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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 03.11.2003
Aktenzeichen: 1 Ss (OWi) 218 Z/03
Rechtsgebiete: StVO, OWiG, StPO


Vorschriften:

StVO § 12 Abs. 1
StVO § 12 Abs. 1 Nr. 1
StVO § 12 Abs. 1 Nr. 2
StVO § 49 Abs. 1 Nr. 12
OWiG § 79 Abs. 3 S. 1
OWiG § 80 Abs. 3 S. 1
StPO § 344
StPO § 345
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ss (OWi) 218 Z/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Bußgeldsache

wegen fahrlässigen Falschparkens

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ...

am 3. November 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 17. Juni 2003 wird zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das vorbezeichnete Urteil mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Königs Wusterhausen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 17. Juni 2003 wegen fahrlässigen unzulässigen Parkens im Bereich einer scharfen Kurve, Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO, eine Geldbuße von 15,00 € festgesetzt. Nach den Feststellungen parkte der Betroffene am 15. Juni 2002 seinen Pkw VW, amtliches Kennzeichen ..., in der Zeit von 7:07 Uhr bis 7:11 Uhr verkehrswidrig innerorts "am Beginn einer Wendeschleife auf der rechten Fahrbahnseite".

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, der sinngemäß die allgemeine Sachrüge erhebt und geltend macht, dem Rechtsbegriff der "scharfen Kurve" unterfielen keine sogenannten Wendeschleifen.

II.

Das zulässige, insbesondere den Vorschriften der §§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344, 345 StPO gerade noch gerecht werdende, Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zu (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Die Fortbildung des Rechts besteht darin, bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen (BGHSt. 24, 15, 21; OLG Düsseldorf VRS 85, 373; OLG Hamm DAR 1973, 139). Nicht nur die rechtsschöpferische Schließung von Lücken, sondern auch die Auslegung von Rechtssätzen kann eine Fortbildung des Rechts sein; da das Recht die Einheit von Gesetz und Rechtsprechung darstellt, ist deren Entwicklung ein Stück der Rechtsfortbildung. Dass die Rechtsfrage bereits im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts einer Klärung zugeführt wurde, steht überdies der Zulassung nicht entgegen (HansOLG MDR 1970, 527), da dadurch ein aufgestellter Leitsatz gefestigt wird (OLG Köln VRS 86, 202, 319).

Die skizzierten Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar definiert die Rechtsprechung eine sogenannte Kurve als gekrümmten Straßenverlauf bezogen auf eine einheitliche Fahrbahn (vgl. etwa OLG Düsseldorf JMBl. NW 1983, 106). Der Gesetzesfassung des § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO lässt sich auch entnehmen, dass das Verbot für beide Fahrbahnseiten (BGH NJW 1971, 474), und je nach Art und Beschaffenheit der Straße bereits angemessen weit vor der Kurve, in ihr und ausreichend weit hinter ihr gilt, bis keine Gefährdung durch verengendes Halten mehr in Betracht kommt (Nachweise bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 12 StVO Rz. 24). Keiner ausdrücklichen Klärung zugeführt worden ist bislang aber die Frage, ob Wendeschleifen dem Rechtsbegriff der Kurve in § 12 Abs. 1 StVO unterfallen.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils tragen nicht den Schuldspruch wegen Verstoßes gegen § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO. Das Amtsgericht hat den Rechtsbegriff der Kurve im Sinne der genannten Norm verkannt. Auch wenn, wie das Amtsgericht zu Recht anführt, als Kurve "der gekrümmte Straßenverlauf bezogen auf eine einheitliche Fahrbahn" gilt und diese Definition bei unkritischer Betrachtungsweise auch auf Wendeschleifen, das heißt kreisförmige, gegenüber dem normalen Straßenverlauf verbreiterte und am stumpfen Ende eines Straßenstücks zur Ermöglichung eines Wendevorganges eingerichtete Straßenteile, Anwendung finden könnte, würde eine solche Auslegung der Straßenverkehrsordnung weder dem Willen des Gesetzgebers noch dem landläufigen Verständnis des Begriffs einer Kurve gerecht. Das Verbot des Kurvenparkens dient erkennbar dem Verkehrsfluss im Straßenraum und dem möglichst weitgehenden Ausschluss von Gefährdungen, die im Falle seiner Zulassung durch Brems- und Ausweichmanöver entstehen könnten. Eine Behinderung des fahrenden Verkehrs soll vermieden werden. Das Verbot trägt zudem dem Umstand Rechnung, dass Kraftfahrzeuge in Kurvenbereichen nicht per se zum Fahren auf Sicht verpflichtet sind und darauf vertrauen dürfen, dort durch stehenden Verkehr unbeeinträchtigt zu bleiben. Diese Grundsätze lassen sich indes nicht ohne weiteres auf Wendeschleifen übertragen. Zwar dienen sie ebenfalls dem Verkehrsfluss, sollen sie doch dem fließenden Verkehr eine Wendemöglichkeit eröffnen, um seine Fahrt in die Gegenrichtung fortzusetzen. Von der Natur ihrer Ausgestaltung her und auf Grund der für Wendeschleifen typischen Sichtverhältnisse ist aber davon auszugehen, dass sich der dort fahrende fließende Verkehr nur tastend voranbewegt; Kraftfahrzeuge können im Bereich von Wendehammern und ähnlichen Verkehrseinrichtungen zudem nicht damit rechnen, ihre Fahrt ohne Rücksicht auf den stehenden Verkehr fortzusetzen. Typischerweise handelt es sich insoweit um niedrigrangige Straßen mit nur geringer Fahrbahnbreite, die entweder verkehrsberuhigt sind oder die Ausnutzung der vor allem im innerörtlichen Bereich zugelassenen Höchstgeschwindigkeit nicht zulassen. Davon abgesehen herrscht in der Bevölkerung ein gefestigtes Verständnis für den Begriff der Kurve, der einer Anwendung auf Wendeschleifen diametral entgegensteht. Er ist darauf gerichtet, Kurven als Abweichungen von der Geraden einer weiterführenden Straße zu definieren. Gerade dies ist aber bei Wendeschleifen erkennbar nicht der Fall. Eine direkte oder entsprechende Anwendung von § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO auf Wendeeinrichtungen des Straßenverkehrs kommt danach nicht in Betracht. Wollte der Gesetzgeber entsprechende Regelungen treffen, so hätte er dies ausdrücklich tun können und getan; denn Wendeschleifen sind keine verkehrstechnische Neuentwicklung, hinsichtlich derer aus tatsächlichen Gründen noch keine Regelung hätte getroffen werden können. Eine weitreichende entsprechende Anwendung von § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts scheidet auch vor dem Hintergrund des sogenannten Analogieverbotes aus.

Das angegriffene Urteil war nach Vorstehendem aufzuheben und unterliegt insoweit der Zurückverweisung an das Amtsgericht. Der Senat ist von Rechts wegen gehindert, den Betroffenen freizusprechen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass der Rechtsmittelführer sich verkehrsordnungswidrig verhalten hat. Das Amtsgericht wird in der durchzuführenden neuen Hauptverhandlung insbesondere auch zu klären haben, ob der Betroffene im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO an einer engen bzw. unübersichtlichen Straßenstelle gehalten hat; ein entsprechender Verstoß liegt für Park- und Haltevorgänge im Bereich von Wendeschleifen nachrangiger innerörtlicher Straßen sogar nahe und ist gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO ebenso bußgeldbewehrt.

Ende der Entscheidung

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