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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 12.03.2003
Aktenzeichen: 13 W 1/03
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 91 a
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 269
ZPO § 269 Abs. 3
ZPO § 269 Abs. 3 Satz 3
ZPO § 269 Abs. 5
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 569
BGB § 121
BGB § 121 Abs. 1
BGB § 266
BGB § 367 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluß

13 W 1/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...

am 12. März 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 26. November 2002 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Tenor:

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Kläger zu 30 % und der Beklagte zu 70 %.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Kläger verlangten vom Beklagten die Zahlung einer Maklerprovision gemäß Rechnung vom 14. März 2001 über 19.488,00 DM, was 9.964,06 Euro entspricht.

Nach mehreren Mahnungen erhielten sie zwei Teilzahlungen von 1.948,80 DM und 1.356,02 Euro, insgesamt also 2.352,43 Euro.

Am 28. Januar 2002 ging ihre Klage über den verbleibenden Provisionsbetrag von 7.611,63 Euro bei Gericht ein. Zugestellt wurde die Klageschrift erst vier Monate später, nämlich am 29. Mai 2002. Während dieses Zeitraumes erhielten die Kläger drei weitere Teilzahlungen, und zwar

1.500,00 Euro am 12. Februar,

2.500,00 Euro am z. April und

1.500,00 Euro am 13. Mai 2002.

Insoweit haben die Kläger ihre Klage (teilweise) zurückgenommen: Wegen der Zahlung vom 12. Februar wurde die Klage bereits mit Schriftsatz vom 19. Februar 2002 um 1.500,00 Euro (also auf 6.111,63 Euro) ermäßigt; der Schriftsatz ist zusammen mit der Klageschrift zugestellt worden. Im Juni 2002 rügte der Beklagte in seiner Klageerwiderung u. a., daß die Kläger die genannten Beträge bereits erhalten hatten. Dies nahmen die Kläger zum Anlaß, ihre Klage nunmehr auch wegen der im April und Mai an sie gezahlten Beträge zurückzunehmen, und zwar mit Schriftsatz vom 11. Juli 2002, der am 17. Juli 2002 bei Gericht einging. Die verbleibende Hauptforderung von 2.111,63 Euro glich der Beklagte durch zwei Zahlungen aus, die nach Zustellung der Klage erfolgten. Er zahlte außerdem einen Zinsbetrag von 775,44 Euro. Insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Der Einzelrichter des Landgerichts hat mit Beschluß vom 26. November 2002 die Kosten des Rechtsstreits insgesamt dem Beklagten auferlegt: Hinsichtlich der Zahlungen, die nach Rechtshängigkeit erfolgten, hat er unter Verweis auf § 91 a ZPO ausgeführt, daß die Klage begründet gewesen sei. Im übrigen, also wegen des zurückgenommenen Teils der Klage, hat er den Klägern die in § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO vorgesehene Rechtswohltat zukommen lassen und ausgeführt, im Hinblick auf den Prüfungsaufwand des Gläubigers bei nicht vereinbarten Ratenzahlungen zu beliebigen Zeitpunkten und in beliebiger Höhe sei die Klagrücknahme hier immer noch "unverzüglich" erfolgt.

Gegen diesen ihm am 28. November 2002 zugestellten Beschluß hat der Beklagte am 9. Dezember 2002 die sofortige Beschwerde eingelegt.

Der Beklagte beanstandet, daß das Landgericht den in § 269 Abs. 3 ZPO verwendeten Begriff der unverzüglichen Klagrücknahme zu seinen Lasten zu großzügig ausgelegt habe. Richtigerweise müsse die Klägerin die Kosten tragen, soweit sie die Klage zurückgenommen hat, also zu 72 %.

II.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist gemäß den §§ 269 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO zulässig. Der an sich zuständige Einzelrichter des Senats hat das Verfahren mit Be, Schluß vom 12. Februar 2003 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache dem Kollegium übertragen (§ 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO).

Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg. Hinsichtlich der beiden Zahlungen, welche die Kläger am 2. April und 13. Mai 2002 erhielten, haben sie die Klage nicht "unverzüglich" im Sinne des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO zurückgenommen, müssen also in Höhe des entsprechenden Anteils die Kosten tragen. Das führt dazu, daß die Kosten gegeneinander aufgehoben werden.

1. Die Kostenentscheidung des Landgerichts beruht auf zwei Komponenten. Hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klagforderung auf § 269 Abs. 3 ZPO und im übrigen auf § 91 a ZPO. Angefochten ist der Beschluß nur im erstgenannten Punkte; daß die Klagforderung geschuldet wurde, stellt der Beklagte nicht mehr in Abrede.

2. Das bisherige Recht sah in § 269 Abs. 3 ZPO - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - grundsätzlich vor, daß der Kläger nach Rücknahme der Klage die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses aus dem Jahre 2001 ist eine weitere Ausnahme von diesem - an sich weiterhin geltenden - Grundsatz gemacht worden: Ist der Anlaß zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit (also vor Zustellung der Klageschrift, § 253 Abs. 1 ZPO) weggefallen und wird die Klage daraufhin unverzüglich zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (also wie im Falle des § 91 a ZPO). Es ging dem Gesetzgeber darum, für diese - nicht seltenen - Fälle eine praktikable Lösung vorzusehen, denn falls sich der Beklagte einer Erledigungserklärung nicht an, schloß, war es für den Kläger nur unter Schwierigkeiten möglich, die entstandenen Rechtsverfolgungskosten erstattet zu bekommen (vgl. dazu: Ulrich NJW 1994, 2793). Entsprechende Reformvorschläge aus früheren Jahren wurden so aufgegriffen und umgesetzt.

Hinsichtlich der Teilzahlungen, die der Beklagte in dem Zeitraum zwischen Einreichung und Zustellung der Klageschrift geleistet hat, ist der Anlaß für die Klage entfallen und selbige wurde auch zurückgenommen. Die Frage ist nur, ob letzteres "unverzüglich" geschah.

Der Begriff "unverzüglich" wird in § 121 Abs. 1 BGB definiert und bedeutet "ohne schuldhaftes Zögern". Da man weder dem Wortlaut des § 269 ZPO noch den Gesetzesmaterialien etwas anderes entnehmen kann, ist dieser Begriff auch hier mit jener Bedeutung anzuwenden. Davon gehen denn auch die Kommentare zur ZPO übereinstimmend aus. "Unverzüglich" ist demnach nicht gleichbedeutend mit "sofort"; eine angemessene Überlegungs- und Prüfungsfrist ist einzuräumen. Wenngleich § 121 Abs. 1 BGB keine feste Zeitspanne vorschreibt und somit Raum läßt, die Verhältnisse im Einzelfall gehörig zu berücksichtigen, gibt es die Tendenz, eine zeitliche Obergrenze von zwei Wochen anzunehmen (Palandt/Heinrichs, BGB 62. Aufl., § 121 Rdnr. 3).

In welchem Zeitpunkt die Frist beginnen soll, ist zuerst zu erörtern. Der § 121 BGB, welcher sich mit der Anfechtung von Willenserklärungen wegen Irrtums und wegen falscher Übermittlung befaßt, stellt auf den Zeitpunkt ab, in dem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt. In § 269 Abs. 3 ZPO wird auf den Wegfall des Anlasses zur Klage abgestellt. Das könnte man so verstehen, daß es bei Zahlungen des Schuldners allein auf deren Eingang beim Gläubiger ankomme, namentlich bei Überweisungen nur auf die Kontogutschrift, und zwar unabhängig davon, wann der Gläubiger hiervon Kenntnis erlangte. Eine solche Auslegung wäre aber nicht sachgerecht. Denn schuldhaftes Zögern kann man dem Kläger nur vorwerfen, wenn er erst einmal weiß, daß ein Zahlungseingang vorliegt. Die Frist für die unverzügliche Rücknahme der Klage beginnt also, wenn der Anlaß zur Klageerhebung objektiv entfallen ist und der Kläger hiervon Kenntnis erlangt hat.

