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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 24.10.2007
Aktenzeichen: 1 Ss 79/07
Rechtsgebiete: AufenthG, StPO, StGB


Vorschriften:

AufenthG § 61 Abs. 1 Satz 1
AufenthG § 61 Abs. 1 Satz 2
AufenthG § 98 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 98 Abs. 3 Nr. 3
StPO § 341 Abs. 1
StPO § 344
StPO § 345
StPO § 354 Abs. 1 a
StPO § 354 Abs. 2 Satz 1
StGB § 46 Abs. 3
StGB § 47 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ss 79/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen wiederholten Verstoßes gegen die Aufenthaltsbeschränkung

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Bachnick und die Richterin am Oberlandesgericht Michalski

am 24. Oktober 2007

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 10. Juli 2007 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Prenzlau verurteilte den Angeklagten mit Urteilen vom 6. Oktober 2006 und vom 2. März 2007 wegen jeweils zwei wiederholter Verstöße gegen eine Aufenthaltsbeschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 Aufenthaltsgesetz zu Gesamtfreiheitsstrafen von vier und sechs Monaten, deren Vollstreckung es jeweils nicht zur Bewährung aussetzte.

Seine hiergegen gerichteten, in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen verwarf die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin am 10. Juli 2007 und verurteilte den Angeklagten wegen wiederholten Verstoßes gegen eine Aufenthaltsbeschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 Aufenthaltsgesetz in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

II.

Die Revision ist gem. §§ 341 I, 344, 345 StPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet, führt indes nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs zum -vorläufigen- Erfolg.

1. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht zwar von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenanspruch ausgegangen. Da die Kammer allerdings ergänzende eigene Feststellungen getroffen und insoweit die erhobenen Beweise gewürdigt hat, nötigt der Fehler nicht zur Aufhebung des Urteils im Schuldspruch.

Eine wirksame Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt voraus, dass die zum Schuldspruch getroffenen tatsächlichen Feststellungen eine ausreichende Grundlage für eine dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat entsprechende Bemessung der Rechtsfolgen darstellen. Sind die Tatsachenfeststellungen unzureichend bzw. lückenhaft, so ist eine entsprechende Beschränkung der Berufung unwirksam. Insbesondere ist ein Fall wirkungsloser Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch dann gegeben, wenn die Feststellungen zu dem nicht angefochtenen Schuldspruch diesen nicht tragen oder keine Ausführungen zur Schuld des Angeklagten enthalten.

Der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkungen steht hier nicht entgegen, dass das Amtsgericht bereits das wiederholte Verlassen des Landkreises Uckermark durch den Angeklagten als strafbewehrt angesehen hat. Zwar stellt ein auch wiederholter Verstoß gegen die räumliche Beschränkung aufgrund einer Auflage nach § 61 Abs. 1 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (hier: Aufenthaltsbeschränkung auf den Landkreis Uckermark) immer nur eine Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 3 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz dar, denn die Strafvorschrift des § 98 Abs. 3 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz umfasst ausschließlich vorsätzliche Verstöße gegen die Aufenthaltsbeschränkung, die sich bereits gesetzlich aus § 61 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz ergibt, weshalb nur ein wiederholtes Verlassen des Bundeslandes unter Strafe steht (vgl. OLG Karlsruhe, StV 2007, 136; Thüringer OLG, ThürVBl 2007, 190 nach juris).

Bei allen vier verfahrensgegenständlichen Taten handelt es sich aber wegen des jeweiligen Verlassens des Landes Brandenburg um Verstöße gegen die Aufenthaltsbeschränkung aus § 61 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz, sodass zu Recht von einem strafbaren Verhalten ausgegangen worden ist. Auch lässt sich den amtsgerichtlichen Urteilen noch entnehmen, dass der Angeklagte vollziehbar ausreisepflichtig war, da die Urteile mitteilen, dass er im Besitz einer Duldung war. Die Erteilung einer Duldung setzt nämlich eine Ausreisepflicht und deren Vollziehbarkeit, eine der Voraussetzung des § 98 Abs. 3 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz, voraus. Wann dem Angeklagten diese Duldung erteilt wurde, teilen die amtsgerichtlichen Urteile indes nicht mit, so dass nicht überprüft werden kann, ob dem "vorherigen" Zuwiderhandeln gegen die Aufenthaltsbeschränkung (Aufenthalt am 9. Februar 2005 in Berlin - Reinickendorf) die gleiche Duldung zugrunde lag wie der Aufenthaltsbeschränkung zum Zeitpunkt der Tat am 26. März 2005. Nur wenn beiden Verstößen die selbe Aufenthaltsbeschränkung zugrunde liegt, kann von einer wiederholten, den Straftatbestand erfüllenden Tat am 26. März 2005 ausgegangen werden (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. Mai 2007 - 2 Ss 25/07 -). Da die Urteile auch nicht mitteilen, seit wann der Asylantrag des Angeklagten rechtskräftig abgelehnt worden war, kann nicht ausgeschlossen werden, dass den Verstößen unterschiedliche Duldungen zu Grunde lagen. Auch lässt das Urteil des Amtsgerichts vom 2. März 2007 jegliche Feststellungen zum subjektiven Tatbestand vermissen. Vorliegend weisen die im Berufungsurteil mitgeteilten amtsgerichtlichen Urteilsgründe über deren tatsächlichen Inhalt hinaus aus, dass dem Angeklagten am 13. August 2004 eine Duldung erteilt wurde und dem Angeklagten auch bezüglich der Taten vom 30. Januar 2006 und vom 13. Juni 2006 jeweils bekannt und bewusst gewesen sei, dass er den Landkreis Uckermark nicht ohne entsprechende Genehmigung habe verlassen dürfen.

