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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 14.01.2009
Aktenzeichen: 13 WF 128/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2
BGB §§ 1601 ff.
BGB § 1603 Abs. 1
BGB § 1603 Abs. 2
BGB § 1603 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 15. Oktober 2008 wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 17. September 2008 aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, erneut über den Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten zu befinden.

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 ZPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache insoweit Erfolg, als der angefochtene Beschluss aufzuheben war und das Amtsgericht anzuweisen ist, erneut über die von der Beklagten begehrte Prozesskostenhilfe unter Berücksichtigung der nachfolgenden Ausführungen zu befinden.

Dabei ist es nicht zweifelhaft, dass den minderjährigen Kindern gegenüber der Beklagten Unterhaltsansprüche grundsätzlich aus §§ 1601 ff. BGB zustehen, denn an der Bedürftigkeit der betroffenen Kinder bestehen keine Bedenken. Ebenso ist das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass dem Verpflichteten insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, wenn er sich gegenüber dem geltend gemachten Mindestunterhalt auf seine Leistungsunfähigkeit berufen will.

Das Amtsgericht hat aber zum einen verkannt, dass die Beklagte Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz durchaus dargelegt hat und zum anderen selbst wenn die Beklagte ihrer Erwerbsobliegenheit nicht durch hinreichende Bemühungen um Aufnahme einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgekommen ist, wird das Amtsgericht erneut zu prüfen haben, in welchem Umfang ihr unter Berücksichtigung ihrer Erwerbsbiographie Einkünfte aus einer Vollzeitbeschäftigung fiktiv zugerechnet werden können.

Nach § 1603 Abs. 1 BGB entfällt die Verpflichtung zur Zahlung des Verwandtenunterhalts, wenn und soweit der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, den Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren. Dabei trifft die Eltern minderjähriger oder privilegierter volljähriger Kinder allerdings eine gesteigerte Unterhaltspflicht, da sie nach § 1603 Abs. 2 BGB verpflichtet sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Hieraus sowie aus Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Daher ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nicht nur die tatsächlichen, sondern auch die fiktiv erzielbaren Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte. Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs bleibt allerdings die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Überschreitet der ausgeurteilte Unterhalt die Grenze des Zumutbaren, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz nicht bestehen (BVerfG FamRZ 2007, 273 ff.; BVerfG FamRZ 2008, 1145).

Die Beklagte, die nach ihrem Vortrag insbesondere auch nach dem ihren Bewerbungen beigefügten Lebenslauf eine Ausbildung zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk, Fachrichtung Fleisch/Wurst, durchlaufen hat, hat nur kurz in dem von ihr erlernten Beruf gearbeitet und zwar im Mai/Juni 2000 und arbeitet seit Juli 2000 im Rotationssystem bei der Firma M.. Bei der seit acht Jahren ausgeübten Tätigkeit, die sie offensichtlich aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses mit ihrem Ehemann und Vater ihrer minderjährigen Kinder aufgenommen hat, handelte es sich stets um eine nur teilzeitige Tätigkeit. Nach den eingereichten Verdienstbescheinigungen erzielt die Beklagte für eine ca. 100 Stunden im Monat betragende Tätigkeit ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 719,16 €. Aber auch soweit ihr zumutbar ist, neben dieser Teilzeittätigkeit eine weitere Nebentätigkeit auszuüben, kann bereits nicht unterstellt werden, dass aus einer solchen Nebentätigkeit ein höheres Einkommen fließt als dass der Beklagten insgesamt mehr als 1.000 € im Monat zur Verfügung stehen. Wie den Absagen der Firma F. GmbH & Co. sowie des Landgutes G. zu entnehmen ist, hat sich die Beklagte bereits vor der in Verzugsetzung mit dem Kindesunterhalt um eine neue Arbeitsstelle bemüht. Für den Zeitraum ab Ende Mai fehlen nachvollziehbare Darlegungen konkreter Bewerbungsbemühungen, die nach Form, Inhalt und Anzahl dem gerade bei Unterhaltspflichten gegenüber privilegiert Berechtigten - wie den Kindern der Beklagten - notwendigen, durchgängigen und ernsthaften Bemühen gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB Ausdruck verleihen. Aber selbst wenn dem Amtsgericht darin zu folgen wäre, die Beklagte habe sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht nicht ausreichend um eine besser bezahlte Tätigkeit bemüht und ihr Gesundheitszustand stehe einer Vollzeitbeschäftigung nicht entgegen, können ihr jedenfalls fiktive Einkünfte, mit denen sie ihrer Unterhaltspflicht gegenüber zwei minderjährigen Kindern nachkommen könnte, nicht zugerechnet werden.

