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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 04.08.1999
Aktenzeichen: RE-Miet 6/98
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, BVerfGG


Vorschriften:

ZPO § 541 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2
ZPO § 541 Abs. 1 Satz 1
BGB § 537 Abs. 1
BGB § 544
BGB § 241 Satz 1
BGB § 537
BGB § 538
BVerfGG § 31 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerisches Oberstes Landesgericht

Beschluß

RE-Miet 6/98

LG Traunstein 1 S 2198/94 AG Traunstein 312 C 1038/93

Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vizepräsidenten Gummer sowie der Richter Sprau und Kenklies

am 4. August 1999

in dem Rechtsstreit

wegen Forderung und Feststellung,

auf die Vorlage des Landgerichts Traunstein

beschlossen:

Tenor:

Wird bei der Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Schadstoffbelastung als solche einen Mangel der Mietwohnung darstellt, auf wissenschaftlich-technische Standards zum Schutz vor Gesundheitsschäden abgestellt, so sind grundsätzlich diejenigen Standards maßgeblich, die in dem Zeitpunkt gegolten haben oder gelten, der für die jeweilige Rechtsfolge maßgeblich ist.

I.

Der Kläger ist Eigentümer eines Einfamilienhauses, dessen Holzinnendecken bei Errichtung mit einem Pentachlorphenol (PCP) enthaltendem Holzschutzmittel gestrichen wurden. Nachdem der Kläger mit seiner Familie das Haus vier Jahre bewohnt hatte, vermietete er es an die Beklagte zu 1, die es zusammen mit ihrem Ehemann (Beklagter zu 2) von 1979 bis Juni 1992 bewohnte. Seit ihrem Auszug zahlte die Beklagte zu 1 keine Miete mehr mit der Begründung, das Haus sei erheblich mit Schadstoffen wie PCP belastet. Mit Schreiben vom 24.2.1993 kündigte der Kläger das Mietverhältnis fristlos und erhob am 17.6.1993 gegen die Beklagten Klage auf Räumung sowie gegen die Beklagte zu 1 auf Zahlung rückständigen Mietzinses seit Juni 1992 in Höhe von DM 11.700,--. Die Beklagten, die die Wohnung am 30.8.1993 endgültig geräumt haben, beantragten hinsichtlich der Mietzinsforderung Klageabweisung und erhoben Widerklage auf Mietzinsminderung (35 % ab 15.10.1979, 100 % ab Juni 1992) in Höhe von insgesamt DM 44.835,--. Die Beklagten begehrten weiterhin die Feststellung, daß der Kläger ihnen zum Ersatz materiellen Schadens für erlittene Gesundheitsbeeinträchtigungen infolge schadstoffbelasteter Raumluft verpflichtet sei.

Das Amtsgericht gab der Klage statt und wies die Widerklage ab. Während der Zeit, für die der Kläger Mietnachzahlung verlange, sei die Mietsache nicht mangelhaft gewesen. In dem von den Beklagten angestrengten selbständigen Beweisverfahren habe der Gutachter für ein Zimmer eine maximale Raumluftkonzentration von PCP in Höhe von 1,14 Mikrogramm/m³, für die übrigen Räume von jeweils unter 1 Mikrogramm/m³ ermittelt. Andere Schadstoffe seien in der Raumluft nicht nachweisbar gewesen. Die ermittelten Konzentrationen seien anhand der Empfehlungen des Bundesgesundheitsamts zu bewerten, die seit 1989 einen Grenzwert von 1 Mikrogramm/m³ enthielten. Da dieser Wert nur in einem Zimmer geringfügig überschritten werde, sei die Gebrauchstauglichkeit des Hauses im fraglichen Zeitraum nicht gemindert gewesen.

Der mit der Widerklage geltend gemachte Bereicherungsanspruch scheitere daran, daß die Mietsache auch zur Zeit des Vertragsschlusses mangelfrei gewesen sei. Die vom Sachverständigen für das Jahr 1979 errechnete PCP-Raumluftkonzentration habe 4,5 Mikrogramm/m³ betragen und damit den damals und noch bis 1989 geltenden Richtwert des Bundesgesundheitsamts von 60 Mikrogramm/m³ erheblich unterschritten. Daß die Schadstoffkonzentration ab 1989 über dem abgesenkten Wert gelegen habe, hätten die Beklagten nicht behauptet. Da die Mietwohnung während der gesamten Zeit mangelfrei gewesen sei, könne auch der Feststellungsantrag keinen Erfolg haben.

