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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.07.2008
Aktenzeichen: 12 W 15/08
Rechtsgebiete: ZPO, GKG


Vorschriften:

ZPO § 3
ZPO § 406 Abs. 1
ZPO § 406 Abs. 2
ZPO § 406 Abs. 5
ZPO § 411 Abs. 4
ZPO § 411 Abs. 2
ZPO § 567 Abs. 1
ZPO § 569 Abs. 1
ZPO § 574 Abs. 2
GKG § 48 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

12 W 15/08 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Richter am Oberlandesgericht van den Bosch als Einzelrichter am 16. Juli 2008

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) - Einzelrichter - vom 6. März 2008, Az.: 11 O 187/06, wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 8.156,91 €

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 80.000,00 € sowie auf Erstattung von Beerdigungskosten und vorgerichtlicher Kosten der Rechtsverfolgung wegen einer seiner Ansicht nach fehlerhaft durchgeführten Behandlung seiner verstorbenen Ehefrau im Rahmen ihres stationären Aufenthaltes in der Klinik des Beklagten zu 2. im Zeitraum vom 14.05. bis 07.06.2005 in Anspruch. Der Kläger beanstandet insbesondere, im Rahmen der Behandlung beim Beklagten zu 2. sei das chronische Leber-Nieren-Versagen seiner verstorbenen Ehefrau fehlerhaft weder diagnostiziert noch ausreichend behandelt worden, auch beruhten die Druckgeschwüre im Bereich des Gesäßes und der linken Ferse auf einer unzureichenden Dekubitus-Prophylaxe und Dekubitus-Behandlung im Rahmen der stationären Behandlung.

Auf Grundlage des landgerichtlichen Beschlusses vom 02.03.2007 hat der Sachverständige Dr. med. J... B... ein Gutachten über die nach Behauptung des Klägers vorliegenden Behandlungsfehler erstellt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beweisbeschluss (Bl. 137 ff d. A.) Bezug genommen. Sein Gutachten vom 13.12.2007 hat der Sachverständige im Hinblick auf die vom Kläger im Schriftsatz vom 11.01.2008 aufgeworfenen Fragen mit einem weiteren Gutachten vom 07.02.2008 ergänzt.

Das Landgericht hat den Parteien Gelegenheit gegeben, zum Ergänzungsgutachten bis zum 07.03.2008 Stellung zu nehmen.

Mit am 03.03.2008 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er ist der Ansicht, der Sachverständige gehe auch nach Nachfrage von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Hierdurch entstehe der Eindruck, der Sachverständige sei nicht unparteiisch. So führe der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten an, die Patientin sei bereits vom ersten Tag des stationären Aufenthaltes an auf einer Antidekubitusmatratze gelagert worden, an anderer Stelle gebe er jedoch an, dass nach der Pflegedokumentation erst ab dem 16.05.2005 eine Antidekubitusmatratze verwendet worden sei. Zudem habe er - der Kläger - die Verwendung einer solchen Matratze bestritten. Fehlerhaft und im Widerspruch zu seinen Ausführungen im Ausgangsgutachten stünden auch die Feststellungen des Sachverständigen im Ergänzungsgutachten, bei der Patientin habe bereits am Tage der Aufnahme ein Dekubitus II. bis III. Grades vorgelegen. Der Sachverständige verkenne insbesondere, dass die Angaben in der Pflegedokumentation sich auf eine durch eine Wärmeflasche verursachte Brandstelle bezögen. Weiter rügt der Kläger, der Sachverständige habe nicht alle von ihm aufgeworfene Fragen hinreichend beantwortet. Gerade hinsichtlich der Dokumentationspflichten der Beklagten beschränke sich der Gutachter auf die Behauptung, diese sei hinreichend erfolgt. Der Sachverständige suche zudem die Verantwortung für den aufgetretenen Dekubitus sofort bei der Patientin ohne die Maßnahme der Beklagten zu hinterfragen.

Mit Beschluss vom 06.03.2008 hat das Landgericht den Befangenheitsantrag des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Antrag sei unbegründet. Dem Sachverständigen seien allenfalls sachliche Unrichtigkeiten bzw. Widersprüche in seinen Gutachten vorzuwerfen, eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigten die vom Kläger aufgezeigten Punkte jedoch nicht. Gleiches gelte für eine gegebenenfalls noch nicht hinreichende Beantwortung der Frage zu den Dokumentationspflichten.

Der Kläger hat gegen den ihm am 10.03.2008 zugestellten Beschluss mit am 17.03.2008 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Er bezieht sich auf seinen bisherigen Vortrag und vertieft diesen. Bei den fehlerhaften Annahmen des Sachverständigen, eine Antidekubitusmatratze sei bereits bei Beginn der Behandlung im Hause des Beklagten zu 2. eingesetzt worden, auch habe bereits zu diesem Zeitpunkt ein Dekubitus II. oder III. Grades vorgelegen, handele es sich nicht um einfache Unrichtigkeiten. Es komme vielmehr hierin sowie in der Ansicht des Sachverständigen, die Dokumentation der Behandlung sei hinreichend, ein "feindlicher Wille" des Sachverständigen zum Ausdruck.

