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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 27.10.2005
Aktenzeichen: 12 U 87/05
Rechtsgebiete: AUB 95


Vorschriften:

AUB 95 § 2
AUB 95 § 2 IV
AUB 95 § 11 IV
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

12 U 87/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Verkündet am 27.10.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pastewski sowie die Richter am Oberlandesgericht Beckmann und Clavée

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. April 2005 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam, Az.: 12 O 702/01, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten auf Gewährung von Versicherungsschutz aus einem Unfallversicherungsvertrag aufgrund eines Autounfalls vom 08.01.2000. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und hat gemeint, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin aufgrund des Unfalls noch an krankhaften organischen Störungen leide. Für etwaige psychische Erkrankungen habe die Beklagte aufgrund des Ausschlusstatbestandes des § 2 IV AUB 95, der gemäß der neueren BGH-Rechtsprechung wirksam sei, nicht einzustehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 15.04.2005 zugestellte Urteil mit einem am 26.04.2005 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Die Klägerin macht geltend, das Landgericht verkenne, dass gem. § 11 IV der AUB 95 für die Feststellung der dauernden Invalidität der Ablauf nach drei Jahren entscheidend sei, mithin der 07.01.2003, worauf die eingeholten Gutachten nicht abstellen würden. So basiere das Gutachten des Dr. M... auf einer Untersuchung am 09.07.2003 und das Gutachten der Dr. A... auf einer Untersuchung vom 21.05.2004, wobei sich dieses Gutachten nicht mit den organischen Vorbefunden als Ursache der nach Ablauf des 3-Jahres-Zeitraums bestehenden Invalidität auseinandersetze. Psychische Störungen seien nur dann vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn der Versicherer beweisen könne, dass psychisches Fehlverhalten zu krankhaften Störungen geführt habe. Soweit aber eine krankhafte Störung auf organischen Ursachen als Folgen des Unfalls beruhe (HWS-Distorsion, Bandscheibenvorfall, Nervenschädigung) greife die Klausel nicht.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr aus dem Unfallereignis vom 08.01.2000 zur Vers.-Nr.: 43/0769935/010 Versicherungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ihrer Auffassung nach könne die Berufung nur Erfolg haben, wenn durch den Unfall hervorgerufene organische Schädigungen zu einem psychischen Leiden geführt hätten, wovon vorliegend gerade nicht ausgegangen werden könne. Weder Herr Dr. M... noch Frau Dr. A... hätten eine organische Erkrankung des Nervensystems der Klägerin feststellen können. Entsprechendes ergebe sich auch aus der Stellungnahme der Neurologin P.... Maßgeblich sei der Gesundheitszustand, der am Ende der dreijährigen Frist des § 11 IV AUB 95 prognostiziert sei. Behalte sich, wie hier, keine der Parteien die Neubemessung vor, komme es für die Überprüfung der Erstentscheidung nur auf den Zeitpunkt dieser Entscheidung an.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klage ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch auf Versicherungsschutz aus dem Versicherungsvertrag für nicht gegeben erachtet. Nach § 1 I und III der Vertragsbestandteil gewordenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AUB 1995) besteht grundsätzlich Versicherungsschutz für einen Unfall, der vorliegt, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet, wobei bestimmte Gesundheitsbeschädigungen nach § 2 AUB 95 nicht unter den Versicherungsschutz fallen, so u. a. gem. § 2 IV krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig, wodurch diese verursacht sind. Die Klausel ist wirksam. Insoweit wird auf die in Anlehnung an die hierzu ergangene neuere Rechtsprechung des BGH (vgl. u.a. BGH VersR 2004, 1039 ff) erfolgten zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen, denen die Berufung nicht entgegengetreten ist. Soweit die Klägerin mit der Berufung geltend macht, die für das Vorliegen der Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes darlegungs- und beweispflichtige Beklagte habe den Beweis einer krankhaften Störung infolge psychischer Reaktionen nicht erbracht, greift dieser Einwand nicht. Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme leidet die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die, wie insbesondere die Sachverständige Dr. A... überzeugend dargestellt hat, eine psychische Störung als Reaktion auf den Unfall und nicht eine psychische Störung als Reaktion auf eine durch den Unfall erlittene physische Erkrankung darstellt. Typischerweise handelt es sich bei einer posttraumatischen Belastungsstörung um eine akute oder chronische psychische Störung nach einem extrem belastenden Ereignis, wie z. B. einem Unfall oder einer Katastrophe, die mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl.). Der posttraumatischen Belastungsstörung ist immanent, dass sie eine Folge des belastenden Ereignisses selbst ist, und grundsätzlich nicht eine Folge einer sich aus dem Unfall ergebenden organischen Erkrankung, wie z. B. die von der Klägerin angeführte HWS-Distorsion oder ein Bandscheibenvorfall. Anders als in der von der Klägerin angeführten Entscheidung des BGH in VersR 2004, 1449, 1450 (der diagnostizierte Tinnitus hatte eine organische, durch den Unfall hervorgerufene Ursache, da der Sachverständige eine knalltraumatische Schädigung der Haarzellen im Innenohr bejaht hatte, die zu Ohrgeräuschen führte) ergibt sich aus den hier vorliegenden Sachverständigengutachten gerade nicht, dass die posttraumatische Belastungsstörung eine organische Ursache hat, und zwar noch nicht einmal aus den von der Klägerin vorgelegten Gutachten des Dr. G..., der insbesondere in seinem im Auftrag des Sozialgerichts Berlin erstellten Gutachten vom 16.02.2004 näher dazu Stellung genommen hat, inwieweit er vom Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgeht. Diesen Ausführungen hat sich die Sachverständige Dr. A... ausdrücklich angeschlossen. Dr. G... hält zwar ein gravierendes Schleudertrauma für möglich, welches häufig mit einer "commotio cerebri" einhergehe und meint, es sei bemerkenswert, dass ein Teil der heutigen Beschwerden typisch seien für das post-commotionelle Syndrom. Er führt aber auch aus, dass die Möglichkeit eines post-commotionellen Syndroms nicht als eigenständige Erkrankung weiter berücksichtigt worden ist, da die Beschwerden eines solchen Syndroms klinisch nicht grundsätzlich und eindeutig von den vegetativen Beschwerden der posttraumatischen Belastungsstörung unterschieden werden können. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine von der Klägerin erlittene HWS-Distorsion als organische Erkrankung eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst hat, zumal auch der Sachverständige Dr. M... in seinem Gutachten vom 23.07.2003 ausgeführt hat, dass die dadurch ausgelöste Schmerzsymptomatik nach allgemeiner medizinischer Erfahrung und allgemein üblicher gutachterlicher Bewertung innerhalb von vier bis sechs Wochen vollständig abklingt. Dies entspricht auch der Bewertung anderer Gutachten, die der Senat im Rahmen seiner Zuständigkeit für Verkehrsunfallsachen in anderen Verfahren eingeholt hat. Überdies kommt der Sachverständige Dr. M... zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin keine organischen Ursachen für die von ihr angegebenen Kopfschmerzen vorliegen. Mit der Berufung hat die Klägerin keine Gesichtspunkte angeführt, die die überzeugenden Feststellungen der Gutachter in Frage stellen könnten, weshalb frei von vernünftigen Zweifeln davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes des § 2 IV AUB 95 vorliegen, und zwar unabhängig davon, dass sich die gerichtlichen Gutachten auf Untersuchungen beziehen, die nach dem Ablauf der 3-Jahres-Frist des § 11 IV AUB 95 durchgeführt wurden. Zu Unrecht leitet die Klägerin mit der Berufung aus diesem Umstand ab, dass die Gutachten in ihrer bisherigen Form keine geeignete Entscheidungsgrundlage darstellen. Richtig ist, dass bei einer nach Ablauf der Frist durchgeführten Untersuchung die Invalidität nicht aufgrund von Tatsachen beurteilt werden kann, die später als drei Jahre nach dem Unfall erkennbar wurden (vgl. Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 27. Aufl., § 11 AUB 94, Rn. 10 m.w.N.). Die Gutachten berücksichtigen keine entscheidenden, erst nach Ablauf der 3-Jahres-Frist erkennbar gewordenen Tatsachen. Soweit in den Gutachten hinsichtlich der Kopfschmerzen noch auf einen Zeitraum von inzwischen vier Jahren abgestellt wird, kam es für die zu treffenden Diagnosen hierauf nicht entscheidend an; insbesondere ist nicht erkennbar, dass sich bei Zugrundelegung des 3-Jahres-Zeitraumes die Situation grundlegend anders darstellen würde. Soweit die Klägerin geltend macht, die Gutachterin Dr. A... erwähne mit keinem Satz, dass die vorher festgestellten organischen Beschwerden Invalidität nach Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall ausgelöst haben können, handelt es sich hinsichtlich letzterem um eine nicht durch Tatsachen unterlegte Mutmaßung, die in den vorliegenden Gutachten keine Stütze findet.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 S. 1, 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, die auch nicht von höchst- oder obergerichtlicher Rechtsprechung abweicht.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 27.814,28 €

Der Senat schließt sich insoweit der Streitwertfestsetzung des Landgerichts an.

Ende der Entscheidung

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