Die Kammer hat allerdings ausweislich der Urteilsgründe Beweis erhoben durch Befragung des Angeklagten, die Beweise gewürdigt und eigene Feststellungen zur subjektiven Tatseite und zu den festgestellten Tatsachen im Übrigen getroffen, die den Schuldspruch noch tragen. Der Revision war deshalb insoweit der Erfolg versagt.

2. Der Rechtsfolgenausspruch des landgerichtlichen Urteils kann indes keinen Bestand haben, weil er den gesetzlichen Vorgaben für die Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten nach § 47 Abs. 1 StGB nicht entspricht.

Die insoweit vorgenommene Strafzumessung erweist sich als lücken- und teilweise fehlerhaft. Kurze Freiheitsstrafen dürfen nur dann verhängt werden, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, einen solchen Strafausspruch zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen und sollen nur ausnahmsweise und als letztes Mittel zur Anwendung kommen. Dem gesetzgeberischen Gebot ist dadurch Rechnung zu tragen, dass von dieser Ahndungsmöglichkeit äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht wird (vgl. dazu und zum Folgenden KG Berlin, StV 2004, 383; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., § 47 Rn. 2, 6 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen). Aus der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Beschränkung der kurzen Freiheitsstrafe auf Ausnahmefälle ergeben sich auch besondere Anforderungen an die Begründung der Sanktionsentscheidung im tatgerichtlichen Urteil (vgl. KG Berlin, a.a.O.).

Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe bedarf einer Begründung, die sich gesondert und eingehend mit den gesetzlichen Voraussetzungen in § 47 Abs. 1 StGB auseinandersetzt. Sie muss auch erkennen lassen, dass das Gericht sich der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bewusst gewesen ist und die besondere Härte der kurzen Freiheitsstrafe im Vergleich zur Geldstrafe in seine Erwägungen einbezogen hat. Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe hat dementsprechend in der Regel eine umfassende Feststellung und erschöpfende Würdigung aller tat- und täterbezogenen Umstände, die für und gegen die Annahme eines derartigen Ausnahmefalls sprechen, zur Voraussetzung. Täterbezogene Umstände können die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nur rechtfertigen, wenn auch das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit von Tat und Rechtsfolge beachtet wird (vgl. KG Berlin, a.a.O.; OLG Karlsruhe, NJW 2003, 1825; OLG Stuttgart, NJW 2002, 3188). Die Rechtsfolge der kurzen Freiheitsstrafe muss sich daher auch im Hinblick auf das Gewicht der Tat und die Schwere der Tatschuld als gerechtfertigt erweisen. Daher ist, sofern die Tat - wie vorliegend - Bagatellcharakter hat, die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nur unter außergewöhnlichen Umständen denkbar. Allein täterbezogene Umstände wie einschlägige Vorstrafen und Bewährungsversagen sind, für sich genommen, ungeeignet, eine solche Sanktion zu legitimieren. Soweit ihnen eine indizielle Bedeutung für die Beurteilung der Tatschuld zukommt, können sie zu einer entscheidenden Erhöhung des Stellenwertes der Tat nur dann führen, wenn sie ein die gewöhnlichen Fälle deutlich übertreffendes Ausmaß an Pflichtwidrigkeit belegen (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; NStZ-RR 1997, 248). Das kann etwa der Fall sein bei Taten, die aus prinzipieller rechtsfeindlicher Gesinnung begangen werden oder wenn Umstände festgestellt sind, die ausweisen, dass Geldstrafen auf den Täter keine Wirkung entfalten. Ausnahmslos steht der Bagatellcharakter allerdings der Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht entgegen (vgl. OLG Stuttgart, NJW 2006, 1222).

