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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 30.04.2008
Aktenzeichen: 1 Ss 31/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 328 Abs. 1
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 333
StPO § 341
StPO § 344
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 345
StPO § 464 Abs. 1
StPO § 473 Abs. 1
StPO § 473 Abs. 2
StGB § 266 a
StGB § 266 a Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ss 31/08 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen Insolvenzverschleppung u. a.

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Weckbecker und die Richterin am Oberlandesgericht Michalski

am 30. April 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam - kleine Wirtschaftsstrafkammer - vom 9. Oktober 2007 im Schuldspruch mit den Feststellungen insoweit aufgehoben, als der Angeklagte wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 13 Fällen verurteilt worden ist, sowie im Gesamtstrafenausspruch, ebenfalls mit den zugehörigen Feststellungen.

Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Potsdam hat den Angeklagten mit Urteil vom 18. September 2006 wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung, wegen Verletzung der Buchführungspflicht in 3 Fällen sowie wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 13 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 50,00 € unter Freisprechung im Übrigen verurteilt. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam - kleine Wirtschaftsstrafkammer - hat die Berufung des Angeklagten verworfen und auf die Berufung der Staatsanwaltschaft den Angeklagten wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung, wegen Verletzung der Buchführungspflicht in 3 Fällen sowie wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 13 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 50,00 € - unter Freisprechung im Übrigen - verurteilt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 15. Oktober 2007 bei Gericht angebrachte und nach Zustellung der Urteilsgründe am 19. November 2007 mit Anwaltschriftsatz vom 18. Dezember 2007 begründete Revision des Angeklagten, eingegangen bei Gericht am selben Tag, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.

II.

1. Die Revision ist gemäß § 333 StPO statthaft und gemäß §§ 341, 344, 345 StPO frist- und formgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Revision hat im tenorierten Umfang - vorläufigen - Erfolg.

a) Soweit der Revisionsführer in formeller Hinsicht die Ablehnung eines Beweisantrages beanstandet und zugleich die Aufklärungsrüge erhebt, kann dahingestellt bleiben, ob der entsprechende Vortrag den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Die Verfahrensrüge ist jedenfalls unbegründet, da es sich bei dem von dem Revisionsführer zitierten Beweisantrag um einen so genannten bedingten Beweisantrag handelt, der im vorliegenden Fall nicht beschieden werden musste. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung seinen Beweisantrag unter die Bedingung gestellt, dass die Kammer einer bestimmten Aussage eines Zeugen folgt. Da die von dem Angeklagten aufgestellte Bedingung jedoch nicht eingetreten ist, war über den bedingten Beweisantrag nicht zu entscheiden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. 2007, § 244 Rdnr. 22 m.w.N.). Mithin ist es unschädlich, dass das erkennende Gericht nicht schon in der Hauptverhandlung zu dem bedingten Beweisantrag Stellung genommen, sondern sich erst in den Urteilsgründen damit auseinandergesetzt hat.

b) Die Sachrüge führt nur zu einem teilweisen - vorläufigen - Erfolg. Soweit die kleine Wirtschaftsstrafkammer den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 13 Fällen verurteilt hat, kann die Entscheidung keinen Bestand haben. In objektiver Hinsicht ist anzumerken, dass in den Feststellungen lediglich 12 Fälle des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt aufgeführt sind.

Dessen ungeachtet hat die Strafkammer sich auf die Mitteilung der geschuldeten, aber nicht bezahlten Sozialversicherungsbeiträge beschränkt. Das reicht nicht aus. § 266 a StGB ist sozialrechts-akzessorisch ausgestaltet. "Vorenthaltene" Beiträge können nur solche sein, die nach dem materiellen Sozialrecht geschuldet sind (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, § 266 a Rdnr. 9 a; BGH St 47, S. 318). Die Frage, in welcher Höhe die Sozialversicherungsabgaben anfallen, ist daher im Kern nicht dem Urkunden- oder Zeugenbeweis zugänglich, sondern unter Anwendung von Rechtsnormen zu klären (vgl. BGH NStZ 2006, S. 223, 224; zur vergleichbaren Problematik im Steuerstrafrecht vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 9, 10). Um dem Revisionsgericht die erforderliche Nachprüfung zu ermöglichen, müssen bei einer Verurteilung nach § 266 a StGB neben der Anzahl der Beschäftigen und deren Beschäftigungszeiten - was hier hinreichend dargestellt ist -, grundsätzlich auch das zu zahlende Arbeitsentgelt als Bemessungsgrundlage der Beiträge (§ 14 SGB VI) und die Höhe der Beitragssätze der Sozialversicherungsträger (§ 21 SGV VI) in den Urteilsgründen mitgeteilt werden (vgl. BGH NJW 2002, S. 2480, 2483; BGH NStZ 2006, S. 223, 224; BGHR StGB § 266 a Sozialabgaben 3, 4; Fischer, a.a.O.). Da Feststellungen dazu vorliegend fehlen, kann die Höhe der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge durch das Revisionsgericht nicht nachvollzogen werden (vgl. auch OLG Koblenz, Beschluss vom 30. Mai 2007, 1 Ss 127/07, in: Juris).

