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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 27.01.2009
Aktenzeichen: 10 UF 188/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG


Vorschriften:

ZPO § 621 e
BGB § 1666 Abs. 1
BGB § 1666 a
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 16. Oktober 2008 teilweise abgeändert.

Der Beteiligten zu 1. werden das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Gesundheitsfürsorge sowie das Recht zur Regelung von Schule, Hort und Kindergarten betreffenden Angelegenheiten einschließlich der Anmeldung und Abmeldung für die Kinder B., J. und E. R. entzogen. Insoweit wird das Jugendamt des Landkreises M. zum Pfleger bestimmt.

Im Übrigen verbleibt es bei der elterlichen Sorge der Beteiligten zu 1. für die genannten Kinder.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert beträgt 3.000 €

Gründe:

Die gemäß § 621 e ZPO zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 16.10.2008, durch den der Beteiligten zu 1. die gesamte elterliche Sorge für die Kinder B. (künftig: B.), J. (künftig: J.) und E. (künftig: E.) R. entzogen worden ist, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der angefochtene Beschluss ist insoweit abzuändern, als nur die in der Beschlussformel genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge zu entziehen und einem Pfleger zu übertragen sind und es im Übrigen bei der elterlichen Sorge der Beteiligten zu 1. verbleiben muss. Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 1666 Abs. 1 BGB kann dem Sorgeberechtigten die elterliche Sorge entzogen werden, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet wird, sofern die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, d.h. die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dabei sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann, § 1666 a BGB.

Maßstab für die zu treffende Entscheidung ist das Wohl des Kindes, also der umfassende Schutz des in der Entwicklung befindlichen jungen Menschen. Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt stets vor, wenn das Kind bereits einen Schaden erlitten hat. Sie ist aber auch dann anzunehmen, wenn die begründete gegenwärtige Besorgnis besteht, dass bei Nichteingreifen des Gerichts das Kindeswohl beeinträchtigt würde, d.h. der Eintritt eines Schadens mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 68. Aufl., § 1666, Rz. 8). Eine begründete Besorgnis zukünftiger Schädigungen des Kindes entsteht regelmäßig aus Vorfällen in der Vergangenheit. Auf Seiten der Sorgeberechtigten ist ein Missbrauch der elterlichen Sorge nicht notwendig. Es genügt, dass sie das Kind vernachlässigen, d.h. ausreichende Maßnahmen, die unter Berücksichtigung der sozialen, kulturellen und ökonomischen Situation der Familie eine ungestörte und beständige Erziehung, Beaufsichtigung und Pflege des Kindes im Rahmen der Familie gewährleisten soll, unterlassen (vgl. Rotax/Rotax, Praxis des Familienrechts, 3. Aufl., Teil 4, Rz. 456). Möglich ist auch ein unverschuldetes Versagen der Eltern, wobei mit dem Auffangtatbestand bezweckt wird, akute und schwerwiegende Gefährdungen des körperlichen und seelischen Wohls der Kinder abzuwehren. Die Gründe für das elterliche Versagen sind unerheblich (vgl. OLG Brandenburg, 1. Senat für Familiensachen, FamRZ 2008, 1556).

Liegen diese Voraussetzungen vor, hat das Gericht die zur Gefahrenabwehr erforderlichen und geeigneten Maßnahmen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu treffen. Soweit die Mutter in diesem Zusammenhang auf das grundgesetzlich geschützte Elternrecht hinweist, ist zu bedenken, dass die Menschenwürde des Kindes und sein Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit ebenfalls unter dem Schutz des Grundgesetzes stehen (vgl. dazu BVerfGE 24, 119 ff., 144).

Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze sind der Mutter die in der Beschlussformel genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge zu entziehen. Zu diesem Ergebnis ist der Senat aufgrund der ausführlichen und nachvollziehbar begründeten Gutachten der Sachverständigen M., ihrer ergänzenden Stellungnahme im Senatstermin und der gleichzeitigen Anhörung der Beteiligten und der Kinder sowie der Vernehmung der als Familienhelferin tätigen Zeugin W. gelangt.