Das Landgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 18.03.2008 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Der vom Landgericht zurückgewiesene Ablehnungsantrag des Klägers gem. § 406 Abs. 1 ZPO ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat seinen Ablehnungsantrag rechtzeitig im Sinne von § 406 Abs. 2 ZPO gestellt. Wird der Ablehnungsgrund aus dem Inhalt des Gutachtens hergeleitet, so ist für einen zulässigen Ablehnungsantrag erforderlich, dass dieser unverzüglich nach Kenntnis des Ablehnungsgrundes gestellt wird (BGH NJW 2005, S. 1869; OLG Nürnberg VersR 2001, S. 391; Zöller-Greger, ZPO, Kommentar, 26. Aufl., § 406 Rn. 11). Dabei ist dem Antragsteller eine angemessene Prüfungs- und Überlegungszeit zuzubilligen, die jedenfalls dann nicht vor einer gerichtlich gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO abläuft, wenn sich die Partei zur Begründung ihres Antrages mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen muss (BGH a. a. O., in Entscheidung der diesbezüglichen bislang bestehenden obergerichtlichen Streitfrage; OLG Düsseldorf OLGR 2001, S. 469; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 406 Rn. 7, a. A. Zöller-Greger, a. a. O.). Der Partei muss eine angemessene Zeit zur Überlegung und zur Einholung von rechtlichem Rat zur Verfügung stehen, um sich mit dem Gutachten insgesamt auseinanderzusetzen; demgegenüber kann eine Vorprüfung des Gutachtens dahingehend, ob die Ausführungen Anlass für eine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen geben, nicht verlangt werden und ist auch aus prozessökonomischen Gründen nicht veranlasst, da vom Gericht prozessleitende Maßnahmen ohnehin erst getroffen werden können, wenn die Stellungnahmefrist des § 411 Abs. 2 ZPO abgelaufen ist (BGH, a. a. O.). Die Einreichung des Ablehnungsantrages durch den Kläger innerhalb der vom Landgericht gesetzten Frist zur Stellungnahme auf das Gutachten war mithin ausreichend im Sinne von § 406 Abs. 2 ZPO.

Entgegen der Ansicht des Klägers liegen keine Gründe vor, die geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Für die Besorgnis der Befangenheit genügt jede Tatsache, die ein auch nur subjektives Misstrauen einer Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen kann (BGH NJW 1975, S. 1363; NJW-RR 1987, S. 893). Dies kann der Fall sein, wenn Umstände vorliegen, die aus der Sicht einer vernünftigen, nüchtern denkenden Partei die Befürchtung rechtfertigen, der Sachverständige habe sich einseitig festgelegt und glaube den Angaben der einen Partei mehr als den Angaben der anderen bzw. halte eine streitige Behauptung zulasten einer Partei für bewiesen (OLG München NJW 1992, S. 1569; OLG Nürnberg VersR 2001, a. a. O.). Gleiches kann gelten, wenn der Sachverständige Beweisthemen umformuliert oder substantiierten Vortrag einer Partei gänzlich unberücksichtigt lässt (OLG Bamberg MedR 1993, S. 351). Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeiten rechtfertigen für sich allein genommen hingegen nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit, insoweit ist vielmehr der sachliche Gehalt des Gutachtens und dessen Verwertbarkeit betroffen (BGH NJW 2005, a. a. O.; Zöller-Greger, a. a. O., Rn. 9; Jessnitzer/Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 11. Aufl., Rn. 166). Auch das Ausgehen von falschen Grundlagen und/oder die Verkennung des Umfangs des Beweisthemas führen erst dann zu einer Besorgnis der Befangenheit, wenn dieser Irrtum so schwerwiegend ist, dass er als Anlass für eine vorhandene Voreingenommenheit angesehen werden muss (Jessnitzer/Ulrich, a. a. O., Rn. 158).

Die vom Kläger aufgezeigten Punkte rechtfertigen eine solche Annahme nicht. Zwar trifft die Ansicht des Klägers zu, dass das Ergänzungsgutachten im Hinblick auf die Ausführungen des Sachverständigen zum Zeitpunkt des Einsatzes einer Antidekubitusmatratze nicht widerspruchsfrei ist. Der Sachverständige hat jedoch auf die konkrete Nachfrage des Klägers unter Verweis auf den ausdrücklichen Vermerk in den Unterlagen des Beklagten zu 2. ausgeführt, dass die Patientin am 16.05.2005 eine Antidekubitusmatratze erhalten hat. Dass der Sachverständige sich insoweit in seinem Ausgangsgutachten geirrt hat, indem er vom Einsatz einer Antidekubitusmatratze schon zu Beginn der Behandlung im Hause der Beklagten zu 2. ausgegangen ist und diesen Irrtum an anderer Stelle seines Ergänzungsgutachtens noch nicht korrigiert hat, gibt sicherlich Anlass für eine weitere Aufklärung - gegebenenfalls durch Anhörung des Sachverständigen - vermag jedoch Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen nicht zu begründen, zumal in der bei den Behandlungsunterlagen befindlichen tabellarischen Dokumentation schon ab dem 14.05.2005 eine Lagerung nach Standard und die Verwendung einer "AD-Matratze (grün)" verzeichnet ist. Der Sachverständige hat auch nicht einseitig den Vortrag des Klägers zum Fehlen einer Antidekubitusmatratze übergangen. Er bringt vielmehr in beiden Gutachten deutlich zum Ausdruck, dass er die Richtigkeit der dokumentierten Angaben voraussetzt und auf dieser Grundlage sein Gutachten erstellt. Es ist Sache des Gerichtes, dem Sachverständigen abweichende Anknüpfungspunkte vorzugeben, wenn es die Dokumentation für fehlerhaft hält.