Die Berufung der Beklagten, mit der sie unter Beweisantritt eine Schadstoffkonzentration für die Zeit ab 1989 über dem abgesenkten Wert des Bundesgesundheitsamtes behauptet hatten, wies das Landgericht unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil zurück. Ergänzend führte es aus: Für die Mangelhaftigkeit eines Mietobjektes sei maßgeblich auf die Verhältnisse und Anschauungen zur Zeit des Vertragsschlusses abzustellen. Diese würden im vorliegenden Zusammenhang durch die Richtwerte des Bundesgesundheitsamts konkretisiert, die als anerkannte Regeln der Technik und Wissenschaft zu betrachten seien. Angesichts des bei Vertragsschluß bestehenden Richtwertes scheide deshalb ein Mangel aus. Das Mietobjekt habe sich seither nicht verschlechtert und werde auch nicht durch die Absenkung des Richtwertes mangelhaft, selbst wenn dieser während des weiteren Mietzeitraums überschritten gewesen sein sollte. Vertragsgegenstand sei während der gesamten Mietzeit der Zustand des Mietobjekts nach den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorherrschenden Erkenntnissen.

Dieses Urteil hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 4.8.1998 auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten aufgehoben, weil es Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes verletze. Das Landgericht sei seiner Vorlagepflicht gemäß § 541 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO nicht nachgekommen. Diese habe sich auf die Frage bezogen,

ob bei einer Verschärfung der zum Schutz vor Gesundheitsschäden einschlägigen wissenschaftlich-technischen Standards der Mangel einer gesundheitsgefährdenden Schadstoffbelastung der Mietsache erstens für die Zeit bis zur Änderung und zweitens für die Zeit danach nach den Standards bei Vertragsschluß oder nach den veränderten Standards im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen ist.

Die Frage sei im vorliegenden Fall klärungsbedürftig und dem Rechtsentscheid als Rechtsfrage zur Auslegung des Begriffs "vertragsmäßiger Gebrauch" im Sinne des § 537 Abs. 1 BGB zugänglich.

Das Landgericht, das an der in seinem Urteil vom 4.8.1994 niedergelegten Auffassung festhalten will, hat nach Anhörung der Parteien am 6.11.1998 beschlossen, einen Rechtsentscheid zu folgenden Fragen einzuholen:

a) Ist bei einer Verschärfung der zum Schutz vor Gesundheitsschäden einschlägigen wissenschaftlich-technischen Standards der Mangel einer gesundheitsgefährdenden Schadstoffbelastung der Mietsache für die Zeit bis zu der Verschärfung der wissenschaftlich-technischen Standards nach den wissenschaftlich-technischen Standards bei Mietvertragsschluß oder nach den verschärften wissenschaftlich-technischen Standards im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen?

b) Ist bei einer Verschärfung der zum Schutz vor Gesundheitsschäden einschlägigen wissenschaftlich-technischen Standards der Mangel einer gesundheitsgefährdenden Schadstoffbelastung der Mietsache für die Zeit nach der Verschärfung der wissenschaftlich-technischen Standards nach den wissenschaftlich-technischen Standards bei Mietvertragsschluß oder nach den verschärften wissenschaftlich-technischen Standards im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen?

II.

1. Die Vorlage an das Bayerische Oberste Landesgericht (vgl. BayObLGZ 1991, 348/350) ist statthaft (§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO, vgl. BayObLGZ 1989, 319/321). Das Bundesverfassungsgericht hat das landgerichtliche Urteil vom 4.8.1994 aufgehoben, weil es die Erholung eines Rechtsentscheides als notwendig angesehen hat. Hieran ist auch der Senat gebunden (vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG). Er sieht daher davon ab, weitere Feststellungen zur Zulässigkeit des Rechtsentscheides zu treffen.

Die Fragestellung des Landgerichts betrifft ersichtlich das Mietvertragsverhältnis über Wohnraum (§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Landgericht will wissen, welchen gesundheitlichen Sicherheitsstandard der Wohnungsvermieter zu welchem Zeitpunkt schuldet, wenn die Verwendung von schadstoffhaltigen Bauteilen in der Mietwohnung zwar dem bei Vertragsschluß geltenden Stand der Wissenschaft und Technik entsprochen hat, dieser Standard jedoch in der Folgezeit verschärft worden ist.