Denn die Zurechnung fiktiver Einkünfte, welche die Leistungsfähigkeit begründen sollen, hat neben den fehlenden subjektiven Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners objektiv zur Voraussetzung, dass die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten überhaupt erzielbar sind, was von den persönlichen Voraussetzungen des Unterhaltsschuldners, wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesundheitszustand und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängig ist. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Beklagte nach den vorgelegten Einkommensnachweisen der Firma M. selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung dort nicht mehr als 1.230 € brutto und damit kein über 1.000 € netto liegendes Gehalt erzielen könnte. Denn nach der vorliegenden Verdienstabrechnung für den Monat Juni 2008 hat die Beklagte bei einer Stundenzahl von über 132 Stunden und erzielten Nachtzuschlägen ein Bruttogehalt von 937,72 € erzielt, was einem durchschnittlichen Stundenlohn von 7,10 € die Stunde entspricht. Bei einer Vollzeittätigkeit von 173 Stunden könnte sie also kein über 1.229 € brutto liegendes Gehalt erzielen. Dies dürfte auch für eine Tätigkeit als Fachverkäuferin für Fleisch- und Wurstwaren gelten. So weist z. B. die Hans-Böckler-Stiftung für das Fleischerhandwerk in Sachsen-Anhalt für eine gelernte Fachverkäuferin mit Fachprüfung bei einer 40-stündigen Wochenarbeitszeit einen Stundenlohn von 5,87 € bis 6,90 € mit einem monatlichen Einkommen von 1.016 € bis 1.194 € aus. Selbst bei einem angenommenen Stundenlohn von 8 € die Stunde, wäre ein höherer Bruttoverdienst als 1.384 € jedenfalls nicht erzielbar. Gegebenenfalls müsste das Amtsgericht im Hauptverfahren einem weiter zu konkretisierenden Beweisangebot der Beklagten, betreffend zu erzielender Stundenlöhne für Fachverkäuferinnen, nachgehen. Neben dem Einkommen aus einer fiktiven Vollzeittätigkeit könnten jedenfalls der Beklagten keine zusätzlichen fiktiven Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung zugerechnet werden. Eine über die tatsächliche Erwerbstätigkeit hinausgehende Obliegenheit des Unterhaltspflichtigen zur Erzielung von Einkommen, das diesem insoweit bei der Unterhaltsberechnung fiktiv zugerechnet wird, kann nur angenommen werden, wenn und soweit die Aufnahme einer weiteren oder anderen Erwerbstätigkeit dem Unterhaltspflichtigen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist und ihn nicht unverhältnismäßig belastet (BVerfG FamRZ 2003, 661 f.). Eine solche unzumutbare Belastung wäre aber dann anzunehmen, wenn die Beklagte entweder vollzeitig tätig ist oder ihr jedenfalls ein solches Einkommen fiktiv zugerechnet wird. Denn bei einer vollzeitigen Tätigkeit als Verkäuferin kann nicht verkannt werden, dass Verkäuferinnen heute bei den längeren Öffnungszeiten vermehrt im Schichtdienst tätig sein müssen und die Höhe des zu erzielenden Einkommens für die Beklagte auch sicherlich dadurch beeinflusst wird, dass sie ohne große Berufserfahrung in ihrem erlernten Beruf nach einer langen Berufspause erstmalig wieder in ihrem erlernten Beruf tätig sein wird. Abgesehen davon bestimmt das Zeitarbeitsgesetz vom 6. April 1994 in § 3, dass die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer grundsätzlich acht Stunden nicht überschreiten darf. Dabei sind gemäß § 2 Arbeitszeitgesetz die Arbeitszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zusammenzurechnen. Längere Arbeitszeiten sind nur ausnahmsweise zulässig, wenn innerhalb bestimmter Fristen ein Freizeitausgleich gewährt wird. Bei dem Überangebot an Arbeitssuchenden, das für geringfügige Beschäftigungen zur Verfügung steht, spricht im Übrigen auch die allgemeine Lebenserfahrung nicht dafür, dass solche Stellen an Arbeitnehmer, die ihre Arbeitskraft schon für acht Stunden eingesetzt haben, vergeben werden (s. auch KG FamRZ 2003, 1208 ff.).

Das Amtsgericht wird unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze deshalb erneut zu prüfen haben, in welcher Höhe der Beklagten entweder neben dem tatsächlich erzielten Einkommen ein Einkommen aus Nebeneinkünften zu fingieren ist bzw. in welcher Höhe ihr fiktive Einkünfte aus einer Vollzeittätigkeit zuzurechnen sind. Daneben wird es zu berücksichtigen bzw. die Beklagte aufzufordern haben, darzulegen, in welcher Höhe an die Eheleute für das Jahr 2007 eine Steuerrückzahlung aus dem Jahreslohnsteuerausgleich erfolgt ist. Hiervon dürfte wegen der im Jahre 2007 noch innegehaltenen Steuerklasse V ein erheblicher Anteil auf die Beklagte entfallen, der ihrem Einkommen in 2008 zuzurechnen wäre.

Jedenfalls ist im Hinblick auf die Vermeidung einer unzumutbaren Belastung eine Orientierung an tragfähigen Tatsachengrundlagen unter Einbeziehung der persönlichen Voraussetzungen der Beklagten und der Lage auf dem Arbeitsmarkt erforderlich. Hierbei kann nicht verkannt werden, dass die Beklagte ein Einkommen von über 1.400 € netto erzielen müsste, um für beide Kinder je 245 € Zahlbetrag (322 € - 77 €) aufbringen zu können (unter Berücksichtigung ihres Selbstbehaltes von 900 € sowie pauschaler berufsbedingter Aufwendungen). Angesichts der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes kann jedenfalls nicht jedem Unterhaltspflichtigen regelmäßig ein zur Begleichung des Mindestunterhaltsanspruches für zwei minderjährige Kinder ausreichendes Einkommen zugerechnet werden. Dies ist angesichts der geringen Berufserfahrung der Beklagten in ihrem erlernten Beruf, aber auch des tatsächlich von ihr erzielten Entgelts für die von ihr ausgeübte Teilzeittätigkeit und dem auf dem Arbeitsmarkt zu erzielenden Einkommen für ihre erlernte Tätigkeit nicht ohne weiteres zu unterstellen.

Ende der Entscheidung

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