Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 06.05.2008
Aktenzeichen: 11 Baul. U 1/07
Rechtsgebiete: MauerG, BauGB, BGB, BHO, VwVfG, VwGO


Vorschriften:

MauerG § 2
MauerG § 2 Abs. 1 S. 1
MauerG § 3
MauerG § 3 Abs. 1 S. 1
MauerG § 3 Abs. 1 S. 3
BauGB § 24
BauGB § 24 Abs. 1
BauGB § 24 Abs. 1 S. 1
BauGB § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BauGB § 24 Abs. 1 S. 2
BauGB § 24 Abs. 3 S. 1
BauGB § 24 Abs. 3 S. 2
BauGB § 25
BauGB § 28 Abs. 1 S. 3
BauGB § 28 Abs. 2 S. 2
BauGB § 28 Abs. 3
BauGB § 28 Abs. 4
BauGB §§ 93 ff
BauGB § 221 Abs. 1 S. 1
BGB § 247
BGB § 464 Abs. 2
BHO § 63 Abs. 3
VwVfG § 39 Abs. 1
VwGO § 114 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

11 Baul. U 1/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 06.05.2008

Verkündet am 06.05.2008

In der Baulandsache

hat der 11. Zivilsenat für Baulandsachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2008 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Goebel, den Richter am Oberlandesgericht Hütter und den Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beteiligten zu 3. gegen das am 29. Juni 2007 verkündete Urteil der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Neuruppin - Az.: 8 O 13/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beteiligte zu 3. zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beteiligten zu 3.wird nachgelassen, die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten zu 1. und 2. wenden sich gegen die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts und begehren die Erteilung eines Negativzeugnisses für einen Grundstücksverkauf nach dem Gesetz über den Verkauf von Mauer- und Grenzgrundstücken an die früheren Eigentümer (MauerG).

Die Beteiligte zu 2. ist Eigentümerin der 184 m² und 160 m² großen Flurstücke 105/1 und 105/3 der Flur 4 der Gemarkung B.... Die am G..see unterhalb der ...-B...-Straße belegenen Uferflurstücke waren Bestandteil der dortigen früheren Sperranlagen der DDR. Mit notariell beurkundetem Vertrag des Notars ... in B... vom 14.07.2006 (UR-Nr.: F 854/2006) verkaufte die Beteiligte zu 2. sie unter Anwendung der Vorschriften des Mauergesetzes und unter Zugrundelegung eines Verkehrswertes von 39.560,00 € (115,00 €/m²) für 9.890,00 € an die Beteiligten zu 1. in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit der Bezeichnung "Ufergrundstücke am G...see, ...-B...-Str. 204 GbR". Eine Veräußerung im öffentlichen Interesse an die Beteiligte zu 3. war zuvor an unterschiedlichen Vorstellungen über den anzusetzenden Verkehrswert gescheitert. Die GbR der Beteiligten zu 1. hatte sich den Erwerbsanspruch nach dem Mauergesetz zuvor von den Berechtigten i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 MauerG abtreten lassen.

Mit Schriftsatz vom 01.08.2006, eingegangen am 02. oder 03.08.2006, beantragte der Notar unter Übersendung einer Abschrift des Kaufvertrages bei der Beteiligten zu 3. die Erteilung eines Negativzeugnisses.

Mit Bescheid vom 29.09.2006, den Antragstellern zugestellt am 29.09., 30.09. und 02.10.2006, übte die Beteiligte zu 3. hinsichtlich des gesamten Flurstücks 105/1 und einer Teilfläche von ca. 112 m² des Flurstücks 105/3 ihr gemeindliches Vorkaufsrecht aus. Ein Zeugnis über die Nichtausübung bzw. das Nichtvorliegen eines gemeindlichen Vorkaufsrechts werde nicht erteilt. Die an die Verkäuferin zu zahlende Entschädigung betrage 1.480,00 € (5,00 €/m²). Die Flurstücke befänden sich im Geltungsbereich des zurzeit im Aufstellungsverfahren befindlichen Bebauungsplanes Nr. 8 "G...see". Die öffentliche Auslegung sei in der Zeit vom 24.07. - 01.09.2006 erfolgt. Für die betroffenen Flächen sei eine Nutzung für öffentliche Zwecke (Verkehrsfläche mit der besonderen Zweckbestimmung Fußweg mit eingeschränktem Radverkehr und öffentliche Grünfläche) festgesetzt. Gem. § 28 Abs. 3 i.V.m. §§ 24 und 25 des Baugesetzbuches (BauGB) werde deshalb das gemeindliche Vorkaufsrecht ausgeübt. Die zu zahlende Entschädigung sei von der kommunalen Bewertungsstelle der Stadt Potsdam bestimmt worden. Eine Anpassung des vereinbarten Kaufpreises an den Entschädigungswert sei zulässig, da die Flurstücke nach dem festgesetzten Verwendungszweck auch enteignet werden könnten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid der Beteiligten zu 3. Bezug genommen (Bl. 8 ff d.A.).