Eine Gefährdung des Wohls der Kinder B., J. und E. liegt vor. Eine solche hat die Sachverständige M. bereits in ihrem Gutachten vom 20.7.2007 festgestellt und dargelegt, dass die Kinder verwahrlost seien und Verhaltensauffälligkeiten zeigten. In dem weiteren Gutachten vom 23.6.2008 weist die Sachverständige darauf hin, dass Ordnung und Hygiene im Haushalt der Mutter nach wie vor nicht ausreichten, die Kinder hätten wiederkehrend Läuse, Körper- und Zahnpflege gewährleiste die Mutter nicht, das Bettnässen der Mädchen sei nicht behoben. Entscheidend sei jedoch, so die Sachverständige, dass sich die familiäre Situation als wesentlich problematischer darstelle als zuvor. Die Mutter setze die Kinder unter Druck, die Mädchen hätten von Misshandlungen berichtet und davon, dass die Mutter ihnen zu viel Hausarbeit überlasse. Insbesondere B. und J. seien psychisch belastet und überfordert. Während B. hauptsächlich mit Unsicherheit und Aggressivität reagiere, sei J. in sich gekehrt, könne sich nicht mitteilen. Die Mutter zeige nicht genügend Einführungsvermögen dafür, dass sich eine sichere Bindung zu den Kindern entwickeln könne.

Bei der Anhörung durch den Senat hat nun die Vertreterin des Jugendamts in Übereinstimmung mit der als Zeugin vernommenen Familienhelferin die Angaben der Mutter insoweit bestätigt, als sich der Zustand des Haushalts der Mutter verbessert habe. Die Wohnung sei einigermaßen aufgeräumt und sauber, es seien ausreichend Lebensmittel vorhanden, auch bei unangemeldeten Besuchen habe es keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben. Der Haushalt der Mutter bietet aber, wie die Sachverständige festgestellt und erläutert hat, nach wie vor eine gefährdende Situation. Die Mutter habe, so die Sachverständige, ihre Erziehungskompetenz nicht verbessert, sie könne sich in die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder nicht einfühlen; anstatt ihnen die notwendige Hilfe und Unterstützung zu geben, schüchtere sie die Kinder ein. Diese verhielten sich daher noch immer nicht altersgerecht, ihr Selbstbewusstsein sei nur durch den Einfluss Dritter verbessert worden. Das Einnässen der Mädchen habe psychische Ursachen, die Mutter habe bis heute keine Behandlung begonnen.

Zudem hat die Sachverständige betont, es sei zu Misshandlungen der Kinder gekommen. Die Mutter ziehe die Kinder wegen ihrer Äußerungen über ihre Situation gegenüber Dritten zur Rechenschaft. Während es mit B. dann häufig Auseinandersetzungen gebe, wodurch das Kind überfordert werde und teilweise aggressiv reagiere, führe dies bei J. dazu, dass sie nach wie vor überangepasst und zurückgezogen sei. Beide Kinder hätten nur aufgrund des Umgangs mit dem Vater gelernt, sich mitzuteilen.

In Übereinstimmung damit hat die Verfahrenspflegerin berichtet, dass die Kinder im Haushalt der Mutter erheblichen Belastungen ausgesetzt seien. So hätten die Kinder ihr gegenüber angegeben, die Mutter schließe sie in der Wohnung ein, J. habe kein Abendessen bekommen, nachdem sie geäußert habe, beim Vater wohnen zu wollen. Dies erzeuge bei den Kindern große psychische Anspannung, sie fühlten sich der Willkür der Mutter ausgeliefert. Wenige Tage vor dem Anhörungstermin des Senats habe J. geweint und den Wunsch geäußert, nicht mehr in den Haushalt der Mutter zurückkehren zu müssen.