Diesen Grundsätzen wird das landgerichtliche Urteil nicht gerecht.

Bezug genommen wird in der Strafzumessung zunächst darauf, dass Angeklagte in Deutschland bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und dass er die Taten während einer laufenden Bewährungszeit begangen habe. Die hierzu getroffenen Feststellungen erweisen sich bereits deshalb als lückenhaft, als sie die Vorverurteilungen nicht genauer bezeichnen und nicht die jeweilige Rechtskraft der Vorverurteilungen - zwei (Gesamt?)Freiheitsstrafen vom 5. Mai 2004 und 31. Januar 2005 wegen mehrfachen Diebstahls - sowie den Beginn und die Dauer der Bewährungszeiten mitteilen. Unter Berücksichtigung des zum Zeitpunkt der ersten Tat (26. März 2005) in engem zeitlichem Zusammenhang stehenden Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 31. Januar 2005 drängt sich auch die Frage auf, ob nicht vorliegend mit den Strafen der vorgenannten Entscheidung eine Gesamtstrafe zu bilden gewesen wäre oder aber ob nicht bereits die Verurteilung vom 31. Januar 2005 die Entscheidung vom 5. Mai 2004 einbezogen hatte.

Die Kammer hätte zudem konkret darlegen müssen, warum den - nicht einschlägigen - Vorbelastungen eine straferschwerende Bedeutung zukommen kann (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., Rn. 11). Diese kann sich insbesondere aus der Warnfunktion einer Vorverurteilung und einer Aussetzungsentscheidung ergeben. Insofern fehlt es jedoch an einer - hier notwendigen - Darstellung der den Vorverurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalten, insbesondere auch den Tatzeiten und den Tatumständen. Wie bereits dargelegt, kann zudem allein auf die Vorbelastung(en), ohne Berücksichtigung des Gewichts der Tat und der Schwere der Tatschuld, die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht gestützt werden.

Soweit die Kammer die Notwendigkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe damit begründet hat, dass der Angeklagte "gegen die entsprechenden Regelungen des Aufenthaltsgesetzes bereits in der Vergangenheit im großen Umfang verstoßen" habe "und deshalb gegen ihn bereits zwölf Bußgeldbescheide ergangen seien", die ihn in keiner Weise beeindruckt hätten, ist zu bemerken, dass ausschließlich aus der Verletzung von Ordnungsvorschriften resultierende Bußgelder im Rahmen der Strafzumessung allenfalls in einem sehr eingeschränkten Maße Berücksichtigung finden können, da die Geldbuße lediglich eine Unrechtsfolge ist und keinen Strafcharakter besitzt. Dem Betroffenen, der eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, wird durch die Verhängung einer Geldbuße die Zuwiderhandlung nicht als Werteverletzung vorgeworfen. Die Geldbuße ist ein mit einer Sanktion verbundener - und deshalb spürbarer - Pflichtenappell an den Betroffenen, der keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung seines Ansehens und seines Leumunds zur Folge hat (vgl. BVerfGE 27, 18)

Ferner dürfen nach § 46 Abs. 3 StGB Merkmale des Tatbestandes, die schon bei der Bestimmung des gesetzlichen Straftatbestandes, hier der "wiederholte" Verstoß gegen die Aufenthaltsbeschränkung, maßgeblich sind, nicht nochmals bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.

In der Urteilsbegründung zu der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung heißt es, dass sich der Angeklagte als nicht zu belehrender Wiederholungstäter erwiesen habe, der sich weder durch die Verhängung von Geldstrafen noch durch Freiheitsstrafen von der Begehung weiterer Straftaten hat abschrecken lassen. Der Angeklagte ist allerdings nicht zu Geldstrafen verurteilt worden. Eine möglicherweise hier erfolgte Gleichsetzung von Geldbußen mit Geldstrafen ist als rechtsfehlerhaft anzusehen.

Letztlich fehlen in dem angefochtenen Urteil von den allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkten abgrenzbare Erwägungen zu der Notwendigkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe anstelle einer - gegen den Angeklagten offenkundig bisher noch nie verhängten - Geldstrafe auch mit Blick auf die geringe Tatschwere und die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bei Bagatelldelikten.

Auf Grund der dargelegten Erörterungsmängel muss der Rechtsfolgenausspruch des landgerichtlichen Urteils aufgehoben werden.

Eine Entscheidung des Senats gemäß § 354 Abs. 1 a StPO kommt nicht in Betracht, weil weitere Feststellungen - auch zu den Vorbelastungen - erforderlich sind. Die Sache wird daher nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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