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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 27.07.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 83/05
Rechtsgebiete: GKG, BRAGO, JVEG


Vorschriften:

GKG § 2 Abs. 4
BRAGO § 97 Abs. 2 S. 1
BRAGO § 126
JVEG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
JVEG § 8 Abs. 1 Nr. 1
JVEG § 8 Abs. 1 Nr. 2
JVEG § 9 Abs. 3 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 83/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen schweren Raubes;

hier nur: Kostenbeschwerde wegen Abrechnung von Übersetzungsleistungen

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch am 27. Juli 2005

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten zu 2. wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Neuruppin vom 25. April 2005 aufgehoben.

Die dem Angeklagten zu 2. aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen für Dolmetscherkosten werden auf 746,69 € festgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse.

Der Beschwerdewert beträgt 746,69 €.

Gründe:

I.

Gegen den der deutschen Sprache nicht uneingeschränkt mächtigen Angeklagten zu 2. ist derzeit bei dem Landgericht Neuruppin ein Strafverfahren wegen des Tatvorwurfs des schweren Raubes anhängig Die Strafkammer hat dem Angeklagten zu 2. Rechtsanwalt zum notwendigen Verteidiger bestellt; der Angeklagte hat darüber hinaus zwei weitere Verteidiger gewählt.

Der (Wahl-) Verteidiger zu 2. des Angeklagten zu 2. führte mit diesem am 18. November 2004 und 29. Dezember 2004 Mandantengespräche, für die er jeweils von ihm gewählte Dolmetscher hinzuzog. Die Anträge des Angeklagten zu 2., ihm die hierdurch entstandenen Auslagen in Höhe von 342,08 € (für das Gespräch vom 18. November 2004) und 404,61 € (für das Gespräch vom 29. Dezember 2004) aus der Landeskasse zu erstatten, hat die zuständige Rechtspflegerin mit dem angefochtenen (Kostenfestsetzungs-) Beschluss abgelehnt, da es sich um keine notwendigen Auslagen handele; zwar gewähre Art. 6 EMRK dem der Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten grundsätzlich einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers; die Rechte des Angeklagten zu 2. würden jedoch dadurch hinreichend gewahrt, dass dieser mit dem ihm bestellten Pflichtverteidiger kostenfrei kommunizieren dürfe.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte zu 2. mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.

Der Einzelrichter des Strafsenats hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat zur Entscheidung in der im GVG vorgeschriebenen Besetzung übertragen (§ 568 S. 2 Nr. 2 ZPO, 464b S. 3 StPO).

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Dem Angeklagten zu 2. sind die für die Inanspruchnahme eines frei gewählten Dolmetschers zur Führung von Mandatsgesprächen mit seinem Wahlverteidiger entstandenen Auslagen insgesamt zu ersetzen.

Art. 6 Abs. 3 Lit. e EMRK garantiert jedem Angeklagten, der der Gerichtssprache nicht hinreichend mächtig ist, die unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher. Der fremdsprachige Angeklagte soll nach dieser Regelung demjenigen Angeklagten gleichgestellt werden, der die Gerichtssprache beherrscht; mangelnde Sprachkenntnisse soll den erstgenannten nicht in seiner Verteidigung beeinträchtigen; auch das erhöhte Kostenrisiko soll ihn nicht an der Zuziehung eines Dolmetschers hindern (vgl. BVerfGE 64, 145). Nach innerstaatlichem Verfassungsrecht folgt der vorstehend skizzierte Anspruch eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten auf kostenfreie Zuziehung eines Dolmetschers aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG: Allein wegen mangelnder Sprachkenntnisse darf niemand schlechter gestellt werden als andere, mit solchen Kosten nicht belastete Beschuldigte (vgl. BVerfG NJW 2004, 50; grundlegend auch BGHSt 46, 178 f, 184).

In Ausfüllung dieser Maßstäbe ist anerkannt, dass der fremdsprachige Angeklagte zum Ausgleich seiner sprachbedingten Nachteile in jedem Verfahrenstadium, also auch im Ermittlungsverfahren, einen Dolmetscher hinzuziehen darf. Ferner kommt es nicht darauf an, ob die Dolmetscherkosten für Gespräche mit einem Pflicht- oder einem Wahlverteidiger entstanden sind (BGHSt a.a.O.). Die unentgeltliche Beistandsleistung eines Dolmetschers auch für die eine Verteidigung vorbereitenden Gespräche mit dem Wahl- oder Pflichtverteidiger ist für den Beschuldigten unabdingbar, da eine wirksame Verteidigung und damit ein faires Verfahren ohne vorbereitende Verteidigergespräche kaum denkbar sind.