Am 02.10.2006 und am Montag, dem 30.10.2006 haben die Beteiligten zu 1. und 2. die vorliegenden Anträge auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Zur Begründung haben sie insbesondere vorgetragen, dass der Beklagten zu 3. bei einem Verkauf nach dem Mauergesetz kein Vorkaufsrecht zustehe. Bei dem Erwerb nach dem Mauergesetz handele es sich um einen gemischten Kauf- und Schenkungsvertrag sui generis. Das Vorkaufsrecht nach § 24 BauGB bestehe nur bei reinen Kaufverträgen, nicht aber bei Schenkungen, da der Sinn des Mauergesetzes ansonsten verfehlt werde. Nach § 3 MauerG habe die Beteiligte zu 3. die Möglichkeit gehabt, der Beteiligten zu 2. ein wirksames Kaufangebot zu unterbreiten. Im Übrigen sei das Vorkaufsrecht auch nicht fristgerecht und nicht zum Wohl der Allgemeinheit ausgeübt worden. Der aufgestellte Bebauungsplan sei nichtig und nicht durchführbar. Die Beteiligte zu 3. habe ihr Ermessen nicht bzw. nur ermessensfehlerhaft ausgeübt. Der Verkehrswert der streitgegenständlichen Flurstücke dürfte 200,00 €/m² betragen. Die Beteiligte zu 2. habe ca. 10 Grundstücke am G...see zu 115,00 €/m² veräußert. Ansonsten würden für vergleichbare Ufergrundstücke bis zu 402,00 €/m² gezahlt. Die Beteiligte zu 3. möge ein rechtsstaatliches Enteignungsverfahren durchführen und sie angemessen entschädigen.

Die Beteiligten zu 1. und 2. haben beantragt,

die Beteiligte zu 3. unter Aufhebung des Bescheides vom 29.09.2006 zu verpflichten, das beantragte Negativzeugnis über die Nichtausübung bzw. das Nichtbestehen eines gemeindlichen Vorkaufsrechts hinsichtlich des Verkaufs der Flurstücke 105/1 und 105/3 der Flur 4 der Gemarkung B... durch notariell beurkundeten Vertrag UR-Nr. F 854/2006 des Notars ... mit Amtssitz in B... vom 14.07.2006 zu erteilen.

Die Beteiligten zu 1 a) und 1 b) haben hilfsweise beantragt,

die Ausdehnung des Vorkaufsrechts auf das gesamte Grundstück 105/3 auszusprechen, da dem Eigentümer der Verbleib des Restgrundstücks nicht zugemutet werden könne.

Die Beteiligte zu 2. hat hilfsweise beantragt,

den Bescheid des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Potsdam vom 29.09.2006, Az.: 161.4 - GV - 643/2006, teilweise aufzuheben und den Antragsgegner zu verurteilen, an die Antragstellerin über die festgesetzte Entschädigung hinaus 38.080,00 € nebst Zinsen aus diesem Betrag in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab dem 29.09.2006 zu zahlen.

Die Beteiligte zu 3. hat beantragt,

die Anträge auf gerichtliche Entscheidung abzuweisen.

Zur Begründung hat sie unter umfassender Darstellung der Vorgeschichte des streitigen Vorkaufsrechtsverfahrens und der zahlreichen bisher zwecks Erhaltung der öffentlichen Zugängigkeit des früheren Grenzstreifens am G...see schon geführten bzw. noch anhängigen Gerichtsverfahren insbesondere vorgetragen, die von den Beteiligten zu 1. und 2. in Bezug genommene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Potsdam sei unrichtig. Das gemeindliche Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 BauGB bestehe auch bei Kaufverträgen nach § 2 MauerG. Dies ergebe sich aus einer Gesetzesinterpretation anhand der anerkannten juristischen Auslegungsmethoden. Nach dem Wortlaut des Mauergesetzes liege ein normaler Kaufvertrag vor. Ein Ausschluss des Vorkaufsrechtes sei ausdrücklich nicht geregelt worden. Die Rechtsposition des Berechtigten sei vom Gesetzgeber bewusst schwach gehalten worden. Die Aufteilung der Entschädigung habe entweder im Vorkaufsrechtsausübungsverfahren selbst oder in einem anschließenden zivilrechtlichen Verfahren zu erfolgen. Nach Sinn und Zweck des Mauergesetzes stünden im Ergebnis den Beteiligten zu 1. 75 % und der Beteiligen zu 2. 25 % des objektiv ermittelten Verkehrswertes zu. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine Gemeinde, deren Antrag auf Erwerb von Mauergrundstücken durch die Beteiligte zu 2. unberechtigt übergangen worden sei, nicht ohne Rechtsschutz dastehe, habe sich nachträglich durch die gegenteilige Rechtsprechung der Zivilgerichte als nicht haltbar erwiesen. Sie habe gesehen, dass ein Ermessensspielraum bestehe. Ermessensfehler seien nicht erkennbar. Sie habe die Entschädigung zutreffend berechnet. Bei dem tatsächlich dem Kaufvertrag zugrunde gelegten Verkehrswert von 115,00 €/m² handele es sich um einen "Ausbotungspreis" zu ihren Lasten. Sie habe die Ausübungsfrist gewahrt.

Das Landgericht hat die Anträge auf gerichtliche Entscheidung als zulässig und begründet angesehen. Bei dem auf der Grundlage des Mauergesetzes erfolgten Verkauf der streitgegenständlichen Flurstücke durch die Beteiligte zu 2. an die Beteiligten zu 1. in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts handele es sich nicht um einen ein gemeindliches Vorkaufsrecht begründenden Grundstückskauf i.S.d. § 24 Abs. 1 S. 1 BauGB. Zur Begründung hat sich die Kammer der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Potsdam in den Urteilen vom 14.03.2003 (4 K 516, 4 K 4502 und 4 K 5403/99) angeschlossen. Gründe, die eine andere Beurteilung rechtfertigten, seien von der Beteiligten zu 3. nicht vorgetragen worden und auch ansonsten nicht ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Unter dem 13.08.2007 hat die Beteiligte zu 3. einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt, auf den wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 210 d. A.). Mit Beschluss vom 03.09.2007, auf den verwiesen wird, hat die Kammer für Baulandsachen den Tatbestandsberichtigungsantrag zurückgewiesen.

