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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 1 Ss (OWi) 194 B/04
Rechtsgebiete: StVG, StVO


Vorschriften:

StVG § 24
StVG § 25
StVG § 25 Abs. 2 a
StVO § 41
StVO § 49
StVO § 49 Abs. 1 Nr. 3
StVO § 49 Abs. 3 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ss (OWi) 194 B/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Bußgeldsache

wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch

am 29. September 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 18. März 2004 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Potsdam zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen durch das angefochtene Urteil wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 62 km/h nach §§ 24, 25 StVG i. V. m. § 41 (Zeichen 274), 49 StVO mit einer Geldbuße von 275,00 € belegt und gegen ihn ferner ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeiten nach § 25 Abs. 2 a StVG verhängt. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 18. Mai 2003 die BAB 9 in Richtung Berlin mit seinem PKW........... Um 21:26 Uhr soll er die zuvor durch wiederholte beidseitige Zeichen 274 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 62 km/h überschritten haben. Das vom Betroffenen gesteuerte Fahrzeug wurde mit Hilfe eines Laser-Geschwindigkeitmessgeräts LR 90-235/P der Fa. Riegl mit einer Geschwindigkeit von 162 km/h gemessen. Zum Messvorgang enthält das angefochtene Urteil folgende Feststellungen: "...

Aufgrund der Verlesung des Messprotokolls ergibt sich die gemessene Geschwindigkeit in Höhe von 162 km/h (Blatt 3 der Akte).

Bei der Messung mittels der verwandten Messeinrichtung handelt es sich im übrigen um eine allgemein als zuverlässig anerkannte Messmethode, Mängel bei der konkreten Messung sind nicht ersichtlich und auch vom Betroffenen nicht behauptet.

..."

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. ......

II.

Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge - vorläufigen - Erfolg.

Das angefochtene Urteil weist einen gravierenden Rechtsfehler auf. Die Feststellungen zur Fahrgeschwindigkeit des vom Betroffenen gesteuerten Kraftfahrzeugs ....entbehren einer nachvollziehbaren Grundlage. Zwar muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, insoweit - neben der Wiedergabe der als erwiesen erachteten ("Netto-") Geschwindigkeit, der es bereits zur Ausfüllung der gesetzlichen Merkmale der Geschwindigkeitsüberschreitungen sanktionierenden Bußgeldvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 4 StVO bedarf (vgl. grundsätzlich Göhler, OWiG, 13. Auflage, Rn. 42 a zu § 71; BGHSt 39, 291 [303]), lediglich das angewandte Messverfahren und den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen (BGH NZV 1994, 485; std. Rspr. der Bußgeldsenate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2003 - 1 Ss (OWi) 205 B/03 -; Beschluss vom 15. Dezember 2003 - 1 Ss (OWi) 234 B/03 - Verkehrsrecht aktuell 2004, 82, ZAP EN-Nr. 183 aus 2004). Die Anforderungen an die Darstellung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung im Bußgeldurteil sind in dieser Weise eingeschränkt, so dass es - soweit nicht der Betroffene Irregularien einwendet, d. h. konkrete Messfehler behauptet, keiner weitergehenden Mitteilung des verwendeten Gerätetyps der zugehörigen Betriebsvorschriften und deren Einhaltung, der Fehlerquelle des Messsystems sowie sonstiger zum Messsystem und seiner konkreten Handhabung gehörender Voraussetzungen (z. B. Eichung, Funktionsprüfung usw.) in den Urteilsgründen bedarf (BGH a. a. O.). Gesteht der Betroffene darüber hinaus uneingeschränkt und glaubhaft ein, die vorgeworfene Geschwindigkeit - mindestens - gefahren zu sein, so bedarf es zudem nicht einmal der Angabe des Messverfahrens und der Toleranzwerte (BGH a. a. O., vgl. OLG Celle NdsRpfl.1993, 167); die Urteilsgründe müssen sich dann aber dazu verhalten, aus welchen Gründen der Bußgeldrichter das Geständnis des Betroffenen für glaubhaft erachtet hat, etwa weil allgemeine dahingehende Erfahrungswerte bestehen, dass es einem geübten Kraftfahrer ohne weiteres möglich ist, seine Fahrgeschwindigkeit schon anhand der Motorengeräusche des ihm vertrauten Fahrzeuges, der sonstigen Fahrgeräusche und anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung verändert, zuverlässig zu schätzen und dadurch zu erkennen, dass er die erlaubte Geschwindigkeit wesentlich überschreitet; BGH a. a. O.). Dieser Begründungserleichterung konnte sich der Bußgeldrichter im vorliegenden Fall nicht zu eigen machen, weil der Betroffene die Geschwindigkeit - den Feststellungen des angefochtenen Urteils zufolge - nicht in der dargelegten Art und Weise "gestanden" sondern nur eingeräumt hat, "dass es möglich sei, dass er die ihm vorgeworfene Geschwindigkeit gefahren sei".