Für die Erstattungsfähigkeit der für Mandatsgespräche entstandenen Dolmetscherkosten kann es des Weiteren nicht darauf ankommen, ob der der Gerichtssprache nicht hinreichend kundige Angeklagte vor der Inanspruchnahme von Dolmetscherleistungen bei dem Tatgericht um Beiordnung eines Dolmetschers ersucht hat oder nicht. Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich offengelassen, wie die durch die unmittelbare Anwendung von Art. 6 Abs. 3 Lit. e EMRK (bzw. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG) als Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Dolmetscherkosten entstandenen Lücken des Kostenrechts bis zu einem Tätigwerden des Gesetzgebers im Einzelnen auszufüllen sind (BGHSt a.a.O., 187). Er hat als Möglichkeiten einer Beschränkung der Kostenfreistellung bzw. -erstattung auf die entsprechende Anwendung des § 2 Abs. 4 GKG (so angewandt vom Kammergericht, NStZ 1990, 402, 404), aber auch des § 126 BRAGO (a. F.) hingewiesen. Keine dieser Normen setzte einen Antrag vor Inanspruchnahme des Dolmetschers voraus. Zum Schutz des Staates ist ein vorheriges "Bewilligungsverfahren" zudem nicht notwendig; es genügt, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Dolmetschers gerichtlich festgestellt wird (BVerfG NJW 2004, 50, 51). Auch aus Art. 6 Abs. 3 Lit. e EMRK lässt sich nicht entnehmen, dass die unentgeltliche Beistandsleistung durch einen Dolmetscher zwingend von der vorhergehenden gerichtlichen Bewilligung abhinge. Die Grundsätze der Gewährleistung eines fairen Verfahrens sollen es dem Beschuldigten ermöglichen, in jeder Lage des Verfahrens und ohne die Bescheidung des Gerichts abwarten zu müssen, seine Rechte effektiv wahrzunehmen (vgl. KG a.a.O., OLG Karlsruhe Justiz 2000, 90). Dies setzt aber voraus, dass der von ihm gewählte Verteidiger sofort nach Übernahme des Mandats und Feststellung der mangelnden Sprachkenntnisse ein Gespräch mit Hilfe eines Dolmetschers führen kann. Den Wahlverteidiger auf die vorherige gerichtliche Bewilligung einer Übernahme der Dolmetscherkosten zu verweisen, würde zumindest das Recht des - wie hier - inhaftierten Beschuldigten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG praktisch leerlaufen lassen (Nachweise bei BVerfG NJW 2004, 50, 51).

Dem Anspruch des Angeklagten zu 2. steht schließlich auch nicht entgegen, dass die Durchführung des Kostenfestsetzungsverfahrens regelmäßig eine rechtskräftige Kostengrundentscheidung voraussetzt, eine solche angesichts der Fortdauer des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens aber noch nicht ergangen ist. Sind dem Angeklagten nämlich von Verfassungs wegen die für die in Anspruchnahme eines Dolmetschers für Mandatsgespräche mit seinem (weiteren) Wahlverteidiger aufgewandten Auslagen in jedem Fall zu ersetzen, kann das Kostenfestsetzungsverfahren insoweit auch bereits isoliert während des noch nicht abgeschlossenen Erkenntnisverfahrens durchgeführt werden.

Für die Erstattungsfähigkeit der verfahrensgegenständlichen Dolmetscherkosten ist es am Ende unerheblich, dass dem Angeklagten zu 2. auch ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist. Dass der Pflichtverteidiger gemäß §§ 97 Abs. 2 S. 1, 126 BRAGO (neu: Nr. 4104 f. der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG) aus der Staatskasse den Ersatz der erforderlichen Kosten für den von ihm selbst beauftragten Dolmetscher verlangen kann, ist allgemeine Auffassung (vgl. KG a.a.O., S. 403). Auf diese Beschränkung der Abrechnungsmöglichkeit braucht sich der Angeklagte zu 2. aber nicht verweisen zu lassen. Denn Art. 6 Abs. 3 Lit. e EMRK will jede Ungleichheit zwischen einem Angeklagten, der der Gerichtssprache nicht mächtig ist, und einem solchen, der sie beherrscht, verhindern (BVerfG NJW a.a.O., S. 50; OLG Karlsruhe a.a.O.; KG a.a.O., S. 403). Darf ein Beschuldigter nach deutschem Strafprozessrecht sich indes in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes von bis zu drei Verteidigern bedienen (§ 137 Abs. 1 StPO), und gilt gleiches für der deutschen Sprache nicht hinreichend kundige Beschuldigte, so muss es diesen deswegen auch gestattet sein, Anbahnungs- bzw. Mandatsgespräche mit einem frei gewählten bzw. zu wählenden weiteren Verteidiger zu führen und die hierfür entstandenen Auslagen (wie stets) unabhängig von eigener Bedürftigkeit als im Gesetzessinne notwendig ersetzt zu verlangen. Der Anspruch auf Freihaltung von den Dolmetscherkosten für den Verkehr mit dem Verteidiger besteht in diesem Rahmen uneingeschränkt, soweit die weiteren Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 Lit. e EMRK erfüllt sind, der Beschuldigte also der Gerichtssprache nicht hinreichend mächtig ist und das zu führende Mandatsgespräch für die Verteidigung erforderlich ist; von letzterem ist bei Fehlen abweichender Erkenntnisse im Übrigen stets auszugehen (vgl. BGHSt 46, 178 f). Dementsprechend kann der Angeklagte zu 2. hier dem Grunde nach Ausgleichung der verfahrensgegenständlichen Auslagen verlangen.

Die vom Angeklagten zu 2. geltend gemachten Auslagen sind auch der Höhe nach berechtigt. Sie entsprechen den Vorgaben des § 8 Abs. 1 Nr. 1, 2 JVEG i.V.m. § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 9 Abs. 3 S. 1 JVEG.

Die Landeskasse hat die Kosten des (erfolgreichen) Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Angeklagten zu 2. insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen, da kein anderer Kostenschuldner insoweit haftet (§ 467 Abs. 1 StPO analog, vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 473 Rz. 2; § 464 Rz. 2).

Der Beschwerdewert entspricht der Höhe der zur Erstattung eingereichten Dolmetscherrechnungen.

Ende der Entscheidung

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