Gegen das Urteil des Landgerichts wendet sich die Beteiligte zu 3., die ihr erstinstanzliches Vorbringen weiter verfolgt und vertieft.

Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Streitig sei die Rechtsfrage, ob ein Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 BauGB bei Kaufverträgen nach § 2 MauerG bestehe. Rechtsirrig gehe das Landgericht davon aus, dass dies nicht der Fall sei. Mit dem Grundstückskaufvertrag UR-Nr.: F 854/06 vom 14.07.2006 des Notars .../B... liege bereits nach seinem äußeren Erscheinungsbild ein "Grundstückskaufvertrag mit Auflassung" vor. Die einzelnen Regelungen sprächen für einen Kaufvertrag. Dass der Erwerb auf der Grundlage von § 2 MauerG erfolgt sei, stehe dem Vorliegen eines Kaufvertrages nicht entgegen. Auch im Gesetzeswortlaut werde von einem Kaufvertrag ausgegangen: Es sei ausdrücklich von einem "Kaufpreis" und einem "Käufer" die Rede.

Ein begrifflich das Vorkaufsrecht ausschließender anderer Vertragstyp liege nicht vor. Als ein anderer Vertragstyp komme allein eine Teil-Schenkung bzw. eine gemischte Schenkung in Betracht. Ein solcher Vertragstyp liege dann vor, wenn das Grundstück schenkungshalber durch Rechtsgeschäft zu einem wesentlich unter dem erzielbaren Verkehrswert liegenden Entgelt übertragen werde. Die Übertragung des Grundstücks erfolge hier zwar durch Rechtsgeschäft, die Kaufpreisvorgabe beruhe jedoch auf dem Mauergesetz. Vor diesem Hintergrund liege keine Schenkung vor. Abgesehen davon, dürfe der Staat grundsätzlich nichts verschenken. Die vom Landgericht gezogene Konsequenz, dass es wegen fehlender gesetzlicher Entschädigungsregelungen ein Vorkaufsrecht nicht geben könne, sei falsch. Nach § 28 Abs. 4 BauGB habe sie (Berufungsklägerin) in dem hier vorliegenden Fall des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 BauGB den vollen Verkehrswert zu entschädigen. Es ergebe sich aus den gesetzlichen Aufteilungsregelungen und der § 3 MauerG zugrunde liegenden Wertung des Gesetzgebers, wie dieser Entschädigungsbetrag zu verteilen sei. Gesetzliche Preisbeschränkungen führten nicht dazu, dass sich ein solcher Kaufvertrag rechtlich als eine (Teil-) Schenkung darstelle. Gegen eine (Teil-) Schenkung spreche auch, dass dann Schenkungssteuer anfiele. Eine Freistellung von der Schenkungssteuer habe der Gesetzgeber aber - anders als eine Freistellung von der Grunderwerbssteuer und Einkommenssteuer - im Mauergesetz gerade nicht vorgesehen.

Ein möglicherweise das Vorkaufsrecht ausschließendes Wiederkaufsrecht eines Dritten liege ebenfalls nicht vor. Der nach dem Mauergrundstücksgesetz ursprünglich Berechtigte sei lediglich früherer Eigentümer des Grundstücks, trete jedoch nicht in alte (öffentliche oder private) Eigentumsrechte ein. Das Mauergrundstücksgesetz diene gerade nicht der Abwicklung von Rechtspositionen, die noch im DDR-Recht wurzelten, sondern begründe eine neue Anspruchsposition, die vor dem Inkrafttreten des Mauergrundstücksgesetzes nicht bestanden habe. Das in § 2 MauerG begründete Ankaufsrecht unterfalle daher als kaufähnliches Rechtsgeschäft dem im BauGB geregelten Vorkaufsrecht. Diese Fälle seien zudem nicht mit der rechtlichen Schicksalsgemeinschaft zwischen Erwerber und Veräußerer bei der Sachenrechtsbereinigung zu vergleichen.

Soweit das Landgericht auf gesetzlich geregelte Ausschlussgründe des Vorkaufsrechts hinweise, führe dies zu einer unzutreffenden Auslegung des Mauergesetzes.

Auch aus Sinn und Zweck der Regelung lasse sich nicht ableiten, dass Vorkaufsrechte des Städtebaurechts zum Schutz des Erwerbers nicht bestehen sollten. Dem Mauergesetz liege vielmehr die Wertung des Gesetzgebers zugrunde, dass der Rückerwerbsanspruch des Berechtigten dann nicht durchdringe, wenn das Grundstück im öffentlichen Interesse an einen Dritten veräußert werden solle.

Auch sei eine teleologische Reduktion der Vorkaufsrechtsregelungen bei Verkäufen nach dem Mauergesetz ausgeschlossen. Zwar wirke die Regelung des Ankaufspreises im Mauergesetz zugunsten der Berechtigten und diene der Wiedergutmachung. Der Ankaufsanspruch sei aber durch § 3 MauerG beschränkt, d. h. der Anspruch auf das Grundstück sei schwach ausgestaltet. Zwingend hingegen sei der Anspruch auf Partizipierung am Grundstückswert. Der Anspruch auf Teilhabe am - richtig ermittelten - Grundstückswert stelle aber gerade keine Schenkung des Staates dar.

