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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.01.2007
Aktenzeichen: 10 WF 1/07
Rechtsgebiete: FGG, BGB, BVormVG


Vorschriften:

FGG § 50 Abs. 1
FGG § 50 Abs. 2
FGG § 50 Abs. 5
FGG § 56 g Abs. 5 Satz 1
FGG § 67 Abs. 3
FGG § 67 Abs. 3 Satz 3
BGB § 1835 Abs. 1
BGB § 1836 Abs. 2
BVormVG § 1
BVormVG § 1 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

10 WF 1/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

betreffend die Kinder E... E..., geboren am ... 1999, S... E..., geboren am ... 2001,

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Prof. Schael, den Richter am Oberlandesgericht Gutjahr und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Liceni-Kierstein

am 16. Januar 2007

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 20. November 2006 wird zurückgewiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde, mit der sich die Beteiligte zu 1. gegen die vom Amtsgericht in Höhe von 1.080,77 € festgesetzte Verfahrenspflegervergütung einschließlich Auslagen wendet, ist gemäß §§ 50 Abs. 5, 67 Abs. 3 Satz 3, 56 g Abs. 5 Satz 1 FGG zulässig. Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Die Verfahrenspflegerin kann einen höheren Anspruch auf Vergütung und Aufwendungsersatz gegenüber der Landeskasse als in der von der Rechtspflegerin festgesetzten Höhe nicht geltend machen.

Der Verfahrenspfleger hat grundsätzlich gegenüber der Landeskasse einen Anspruch auf Vergütung und Aufwendungsersatz für seine Tätigkeit gemäß §§ 67 Abs. 3 FGG, 1835 Abs. 1, 1836 Abs. 2 BGB nach Maßgabe von § 1 BVormVG. Nach dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 BVormVG sind dabei nur diejenigen Zeiten zu vergüten und Aufwendungen zu ersetzen, die für die Erfüllung des dem Verfahrenspfleger übertragenen Aufgabenbereichs erforderlich waren. Das Merkmal der Erforderlichkeit bestimmt sich für den Verfahrenspfleger eines Kindes gemäß § 50 Abs. 1, 2 FGG nach den ihm vom Gesetz zugewiesenen Amtsgeschäften. Jeder Arbeitsaufwand, den der Verfahrenspfleger außerhalb dieser Tätigkeit entfaltet, hat deshalb bei der Festsetzung der Vergütung außer Ansatz zu bleiben, mag dieser Aufwand auch objektiv nützlich gewesen sein und zu einer Konfliktlösung beigetragen haben (vgl. hierzu OLG Schleswig, OLGR 2000, 177 m. w. N.). Welche Tätigkeit eines Verfahrenspflegers im Rahmen seiner Amtsführung im Einzelnen als erforderlich anzusehen ist, bestimmt sich anhand der gesetzlichen Vorgaben nach einem objektiven Maßstab. Hierfür reicht es nicht aus, dass der Verfahrenspfleger allein aus subjektiver Sicht bestimmte eigene Maßnahmen für geboten hält. Vergütungs- und ersatzpflichtig sind vielmehr nur Tätigkeiten, die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgabe notwendig waren (vgl. hierzu OLG Naumburg, OLGR 2004, 78).