Die Verfahrenspflegerin hat weiter berichtet, dass die Mutter die Kinder nach deren Angaben grob anfasse, B. habe geäußert, die Mutter kneife ihn ins Gesicht, J. habe angegeben, von der Mutter in den Oberarm gekniffen zu werden. Die Mutter hat diese Angaben bei ihrer Anhörung zwar eingeschränkt und angegeben, sie habe den Kindern nicht weh getan. Dass es diese Vorfälle gegeben hat, hat sie aber nicht in Abrede gestellt.

Die Kinder selbst haben bei ihrer Anhörung durch den Senat ihre Angaben zu ihrer Situation teilweise wiederholt. Sie sind zurückhaltend aufgetreten und haben sich nur auf Nachfrage geäußert. Sie haben ihren Wunsch, nicht bei der Mutter zu wohnen und in den Haushalt des Vaters umziehen zu wollen, deutlich gemacht. J. hat ihre Angst vor der Mutter klar zum Ausdruck gebracht und erklärt, eigentlich schon nach dem Termin nicht mehr in den Haushalt der Mutter zurückkehren zu wollen. Diesen Wunsch hat sie, wie die Mitarbeiterin des Jugendamts angegeben hat, auch ihr gegenüber geäußert.

Der Senat hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Kinder und der Einschätzung durch die Sachverständige, die sich wiederholt und eingehend mit den Kindern und der Mutter beschäftigt und ihre Folgerungen nachvollziehbar und überzeugend begründet hat. Zweifel an der von ihr dargestellten Situation der Kinder ergeben sich auch nicht aus den Bekundungen der Zeugin W., sie könne sich nicht vorstellen, dass es die von den Kindern angegebenen körperlichen Übergriffe gegeben habe. Denn sie hat zugleich angegeben, mit den Kindern wenig unmittelbaren Kontakt zu haben, diese träten auch nicht an sie heran.

Aus alledem ergibt sich, dass das Wohl der Kinder gefährdet ist, wenn die Mutter die elterliche Sorge für sie weiterhin uneingeschränkt ausübt. Sie hat die Kindeswohlgefährdung durch ihr Verhalten verursacht. Sie ist auch nicht in der Lage, für Abhilfe zu sorgen. Sie hat zwar der Unterbringung von B. im Heim und dem Besuch einer Tagesgruppe von J. zugestimmt. Wie die Sachverständige aber ausgeführt hat, könne sich J. auch in der Tagesgruppe nicht mitteilen, B. habe zwar im Heim zunächst einen guten Start gehabt, sei aufgeblüht und habe sich in der Schule verbessert. Dies habe sich zwischenzeitlich aber verändert, er empfinde seinen Zustand als ungelöst, was in seiner Aggressivität zum Ausdruck komme. Weitere Bemühungen, die Situation ihrer Kinder zu verbessern, hat die Mutter nicht unternommen. Sie hat sich zudem bei ihrer Anhörung verständnislos gezeigt und etwa die Angaben ihrer Tochter J., die sich erkennbar in einer bedrängten Situation befindet, als dreist bezeichnet. Den Sohn E. hat sie aus der Pflegefamilie herauszunehmen versucht, obwohl sie nach eigenen Angaben erkannt hat, dass dies derzeit nicht dem Kindeswohl entspricht. So ist in einem anderen Verfahren bereits eine Verbleibensanordnung ergangen.

Daher ist der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für B., J. und E. zu entziehen. Eine weniger einschneidende Maßnahme reicht nicht aus, um die Situation der Kinder zu verbessern. Dies ist auch nicht etwa dadurch möglich, dass die Familienhilfe zeitlich ausgedehnt wird. Denn, wie ausgeführt, ergibt sich die Gefährdung des Kindeswohls nicht (mehr) in erster Linie daraus, dass eine Vernachlässigung des Haushalts und eine damit verbundene Beeinträchtigung der Kinder vorliegt, sondern hauptsächlich daraus, dass die Mutter nicht in der Lage ist, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und auf diese einzugehen. So hat die Sachverständige betont, dass die Mutter sich nicht in die Kinder einfühlen könne, weshalb sogar die Einführung von "Kuschelzeiten" geplant gewesen wäre. Fehlt aber der Mutter emotionale Wärme und die Fähigkeit, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen, kann dies durch - erweiterte - Familienhilfe nicht ausgeglichen werden.