Im Rahmen der "teleologischen Prüfung" sei eine "verfassungskonforme Auslegung" vor folgendem Hintergrund angezeigt:

Wenn die Tatbestandsmerkmale für ein Vorkaufsrechts zu bejahen seien, so lägen jedenfalls auch die Voraussetzungen des § 3 MauerG vor. Mitunter könnten sich gegenüber einer Behörde bzw. in einer Behörde auch die subjektiven Interessen einzelner gegenüber dem Gemeinwohl durchsetzen. Dann bedürfe es im Interesse des Gemeinwohls Korrekturmöglichkeiten, es sei denn, der Gesetzgeber habe diese im Primärrechtsschutz ausdrücklich ausgeschlossen, was hier aber nicht der Fall sei.

Auch die historische Auslegung führe zu keinem anderen Ergebnis: Den Gesetzesmaterialien sei nicht zu entnehmen, dass § 3 MauerG abschließend sein solle. Selbst wenn der Gesetzgeber in den Gesetzmaterialien ausdrücklich darauf hingewiesen hätte, dass § 3 MauerG eine abschließende Regelung darstelle, würde dies einen Vorkaufsrechtsfall nicht ausschließen. Die Auffassung des Landgerichts sei schon deshalb nicht haltbar, weil diese dazu führe, dass ihr, der Beteiligten zu 3., nur die "ultima ratio" des Enteignungsrechts zur Verfügung stünde. Die Argumentation des Landgerichts laufe mithin darauf hinaus, dass die "milderen Mittel" (Ankaufsrecht der öffentlichen Körperschaft nach § 3 MauerG/Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 BauGB) ausgeschlossen seien und als einzig verbleibendes Instrumentarium die Enteignung zum Vollzug des Bebauungsplanes verbleibe.

Wenn der Gesetzgeber des Mauergesetzes einen Ausschluss des Vorkaufsrechts nach Baugesetzbuch gewollt hätte, wäre er in der Lage gewesen neben einer ausdrücklichen - aber fehlenden - Regelung auch eine andere Rechtstechnik zu wählen. So hätte er, wie im Vermögensgesetz, die Restitution durch den Bescheid selbst anordnen können, so dass kein vorkaufsrechtsfähiges Rechtsgeschäft vorgelegen hätte.

Soweit das Landgericht die Auffassung vertrete, dass bei Anerkennung des gemeindlichen Vorkaufsrechts bei Verkäufen nach dem Mauergesetz dies zwingend bedeutete, dass die vom Gesetzgeber bezweckte Wiedergutmachung teilungsbedingten Unrechts nicht den Berechtigten i.S.d. Mauergesetzes, sondern der Gemeinde zugute käme, sei dies unzutreffend. Weder die Regelungen der Wiedergutmachung noch die des § 464 Abs. 2 BGB stünden der Vorkaufsrechtsausübung entgegen. Wie ausgeführt, habe der Berechtigte nach dem Mauergesetz nur eine schwache Rechtsposition.

Die Regelung des § 464 Abs. 2 BGB, die nach § 28 Abs. 2 S. 2 BauGB grundsätzlich Anwendung finde, stehe der Ausübung des Vorkaufsrechtes nicht entgegen. § 464 Abs. 2 BGB regele die Ausübung des rechtsgeschäftlichen Vorkaufsrechts und ordne die "vollständige Konkordanz" zwischen den Bedingungen des Drittkaufvertrages und des durch Ausübung mit den Berechtigten zustande gekommen Kaufvertrages an. Sinn und Zweck sei es, dass der Berechtigte keine Erleichterung von ihn belastenden Bestimmungen erwarten könne (z. B. für die Fälligkeit). Eine gesetzliche Ausnahme von diesem Grundsatz sei im Baugesetzbuch gerade in Bezug auf den Kaufpreis enthalten. § 28 Abs. 4 BauGB ordne zwingend an, dass sich in den Fällen des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB der von der Gemeinde zu zahlende Betrag nicht nach dem vereinbarten Kaufpreis, sondern nach den Vorschriften des 2. Abschnitts des 5. Teils des Baugesetzbuches (§ 93 ff BauGB) bestimme.

Wenn aber anstelle des Kaufpreises der objektiv nach Enteignungsentschädigungsgrundsätzen zu berechnende Verkehrswert zugrunde zu legen sei, so finde sich auf gesetzlicher Grundlage auch eine angemessene Regelung über das richtige Verteilungsverhältnis des zu zahlenden Betrages i.S.v. § 28 Abs. 4 i.V.m. §§ 93 ff BauGB: § 3 Abs. 1 S. 3 MauerG sei insoweit analog anzuwenden: Eine Auslegung der maßgeblichen Vorschriften nach Sinn und Zweck führe zu dem Ergebnis, dass die Preisprivilegierung , die § 2 MauerG für die Berechtigten vorsehe, für eine Vorkaufsrecht ausübende Körperschaft nicht gelte. Von dem objektiv zu ermittelnden Verkehrswert stünden 75 % den Berechtigten nach § 2 MauerG und 25 % dem Verkäufer zu. Dieser sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 3 Abs. 1 S. 3 MauerG ergebende Anspruch sei entweder im Vorkaufsrechtsausübungsverfahren oder zivilrechtlich geltend zu machen.

Aus dem Vorstehenden ergebe sich, dass die Gründe des Landgerichts nicht tragend seien. Soweit das Landgericht offen gelassen habe, ob sie, die Beteiligte zu 3., ermessensfehlerhaft entschieden habe, sei unter Bezugnahme auf ihre erstinstanzlichen Ausführungen vorzutragen, dass dies nicht der Fall sei. Wie dem Beteiligten zu 1. und der Beteiligten zu 2. bekannt sei, bemühe sie sich seit 1990 um Anlegung eines öffentlichen Uferparks und seit dem Juli 1992 (Antragstellung nach dem Vermögenszuordnungsgesetz) auch um den Eigentumserwerb. Sie müsse sich nicht auf die Einräumung von Geh- und Fahrrechten (Dienstbarkeiten) verweisen lassen. Eine Abwendungsbefugnis bestehe nicht (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Ihr Ermessen habe sie entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und im Rahmen der gesetzlichen Grenzen ordnungsgemäß ausgeübt. Angesichts der vorstehenden Sachlage hätten die übrigen Beteiligten vorzutragen, welche Gründe sie (Beteiligte zu 3.) im Rahmen ihrer Ermessenausübung zu ihren (Beteiligten zu 1. und 2.) Gunsten hätte berücksichtigen sollen.