Für die nähere Bestimmung des vergütungsfähigen Zeitaufwandes darf zunächst nicht außer Acht gelassen werden, dass der "Anwalt des Kindes" lediglich als eigene Interessenvertretung der Kinder im Verfahren eingeführt worden ist. Auf diese Weise sollen sie sich im Falle eines Konflikts mit den Elterninteressen als Rechtssubjekte am Verfahren mittels eines allein ihrem Interesse verpflichteten Vertreters rechtliches Gehör verschaffen können. Damit die gerichtliche Entscheidung nicht über den Kopf der Kinder hinweg erfolgt, ist der Verfahrenspfleger als "Sprachrohr" der Kinder verpflichtet, die Wünsche und Vorstellungen der Minderjährigen dem Gericht so authentisch wie möglich zu unterbreiten (vgl. hierzu BT-Drucksache 13/ 4899, 129). Zum Aufgabenkreis gehört damit die subjektive Willenserforschung der Kinder und die Verfahrensbegleitung. Nur der für die Bewältigung dieser Aufgaben angefallene und erforderliche Zeitaufwand ist vergütungsfähig. Wer allerdings als Familienrichter in Sorgerechtsangelegenheiten mit der Anhörung von Kindern und der Erforschung ihrer Wünsche und Vorstellungen zu tun hat, weiß, wie schwierig diese Situation - zumal in fremder Umgebung und mit fremden Erwachsenen - für die Kinder tatsächlich ist. Das gilt in besonderem Maße für jüngere Kinder. Eine gelöste Atmosphäre stellt sich selten ein. Die Kinder fühlen sich unbehaglich, unsicher und stehen häufig unter großer Anspannung. Zu einer unbefangenen Schilderung der persönlichen Wünsche und Vorstellungen sind die Kinder unter diesen Umständen regelmäßig nicht in der Lage. Zu berücksichtigen ist ferner, dass hinsichtlich direkter Fragen, wie etwa : "Bei wem willst du leben ? " nach allgemeiner Auffassung im Rahmen der (richterlichen) Anhörung große Zurückhaltung geboten ist. Denn damit sind für die Kinder regelmäßig Loyalitätskonflikte verbunden. Hinzu kommt, dass die Kinder, je jünger sie sind, vielfach selbst nicht in der Lage sind, ihre Wünsche überhaupt in Worte zu fassen. Manche Kinder wollen sich auch gegenüber Fremden nicht äußern. Die gesetzliche Aufgabe des Verfahrenspflegers, das eigene Interesse der Kinder zu erkennen und zu formulieren, dem Gericht das persönliche Anliegen der Kinder authentisch mitzuteilen und die Kindesinteressen in das Verfahren einzubringen, lässt sich daher bei jüngeren Kindern - noch dazu wenn bei ihnen Entwicklungsstörungen oder -verzögerungen vorliegen - in den meisten Fällen nur sachgerecht im elterlichen Haushalt ausführen. In der ihnen vertrauten häuslichen Atmosphäre sind die Kinder regelmäßig gelöster als in einem fremden Büro, noch dazu mit fremden Erwachsenen und in einer mehr oder weniger förmlichen Gesprächsrunde. Eine unbefangene Gesprächssituation lässt sich in einem fremden Büro, wenn überhaupt, nur sehr schwer herbeiführen. Interaktionen zwischen Eltern und Kindern bzw. Geschwistern lassen sich erst recht nicht hinreichend beobachten. Für die Wahrnehmung der Aufgabenstellung als subjektiver Interessenvertreter der Kinder und unter Berücksichtigung des sensiblen Themas, um das es in Sorgerechtssachen geht, bedarf es gerade auch bei jüngeren Kindern einer gewissen Beobachtung ihres Verhaltens. Solche Beobachtungen lassen sich aber nur durch Spielbeobachtung in der häuslichen Umgebung der Kinder anstellen. Über die hierbei wahrgenommenen Reaktionen der Kinder lassen sich deren Wünsche und Vorstellungen ermitteln (vgl. hierzu auch OLG Braunschweig, FamRZ 2001, 776/777). Die Pflicht des Verfahrenspflegers, dem Gericht das persönliche Anliegen der Kinder authentisch mitzuteilen sowie sein Einsatz für die Verwirklichung und Durchsetzung dieser Wünsche und Vorstellungen endet dort, wo dieser Kindeswille offensichtlich dem Wohl der Kinder widerspricht (vgl. hierzu Keidel/Winkler/Engelhardt, FGG, 15. Aufl., § 15, Rn. 7). Auch im Hinblick darauf lässt sich eine verlässliche Einschätzung des Verfahrenspflegers nur abgeben, wenn er die Kinder in ihrem häuslichen Umfeld aufsucht, beobachtet und mit ihnen spricht. In diesem Zusammenhang kostenrechtliche Gesichtspunkte in den Vordergrund zu stellen, wird weder der Funktion noch den Aufgaben des Verfahrenspflegers gerecht, die nach den geplanten Gesetzesvorhaben der Regierung gerade weiter ausgebaut werden sollen.

Hiervon ausgehend ist vorliegend angesichts des Alters von E... und S... sowie der bei ihnen festgestellten Entwicklungsdefizite die Erforderlichkeit von Hausbesuchen grundsätzlich zu bejahen (a. A. OLG Brandenburg - 1. Familiensenat -, FamRZ 2006, 1777). Es kann nicht zweifelhaft sein, dass die Verfahrenspflegerin zur sachgerechten Wahrnehmung Ihrer Funktion und Aufgaben befugt war, mit den beiden Kindern im elterlichen Haushalt in Kontakt zu treten und sich durch Spielbeobachtungen und Gespräche in vertrauter Umgebung die notwendigen Informationen zu beschaffen. Allerdings hält der Senat fünf Hausbesuche für zu viel. Auch im Rahmen von grundsätzlich als erforderlich anzuerkennenden Hausbesuchen ist darauf abzustellen, welchen Zeitaufwand ein sorgfältig arbeitender, effektiv den subjektiven Belangen der minderjährigen Kinder Rechnung tragender und durchschnittlich zügig arbeitender Verfahrenspfleger im konkreten Fall entfaltet hätte (vgl. hierzu OLG Schleswig, a.a.O., S. 179). Der Senat hält hier nach den Umständen zur Beschaffung der notwendigen Informationen und sachgerechten Aufgabenerfüllung zwei Termine mit den Kindern in ihrer häuslichen Umgebung für ausreichend . Die Verfahrenspflegerin steht deshalb jedenfalls kein höherer Anspruch auf Vergütung nebst Auslagen als in der mit dem angefochtenen Beschluss festgesetzten Höhe von 1.080,77 € zu.