Rechtsfehlerhaft ist das Urteil darüber hinaus insoweit, als im Hinblick auf die Feststellungen zur Zahlungsunfähigkeit der............, die spätestens Anfang 2002 eingetreten sein soll (U.A.S. 4, 6), gleichwohl eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 266 a Abs. 1 StGB während des Zeitraums Januar 2004 bis März 2005 wegen der Nichtabführens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung bejaht wird. § 266 a StGB ist ein so genanntes echtes Unterlassendelikt, dessen tatbestandsmäßige Erfüllung voraussetzt, dass der Handlungspflichtige die Möglichkeit zur Verhinderung des Erfolges haben muss (vgl. Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, § 13 Rdnr. 14 m.w.N.). Eine unmögliche Leistung darf dem Verpflichteten nicht abverlangt werden. Daher ist der Straftatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB nur dann gegeben, wenn der verpflichtete Arbeitgeber die tatsächliche Möglichkeit zur Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Verbindlichkeit hatte (vgl. BGHSt 47, S. 318, 320). Daran kann es dann fehlen, wenn der Handlungspflichtige zum Fälligkeitszeitpunkt zahlungsunfähig gewesen ist (BGHSt, a.a.O.; LK-Gribbohn, StGB, 11. Aufl. Stand: 1996, § 266 a Rdnr. 56; Fischer, a.a.O., § 266 a Rdnr. 14). In diesem Sinne liegt Unmöglichkeit vor, wenn der Handlungspflichtige zahlungsunfähig ist. Der Tatrichter ist insoweit verpflichtet, die tatsächliche Möglichkeit der Zahlung nachvollziehbar darzulegen (vgl. BGHSt 47, S. 318, 320). Dies ist vorliegend nicht gegeben.

Der Tatbestand des § 266 a StGB kann auch dann verwirklicht werden, wenn der Handlungspflichtige zum Fälligkeitstag zwar zahlungsunfähig ist, sein pflichtwidriges Verhalten jedoch in dem Sinne vorverlagert ist, dass er versäumt hat, durch geeignete Maßnahmen - etwa durch Bildung von Rücklagen - die Zahlung zum Fälligkeitstag sicherzustellen (vgl. BGHSt 47, 318, 319, 320 f.). Ob ein solcher Fall vorliegt, ist den Urteilsfeststellungen ebenfalls nicht zu entnehmen.

c) Soweit sich die Revision auch gegen den Schuldspruch wegen Insolvenzverschleppung (§§ 92 Abs. 2, 401 Abs. 1 Nr. 2 AktienG) und wegen Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283 b Abs. 1 Nr. 3 b StGB) richtet, hat die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, weshalb die Revision insoweit auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen ist. Hinsichtlich der Ausführungen des Angeklagten in der Revisionsbegründung vom 18. Dezember 2007 ist bezüglich der Verletzung der Buchführungspflicht lediglich zu ergänzen, dass es auf die tatsächliche Zahlungseinstellung als objektive Strafbarkeitsbedingung (§ 283 b Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6 StGB) im vorliegenden Fall nicht ankommt, da ausweislich der Urteilsfeststellungen jedenfalls über das Vermögen des Angeklagten das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (Bl. 7 UA).

d) Soweit der Angeklagte des Weiteren eine Verletzung von §§ 328 Abs. 1 StPO, 473 Abs. 1, 2 StPO rügt, handelt es sich in Wirklichkeit um einen Angriff gegen die von der kleinen Strafkammer getroffene Kostenentscheidung, die - wie die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 2. April 2008 zutreffend ausgeführt hat - gemäß § 464 Abs. 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde hätte angegriffen werden müssen und daher nicht fristgerecht erfolgt ist. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht an, da das Urteil der (teilweisen) Aufhebung unterfällt.

Ende der Entscheidung

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