2. Der Senat beantwortet die Fragen so, wie im Entscheidungssatz ersichtlich.

a) Die wissenschaftlich-technischen Standards und ihre zeitliche Fixierung können eine unterschiedliche Bedeutung für die Beurteilung haben, ob die Schadstoffbelastung von Bauteilen einer Mietwohnung einen Mangel der Mietsache darstellt:

- Sie können Kriterium der Beweiswürdigung sein, ob bestimmte Abweichungen von den Grenzwerten die Gefährlichkeit des Stoffes indizieren und kausal für einen durch Mietgebrauch eingetretenen Gesundheitsschaden bzw. für eine gleichzusetzende konkrete Gesundheitsgefährdung sind.

- Sie können aber auch für sich Maßstab dafür sein, ob eine Abweichung von den wissenschaftlich technischen Standards als solche im Sinne einer abstrakten Gesundheitsgefährdung einen Mangel der Mietsache darstellt.

Nur zu letzterer Frage kann der Senat im Rahmen des Rechtsentscheides Stellung nehmen. Fragen der Beweiswürdigung im Einzelfall sind dem Tatrichter vorbehalten.

b) Die Auffassung des Landgerichts, nach der es - wie bei anderen Wohnungsstandards, die sich nach den sozialen Verhältnissen, den Lebensgewohnheiten und dem technischen Entwicklungsstand richten - bei der Beurteilung einer von Baustoffen der Wohnung ausgehenden Schadstoffbelastung auf die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden wissenschaftlich-technischen Standards ankommt, wird in der Rechtsprechung nicht geteilt. Diese stellt - allerdings in der Regel im Rahmen einer Beweiswürdigung im Einzel fall - überwiegend auf die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen Grenzwerte ab (vgl. LG Frankfurt ZMR 1990, 17; LG Hamburg WuM 1991, 161/162 [Anspruch auf Beseitigung Schadstoff belasteter Bauteile der Mietwohnung]; LG Kiel WuM 1997, 674/675; LG Darmstadt DB 1997, 1597 [Minderung des Mietzinses unabhängig von der Erkennbarkeit des Mangels]). Das Landgericht Lübeck (ZMR 1998, 433/434) hält für die Berechtigung der fristlosen Kündigung gemäß § 544 BGB die aktuellen wissenschaftlich-technischen Standards für maßgeblich, lehnt aber für die Zeit vor der Verschärfung ein Minderungsrecht und einen Schadensersatzanspruch für anfängliche Mängel ab, weil die Gesundheitsschädlichkeit des betreffenden Schadstoffes noch nicht fachlich anerkannt und allgemein bekannt gewesen sei; insoweit liege auch kein versteckter Mangel vor. Das Landgericht Lübeck stützt sich auf MünchKomm/Voelskow BGB 3. Aufl. § 537 Rn. 5a, der der Auffassung ist, daß eine Gesundheitsgefährdung durch Schadstoffbelastung ohne Rücksicht auf die Überschreitung der Grenzwerte erst in dem Zeitpunkt als Fehler angesehen werden kann, in dem sie für den Vermieter aufgrund verschärfter Grenz- bzw. Richtwerte erkennbar ist.

Die Kommentarliteratur im übrigen (vgl. Staudinger/Emmerich aaO Rn. 21; Sternel Mietrecht aktuell aaO Rn. 392; Bub/Treier Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 3. Aufl. III B 1333) und das Schrifttum (Köck/Meier JZ 1992, 548/550; Mutter ZMR 1995, 189/191; Wenger ZMR 1997, 269/271; Halstenberg WM 1993, 155/162) nehmen überwiegend an, daß von den aktuellen Vorstellungen und Richtlinien darüber auszugehen ist, welche Anforderungen an den Zustand der Mietwohnung zu stellen sind, um Gesundheitsgefahren bei ihrer Nutzung auszuschließen. Dabei wird in der Regel offengelassen, welche Folgerungen für die schon abgelaufene Mietzeit daraus zu ziehen sind, daß die früher geltenden Vorsorgestandards jeweils eingehalten worden sind.

c) Der Senat ist der Auffassung, daß, soweit es um die Beurteilung einer abstrakten Gesundheitsgefährdung als Mangel geht, grundsätzlich diejenigen wissenschaftlich-technischen Standards maßgeblich sind, die im Zeitpunkt gegolten haben oder gelten, der für die jeweilige Rechtsfolge maßgeblich ist.