Soweit das Landgericht feststelle, dass es nicht mehr auf die wohl deutlich zu niedrig bemessene Entschädigung von lediglich 5,00 €/m² ankomme, sei zu bemerken, dass selbst dann wenn sie die Entschädigungshöhe im Vorkaufsrechtsausübungsbescheid nicht korrekt ermittelt haben sollte, dieser nicht aufzuheben, sondern (nur) der Entschädigungswert anzupassen sei.

Zudem müsse sie die Regelungen des § 28 Abs. 4 BauGB zwingend anwenden; ihr stehe insoweit kein Ermessen zu.

Die Beteiligte zu 3. beantragt,

unter Abänderung des am 29.06.2007 verkündeten Urteils der Kammer für Baulandsachen des Landgerichts Neuruppin, Az.: 8 O 13/06, die Anträge auf gerichtliche Entscheidung der Beteiligten zu 1. und des Beteiligten zu 2. abzuweisen.

Die Beteiligten zu 1. und 2. beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten zu 1. machen im Wesentlichen noch geltend:

Der Beteiligten zu 3. habe es freigestanden, ihr Interesse als Dritter im Sinne von § 3 MauerG qualifiziert darzulegen. Dies habe sie u. a. deshalb verabsäumt, weil sie nur einen Quadratmeterpreis von 5,00 €, der weit unter dem Verkehrswert von mehr als 115,00 € liege, angeboten habe. Zudem habe sie keine ausreichende Planungsvorbereitung vorweisen können. Die Beteiligte zu 2. sei daher verpflichtet gewesen, an sie (Beteiligten zu 1.) zu veräußern. Es widerspräche dem Gesetzeswortlaut von § 24 BauGB und dem Gesetzeszweck des Mauergesetzes, einer Gemeinde, die es verabsäumt habe, ein "öffentliches Interesse" darzulegen, über ein Vorkaufsrecht nach § 24 BauGB doch noch den Erwerb eines Mauergrundstücks zu ermöglichen.

Zudem liege kein Grundstückskaufvertrag i.S.d. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB vor. Nach herrschender Ansicht vereine ein Vertrag über ein Grundstück nach § 2 MauerG die Charakteristika eines Schenkungs- und eines Kaufvertrages. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, das davon ausgehe, dass der Berechtigte nach Mauergesetz nur 25 % des Grundstückswertes an den Bund zahlen müsse. Dies folge aber auch aus der Gesetzesgeschichte. Gesetzeszweck sei die Naturalrestitution des Grundstücks, nicht die Entschädigung, wie sich der Systematik des Gesetzes entnehmen lasse. Ein Vertrag, der Elemente einer Schenkung enthalte, unterfalle bereits dem Wortlaut des § 24 Abs. 1 BauGB nach nicht einem Vorkaufsrecht.

Zudem stehe dem Staat das Recht zu, Grundstücke an die Berechtigten nach Vermögensgesetz und Mauergesetz ohne oder gegen geringwertigere Gegenleistungen herauszugeben. § 63 Abs. 3 BHO sehe vor, dass Vermögensgegenstände, also auch Grundstücke, unter Wert veräußert werden könnten. Dies treffe auch auf das Mauergrundstück zu. Da § 24 Abs. 1 BauGB den Erwerb nach § 2 MauerG nicht erfasse, bedürfe es nicht der Suche nach einem Ausschluss des gemeindlichen Vorkaufsrechts.

Die Beteiligte zu 2. macht ergänzend noch geltend:

Es gehe der Beteiligten zu 3. ausschließlich darum, von der gesetzgeberischen Privilegierung der Berechtigten nach dem Mauergesetz zu profitieren und an deren bevorzugter Rechtsstellung zu partizipieren.

Es sei nicht erkennbar, dass eine Enteignung einen stärkeren Eingriff darstelle als die Ausübung eines Vorkaufsrechts. Gerade unter Berücksichtigung der materiellen Interessen stelle eine Enteignung ein sachgerechteres Verfahren dar, weil dem Berechtigten nach dem Mauergesetz im Ergebnis eines Enteignungsverfahrens der volle Verkehrswert zufließe und er insofern durch die Enteignung materiell besser gestellt sei, als bei einem etwa bestehenden Vorkaufsrecht. Aus wirtschaftlicher Sicht stelle das Vorkaufsrecht daher einen gravierenderen Eingriff dar. Bei den preislichen Vorgaben des Mauergesetzes handele es sich entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3. nicht um gesetzliche Preisbeschränkungen.

Die Verwaltungsvorgänge der Beteiligten zu 3. (161.4 GV-643/2006) haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Der Senat schließt sich den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, von denen abzuweichen das Berufungsvorbringen keine Veranlassung bietet, an.

Ergänzend ist zu bemerken:

Das Landgericht hat sich unter Bezugnahme auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung mit den sich stellenden Rechtsfragen vollumfänglich befasst.