Nicht zutreffend ist die Auffassung des Klägers, aus den Ausführungen des Sachverständigen im Ergänzungsgutachten, schon bei Aufnahme der Ehefrau des Klägers in die stationäre Behandlung habe ein Dekubitus II. oder III. Grades vorgelegen, folge eine Besorgnis der Voreingenommenheit. Der Sachverständige hat ausführlich dargelegt, dass er insoweit an seinen Feststellungen im Ausgangsgutachten nicht mehr festhält und sich auf den Vermerk des Pflegepersonals anstatt auf die Bewertung des aufnehmenden Arztes stützt. Dieser Vermerk bezieht sich auch ausdrücklich auf offene Stellen im Rücken- und Gesäßbereich der Patientin, während die Brandverletzung im Lendenbereich gesondert aufgeführt ist.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht die nach Ansicht des Klägers nicht hinreichende Beantwortung der Frage nach dem Umfang der Dokumentationspflichten des Beklagten zu 2.. Der Sachverständige hat sich mit der entsprechenden Nachfrage des Klägers auseinandergesetzt und in seinem Ergänzungsgutachten zum Ausdruck gebracht, dass er sowohl die Häufigkeit der seitens der Beschäftigten des Beklagten zu 2. gefertigten Vermerke als auch die inhaltlichen Angaben für hinreichend hält. Der Sachverständige hat sich weitergehend mit dem Erfordernis einer zusätzlichen Fotodokumentation auseinandergesetzt und diese verneint. Soweit der Kläger - wie sich aus der Beschwerdeschrift im Hinblick auf die gerügte Lückenhaftigkeit der Dokumentation ergibt (auch der Sachverständige hat in seinem Ausgangsgutachten lediglich die weitgehende Lückenlosigkeit der Dokumentation festgestellt) -eine weitere Erläuterung für erforderlich hält, wird dem jedenfalls in Form der Anhörung des Sachverständigen nachzugehen sein. Anlass für die Besorgnis einer Voreingenommenheit des Sachverständigen besteht unter diesem Gesichtspunkt jedoch nicht.

Der Senat vermag auch nicht der Auffassung des Klägers folgen, der Sachverständige suche die Schuld für die Dekubitusproblematik einseitig bei der Patientin. Der Sachverständige hat vielmehr wertfrei die dokumentierten Probleme der Beschäftigten des Beklagten zu 2. bei der Lagerung der Patientin aufgegriffen und mit Hinblick auf die schwere Erkrankung und insbesondere mit dem einer Bauchlage entgegenstehenden großflächigen floriden Erysipel an Bauch und Brust erklärt. Schließlich ist es notwendige Folge der Verneinung eines ärztlichen Behandlungsfehlers, dass die Beschwerden der Patientin und deren Tod dann auf andere Ursachen zurückzuführen sind, die niemandem vorzuwerfen sind. Eine Besorgnis der Befangenheit lässt sich hieraus nicht ableiten.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil sich die Inanspruchnahme des Klägers für die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens bereits aus Nr. 1812 der Anlage 1 zum GKG ergibt und das erstinstanzliche Verfahren gerichtsgebührenfrei ist. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, da es sich bei dem Verfahren betreffend eine Richter- oder Sachverständigenablehnung nicht um ein kontradiktorisches Verfahren handelt (vgl. Beschluss des Senates vom 30.04.2002, veröffentlicht in OLG-NL 2002, S. 181; OLG Köln OLGR 1996, S. 256; OLG München MDR 1994, S. 627; OLG Düsseldorf OLGR 1993, S. 63; OLG Frankfurt NJW-RR 1992, S. 510; OLG Hamm MDR 1989, S. 917; a. A. OLG Koblenz MDR 1992, S. 310; OLG Hamm JurBüro 1987, S. 1088; OLG Nürnberg MDR 1980, S. 1026). Anders kann zu verfahren sein, wenn der Antragsgegner zur Stellungnahme im Beschwerdeverfahren aufgefordert wird oder sich von sich aus aktiv am Beschwerdeverfahren beteiligt. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO. Nach der Rechtsprechung des Senates (vgl. OLG-NL, a. a. O.) bemisst sich der Wert für das Beschwerdeverfahren in Bezug auf eine Sachverständigenablehnung mit einem Bruchteil von 1/10 des Wertes des Hauptsacheverfahrens.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 574 Abs. 2 ZPO genannten Gründe gegeben ist. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

Ende der Entscheidung

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