Neben dem Aufenthaltsbestimmungsrecht ist der Mutter auch das Recht der Bestimmung der Schule, des Horts und des Kindergartens sowie der erforderlichen An- und Abmeldung zu entziehen. Denn es erscheint angebracht, dass der Pfleger das Kind E. im Haushalt der Pflegeeltern belässt und die Kinder B. und J. aus dem Haushalt der Mutter herausnimmt. Dann wird auch ein Wechsel von Schule und Hort erforderlich werden. Da es bereits bei der Anmeldung von E. im Kindergarten Auseinandersetzungen wegen der Auswahl gegeben hat und die Mutter daraufhin, jedenfalls für einige Wochen, nicht mehr mitgewirkt hat, ist der Entzug auch dieses Teilbereichs der elterlichen Sorge erforderlich. Ob die Kinder B. und J. entsprechend ihrem im Lauf des Verfahrens wiederholt geäußerten Wunsch in den Haushalt des Vaters kommen können, mag allerdings noch geklärt werden. Jedenfalls hat der Vater bei seiner Anhörung gezeigt, dass er willens und in der Lage ist, auf die Kinder einzugehen. Er hat die Besuche bei ihm kindgerecht gestaltet. Die Sachverständige hat geäußert, dass die Kinder in seinem Haushalt völlig verändert gewesen seien, ruhig, ausgeglichen und völlig normal. Sie erwartet, dass sich die Kinder beim Vater freier entwickeln können und befürwortet ihren Aufenthalt bei ihm.

Der Mutter ist zudem das Recht der Gesundheitsfürsorge zu entziehen. Denn sie nimmt die gesundheitlichen Belange der Kinder nicht hinreichend wahr. Zwar haben die Kinder, wie der Vater von B. und J. bei seiner Anhörung durch den Senat angegeben hat, keine Läuse mehr. Die Mutter sorgt aber nach wie vor nicht dafür, dass erforderliche Behandlungen stattfinden. Wie sie selbst bei ihrer Anhörung eingeräumt hat, trägt J. die Zahnspange nur selten, Zahnarztbesuche werden nicht zuverlässig eingehalten. J. nässt, wie ihre Schwester S., weiterhin ein. Obwohl schon die Sachverständige in ihrem ersten Gutachten vom Juli 2007 darauf hingewiesen hat, dass eine - stationäre - Behandlung erforderlich sei, hat bis heute gar keine Behandlung stattgefunden. Dies wäre bei zeitnahem Bemühen aber mit Sicherheit möglich gewesen.

Der Entzug der genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge ist ausreichend. Eine Gefährdung der Kinder, die den vollständigen Entzug der elterlichen Sorgen erforderte, ist nicht hervorgetreten. Vielmehr kann angenommen werden, dass die Mutter, die ungeachtet sämtlicher Probleme ihre Kinder liebt, an erforderlichen Maßnahmen mitwirkt. Die Ausübung der elterlichen Sorge, soweit sie der Mutter zu entziehen ist, wird einem Pfleger übertragen. Nachdem das Amtsgericht das Jugendamt bereits zum Vormund bestellt und der Beschluss insoweit nicht, auch nicht vom Vater, angefochten worden ist, kann das Jugendamt zum Pfleger bestimmt werden.

Veranlasst der Pfleger, dass die Kinder B., J. und E. vorläufig nicht (mehr) im Haushalt der Mutter wohnen, darf dies nicht zu einem Abbruch des Kontakts mit der Mutter führen, vielmehr müssen Umgangskontakte regelmäßig und zuverlässig stattfinden. Auch der Kontakt zu der nunmehr allein im Haushalt der Mutter verbleibenden Tochter S. muss durch Besuche in kurzen Zeitabständen sichergestellt werden. Denn die Kinder haben ein deutlich sichtbares Zusammengehörigkeitsgefühl, dem Rechnung getragen werden muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Ende der Entscheidung

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