Entscheidend ist der Gesichtspunkt, dass der der Veräußerung des Grundstücks zugrunde liegende, als Kaufvertrag bezeichnete Vertrag, den die Beteiligten zu 1. und 2. geschlossen haben, keinen Vorkaufsfall i.S.d. § 24 Abs. 1 BauGB darstellt. Dabei sind weder das Verwaltungsgericht Potsdam noch das Landgericht davon ausgegangen, dass die Regelung in § 2 MauerG eine gemischte Schenkung darstellt. Die Gerichte weisen in diesem Zusammenhang lediglich darauf hin, dass u.a. gemischte Schenkungen und Tauschverträge nicht Gegenstand der Ausübung gemeindlicher Vorkaufsrechte sind. Maßgeblich ist vielmehr, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers im Interesse der Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates nicht akzeptabel wäre, wenn die Bundesrepublik die Enteignungen der DDR hingenommen und die Grundstücke als ehemalige Verteidigungsanlagen ihrem Vermögen einverleibt hätte (Gesetzesentwurf des Bundesrates, BT-Drucksache 13/120 unter A.) So heißt es in der Begründung unter A. Allgemeiner Teil: Wenn der Staat diese Grundstücke nicht zurückgebe, setze er sich dem Vorwurf aus, dass er sich an Unrechtsgut bereichere. So könne dass schändliche Kapitel der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze nicht abgeschlossen werden. Vielmehr müsse auch bei der Regelung der Eigentumsverhältnisse ein dem sozialen Rechtsstaat würdiges Zeichen gegenüber dem Unrecht des SED-Staates gesetzt werden. Rechtspolitisch sei es daher dringend geboten, dass die Grundstücke, die unmittelbar zum Ausbau des Todesstreifens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen DDR in Anspruch genommen worden seien, an die früheren Eigentümer zurück gegeben würden. (BT-Drucksache 13/120 a.a.O.). In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses vom 08.02.1996 (BT-Drucksache 13/3734) ist diese Intention nochmals betont worden. Allerdings sah die Empfehlung vor, dass die ehemaligen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger die Möglichkeiten erhalten sollten, ihre früheren Grundstücke zu einem erheblich vergünstigten Preis zurückzuerwerben. Hintergrund für diesen Vorschlag war die Überlegung, dass in Anbetracht der außergewöhnlich hohen Wertsteigerungen, die gerade die Grundstücke in B... seit der Wiedervereinigung erfahren hätten, ein Rückkaufpreis in Höhe von 25 % des heutigen Verkehrswertes angemessen sei.

Dies belegt, dass es sich bei dem zwischen den Beteiligen zu 1. und 2. geschlossenen Vertrag materiell gerade nicht um einen "reinen" Kaufvertrag handelt. Vielmehr will die Regelung in § 2 MauerG im Wesentlichen eine als dringend geboten empfundene Wiedergutmachung erreichen. Vor diesem Hintergrund trifft die Auffassung der Beteiligten zu 3., den Berechtigten sei nur eine schwache Rechtsposition eingeräumt worden, so nicht zu. Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber sein intendiertes Ziel aus Gründen des öffentlichen (auch fiskalischen) Interesses u. a. in §§ 2,3 MauerG eingeschränkt hat. Diese Einschränkungen der Rechtsposition der Berechtigten führen jedoch nicht dazu, dass der Wiedergutmachungszweck, den das Mauergesetz verfolgt, so in den Hintergrund gedrängt wird, dass von einem "gewöhnlichen" Kaufvertrag ausgegangen werden könnte, der ein Vorkaufsrecht der Gemeinden auslöste. Der Gesetzgeber war, wie sich dem Gesetzgebungsverfahren entnehmen lässt, bestrebt, ein ausgewogenes System zu schaffen. Dies bedeutet aber, dass die vom Gesetzgeber getroffenen Regelungen des Mauergesetzes eng auszulegen sind, damit das vorrangige Ziel der Wiedergutmachung nicht konterkariert wird.

Das Mauergesetz hat abschließend auch die Möglichkeiten Dritter geregelt. Zutreffend ist in diesem Zusammenhang auch die Auffassung des Landgerichts, dass die Frage nach der Existenz eines gemeindlichen Vorkaufsrechts nicht davon abhängt, ob der Gemeinde im Verfahren nach dem Mauergesetz Beteiligungsrechte oder einklagbare Ansprüche zustehen, so dass der Senat diese Frage offen lassen kann.

Gerade auch der Umstand, dass der Gesetzgeber das Vorkaufsrecht nicht erwähnt, spricht angesichts des von ihm verfolgten Ziels eher dafür, dass § 24 Abs. 1 BauGB den Erwerb nach § 2 MauerG aus seiner Sicht nicht erfasste. Soweit die Beteiligte zu 3. meint, das Vorkaufsrecht durch eine analoge Anwendung der Reglung von § 3 MauerG mit dem Mauergesetz "kompatibel" machen zu können, in dem sie die Verteilungsregel dieser Norm auf Vorkaufsfälle erstrecken will, kann ihr nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass völlig offen ist, wie sich dies in der Praxis verfahrensmäßig auswirken sollte, ist rechtsdogmatisch für eine analoge Anwendung stets Voraussetzung, dass eine planwidrige Regelungslücke festgestellt werden kann. Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist diese Feststellung aber gerade nicht möglich, so dass das von der Beteiligten zu 3. konstruierte Gesamtmodell nicht trägt.

Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen davon ausginge, der Beteiligten zu 3. stehe ein Vorkaufsrecht zu, hätte sie dieses nicht wirksam ausgeübt.

Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist ermessensfehlerhaft.