aa) Räumlichkeiten, die den Menschen als Wohnung dienen sollen, müssen bestimmten Mindestanforderungen genügen (BGH NJW 1976, 796). Diese ergeben sich zum Teil aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften, insbesondere des Baurechts, die zum Gesundheitsschutz der Mieter bestimmte Anforderungen an die Beschaffenheit von Wohnraum stellen. Werden diese Vorschriften nicht eingehalten, so liegt ein Mangel schon in der fehlenden Eignung zum Wohnen. Werden solche Vorschriften verschärft, wird eine Wohnung, die bisher den Bestimmungen genügt hat, den neuen Bestimmungen aber nicht mehr genügt, mangelhaft. Denn erst ab dem Zeitpunkt der Änderung wird die Wohnung ungeeignet.

bb) Soweit solche Vorschriften fehlen, entscheidet über die Eignung als Wohnraum grundsätzlich die Verkehrsanschauung (BGH aaO). Insoweit kann davon ausgegangen werden, daß ein gesundheitsschädlicher Zustand der Wohnung schon nach der Verkehrsauffassung regelmäßig einen Mangel der Wohnung begründet. Die Mietvertragsparteien gehen in aller Regel als selbstverständlich davon aus, daß die Wohnung ohne Gesundheitsschädigung bewohnt werden kann (vgl. Bub/Treier/Krämer aaO III B 1329).

cc) Lassen sich aus der Verkehrsanschauung keine eindeutigen Maßstäbe entnehmen, ist bei einem derart weit gefaßten Nutzungszweck wie dem Wohngebrauch darauf zurückzugreifen, welchen Zustand der Mietwohnung die Vertragsparteien vorausgesetzt haben. Denn grundsätzlich sind sie es, die durch die Festlegung des dem Mieter jeweils geschuldeten Gebrauchs zugleich bestimmen, welchen Zustand die vermietete Sache bei Überlassung an den Mieter und von da ab in Zukunft während der gesamten Vertragsdauer aufzuweisen hat (vgl. BGH NJW 1982, 696; BGH NJW-RR 1991, 204; Staudinger/Emmerich BGB 13. Bearb. § 537 Rn. 4 m.w.N.). Auch hierbei werden die Vertragsparteien regelmäßig voraussetzen, daß die Wohnung nicht mit Schadstoffen belastet ist, die eine konkrete Gefährdung der Gesundheit der Bewohner bewirken (vgl. AG Münsingen WuM 1996, 336/337). Welcher Vorsorgestandard hierfür aber eingehalten werden muß, ist den Vertragsparteien im allgemeinen nicht bekannt. Sie orientieren sich bei Vertragsschluß im Regelfall nicht an bestimmten, ihnen zumeist unbekannten Normen und Grenzwerten, sondern daran, was erforderlich ist, damit die Mietwohnung nicht als gesundheitsgefährdend und somit als mangelfrei angesehen werden kann (vgl. Staudinger/Emmerich aaO Rn. 18, 22). Die Erforderlichkeit beurteilt sich dann - so die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum - nach den einschlägigen Grenzwerten bzw. Vorsorgerichtwerten (vgl. LG München I WM 1991, 584; OLG Düsseldorf DWW 1962, 140; Sternel Mietrecht aktuell Rn. 388). Allerdings ist die Gesundheitsgefährdung durch Schadstoffbelastungen ein offener Begriff. Zahlreiche Schadstoffe finden sich, wenn auch in geringsten Konzentrationen, allgemein in der Umwelt und werden erst ab einer bestimmten Konzentration oder im Zusammenwirken mit anderen Schadstoffen zu einer Gefahr. Auch die Wissenschaft kann oft keine allgemein gültige Antwort geben, wie die unterschiedliche Bewertung einzelner Stoffe in der Vergangenheit gezeigt hat. Neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik, aber auch politische Zielsetzungen (vgl. AG Münsingen aaO S. 337) können zu neuen Vorsorgerichtwerten führen. Da der Begriff der Gesundheitsgefährdung infolge Schadstoffbelastung der Veränderung entsprechend neuer Erkenntnisse und Einschätzungen unterliegt, muß der vom Vermieter dem Mieter geschuldete Vorsorgestandard den Interessen beider Vertragsparteien Rechnung tragen.