Für die Erforschung des Kindeswillens genügte auch unter Berücksichtigung des Alters der in 8/1999 und 7/2001 geborenen Kinder sowie ihrer Entwicklungsstörungen bzw. -rückstände ein erster Besuch im häuslichen Umfeld am 12.2.2005 - also unmittelbar nach der Verfahrenseinleitung - sowie ein zweiter Hausbesuch nach der Erstellung des Sachverständigengutachtens und kurz vor der letzten mündlichen Verhandlung des Amtsgerichts. Diesen hat die Verfahrenspflegerin am 5.5.2006 vorgenommen. Der weiteren zwischenzeitlichen Hausbesuche am 23.4., 11.11. und 9.12.2005 bedurfte es dagegen nicht. Diese drei Termine waren zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben der Verfahrenspflegerin nicht notwendig. Der entsprechende Zeitaufwand für die Kosten, den Kontakt mit den Kindern, zur Anfertigung eines Gedächtnisprotokolls und zur Sachstandsmitteilung an das Gericht nebst Fahrkosten kann daher nicht als vergütungs- und ersatzpflichtig anerkannt werden. Nach dem ersten Gespräch am 12.2.2005 mit den beiden Kindern im Haushalt des Vaters ist nicht ersichtlich, welche Erkenntnisse ein weiterer Hausbesuch noch vor dem gerichtlichen Anhörungstermin am 3.5.2005 hätte bringen können. Ein kurzes terminbezogenes Gespräch mit beiden Kindern vor ihrer Anhörung vor dem Amtsrichter am 3.5.2005 im Gerichtsgebäude hätte insoweit ausgereicht. Angesichts des Beschlusses des Amtsgerichts vom 30.5.2005, ein kinderpsychologisches Gutachten zu der beantragten Sorgerechtsregelung einzuholen, sind auch die beiden weiteren Hausbesuche der Verfahrenspflegerin am 11.11. und 9.12.2005 nicht als notwendig und damit erstattungsfähig anzuerkennen. Zu diesem Zeitpunkt lag das schriftliche Sachverständigengutachten noch nicht vor bzw. es war von der Verfahrenspflegerin nach ihren eigenen Angaben noch nicht gelesen worden. Deshalb reichte es aus, in einem abschließenden Gespräch mit den Kindern vor der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 9.5.2006 zu ermitteln, ob sich bei den kindlichen Wünschen und Vorstellungen seit dem ersten Hausbesuch der Verfahrenspflegerin am 12.2.2005 gegebenenfalls Änderungen hinsichtlich der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ergeben haben könnten.

Auf Vertrauensschutzgesichtspunkte der Art, ihre entsprechenden Abrechnungen seien in der Vergangenheit unbeanstandet geblieben, kann sich die Verfahrenspflegerin entgegen ihrer Auffassung in diesem Zusammenhang nicht berufen. Es kommt allein darauf an, welche Tätigkeiten zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgabe als Verfahrenspfleger objektiv notwendig sind.

Die Verfahrenspflegerin kann folglich den für die drei Termine am 23.4., 11.11. und 9.12.2005 abgerechneten Zeit- und Fahrtkostenaufwand nicht ersetzt verlangen. Abzusetzen ist deshalb der gesamte im Zusammenhang mit diesen drei Terminen in Ansatz gebrachte Zeitaufwand von mindestens insgesamt 16 Stunden und 170 gefahrenen Kilometern. Unter Zugrundelegung des nicht beanstandeten Stundensatzes von 33,50 € und einer Kilometerpauschale von 0,30 € errechnet sich ein Abzug in Höhe von jedenfalls 587 €. Die Verfahrenspflegerin hat gegenüber der Landeskasse insgesamt (1.264,28 € + 310,93 € =) 1.575,21 € abgerechnet. Bei einer Kürzung dieser Forderung um die nicht erstattungsfähigen Tätigkeiten und Aufwendungen ergibt sich jedenfalls kein höherer als der vom Amtsgericht festgesetzte Betrag. Der Verfahrenspflegerin steht folglich kein über 1.080,77 € hinausgehender Anspruch gegen die Landeskasse zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Ende der Entscheidung

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