Bei der Entscheidung, ob das Vorkaufsrecht überhaupt ausgeübt wird, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss v. 26.04.1993, NVwZ 1994, 282, 284; Paetow, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: September 2007, § 28 Rn. 12). Die Gemeinde kann bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ihr Recht ausüben, sie ist aber dazu nicht verpflichtet (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 15. September 2007, § 24 Rn. 66, § 28 Rn. 23 und 29). Die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 BauGB kann daher nur Bestand haben, wenn die Behörde die erforderliche Abwägung öffentlicher Interessen und schutzwürdiger privater Belange vorgenommen und dabei die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles berücksichtigt hat. Daran fehlt es hier. Im Einzelnen:

Ein Ermessensfehler liegt u. a. dann vor, wenn die Behörde es von vornherein unterlässt, Ermessenserwägungen anzustellen, insbesondere sie sich des ihr eingeräumten Ermessens gar nicht bewusst gewesen ist und deshalb ihr Ermessen auch nicht ausgeübt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U. v. 28.02.1975, BVerwGE 48, 81, 84; U. v. 05.09.2006, NVwZ 2007, 270, 471). Dass die Beteiligte zu 3. die erforderlichen Ermessenserwägungen nicht angestellt hat, folgt aus folgenden Umständen:

Irgendwelche Ermessenserwägungen zu der Frage, ob das Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll, sind dem Bescheid vom 29.09.2006 nicht zu entnehmen, obwohl der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraussetzt, dass die Behörde offenbart, von welchem Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Diesem Zweck dient auch die in § 39 Abs. 1 VwVfG normierte Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten (vgl. BVerwG, U. v. 05.09.2006, NVwZ 2007, 470, 471 m.w.N.). Das Fehlen einer ausreichenden Begründung des Verwaltungsaktes stellt deshalb regelmäßig ein Indiz für eine fehlerhafte Ermessensausübung dar (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., 2007, Rn. 48). Für den Bereich der Vorkaufsrechte wird das allgemeine Begründungserfordernis durch § 24 Abs. 3 S. 2 BauGB ergänzt, wonach bei Ausübung des Vorkaufsrechts der Verwendungszweck anzugeben ist (vgl. Stock, a.a.O., § 24 Rn. 79; Roos in: Brügelmann-Kohlhammer - Kommentar zum BauGB, Stand 2007, § 24 Rn. 72).

In dem angefochtenen Bescheid wird unter Hinweis auf § 28 Abs. 3 i.V.m. §§ 24 und 25 BauGB indes lediglich ausgeführt, dass sich die Flurstücke im Geltungsbereich des zurzeit im Aufstellungsverfahren befindlichen Bebauungsplanes Nr. 8 "G...see" befänden. Für die betroffenen Flächen sei im Bebauungsplan eine Nutzung für öffentliche Zwecke (hier Verkehrsfläche besonderer Zweckbestimmung: Fußweg mit eingeschränktem Radverkehr sowie öffentliche Grünfläche) festgesetzt. Auf die ggf. zu berücksichtigenden Privatbelange der Parteien des Kaufvertrages und die Besonderheiten, die sich möglicherweise daraus ergeben, dass die Beteiligten zu 1 a) und 1 b) einen Erwerbsanspruch nach dem Mauergesetz von den ursprünglich Berechtigten abgetreten erhalten haben und sich das private Interesse an der Wiedergutmachung bereits früher gegenüber dem öffentlichen Interesse nach § 3 Abs. 1 S. 1 MauerG durchgesetzt hat, geht die Begründung nicht ansatzweise ein. Auch fehlen jegliche Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit. Wie jeder hoheitliche Grundrechtsangriff muss auch die Ausübung des Vorkaufsrechts dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (vgl. Stock, a.a.O., § 24 Rn. 65 a; Roos, a.a.O., § 24 Rn. 41). Diesem Gesichtspunkt kommt gerade in den Fällen des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB besondere Bedeutung zu, da die Ausübung des Vorkaufsrechts zwingend zur Anwendung des § 28 Abs. 4 BauGB und damit zur Ersetzung des zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Kaufpreises durch den Entschädigungswert führt. Gerade weil die Festsetzung des Entschädigungswertes nach § 28 Abs. 4 BauGB - worauf die Beteiligte zu 3. im Berufungsverfahren zu Recht hinweist - eine gebundene Entscheidung ist (vgl. etwa auch Stock, a.a.O., § 28 Rn. 29) und für eine "Feinsteuerung" in diesem Verfahrensstadium mithin kein Spielraum mehr besteht, muss die Gemeinde die wirtschaftlichen Belange der Käufer nach dem Mauergesetz bereits in ihre Ermessensentscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts einstellen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wäre etwa auch zu erörtern gewesen, ob der Erwerb des Volleigentums von dem Grundstück zur Verwirklichung der Festsetzungen des Bebauungsplans überhaupt erforderlich ist oder stattdessen auch die Einräumung von Dienstbarkeiten in Betracht kommt.

