstück auf den Erwerber durch Auflassung und Eintragung im Grundbuch (§ 873, § 925 BGB) übergegangen ist. Hingegen spielt für den Begriff der Veräußerung keine Rolle, welcher Verpflichtungsgrund der Eigentumsübertragung zugrunde liegt. Es kann dies Kauf, Schenkung, Tausch oder auch ein Vermächtnis sein. Erforderlich ist nur, dass der Erwerb auf einem gültigen Rechtsgeschäft beruht und freiwillig erfolgt (vgl. Staudinger/Emmerich BGB [1997] § 571 Rn. 48, 50 m.w.N.).

Ist Gegenstand des Vermächtnisses (§ 2147 BGB) Wohnungseigentum, so erfolgt die zur Erfüllung des Vermächtnisses erforderliche Eigentumsübertragung durch Auflassung und Eintragung in das Grundbuch (§§ 873, 925 BGB, §§ 4, 7 WEG). Der Eigentumsübergang erfolgt somit rechtsgeschäftlich und auch freiwillig, weil er auf einem freiwilligen Testierwillen der Erblasserin beruht. Allein daran knüpfen die Rechtsfolgen der § 571 Abs. 1 BGB sowie § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB, ohne dass es auf die Art des Grundgeschäfts ankommt. Dieses kann daher auch ein einseitiges Rechtsgeschäft von Todes wegen wie das Vermächtnis gemäß § 2147 BGB sein. Maßgeblich ist, dass die zur Erfüllung des Vermächtnisses vorgenommene Eigentumsübertragung auf einen auf freiwilliger Willensentscheidung fußenden Verpflichtungsgrund zurückgeht und einen Wechsel in der Person des Vermieters zur Folge hat. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts setzt der Begriff der Veräußerung im Sinne des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB nicht einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Grundgeschäft und dem Eigentumserwerb voraus. Für den Beginn der Wartefrist ist allein die Vollendung des (erstmaligen) Eigentumsübergangs (§ 925 BGB, § 4 WEG) maßgeblich (vgl. BayObLG NJW 1982, 451/452; Staudinger/Sonnenschein § 564b Rn. 108; Schmidt/Futterer/Blank § 564b Rn. 148).

Entgegen der Auffassung der Beklagten entsteht im vorliegenden Fall der Eigenbedarf des Vermächtnisnehmers nicht unabhängig von der Umwandlung. Bereits bei Umwandlung der Wohnung in Wohnungseigentum erhöht sich das Bestandsrisiko des Mieters. Dieses konkretisiert sich bei Erwerb der umgewandelten Eigentumswohnung durch einen Dritten. Anders als der Erbe ist der Vermächtnisnehmer Dritter, denn er ist nicht Rechtsnachfolger des Erblassers, sondern erwirbt erst durch Übertragungsakt. Der Vermächtnisnehmer muss daher die auf § 564b Abs. 2 Satz 2 bis 4 BGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SozialklauselG beruhenden Wartefristen vor einer Eigenbedarfskündigung beachten.

Ende der Entscheidung

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