Danach ist dem Kläger eine angemessene Frist für eine zügige Prüfung zuzubilligen. Im Falle von nicht verabredeten Teilzahlungen - wie hier - muß der Gläubiger prüfen dürfen, ob er diese unter Verweis auf § 266 BGB ablehnen will. Auch der Zeitaufwand, der infolge unzureichender oder unklarer Angaben des Schuldners, etwa auf dem Überweisungsträger oder dem Scheck, entsteht, kann dem Gläubiger nicht angelastet werden. Hat er vom Schuldner einen Scheck erhalten und ihn bei seiner Bank zum Einzug eingereicht, so darf der Gläubiger abwarten, ob der Scheck nach vorläufiger Gutschrift ("Eingang vorbehalten") auch tatsächlich eingelöst wird. Wird der Gläubiger anwaltlich vertreten, wie es in der Praxis die Regel ist, kann auch der hierdurch erforderte Zeitaufwand für die Informationsübermittlung und Abstimmung mit seinem Prozeßbevollmächtigten nicht zu seinen Lasten gehen. Auf solche Faktoren, wie sie hier nur beispielhaft aufgeführt sind, ist Bedacht zu nehmen, ohne allerdings aus dem Blick zu verlieren, daß dem Kläger eine beschleunigte Prüfung obliegt, wenn er die Rechtswohltat einer kostenmäßig "privilegierten" Klagrücknahme für sich in Anspruch nehmen will.

Nach alledem ist im Streitfall zu differenzieren: Die erste Zahlung, die nach Einreichung, aber vor Zustellung der Klage erfolgte, diejenige vom 12. Februar nämlich, haben die Kläger binnen einer Woche zum Anlaß genommen, ihre Klage dementsprechend zu ermäßigen. Das war "unverzüglich". Anders liegt es bei den beiden weiteren Zahlungen vom 2. April und vom 13. Mai über insgesamt 4.000,00 Euro. Insoweit ist die Klagerücknahme erst Mitte Juli erklärt worden, also im ersten Fall über drei Monate, im ändern Fall zwei Monate später. Ein nachvollziehbarer Grund für diese beträchtliche Verzögerung ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Auch die Prüfung, wie die Teilzahlungen gemäß § 367 Abs. 1 BGB auf Haupt- und Nebenforderungen anzurechnen seien, war hier unschwer möglich und kann - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - dieses lange Zuwarten nicht rechtfertigen. Insoweit war die Klagerücknahme nicht mehr "unverzüglich", was zur Folge hat, daß die Kläger für diesen Teil die Kosten zu tragen haben (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

Nur auf die Hauptforderung von 7.611,63 Euro bezogen, würden die beiden Zahlbeträge aus den Monaten April und Mai mit insgesamt 4.000,00 Euro einem Anteil von 53 % entsprechen. Im Hinblick auf die außerdem geschuldeten Zinsen entspricht es der Billigkeit, diese Quote zugunsten der Kläger zu korrigieren und die Kosten gegeneinander aufzuheben.

3. Die Entscheidung über die Kosten der Beschwerde beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit hat (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002, V ZB 16/02, NJW 2002, 3029; Beschluß vom 1. Oktober 2002, XI ZR 71/02; Beschluß vom 19. Dezember 2002, VII ZR 101/02). Das ist bei der Frage, wie der Begriff "unverzüglich" in § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auszulegen ist, der Fall, weil es hierzu - soweit ersichtlich - noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt.

Beschwerdewert: bis 900,00 Euro.

Ende der Entscheidung

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