Das angefochtene Urteil genügt den dargestellten verringerten rechtsbeschwerderechtlichen Vorgaben nicht. Den tatrichterlichen Feststellungen lässt sich nur entnehmen, dass die Geschwindigkeitsmessung im Wege eines anerkannten standardisierten Messverfahrens unter Verwendung eines Laser-Geschwindigkeitsmessgeräts des Typs LR 190-235/P erfolgte. Der Tatrichter hat es unterlassen, den Toleranzwert, der bei diesem Messverfahren 3 km/h bei Messwerten bis zu 100 km/h und 3 % des gemessenen ("Brutto-") Messwertes bei Messwerten größer als 100 km/h unter Aufrundung auf den nächsten ganzzahligen Wert beträgt, in den Urteilsgründen mitzuteilen (bei gemessenen 162 km/h also 4,86 km/h, gerundet 5 km/h).

Dass anstelle des berücksichtigten Toleranzwerts der verwendete Gerätetyp angegeben wird, reicht nicht aus. Dem Senat ist insoweit eine rechtsbeschwerderechtliche Überprüfung nicht möglich, ob der Tatrichter einen den Herstellervorgaben entsprechenden Toleranzabzug vorgenommen und damit die geräteimmanenten Messfehlergrenzen beachtet hat. Jedenfalls bei Anwendung des vorliegenden und anderer häufig gebrauchter Messverfahren, bei denen geschwindigkeitsabhängig unterschiedliche Verkehrsfehlergrenzen zu berücksichtigen sind, bringt der Tatrichter durch die Benennung des Messgerätes nicht schon konkludent zum Ausdruck, dass er die bei dem verwandten gerätetypsystemimmanenten Fehler durch den entsprechenden Toleranzabzug berücksichtigt hat. Denn je nach im Einzelfall gemessener Geschwindigkeit können unterschiedliche Messtoleranzen zugrunde zu legen sein und der in den Festellungen darzulegende Umstand, dass die für die gemessene Geschwindigkeit den Herstellerangaben entsprechend in Abzug zu bringende Messtoleranz tatsächlich berücksichtigt worden ist, kann bei bloßer Angabe des zum Einsatz gekommenen Messgerätes nicht ohne weiteres unterstellt werden. Dem Senat ist gerade in Fällen wie dem Vorliegenden eine Rechtsfehlerkontrolle nicht möglich, wenn die bußgeldrichterliche Entscheidung keine Angaben zum konkret vorgenommenen Toleranzabzug enthält und der Tatrichter - wie offensichtlich geschehen - das in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken verwertete Messprotokoll missdeutet oder unvollständig berücksichtigt.

Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass bei Messgeräten der verwendeten Art die Angabe des berücksichtigten Toleranzwertes - von den oben erwähnten , hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - unerlässlich ist. Nur bei Verwendung eines sog. Wegstrecken-Zeit-Messgeräts (z.B. vom Typ Vidista VDM-R) kann bei Angabe des Gerätetyps die Mitteilung des berücksichtigten Toleranzwertes entbehrlich sein, weil bei diesem Gerät die entsprechenden Verkehrsfehlergrenzen in der Software des Gerätes nach der Formel "0,1 % der gemessenen Zeit, vermehrt um 0,01 Sekunden auf die Zeitmessung und um 4 % des gemessenen Wegs, mindestens jedoch 4 Meter" sofort bei der Ermittlung der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit des ins Visier genommenen Fahrzeugs berücksichtigt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 13. September 2004 - 1 Ss (Owi) 188 B/04 -).