(1) Soweit Abweichendes nicht vereinbart ist, können Ausgangspunkt für die Bewertung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit der Wohnung nur die bei Vertragsschluß geltenden Standards sein; nur sie können die vom Mieter erwartete Soll-Beschaffenheit der Mietsache bestimmen und damit vom Vermieter geschuldet sein. Der vom Vermieter geschuldete Leistungsstandard muß für ihn bestimmbar sein (§ 241 Satz 1 BGB; vgl. Staudinger/Schmidt Einl. zu §§ 241 f. Rn. 476 m.w.N.). Dem liefe es zuwider, wenn schon bei Vertragsschluß das von ihm geschuldete Sicherheitsniveau zur Vorbeugung von Gesundheitsgefahren nach künftigen, erst nach Vertragsschluß aufgrund neuer Erkenntnisse verschärften Standards beurteilt werden müßte. Ein solches Risiko würde, nicht zuletzt wegen der schwerwiegenden Rechtsfolgen aus der Garantiehaftung des Vermieters für einen anfänglichen Mangel (§§ 537, 538 BGB) und der erheblichen Schäden, die durch gesundheitliche Beeinträchtigungen entstehen können, ein Vermieter vernünftigerweise auch nicht eingehen. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil es sich bei dem Wohnraummietverhältnis um ein meist auf lange Zeit angelegtes Dauerschuldverhältnis handelt, bei dem die Vertragsmäßigkeit der Mietsache noch nach Jahren mit Wirkung für die Vergangenheit in Frage gestellt werden kann.

(2) Führen im Verlaufe des Mietverhältnisses neue Einsichten in die gesundheitsgefährdende Wirkung bestimmter Baustoffe zu verschärften wissenschaftlich-technischen Standards, bringen diese eine Änderung der vertraglichen Soll-Beschaffenheit der Mietsache mit sich, weil die Vertragsparteien regelmäßig von der Fortdauer der gesundheitlichen Unbedenklichkeit der Mietwohnung ausgehen. Der Vermieter hat dann jeweils die Beschaffenheit der Mietsache herbeizuführen, die als Vorsorge gegen Gefahren für die Gesundheit der Bewohner der Mietsache nach dem aktuellen Standard erforderlich ist. Fehlerhaftigkeit der Mietsache tritt erst ein, wenn der Vermieter nach Bekanntwerden der entsprechenden verschärften Standards gleichwohl nicht die Ursachen der Gefährdung beseitigt (vgl. MünchKomm/Voelskow § 537 Rn. 5a).

d) Der Senat weist für das weitere Verfahren auf folgendes hin: Der Senat hat im Wege des Rechtsentscheids nur zu der Frage Stellung genommen, welchen Vorsorgestandard zum Schutz vor Gesundheitsgefahren der Vermieter einer Wohnung unter dem Gesichtspunkt einer abstrakten Gesundheitsgefährdung schuldet, wenn die einschlägigen Grenzwerte während der Dauer des Mietverhältnisses verschärft werden. Die Entscheidung des Senats bindet das Landgericht nicht, soweit es über Ansprüche wegen konkret behaupteter Gesundheitsschäden infolge einer Schadstoffbelastung von Bauteilen zu entscheiden hat. Ob und inwieweit für die Beurteilung der Kausalität einer Schadstoffbelastung im konkreten Einzelfall die einschlägigen wissenschaftlich-technischen Standards zum Schutz vor Gesundheitsschäden heranzuziehen sind (vgl. Staudinger/Emmerich aaO Rn. 13, 15; Sternel Mietrecht 3. Aufl. Rn. 512, 564, 565 m.w.N.), hat in diesem Zusammenhang der Tatrichter zu beurteilen. Denn nicht jede Schadstoffemission führt zu einem Gesundheitsschaden oder einer manifesten Gesundheitsgefährdung; andererseits schließt die Einhaltung der einschlägigen Grenz- bzw. Vorsorgerichtwerte diese Folge auch nicht aus (vgl. AG Münsingen WuM 1996, 336/337; LG Tübingen ZMR 1997, 189; LG Hamburg WuM 1991, 161/162; Staudinger/Emmerich aaO Rn. 22; Köck/Meier JZ 1992, 548/554; Schläger ZMR 1994, 189/191; 1998, 669/677; Derleder PiG 31, 13/22 f.; Wenger ZMR 1997, 269/271).

Ende der Entscheidung

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