Schließlich finden sich in dem Bescheid vom 29.09.2006 auch zu der Frage, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (§ 24 Abs. 3 S. 2 BauGB), keine näheren Ausführungen. Zwar hat der Gesetzgeber in § 24 Abs. 1 BauGB selbst festgelegt, welche städtebaulichen Aufgaben das Gewicht haben sollen, im Einzelfall das Wohl der Allgemeinheit i.S.d. § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB auszumachen. Ob sich das Wohl der Allgemeinheit im Einzelfall gegen die durch Art. 2 GG geschützte Vertragsfreiheit durchsetzen kann, ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, da die Regelung des § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB anderenfalls keinen Sinn hätte. Da mit den Festsetzungen im Bebauungsplan für die einzelnen vom Plan erfassten Grundstücke nur die zulässige Nutzungsart bestimmt ist, muss die danach im Einzelfall anzustellende Prüfung, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist, sowohl das öffentliche Interesse an einer Verwirklichung des Bebauungsplans als auch die privaten Eigentümerinteressen in den Blick nehmen bzw. die Interessen der nach dem Mauergesetz Berechtigten in den Blick nehmen. Dem steht nicht entgegen, dass diese Interessen möglicherweise bereits Gegenstand des Bebauungsplanverfahrens und der bauleitplanerischen Abwägung waren. Der erneuten Ermittlung und Gewichtung der Eigentümerinteressen im Rahmen der nach § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB erforderlichen Abwägung kommt insbesondere auch deshalb erhebliche Bedeutung zu, weil nicht - wie im Enteignungsverfahren - eine von der Gemeinde getrennte Enteignungsbehörde nach Durchführung eines förmlichen Verfahrens (vgl. §§ 104 ff BauGB), obligatorischer Einholung eines Gutachtens des Gutachterausschusses (§ 107 Abs. 1 S. 4 BauGB) und gegebenenfalls aufgrund einer mündlichen Verhandlung (§§ 108, 112 Abs. 1 BauGB) über den Entzug des Grundstückseigentums entscheidet, sondern die Gemeinde, die durch die Festsetzungen des Bebauungsplans den Enteignungszweck bestimmt hat, anschließend in einem gewöhnlichen Verwaltungsverfahren selbst auch über die Ausübung des Vorkaufsrechts entscheidet. Hierdurch wächst naturgemäß das Risiko, dass die im öffentlichen Interesse an einer Verwirklichung des Bebauungsplans entgegenstehenden privaten Interessen im obigen Sinne übersehen bzw. übergangen werden. Unabhängig von der Frage, ob § 24 Abs. 3 S. 2 BauGB nur den Charakter einer Ordnungsvorschrift hat, deren Verletzung auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides keine Auswirkungen hat, wenn die Ausübung des Vorkaufsrechts objektiv durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist, deutet das nahezu völlige Fehlen jeglicher Ausführungen zu der Frage, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts auch unter Berücksichtigung entgegenstehender privater Belange durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist, deshalb auf einen Ermessensnichtgebrauch hin.

Hinreichende Gründe dafür, dass das Ermessen der Beteiligten zu 3. bei der Ausübung des Vorkaufsrechts vorliegend ausnahmsweise "auf Null" reduziert gewesen sein könnte, bestehen nicht. Insbesondere war die Beteiligte zu 3. nicht etwa aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) gehalten, auch in diesem Fall das Vorkaufsrecht auszuüben, da eine entsprechende Verwaltungspraxis im Rahmen der Verwirklichung der Festsetzungen des im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts im Aufstellungsverfahren befindlichen Bebauungsplans Nr. 8 G...-See bislang nicht festzustellen ist.

Die aufgezeigten Ermessensfehler sind auch nicht durch ergänzende Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren geheilt worden.

Dabei kann dahinstehen, ob die Nachholung der erforderlichen Ermessenserwägungen in dem vorliegenden Verfahren überhaupt zulässig wäre, obwohl nach § 221 Abs. 1 S. 1 BauGB in Baulandsachen die Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden ist, die eine mit § 114 S. 2 VwGO vergleichbare Regelung, der zufolge die Behörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht kennt. Denn zum einen schafft § 114 S. 2 VwGO die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür, dass eine Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen erstmals ausübt (vgl. BVerwG, U. v. 05.09.2006, NVwZ 2007, 470, 471, m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., 2007, § 113 Rn. 72). Jedenfalls soweit der maßgebliche Ermessensfehler hier darin zu sehen ist, dass die Beteiligte zu 3. es von vornherein unterlassen hat, Ermessenserwägungen anzustellen, kommt eine "Ergänzung" der Ermessenerwägungen demnach nicht in Betracht. Im Übrigen können ihre schriftsätzlichen Ausführungen, auf die Bezug genommen wird, nicht als Nachholung von Ermessenserwägungen hinsichtlich der Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgelegt werden, da ihnen an keiner Stelle eine hinreichende Abwägung der geltend gemachten öffentlichen Interessen mit den privaten Eigentümer-/Berechtigteninteressen oder eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu entnehmen ist.

Eine Umdeutung des ermessensfehlerhaften Bescheides über die Ausübung des Vorkaufsrechts in einem anderen Verwaltungsakt, der auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und rechtmäßig hätte erlassen werden können und für dessen Erlass die Voraussetzungen erfüllt sind (§ 47 Abs. 1 VwVfG Brandenburg), kommt schon im Ansatz nicht in Betracht.

Nach alledem ergibt sich der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung des beantragten Negativzeugnisses aus § 28 Abs. 1 S. 3 BauGB, ohne dass es auf die weiteren zwischen den Beteiligten streitigen Fragen angekommen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 221 Abs. 1 S. 1 BauGB i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Revisionszulassungsgründe gem. § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO liegen nicht vor. Die Entscheidung des Senates beruht nicht auf der grundsätzlichen Frage, ob das gemeindliche Vorkaufsrecht in Fällen des Verkaufs von Mauergrundstücken ausgeschlossen ist. Vielmehr erweist sich - wie ausgeführt - die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts schon wegen des Ermessennichtgebrauchs als rechtsfehlerhaft. Die entscheidungserheblichen Fragen in diesem Zusammenhang sind durch die obergerichtliche Rechtsprechung geklärt. Der Senat folgt dieser Rechtsprechung.

Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 39.560,00 €

Ende der Entscheidung

Zurück