Dass bei der Verwendung der anderen üblichen Messsysteme die Mitteilung, welcher Gerätetyp bei der Geschwindigkeitsmessung zum Einsatz gekommen ist, zur Rechtsfehlerkontrolle nicht ausreicht, begründet sich im Weiteren aus der Gefahr anderenfalls drohender nicht behebbarer gravierender Rechtsnachteile für den jeweils Betroffenen. Wie im vorliegenden Fall könnten sich Rechtsmittelführer insoweit nicht mehr erfolgreich darauf berufen, das Instanzgericht habe zu ihren Lasten eine unzutreffende Messfehlertoleranz zugrunde gelegt, obgleich bei rechtsfehlerfreier Feststellung der als erwiesen erachteten Geschwindigkeit zumindest im Regelfall nach BKatV geringere Sanktionen zu verhängen wären. Dem Rechtsbeschwerdegericht würde demgemäss jede Möglichkeit genommen, den Rechenweg, der zur Ermittlung der zugrunde gelegten Geschwindigkeit im angefochtenen Urteil geführt hat, jedenfalls im Ansatz nachzuvollziehen; damit würde aber der Rechtsschutz des Betroffenen in rechtstaatlich nicht hinnehmbarer Weise eingeschränkt werden. Dies gilt für den vorliegenden Fall im besonderen Maße. Der Tatrichter hat die Dauer des von ihm gem. lfd. Nr. 11.3.9 BKatV angenommenen Regelfahrverbots von zwei Monaten für Geschwindigkeitsüberschreitungen in Höhe von 61 bis 70 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften aufgrund der Einlassung des Betroffenen (Ablenkung durch das im Kraftfahrzeug befindliche erkrankte Kleinkind) auf einen Monat ermäßigt. Bei Berücksichtigung des gerätetypischen Toleranzwertes wäre jedoch eine Geschwindigkeit von weniger als 61 km/h als tatsächliche "Netto"-Geschwindigkeit zu berücksichtigen gewesen. Für diesen Fall sieht lfd. Nr. 11.3.8 BKatV neben einer Regelgeldbuße von 150,00 € ein Regelfahrverbot in Höhe von nur einem Monat vor.

Der skizzierte Rechtsfehler nötigt den Senat zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache. Die Entscheidung beruht auf dem festgestellten Rechtsfehler.

Der Senat ist aus den zuvor dargelegten Gründen auch gehindert, im Wege der Ergänzung oder Berichtigung quasi eigene tatrichterliche Feststellungen dahingehend zu treffen, dass von einer Geschwindigkeitsüberschreitung in Höhe von 157 km/h zum Tatzeitpunkt auszugehen sei. Dies wäre nur möglich, wenn der angefochtenen Entscheidung auch nur ansatzweise zu entnehmen wäre, dass sich der Tatrichter bei Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit überhaupt bewusst war, dass etwaige Messungenauigkeiten, insbesondere solche Ungenauigkeiten, die im Bereich der zugelassenen Messtoleranzen liegen, nicht auszuschließen sind und es sich bei dem einzigen im Urteil mitgeteilten Geschwindigkeitswert von 162 km/h um einen Ablesefehler handelt. Die in diesem Zusammenhang sehr dürftigen Urteilsgründe lassen einen solchen Schluss jedoch nicht zu. Wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und festgesetztem Fahrverbot ist es dem Senat insbesondere nicht möglich, seinerseits die gem. 11.3.8 BKatV vorgesehene Regelgeldbuße von 150,00 € abweichend vom tatrichterlichen Urteil festzusetzen und das dort erkannte Fahrverbot von einem Monat aufrechtzuerhalten. Aus den Zumessungserwägungen des Tatrichters ergibt sich nämlich, dass dieser von einem erhöhten Zumessungsrahmen für das Fahrverbot (von zwei Monaten) und vom Vorliegen nachgewiesener "Milderungsgründe" ausgegangen ist. Der Senat ist nicht befugt, eigene Zumessungserwägungen zu treffen und in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist durchaus vorstellbar, dass der Tatrichter bei erneuter Befassung mit der Sache und unter Zugrundelegung des richtigen Toleranzwertes bei Ermittlung der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit des Betroffenen zu dem Ergebnis kommt, dass unter Berücksichtigung der "Milderungsumstände", die für die Verhängung eines geringeren Fahrverbotes maßgebend waren, nunmehr überhaupt kein Fahrverbot mehr festzusetzen ist. Denkbar ist allerdings auch, dass die Einlassung des Betroffenen zu den Gründen für seine Geschwindigkeitsüberschreitung bei erneuter Überprüfung eine Verkürzung des festzusetzenden Fahrverbotes überhaupt nicht rechtfertigt.

Ende der Entscheidung

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